Protocol of the Session on September 15, 2011

Das Wort hat Herr Kollege Hartenfels von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nach dieser flammenden Rede noch einmal für die vitalen Dörfer und Städte will ich ganz kurz einen Aspekt der EnqueteKommission vertiefen, und zwar Nummer 7 des Antrags. Hier geht es um das Stichwort des demografischen Wandels. Das ist ein noch relativ junges Phänomen auch in Rheinland-Pfalz und insofern auch eine ganz spezielle und besondere Herausforderung. Ich komme aus dem Landkreis Kusel, und in unserer Region haben wir mit diesem Wandel schon sehr heftig zu kämpfen. Wir verlieren pro Jahr etwa 700 bis 1.000 Einwohner. Das ist ein komplettes Dorf pro Jahr, das wir dort verlieren. Das heißt, der Prozess ist schon in Gang. Er wird bei uns weitergehen. Bis zum Jahr 2020 werden wir etwa 8 % weiter verlieren. Was das für die Einnahmenseite der Kommunen bedeutet, brauche ich Ihnen nicht zu erläutern.

Hinzu kommt noch die Überalterung, die diese Problematik verschärfen wird. Das heißt, in der Region Westpfalz – wechseln wir einmal die Ebene – werden wir bis zum Jahr 2020 etwa 25 % der unter 20-Jährigen verlieren. Gleichzeitig wird die Zahl der über 80-Jährigen um 8 % in dieser Region steigen. Das Thema hatte wir heute Morgen schon bei der Pflege, was das in den Auswirkungen für die Kommunen und auch für das Land bedeutet.

Alle diese Zahlen bewegen sich in der sogenannten unteren Variante des Statistischen Landesamtes. Diese

untere Variante hat sich in den letzten fünf Jahren bisher bestätigt, und zwar auch landesweit. Das bedeutet, landesweit werden wir bis zum Jahr 2020 5 % der Einwohnerinnen und Einwohner verlieren. Bis zum Jahr 2035 werden es dann 14 % sein. Das heißt, der demografische Wandel wird ganz speziell und im Besonderen unsere Kommunen im Hinblick auf die Einnahmen- und Ausgabensituation noch verschärft unter Druck setzen. Hier gilt es natürlich auch gegenzusteuern.

Insofern bin ich auch als Kommunalpolitiker jetzt seit 20 Jahren sehr froh über die Einsetzung dieser Kommission und dass wir das auch parteiübergreifend hinbekommen. Es bestärkt mich auch wieder in den Bemühungen, die Schuldenbremse einzuhalten; denn nur ein Land, das seine Finanzen im Griff hat, kann den Kommunen aktiv zur Seite stehen.

Frau Beilstein, Sie haben es so benannt, das Bewusstsein, mit dem Geld vernünftig umzugehen, sollte man immer bei sich tragen. Insofern will ich es auch einmal anders herum so formulieren: Wer sich der Konsolidierung des Landeshaushalts nachhaltig verweigert, zerstört aktiv die Perspektiven auch unserer kommunalen Gebietskörperschaften.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht, sodass wir eigentlich dem Vorschlag meines Erachtens gemeinsam folgen können, dass wir die Drucksache 16/330, ein gemeinsamer Antrag der Fraktionen der SPD, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, an den Innenausschuss überweisen können. Wer dem zustimmen kann, den bitte ich um das Handzeichen!

(Köbler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Warum an den Ausschuss? – Frau Schleicher-Rothmund, SPD: Eine Enquete- Kommission setzt man ein!)

Entschuldigung. Da hat man mir etwas Verkehrtes aufgeschrieben. Ich habe das jetzt einfach so übernommen. Natürlich wird eine Enquete-Kommission künftig autark arbeiten. Ich habe zwei mitgemacht. Ich hätte es eigentlich wissen müssen. Das stand da aber jetzt gerade so, also Entschuldigung.

Dann ist damit im Grunde genommen die Arbeit der Enquete-Kommission in dieser Form beschlossen.

(Frau Schleicher-Rothmund, SPD: Aber abstimmen!)

Wir stimmen jetzt bitte über diesen Antrag ab. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Danke. Die Gegenprobe! – Stimmenthaltungen? – Somit ist die Einsetzung einstimmig beschlossen.

(Beifall im Hause)

Wir kommen dann zu Punkt 9 der Tagesordnung:

Einsetzung einer Enquete-Kommission „Aktive Bürgerbeteiligung für eine starke Demokratie“ Antrag der Fraktionen der SPD, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 16/331 –

Wer fängt an? – Die GRÜNEN? –

(Abg. Wiechmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, deutet in Richtung SPD-Fraktion)

Wer fängt an? – Bitte einigen Sie sich.

Die Kollegin Schellhammer von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beginnt. Sie sehen, auch da gibt es manchmal Komplikationen, also nicht nur bei mir.

(Frau Klöckner, CDU: Alles wohlwollend!)

Bitte schön, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste! Unsere Demokratie ist kein feststehendes Konstrukt, sondern ein ständiger Prozess. Das zeigt schon ein kurzer Blick in unsere überaus spannende Landesgeschichte; denn Demokratie ist nicht in Stein gemeißelt, sondern lebt von dem ständigen Bemühen der Menschen, damit diese Staatsform gelingt. Dass wir heute beschließen, wieder neu über unsere Demokratie und unser demokratisches Miteinander nachzudenken, und dies gerade in diesem historischen Gebäudekomplex tun, wo sich die erste Demokratie auf deutschem Boden im Rheinisch-Deutschen Nationalkonvent zusammenfand, ist angemessen für unsere Aufgabe, meine Damen und Herren.

Warum brauchen wir diese Enquete-Kommission? – Denn schwenkt man den Blick auf das heutige Rheinland-Pfalz von der Landesgeschichte weg, dann ist nicht schwer festzustellen, politische Entscheidungen werden überhaupt nur über die repräsentative Demokratie getroffen. Die direkte Demokratie findet auf kommunaler Ebene und auf Landesebene kaum statt. Aus Angst vor den Bürgerinnen und Bürgern stehen gesetzliche Hürden, hohe Quoren und kurze Fristen der direkten Demokratie in Rheinland-Pfalz im Weg. Oder ist es Desinteresse oder ein nicht immer geeignetes Instrument?

Wir führen in unserem Land viele Debatten, die sich eignen würden, einen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess unter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger zu führen, sicherlich auch Prozesse, an deren Ende ein Ergebnis stehen würde, das ich auch nicht so toll finden würde. Das schreckt mich aber nicht. Für uns GRÜNE ist eine wesentliche Forderung, dass die Menschen nicht nur alle fünf Jahre ihr Kreuzchen in der Wahlkabine machen, sondern auch zwischendurch Richtungsentscheidungen treffen können.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wir stehen für Basisdemokratie. Wir wollen eine politische Kultur, die geprägt ist von Meinungs- und Informationsaustausch und direkten Einflussmöglichkeiten, kurzum, wir wollen eine Bürgerbeteiligung, die ihren Namen auch verdient. Für mich ist Bürgerbeteiligung aber mehr als eine reine Verschiebung von Kompetenzen hin zu den Bürgerinnen und Bürgern. Viele Fragen in unserem Zusammenleben können wegen den komplexen Zusammenhängen unseres Daseins und den teilweise schwierigen Folgeabschätzungen nicht immer mit Ja oder Nein beantwortet werden.

Vielfach können Politik und Verwaltung durch gezielte Beteiligung frühzeitig durch Information und Kooperation mit Betroffenen Konflikte entschärfen, Konsens herbeiführen und Ergebnisse qualitativ verbessern. Daher braucht es die Enquete-Kommission „Aktive Bürgerbeteiligung für eine starke Demokratie“, um konkrete Vorschläge für mehr Demokratie in Rheinland-Pfalz zu erarbeiten und Verbesserungsvorschläge für bestehende direktdemokratische Elemente zu diskutieren und um die Vor- und Nachteile weiterer Instrumente abzuwägen.

Meine Damen und Herren, unsere Aufgabe wird es sein, unsere Demokratie qualitativ zu verbessern. Wichtig ist aber auch, dass die angestrebte Verbesserung der Rahmenbedingungen nicht nur diskutiert wird. Es muss geprüft werden, an welcher Stelle bei den in RheinlandPfalz geltenden Regelungen konkreter Veränderungsbedarf besteht. Diese Veränderungen müssen aber auch umgesetzt werden; denn für mich ist ganz klar, diese Enquete-Kommission darf und wird keine Alibiveranstaltung sein.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Deswegen soll das Ergebnis der Enquete-Kommission mehr als nur ein Abschlussbericht sein; sie soll konkret zu mehr Demokratie in diesem Land führen. Für den Erfolg von Bürgerbeteiligung wird zu überlegen sein, welche Formen von Beratung und Begleitung den Menschen bei Beteiligungsprozessen bereitgestellt werden. Zum Beispiel könnte in Beteiligungs- und Genehmigungsverfahren eine neutrale Moderation eingerichtet werden, die das Vertrauen aller Beteiligten hat. Somit könnten Genehmigungsbehörden künftig nicht in einem Rollenkonflikt sein, da sie nicht die Rolle des Moderators und der Interessenvertretung gleichzeitig innehaben, sondern mit einer neutralen Moderation an einem Tisch sitzen. Das ist eine Überlegung, die wir in der EnqueteKommission anstellen müssen.

Wie in dem Einsetzungsbeschluss schon vorangehend besprochen wurde, die Kommunen sind die Basis unserer Demokratie in diesem Land. Viele Menschen bringen sich Tag für Tag in unserem Bundesland ehrenamtlich in ihren Gemeinden, Städten und Kreisen ein. Klar ist aber auch, dass auf dieser Ebene Bürgerbeteiligungen eine sinnvolle Ergänzung zur Diskussion in den kommunalen Reden darstellen kann.

In der Kommune sind zusätzlich zu Bürgerinitiativen und Entscheiden weitere Beteiligungselemente greifbar, beispielsweise die Öffnung der Bauleitplanung auf der kommunalen Ebene. Denn dadurch kann bei Bauprojek

ten eine größere Akzeptanz erzielt werden. Das vermindert im Endeffekt auch die Demokratieverdrossenheit mancher Menschen.

Auch im Rahmen von Planfeststellungsverfahren muss geprüft werden, inwieweit der Prozess nachvollziehbar gestaltet werden kann. Mir ist es wichtig, dass die Betroffenen frühzeitig mitteilen können, wie sie bestimmte Vorhaben bewerten und auch Alternativen zur Prüfung einbringen können, statt wie bisher nur nach Abschluss der Planungsphase Einspruch gegen den fertigen Plan erheben können. Eine wesentliche Grundlage der Rahmenbedingungen ist, wie viele Informationen wir den Menschen geben. Auf dieser Informationsgrundlage können sie ihre Entscheidung erst treffen. Transparenz und der Zugang zu Informationen sind daher für mich notwendige Voraussetzung für die Meinungs- und Willensbildung der Menschen, für deren Teilhabe und Mitbestimmung.

Besonders die digitalen Informationswege werden in Zukunft dabei eine wichtige Rolle spielen. Im Internet offengelegte Daten über Bürgerhaushalte, über Statistiken bis hin zu Verbraucher-, Geo- oder Umweltdaten können sehr gut im Sinne der Demokratie genutzt werden. Wer aufgrund vorhandener Informationen mitreden kann, der fühlt sich auch in der Demokratie weitaus mehr zu Hause.

Doch nicht nur die Informationsgrundlage im Vorfeld von politischen Entscheidungen, sondern auch die Bürgerbeteiligung selbst kann im Internet als eine demokratische Plattform erleichtert werden. Deswegen muss geprüft werden, welche Methoden und welche Anforderungen an digitale Beteiligungsinstrumente gestellt werden.

Politik, wie wir sie leben und erleben, besteht aus vielen Worten. Konkret wird es jedoch dann, wenn sich unter die Worte Zahlen mischen und Finanzmittel verteilt oder entzogen werden. Gerade in Zeiten knapper Kassen muss daher auch die Diskussion über finanzielle Mittel für interessierte Menschen ermöglicht werden.

Im Bereich der öffentlichen Haushalte können Beteiligungsformen zu größerer Akzeptanz führen, gerade dann, wenn die Mittel knapp sind. Als Beispiel können diejenigen Kommunen, die das Konzept der Bürgerhaushalte schon erfolgreich umsetzen, in unserer Enquete-Kommission berichten. Aber es geht mir nicht nur um den gebeutelten kommunalen Haushalt und dessen Beteiligungsmöglichkeiten. Auch auf Landesebene müssen wir überlegen, wie wir Möglichkeiten schaffen, dass wir zukünftig Diskussionen über Millionen- und Milliardenbeträge nicht nur untereinander führen, sondern auch Darstellungsmöglichkeiten schaffen, dass die Bürgerinnen und Bürger bei Diskussionen um unseren Landeshaushalt mehr mitdiskutieren können.

Wir müssen also in der Enquete-Kommission diskutieren, inwieweit wir durch eine Visualisierung unseres Haushalts die Diskussion über solche Beträge erleichtern und wie wir damit auch ganz deutlich die Distanz zwischen Politik und Bevölkerung abbauen können. Begreifen wir also die Möglichkeiten durch die digitale Revolution als einen wesentlichen Beitrag zu einer fortschreitenden Demokratisierung.

Eng mit der Forderung nach mehr Demokratie ist für mich untrennbar die Frage verbunden: Ist es noch zeitgemäß, dass so viele Menschen von der repräsentativen Demokratie, genauer gesagt vom Wahlrecht, ausgeschlossen sind? Wäre es nicht dringend nötig, mehr Menschen in diesem Land ein demokratisches Grundrecht zu gewähren? – Demokratisches Miteinander darf niemanden ausschließen, egal, welchen Alters, welchen Geschlechts oder welcher Herkunft.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Gerade als Vertreterin eines Jugendverbands, der Wege diskutiert und basisdemokratisch entscheidet, weiß ich: Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen darf keine Alibimaßnahme sein, sondern muss ernsthaft umgesetzt werden. Die Bedingungen aller demokratischen Beteiligungsformen müssen immer so ausgestaltet werden, dass die Beteiligungsgerechtigkeit gegeben ist. Hierbei geht es darum sicherzustellen, dass jeder Mensch dieselben Mitsprachemöglichkeiten hat, egal, welcher Bevölkerungsgruppe er oder sie angehört.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende Einsetzungsbeschluss gibt uns eine wichtige Aufgabe. Wenn wir Transparenz und Bürgerbeteiligung wirklich ernst nehmen, dann muss bereits die Kommission bei ihrer Arbeit mit einem guten Beispiel vorangehen. Mir persönlich ist es ein großes Anliegen, die Bürgerinnen und Bürger mit ihren Anregungen in die Arbeit der Enquete-Kommission auch einfließen zu lassen. Größtmögliche Transparenz und Offenheit muss daher unser Ziel sein. Daher laden wir die Menschen in RheinlandPfalz herzlich ein, in dieser Enquete-Kommission als siebter Sachverständiger mitzuarbeiten und sich rege mit Vorschlägen einzubringen.

Werte Kolleginnen und Kollegen, wir haben mit dieser Enquete-Kommission die Chance, den Prozess der Demokratisierung voranzubringen. Wir alle haben die Chance, damit der Politikverdrossenheit entgegenzuwirken. Wir haben die Chance, unsere Demokratie lebendiger zu machen. Dafür müssen wir uns intensiv mit den Rahmenbedingungen der Beteiligung auseinandersetzen. Wir müssen erörtern, wie wir die Menschen in unserem Land besser informieren können. Wir müssen erreichen, dass sich jeder und jede beteiligen kann, der oder die möchte.

Für diese zentralen Punkte brauchen wir die EnqueteKommission „Aktive Bürgerbeteiligung für eine starke Demokratie“. Die Menschen wollen mehr Mitbestimmung, und dieses Recht dürfen wir ihnen nicht verwehren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Als nächstes hat Herr Kollege Haller für die SPD das Wort. – Die beiden Redner haben jeweils zweimal eine Runde. Deswegen zunächst Herr Kollege Haller und dann Herr Kollege Lammert.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen mehr Demokratie wagen.“ (…) „Wir wollen die demokratische Gesellschaft, zu der alle mit ihren Gedanken zu einer erweiterten Mitverantwortung und Mitbestimmung beitragen sollen.“ (…) „Wir suchen keine Bewunderer; wir brauchen Menschen, die kritisch mitdenken, mitentscheiden und mitverantworten.“ –