Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam für einen notwendigen breiten gesellschaftlichen Konsens arbeiten, einen gesellschaftlichen Konsens, dass die Würde des Menschen, und zwar jedes einzelnen Menschen, unserer moralischer Imperativ ist. Die uneingeschränkte Menschenwürde ist der Imperativ für unser politisches Handeln. Ich glaube, hier für das gesamte Parlament sprechen zu dürfen. Wir lassen es nicht zu, dass Diskriminierung, Menschenhass und Rassismus in unserer Gesellschaft weiter um sich greifen. Wir werden rechte Gewalt und die Nazis in unserem Land mit Herz und vollster Überzeugung weiterhin konsequent bekämpfen.
Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen! Ich will zunächst Danke schön sagen an Sie, Herr Präsident, an Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen des Hohen Hauses, dass wir nach dem, was wir erfahren mussten, nicht zur Tagesordnung übergehen, sondern innehalten und uns gemeinsam zu Beginn dieser Plenarsitzung der Werte vergewissern, die uns, die Demokratinnen und Demokraten, verbinden.
Ich bin auch dafür dankbar, dass ich für die Landesregierung vor dem Landtag und damit vor den Repräsentantinnen und Repräsentanten der Bürgerschaft unseres Landes deutlich machen darf, wie sehr wir – wenn man nicht selbst betroffen ist, kann man das immer nur versuchen – versuchen, nachzuempfinden und mitzuempfinden, wie es Familienmitgliedern gehen muss, deren Angehörige ermordet worden sind und die unter Verdacht gestellt wurden, dass sie wegen verbrecherischer Verstrickungen diese Morde erleiden mussten. Dann zu erfahren, dass es organisierter, geplanter Mord – in eine Serie von Hass und unendlicher Menschenverachtung eingebunden – war, muss in der Tat eine schreckliche Erfahrung sein.
Deshalb – so begrenzt das auch immer helfen mag – wollen wir versuchen, durch solche Momente der Stille und des Austauschs von Argumenten zu signalisieren:
Wir versuchen, dieses Leid zu teilen, und wir versuchen, das zu empfinden, was eine Gesellschaft, deren Organe nicht vermochten, die elementarsten Rechte zu schützen, empfinden muss, nämlich das Bedürfnis, sich zu entschuldigen, und das Bedürfnis, soweit man das immer nur kann, das wiedergutzumachen.
Menschen, die nicht mehr leben, Menschen, die traumatisiert weiterleben, Menschen, die Angst haben müssen, dass sie, ohne dass sie irgendetwas dazu beigetragen haben, betroffen sein können, ist eine furchtbare Erfahrung gerade in einem Land wie der Bundesrepublik Deutschland, die aufarbeiten musste und muss, die immer in Erinnerung behalten und die Verantwortung für das wahrnehmen muss, was vor, aber insbesondere während der Zeit zwischen 1933 und 1945 an Furchtbarem von Deutschland ausging.
Ich bin auch dafür – ohne dass man einen Moment annehmen darf, man könne materiell aufrechnen, was an Menschenleben, was an furchtbaren Eindrücken für Hinterbliebene zu beklagen ist –, dass die von der Bundesjustizministerin gegebene Anregung aufgenommen wird und wir wenigstens versuchen, die materiellen Schäden, die solchen Familien entstanden sind, weil sie ihrer Existenz, ihres Familienoberhauptes, wie das in solchen Gesellschaften häufig noch stärker empfunden wird als bei uns, beraubt worden sind, zu ersetzen.
Ich meine aber, das Wichtigste ist ein Signal an die betroffenen Familien, an die Menschen, die bei uns leben, deren Eltern oder Großeltern nicht immer in Deutschland gelebt haben, dass alles getan wird, was menschenmöglich ist, um eine Wiederholung solch furchtbarer Taten zu vermeiden. Deshalb bin ich dankbar für all die Anregungen, die eben von den Fraktionsvorsitzenden gegeben worden sind. Wir werden sie als Landesregierung sicherlich in unsere Überlegungen einbeziehen.
Vor allem meine ich, dass es wirklich von unendlicher Bedeutung ist, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes und uns selbst immer wieder deutlich machen: Die Werte, um die es uns geht, sind nicht irgendwelche theoretisch erdachten Werte, sondern das sind die elementarsten Wahrheiten, die im Zusammenleben von Menschen beachtet werden müssen. – Die Würde des Menschen ist unantastbar, steht an der Spitze unserer Verfassung. Das ist eine so tiefgehende Wahrheit, dass sie sich jeder Infragestellung entziehen muss. Deshalb ist es keine Frage von Toleranz im Denken, wenn wir nicht zulassen, dass diese elementare Aussage und die Rechte, die sich darum herum und daran anknüpfen, infrage gestellt werden.
Junge Menschen fragen mich bei solchen Diskussionen immer wieder einmal: Seid ihr denn nicht in der Lage, eine Diskussion auch über diese Fragen zuzulassen? – Ich meine, wir müssen erklären, dass man dann, wenn man diese tiefgreifende Erkenntnis, zu der aufgeklärte Gesellschaften, zu der religiös und ethisch verankerte Gemeinschaften über Jahrtausende und Jahrhunderte hinweg gefunden haben, infrage stellen lässt, am Ende eine gemeinschaftliche Haltung, auf der gemeinschaftlich getragene Gesetze und Rechte basieren, die inner
lich anerkannt und empfunden werden, nur noch schwer, ich meine, überhaupt nicht mehr erreichen kann.
Nicht, weil wir als Demokratinnen und Demokraten nicht in der Lage wären zu begründen, weshalb es diese elementaren Verfassungsrechte geben muss, sondern deshalb, weil wir ansonsten die Menschlichkeit unserer Gesellschaft infrage stellen ließen, muss dort die Grenze für jede Art von politischer Agitation oder Betätigung sein.
Ausgehend von einer solchen Überzeugung, für diese Errungenschaft der Menschlichkeit, für diese Errungenschaft des Verantwortlichseins füreinander und für künftige Generationen, müssen wir dafür werben, dass das Wichtigste, nämlich die Zivilcourage in unserer Gesellschaft und der Mut zu einem solchen Bekenntnis, im Alltag seinen Platz erhält. Deshalb hat man in der Tat von der frühesten Kindheit an über alle Stufen des Erwachsenwerdens hinweg als Eltern, als Erzieherin, als Erzieher, als Lehrerin, als Lehrer, als Mitarbeiter und Mitstreiter in der Jugendarbeit, in den Vereinen und in den unterschiedlichen Organisationen, als politische Partei, als politische Jugendorganisation, als Gewerkschaft, als Arbeitgebervereinigung, als Kirche und als ethische Institution die Verpflichtung und die Verantwortung, darauf zu achten, wie wir uns gegenüber Menschen verhalten, die anders sind, als wir es landläufig gewöhnt sind. Neben dem Verhalten müssen wir auch unsere Verantwortung wahrnehmen, erzieherisch tätig zu sein und in der Auseinandersetzung und im Gespräch für diese Werte zu werben, aber auch die Courage aufzubringen, für sie einzutreten, und immer dort darauf hinzuweisen, wo dieser Hinweis angebracht ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn das wahr ist, können wir froh und glücklich darüber sein, dass es viele Institutionen in unserer Gesellschaft gibt, die das so empfinden. Das gilt für die alltägliche Jugendarbeit in Vereinen und Organisationen genauso wie das für diejenigen gilt, die sich ganz besonders der Verteidigung der Demokratie und ihrer Rechtsstaatlichkeit verpflichtet wissen.
Deshalb glaube ich, dass wir bei allem, was man an ordentlichen Verfahren braucht, sehr darauf achten müssen, dass nicht am Ende durch bürokratische Vorschriften gerade die Engagierten unter den jungen Menschen in ihrem Engagement für Gerechtigkeit, den Kampf gegen Radikalismus und besonders die virulente Gefahr des Rechtsradikalismus gebremst werden.
Ich muss sagen, ich bin immer wieder sehr beeindruckt von Gesprächen mit der Organisation „Courage“, die von Kirchen- und Gewerkschaftsjugendlichen organisiert und getragen wird. Ich bin auch sehr beeindruckt gewesen, als ich gerade dieser Tage wieder die Gelegenheit hatte, mit jungen Menschen zu reden, die im Osten Deutschlands an Orten, wo es wirklich Mut braucht, um für Demokratie einzutreten, trotzdem diesen teilweise martialisch daherkommenden Rechtsradikalen entgegentreten und für Demokratie streiten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, so müssen über alle Bereiche der Gesellschaft hinweg die Gelegenheiten genutzt und die Herausforderungen angenommen werden, dass wir für unsere Werte eintreten. Das ist gegen Rechtsradikale das Allerwichtigste.
Aber es ist notwendig, dass die demokratische Gemeinschaft von Bürgerinnen und Bürgern diese Demokratie wehrhaft ausgestaltet. Das gilt für die Rechtspositionen, das gilt für die Arbeit unserer Polizei, das gilt für die Arbeit derjenigen, die den Auftrag haben, die Werte unserer Verfassung zu schützen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, deshalb müssen wir das, was wir erleben mussten, und die Fehlentwicklungen, die nicht erkannt worden sind – ich lasse einmal offen, aus welchen Gründen heraus, weil wir es noch nicht endgültig wissen –, gründlichst aufarbeiten und dann bereit sein, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, die in organisatorischen Entscheidungen liegen können.
Ich glaube mit den bisherigen Rednern und der bisherigen Rednerin gemeinsam, dass es nicht darum gehen kann, irgendeine Mammutbehörde zu schaffen und dann zu sagen: Wir sind jetzt zuständig, jetzt haben wir es irgendwo abgeliefert. – Es kann aber auch umgekehrt nicht so sein, dass wir aus Zuständigkeitsgerangel heraus Gemeinsamkeit dort, wo sie geboten ist, nicht organisieren.
Wie weit das gehen muss, wo die Ansätze liegen müssen, das muss eine der Aufgaben des Aufarbeitens sein. Ich glaube, dem können und sollten wir jetzt auch noch nicht vorgreifen.
Ich glaube, auch bei diesem Aufarbeiten müssen wir sehr sorgfältig überlegen, es nicht zwischen Kompetenzen und Verantwortlichkeiten auf Bundes- und Länderebene aufzusplittern. Deshalb habe ich zu einem frühen Zeitpunkt eine Diskussion, die jetzt auch aufgenommen wird, versucht mit anzustoßen, nämlich zu fragen, ob wir, statt einen Untersuchungsausschuss auf Bundesebene und in dem einen oder anderen Land einzusetzen, statt mit solchen Ansätzen zu arbeiten, die sich unter Umständen gegenseitig oder die Arbeit der Ermittlungsbehörden blockieren, weil sie die gleichen Unterlagen, Akten und Grundlagen für ihre Arbeit brauchen, nicht sehr sorgfältig überlegen sollten, eine gemeinsame Institution, eine gemeinsame Arbeit – angelehnt an den Gedanken einer Bund-Länder-Enquete-Kommission – mit erfahrenen Persönlichkeiten aus den betroffenen gesellschaftlichen und rechtlichen Bereichen, mit erfahrenen Menschen aus der Administration, aber auch aus der politischen Verantwortung, also aus den Parlamenten, auf den Weg bringen und dort eine gemeinsame Aufarbeitung versuchen.
Dann könnten auch Vorschläge unterbreitet werden, die für Bund und Länder und ihre Organisationen Anstoß zu entsprechenden Veränderungen sein können.
Ich weiß, dass diese Gedanken derzeit viel Resonanz auf der Bundesebene und in anderen Ländern finden. Ich hoffe, dass wir uns auf diese Art und Weise nicht irgendwann, in drei, vier oder fünf Monaten, wenn die
Betroffenheit und Beklemmnis – wie es uns Menschen nun einmal allen geht – ein Stück nachgelassen haben, doch wieder in die alten Strickmuster, das ist meins, das ist deins, das ist deine Verantwortung, nicht meine Verantwortung, zurückfallen lassen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir diese Arbeit geleistet haben, aber auch während dieser Arbeit, müssen wir gemeinsam überlegen, wo das politische Zentrum für rechtsradikales, verfassungsfeindliches und aggressives Verhalten gegen die Verfassung und ihre Werte ist. Das sind die entscheidenden Parameter, die man prüfen muss, wenn man über einen Antrag zum Parteienverbot redet. Parallel dazu müssen wir die Arbeit beginnen, das aufzuarbeiten, was wir jetzt schon aufarbeiten können, und die Erfahrungen, die eine solche Untersuchung mit sich bringen werden, ebenso wie die Schlussfolgerungen dann mit hinzufügen.
Dass es sehr viele solcher Ansätze bereits jetzt schon gibt, sagen mir nicht nur der Kollege Lewentz oder der Kollege Hartloff in ihrer Verantwortlichkeit hier in unserem Land, das höre ich auch von anderen Innenministern und Verantwortlichen auf Bundes- und Länderebene. Das zusammenzutragen und es dann, wie gesagt, auch zu ergänzen, scheint mir jetzt geboten.
Deshalb muss jetzt der Wille da sein, ein solches NPDVerbot mit der Erfahrung anzugehen, die wir schlüssig haben, dass es nämlich ein braun gesteuertes, radikales, terroristisches Netz in Deutschland gibt, in dessen Mitte wie die berühmte Spinne immer wieder die NPD verortet wird, wenn man einzelne Auswüchse radikaler, krimineller und politisch unerträglicher Art zurückverfolgt und entsprechende Fäden auf ihre Verknüpfung hin überprüft.
Deshalb stellt es keine politische Konkurrenz von anderen politischen Parteien dar zu sagen, wir wollen wehrhaft sein, sondern es ist ein Gebot, das sich aus unserer Verfassung – davon bin ich überzeugt – ableitet.
Ich glaube, mit diesem Willen und all den Erfahrungen, die wir haben und heute haben können, wäre, ohne dass wir an die Grenzen stoßen, die das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der V-Leute und der entsprechenden Provokateure, die möglicherweise in den V-Leuten gesehen werden könnten, ohne dass wir die Grenzen unbeachtet lassen, schon unendlich viel erreichbar.
Mich hat betroffen gemacht, als ich letzte Woche den neuen Generalkonsul Israels zum Antrittsbesuch getroffen habe und er mich auf eine Internetfundstelle hingewiesen hat, wo gefragt wird: Habt ihr Kameraden – in diesem Nazijargon – denn die richtigen Ziele gefunden? – Ich füge ein: „mit den Ermordeten“, von denen wir reden. – Hätte es denn nicht viel bessere Ziele gegeben?
Wer so etwas politisch mitträgt, wer nicht die Kraft hat, sich davon ganz klar und eindeutig zu distanzieren, der ist mehr als nur politisch unerträglich. Ich finde, an dieser Stelle ist die Grenze dessen, was man – auch unter
äußerster Ausdehnung der Toleranz und des Respekts vor anderen Meinungen, auch wenn man sie noch so sehr persönlich verabscheut – noch akzeptieren kann, schon bei Weitem überschritten. Deshalb hoffe ich, dass wir nun gemeinsam zu einem Weg hin zu einem NPDVerbot kommen, selbstverständlich mit der notwendigen Ernsthaftigkeit, und dass wir auf diese Art und Weise den betroffenen Menschen, die bei uns leben und potenziell befürchten müssen, dass sie Opfer der Alltagsgewalt und der Alltagsdiskriminierung werden könnten, bis hin zum Verlust von Leib, Leben und Gesundheit, durch diese Gesamtanstrengungen signalisieren können, wir tun wirklich alles, was wir diesen Opfern, aber auch unseren gemeinsamen Werten schuldig sind, um diese furchtbare Erfahrung nicht zu wiederholen, die Deutschland – ich rede von Deutschland West – in der Nachkriegszeit, aber auch in der RAF-Zeit schon einmal auf andere Weise machen musste, die wir jetzt wieder machen mussten und die wir so viele Jahre nicht erkannt haben. Dies muss uns umso aufmerksamer werden lassen.
Ich bedanke mich sehr für die Gemeinsamkeit, die in dieser Stunde zum Ausdruck kommt, und ich betone noch einmal, dass die Landesregierung alles in ihren Möglichkeiten Stehende tun wird, um ihre Verantwortung wahrzunehmen. Das letzte Wort soll noch einmal ein Wort des Gedenkens und des Mitfühlens an die Hinterbliebenen der Mordopfer des Nazi- und Rechtsterrors in Deutschland sein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, möchten Sie sofort über den Antrag in der Sache abstimmen, oder wird die Überweisung an den Ausschuss gewünscht?
Ich bitte diejenigen, die dem Antrag der drei Fraktionen zustimmen möchten, um ein Handzeichen! – Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Antrag ist einstimmig angenommen. – Herzlichen Dank.
Zu schriftführenden Abgeordneten berufe ich die Kollegen Marcel Hürter und Martin Brandl. Herr Hürter führt die Rednerliste.
Als Gäste begrüße ich die A-Jugendmannschaft der Fußballgesellschaft 1908 Mutterstadt, die Freiwillige Feuerwehr Waldböckelheim sowie Polizistinnen und