Protocol of the Session on April 29, 2010

Eines ist klar: Schulen können nicht der Reparaturbetrieb für Erziehungsversagen im Elternhaus sein. – Eltern sind diejenigen, die Bildung mehr wertschätzen müssen. Dabei muss man sie unterstützen, so wie das auch im Projekt „Keiner ohne Abschluss“ getan wird, aber zu spät!

Natürlich können wir als Politik nicht alles tun, aber wir müssen das tun, was wir können, das so früh wie möglich. Deshalb fordern wir schon seit langem zum Beispiel im Bereich der Grundschule ein Herabsenken der Klassenmesszahlen, einen Zusatz an Förderstunden, auch diese Maßnahme in den weiterführenden Schulen, be

sonders in der Realschule plus. Dann bräuchten wir Projekte wie das Projekt „Keiner ohne Abschluss“ oder auch das Berufsvorbereitungsjahr bei Weitem nicht mehr in diesem Ausmaß, wie wir es bisher brauchen. Das wären tatsächliche Maßnahmen zur Senkung der Schulabbrecherquote.

(Beifall bei der CDU)

Frau Ministerin, Sie setzen hingegen viel zu spät an und schaffen ein Prestigeobjekt für ein paar Schüler mit viel Hochglanz und wenig dahinter.

Wir haben aufgrund fehlender Fördermaßnahmen leider viele Schüler – 3.000 –, die heute die allgemeinbildenden Schulen ohne Abschluss verlassen. Bis jetzt besuchen diese Schüler in der Hauptsache das Berufsvorbereitungsjahr. Auch diese Schülerinnen und Schüler bräuchten dringend Unterstützung zur Erreichung des Schulabschlusses. Aber diese Schüler übersehen Sie ganz. Die guten Rahmenbedingungen, von denen wir eben gehört haben, die wir bei dem Projekt „Keiner ohne Abschluss“ vorfinden: Warum hat die große Mehrzahl der abschlussgefährdeten Schülerinnen und Schüler im Berufsvorbereitungsjahr genau diese Maßnahme nicht? Warum haben wir zum Beispiel an den berufsbildenden Schulen keine Unterstützung im Rahmen des Ganztagsschulprojektes?

Auch diese Schüler befinden sich den ganzen Tag in der Schule, haben aber keinerlei Chancen, das, was zum Beispiel auch im Elternhaus fehlt, mit einem warmen Mittagessen und mit einer weiteren Begleitung zu bekommen, wie wir das beim Projekt „Keiner ohne Abschluss“ haben, und auch nicht die persönliche intensive Beratung sowohl der Schülerinnen und Schüler als auch der Eltern mit so viel Förderkontingenten, wie wir sie im Projekt „Keiner ohne Abschluss“ haben.

Deshalb noch einmal die ganz klare Forderung: Wenn wir Schülerinnen und Schüler fördern wollen, dann muss das zunächst früher geschehen. Wenn wir die Schülerinnen und Schüler auffangen wollen, die im allgemeinbildenden Schulsystem bisher keine Chancen hatten, müssen die Rahmenbedingungen überall landesweit besser werden, damit wir alle Schülerinnen und Schüler erreichen können; denn wir können es uns nicht leisten, heute ca. 7 % der Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss in die sozialen Systeme zu entlassen. Das können wir uns aufgrund der demografischen Entwicklung nicht leisten. Aber das ist auch absolut unfair diesen Schülerinnen und Schülern gegenüber, die keinerlei Lebenschancen auf Selbstverwirklichung und dergleichen haben.

Deswegen bitte ich Sie – ein Lob, dass Sie die Maßnahmen ergreifen –, aber diese bitte auf das komplette System zu übertragen.

(Beifall der CDU)

Das Wort hat Frau Staatsministerin Ahnen.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mich schon gefragt, was die Zielrichtung der heutigen Aktuellen Stunde sein soll. Ich habe etwas Ähnliches vermutet wie das, was wir eben gehört haben. Bevor wir über Gefühltes reden, sollten wir erst einmal einen Blick auf die Zahlen werfen.

Sie sagen, es ist in den letzten Jahren überhaupt nichts für die Schülerinnen und Schüler passiert. Sie haben selbst schon die 6,7 % zitiert; dann wissen Sie, wie die Entwicklung der letzten Jahre ist.

Wir hatten im Jahr 2000 einen Anteil von Schülerinnen und Schülern, die die Schule ohne Hauptschulabschluss verlassen haben, von 9,9 %. Das waren 4.284 Schülerinnen und Schüler. Wir haben heute einen Anteil von 6,9 %. Das sind 3.076 Schülerinnen und Schüler. Das heißt, das, was bundesweit vereinbart ist, dass die Zahl halbiert werden soll, davon haben wir in den letzten zehn Jahren eine große Wegstrecke zurückgelegt. Wir sind unter dem Bundesdurchschnitt mit unseren Zahlen.

(Beifall der SPD)

Das heißt doch nicht, dass ich damit zufrieden wäre. 3.000 Schülerinnen und Schüler sind immer noch zu viel. Es ist legitim festzustellen, dass offensichtlich eine ganze Reihe von Maßnahmen in den letzten Jahren gegriffen hat und sie das besser als in anderen Bundesländern getan haben; denn sonst hätten wir nicht diesen im Vergleich niedrigen Wert.

Ich komme zu der Frage, wie wir das erreicht haben. Wenn heute die frühe Förderung eingefordert wird, dann sage ich, das Land Rheinland-Pfalz wird bundesweit bezüglich der frühen Förderung als Vorbild wahrgenommen. Selbst Bundesministerinnen haben damit kein Problem, obwohl sie bekanntlich nicht der SPD angehören, sich in diesem Feld positiv auf Rheinland-Pfalz zu beziehen. Wir haben frühzeitig mit dieser Weichenstellung angefangen. Dies wird sukzessive einen Beitrag zur Reduzierung der Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss leisten.

Selbstverständlich hat unsere Ganztagsschule, die in Rheinland-Pfalz frühzeitig eingeführt worden ist, ihren Beitrag dazu geleistet, dass diese Zahl zurückgegangen ist. Selbstverständlich leisten jeden Tag die berufsbildenden Schulen einen extrem hohen Beitrag dazu, dass dieser Anteil der Schülerinnen und Schüler in der berufsbildenden Schule dann doch noch den Hauptschluss erhalten, obwohl die Quote noch bei 6,9 % liegt. Dafür sei ihnen ausdrücklich gedankt. All diejenigen, die ich genannt habe, leisten einen Beitrag dazu und haben das eindeutig als Aufgabe erkannt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es geht nicht darum zu sagen, dass wir nicht schon Wege hätten. Es geht auch nicht darum, den Eindruck zu erwecken, als sei nicht frühe Förderung wichtig, als seien nicht gute Rahmenbedingungen der allgemeinbildenden Schulen wichtig, als sei nicht die Ganztagsschule ein erheblicher Beitrag dazu, als sei nicht die Einführung von arbeits

weltorientierten Klassen in den vergangenen Jahren ein Beitrag zur weiteren Senkung der Zahl der Schülerinnen und Schüler ohne Hauptschulabschluss. Ich könnte viele weitere Maßnahmen aufzählen.

Aber der Respekt und die Fürsorge um diese jungen Menschen hat uns dazu bewogen, im Zusammenhang mit der Schulstrukturreform zu sagen: Ja, wir wollen weitere neue Wege ausprobieren, ob wir noch bessere Erfolge erzielen können. – Deswegen wurde neben der Aufstiegsorientierung in der Realschule plus dieses Projekt eingegangen, das sich besonders um die Schülerinnen und Schüler mit Problemen kümmert.

Ich sage noch einmal, auch in der Realschule plus beginnt die Förderung nicht in dem Projekt „Keiner ohne Abschluss“. Die Förderung sieht früh einsetzende Fördermaßnahmen vor. Wir haben die Klassengrößen in der Realschule plus in den Stufen 5 und 6 insgesamt reduziert. Wir haben den verpflichtenden Wahlpflichtbereich in enger Abstimmung mit der Wirtschaft ab Klassenstufe 6 in den Bereichen Technik und Naturwissenschaften, Hauswirtschaft und Sozialwesen und Wirtschaft und Verwaltung etabliert. Wir haben die vertiefte Berufsorientierung. Wir haben mittlerweile an 134 Schulen einen wöchentlichen Praxistag. Wir haben neue Lehr- und Lernformen. Wir haben gerade in der Realschule plus das Projekt „Medienkompetenz macht Schule“. All das setzt an dem Tag ein, an dem die Schülerinnen und Schüler in diese Schule kommen.

Trotzdem gehen wir davon aus, dass es immer noch Schülerinnen und Schüler geben wird, die es aufgrund ihrer persönlichen Entwicklung und der Erfahrung, die sie gemacht haben, nicht schaffen, nach neun Jahren den Abschluss der Berufsreife zu erzielen. Für diese Gruppe von Schülerinnen und Schülern wird in dem Projekt „Keiner ohne Abschluss“ ein spezielles Angebot gemacht. Dieses spezielle Angebot kombiniert vieles von dem, was wir in anderen Projekten erfolgreich erprobt und heute insgesamt auf das Schulsystem übertragen haben.

Dazu gehört, dass wir kleinere Lerngruppen bilden. Es gehört dazu, dass wir eine enge Verbindung mit der Praxis in den Betrieben haben. Das gilt nicht nur für dieses Projekt, sondern für viele andere auch. Wir haben eine verbindliche ganztägige Zeitstruktur etabliert. Wir legen besonderen Wert darauf, die verstärkte Einbindung der Eltern zu realisieren. Hier hat uns die wissenschaftliche Begleitung wichtige Hinweise gegeben. Die Rückmeldungen der Betriebe können in die Zeugnisnote mit einfließen. Wir setzen sehr stark auf projektorientierten Unterricht.

Sie wissen, dass es über dieses Projekt eine Diskussion gerade zwischen allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen gegeben hat. Ich schließe mich dem an, was von Herrn Kollegen Wehner gesagt worden ist. Es gibt Schülerinnen und Schüler, für die ist der gute Weg, dass sie nach ihrer Schulzeit in der allgemeinbildenden Schule einen Break erfahren und eine neue Chance in der berufsbildenden Schule wahrnehmen, die das Berufsvorbereitungsjahr für viele Schülerinnen und Schüler bietet.

Gleichwohl, bei dem Anspruch, dass die allgemeinbildende Schule zum Abschluss der Berufsreife führt, will ich nicht nachlassen. Das muss der Anspruch für unsere Schulen sein. Deswegen setzt das neue Projekt an dieser Stelle an, nämlich unter guten Rahmenbedingungen zu versuchen, die Schülerinnen und Schüler doch noch zu einem Abschluss zu führen.

Es gab eine Diskussion darüber, wer das besser kann bzw. an welchem Lernort das besser geht. Wir haben gesagt, das neue Projekt ist deswegen mit einer hohen Messlatte versehen, nämlich mindestens 80 % der Schülerinnen und Schüler sollen in diesem zusätzlichen Schuljahr doch noch einen Schulabschluss erwerben, und mindestens 40 % – Sie wissen, wie viel das beim Abschluss der Berufsreife ist – sollen einen Ausbildungsplatz in Aussicht haben. Es sieht heute so aus, dass in den Klassen, die jetzt im ersten Jahr sind, diese Zahlen mit 90 % und 50 % wahrscheinlich übertroffen werden. Wenn das wirklich am Ende so ist, dann sage ich, das ist ein absolut erfolgreicher Start für dieses Projekt,

(Beifall der SPD)

der sozusagen danach ruft, ausgeweitet zu werden. Deswegen gehen drei weitere Schulen an den Start. Es werden in den Folgejahren weitere Schulen sein.

Gleichzeitig gilt gegenüber den berufsbildenden Schulen mein Wort, hohe Messlatte, gemeinsame Auswertung, ob das, was man sich vorgenommen hat, wirklich erreicht wird. Dann kann man zu gegebener Zeit die Konsequenzen daraus ziehen, wie dieses Projekt verbreitert werden kann. Wir sind noch in der Phase der Erprobung. Aus meiner Sicht war der Start sehr erfolgreich.

(Beifall der SPD)

Ich erteile Frau Abgeordneter Morsblech das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es in den vergangenen Jahren in dem Bereich der Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss eine positive Entwicklung gab. Es ist erlaubt zu fragen, was dabei geholfen hat. Da komme ich zu anderen Schlüssen als Sie. Wenn wir den Blick auf die frühe Förderung lenken, dann kann ich Sie darin bestätigen, dass die richtig ist. Seitdem wir diese Maßnahmen eingeleitet haben, kann sich diese Zahl jedoch noch gar nicht in der Statistik niedergeschlagen haben; denn die jungen Menschen, die in den letzten vier bis fünf Jahren in dem Kindergarten waren, sind doch noch gar nicht in dieser Statistik enthalten.

(Zuruf der Abg. Frau Brede-Hoffmann, SPD)

Ich erlaube mir zu schauen, was der Grund sein könnte. Ein Grund war natürlich die schrumpfende Hauptschule

mit ihren engen sozialen Bezügen und ihren kleinen Lerngruppen. In dieser Entwicklung ist Ihnen dies erheblich entgegengekommen, weil sie die jungen Menschen individuell fördern konnte. Wenn Sie diese Hauptschulen jetzt in Verbünde überführen, die mindestens drei- oder vierzügig sind, die zentralisiert und integriert sind, dann wird es schwieriger werden, dort wirklich das Individuum in den Mittelpunkt des Lernprozesses zu stellen.

Es wird schwieriger werden, dort enge Bezüge zu den Eltern und zum sozialen Umfeld zu sichern; denn diese Schulen sind nicht mehr in ihren Stadtteilen oder ihrer Gemeinde so verankert, wie das bisher der Fall war. Sie kennen die einzelnen Diskussionen an den Standorten dazu sehr gut.

Ich darf meiner Kollegin Dickes dann auch einmal im Hinblick auf die Ausstattung recht geben. Wir haben im Moment einen Großteil der Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss im Berufsvorbereitungsjahr. Wenn Sie, wie Sie das eben beschrieben haben, das Projekt „Keiner ohne Abschluss“ hervorragend ausstatten, dann ist das gut. Dann finde ich das auch klasse für die betroffenen Schülerinnen und Schüler, aber dann müssen Sie auch zur Kenntnis nehmen, dass in dem Bereich, in dem der Großteil dieser jungen Menschen nach wie vor landet, und in dem Bereich, in dem sich die Berufsbildner seit Jahren massiv für diese jungen Leute engagieren, eine schlechtere Ausstattung vorhanden ist. Das merken diese Menschen. Das wird auch diskutiert werden, meine Damen und Herren.

(Glocke des Präsidenten)

Deshalb ist die Frage für mich eher: Wie schaffen wir es denn tatsächlich, alle früh in den Blick zu nehmen und wirklich alle mit hervorragenden Chancen auszustatten? –

(Glocke des Präsidenten)

Da haben Sie noch eine Aufgabe vor sich. Da erkenne ich im Moment keine Anstrengungen.

(Beifall der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Wehner von der SPDFraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Morsblech, liebe Kollegin Dickes, ich habe ein bisschen das Gefühl, Sie finden es einerseits gut, andererseits aber auch wieder schlecht. Sie suchen krampfhaft nach dem Haar in der Suppe, finden es nicht und wollen dann die Suppe lieber gar nicht essen bzw. wegschütten. Wenn wir jedoch davon ausgehen – die Frau Ministerin hat es ausgeführt –, dass wir an einem Projekt sind, das wir prüfen und testen wollen – wir wollen sehen, ob es zum Beispiel besser läuft als an der berufsbildenden Schule –, dann muss es doch möglich sein, dass wir das

Projekt auch so laufen lassen und danach evaluieren, was dabei herauskommt.

(Beifall bei der SPD)

Dafür, dass wir da grundsätzlich auf dem richtigen Weg sind, darf ich vielleicht einmal die „Süddeutsche Zeitung“ mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren: „Schavan will Hauptschülern helfen“ – Dort sind genau die Mittel angesetzt, die wir hier schon längst anwenden. Wir hätten das auch auf Bundesebene schon viel früher haben können. Es gab einmal einen großen Bildungsgipfel. Da ist jemand wie ein Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet. Wir hätten dieses Projekt schon viel früher auf Bundesebene starten können. Deswegen bin ich froh, dass wir es hier auf Landesebene schon weitgehend vorangebracht haben. Ich hoffe, dass das Ganze für die Schulen sowie für die Schülerinnen und Schüler zum Erfolg wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Dickes für die CDUFraktion.