Protocol of the Session on December 10, 2009

Im Dezember 2008 hat im Rahmen der Ministerpräsidentenkonferenz die Bundeskanzlerin gemeinsam mit den Ministerpräsidenten an den damaligen Bundesarbeitsminister Scholz und die Herren Ministerpräsidenten Beck und Rüttgers den Auftrag erteilt, eine Grundlage zu schaffen, um die Beschlüsse der ASMK zu realisieren.

Meine Damen und Herren, diese einvernehmliche Lösung lag nach verhältnismäßig großen Schwierigkeiten, aber doch sehr großen Anstrengungen der beiden Ministerpräsidenten im Februar 2009 vor.

Dann wurde es ein bisschen kurios. Nachdem die Länder einstimmig diesem Vorschlag zugestimmt hatten, hat völlig unerwartet und ohne die geringste Vorwarnung die CDU/CSU-Bundestagsfraktion gesagt: Aber mit uns nicht. – Meine Damen und Herren, das hat zu großen Irritationen geführt. Die Kanzlerin griff im Übrigen auch nicht ein. Der Koalitionsvertrag, wie er jetzt vorliegt, zementiert das, was die Bundestagsfraktion damals an Widerstand hervorgebracht hat, nämlich von einer Verfassungsänderung abzusehen.

Meine Damen und Herren, was bedeutet das? Was bedeutet das für Rheinland-Pfalz, und was bedeutet das für unsere Kommunen?

(Schweitzer, SPD: Eine Katastrophe!)

Der wesentliche Punkt der Arbeitsmarktreform, nämlich die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, also die Leistungen aus einer Hand, wird so, wie es jetzt im Koalitionsvertrag steht, schlicht und ergreifend

nicht mehr möglich sein. Meine Damen und Herren, das halte ich gelinde gesagt aus arbeitsmarktpolitischer Sicht für eine totale Katastrophe.

(Beifall der SPD)

Uns werden vor Ort alle arbeitsmarktpolitischen Strukturen auseinanderbrechen. Wir werden auf ein Niveau von vor 2005 zurückfallen und alles das verlieren, was jetzt von der Bundesagentur für Arbeit mit den Kommunen gemeinsam erreicht worden ist – übrigens auch mit Einwirkung der Länder. An dieser Stelle sage ich unserer Arbeitsministerin herzlichen Dank. Das war zum Teil nicht einfach, läuft in Rheinland-Pfalz inzwischen aber wirklich gut. Alles das wird uns schlicht und ergreifend auseinanderfliegen.

Schauen wir uns einmal an, was das dann wieder zu bedeuten hätte: zwei Anlaufstellen, zwei Anträge und zwei Bescheide. Schlimmstenfalls müssten die Betroffenen auch zweimal klagen. –

Die Beschäftigten der ARGEn sind natürlich höchst verunsichert – im Übrigen nicht erst, seit der Koalitionsvertrag vorliegt, sondern schon, seit die CDU sich ausgeklinkt hat. Sie haben ein Rücktrittsrecht, können also wieder in die Kommunen zurückgehen. Was machen die Kommunen denn in diesem Fall? Bei meinem Landkreis, dem Landkreis Mainz-Bingen, ginge es zum Beispiel um 60 Beschäftigte. Ich wüsste gerne einmal, wie die Kommunen das schultern sollen und wie sie es auch finanzieren sollen. Dazu wird überhaupt nichts gesagt. Diese Antwort ist uns die Bundesregierung bisher schuldig geblieben.

Mit dem jetzt Vorliegenden klinkten wir die Kommunen ebenfalls in Bezug auf Strukturierung und Ideen beim Arbeitsmarkt aus. Wir wollen den Kommunen die Einflussnahme auf die kommunale Arbeits- und Sozialpolitik aber nicht wegnehmen. Sie sollen weiter im Boot bleiben und auch weiter konstruktiv mitarbeiten können. Wie das vor dem Hintergrund des jetzigen Koalitionsvertrags aussehen soll, ist mir völlig schleierhaft.

(Beifall der SPD)

Im Übrigen hat die Arbeits- und Sozialministerkonferenz bei ihrer Tagung in der vorletzten Woche das im Februar dieses Jahres schon Beschlossene noch einmal bestärkt. Ich gebe zu, dass Baden-Württemberg sich anders entschlossen hat. 15 Länder haben diesem Kompromiss aber erneut zugestimmt. Übrigens wird Rheinland-Pfalz, worüber ich sehr froh bin, eine entsprechende Bundesratsinitiative initiieren.

Meine Damen und Herren, die Frage ist doch: Wie reagiert jetzt der Bund, und wie reagieren wir, insbesondere natürlich die CDU-Fraktion, darauf,

(Glocke des Präsidenten)

dass die Länder erklärt haben, sie fänden das in Ordnung? Denn dann müssten alle in den Ländern, was Arbeitsmarktpolitik angeht, mit dem Klammersack gepudert sein, weil sie dem Kompromiss zustimmen, wäh

rend die Bundestagsfraktion dies vehement bekämpft. Auf Ihre Antworten bin ich einmal sehr gespannt.

Vielen Dank.

(Beifall der SPD)

Ich erteile der Kollegin Thelen das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es handelt sich tatsächlich um eine durchaus schwierige Situation; das verkennen wir gar nicht. Heute Morgen in der Fragestunde sind die Fakten noch einmal dargelegt worden. Auch Frau Grosse, meine Vorrednerin, hat sie richtig beschrieben.

Natürlich haben wir auch schon im Plenum über dieses Thema debattiert. Seinerzeit habe ich die Beschlussfassung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für absolut gerechtfertigt gehalten und halte sie auch nach wie vor für gerechtfertigt. Zwar kann man aus grundlegenden und nicht leichtfertigen verfassungsrechtlichen Überlegungen den Kompromiss wählen, für eine spezielle Aufgabe, nämlich die Umsetzung der Hartz-IVGesetzgebung für die ARGEn, eine Ausnahme von dem sehr grundsätzlichen Demokratiegebot, das unsere Verfassung beinhaltet, vorzusehen.

(Vizepräsident Bauckhage übernimmt den Vorsitz)

Wenn wir allerdings anfangen, in dieser Art und Weise unsere Verfassung wie einen Schweizer Käse zu durchlöchern, dann ist sie nicht mehr die Verfassung, auf die wir auch in Zukunft aufbauen wollen.

(Beifall bei der CDU)

Die Grundlage der Verfassung muss also unangetastet bleiben. Wir sind aber der Überzeugung, dass es Möglichkeiten gibt, diese Aufgabenwahrnehmung auch verfassungsgemäß zu lösen.

Ich teile Ihre kritische Bewertung des jetzt vorliegenden Eckpunktepapiers aus dem Arbeitsministerium. Die Festlegung der getrennten Aufgabenwahrnehmung und die dort beschriebene Ausführung werden tatsächlich Schwierigkeiten mit sich bringen. Auch nach unserer Auffassung widerspricht dies dem richtigen Ziel, für die etwa 6,5 Millionen betroffenen Menschen in unserem Lande, um die es geht, möglichst eine einzige Anlaufstelle zu kreieren und ihnen die Leistung aus einer Hand zu gewähren.

Ich sage Ihnen jetzt einmal meine ganz persönliche Auffassung. Ich könnte mir sehr gut vorstellen – das haben wir vonseiten der CDU-Landtagsfraktion schon vorgetragen und auch beantragt –, dass wir die Zahl der Optionskommunen nicht nur erweitern, sondern diese Aufgabe generell den Kommunen übertragen. Das fin

den wir ja schon bei vielen anderen bundesgesetzlichen Aufgaben, die die Kommunen im Auftrag für den Bund wahrnehmen. Dabei handelt es sich um gar kein neues Konstrukt. Wir finden dies in der Jugendhilfe, in der Grundsicherung und zum Beispiel beim Elterngeld. Die ordnungsgemäße Wahrnehmung dieser Aufgaben wird über den Bundesrechnungshof hervorragend kontrolliert. So etwas ist durchaus möglich. Wenn dies nicht ginge, könnten wir es ja auch nicht bei den Optionskommunen so wahrnehmen.

Nach unserer Überzeugung muss es eine Lösung geben – wir werden auch versuchen, darauf hinzuwirken –, die möglichst nah bei den Menschen die Aufgabe angeht. Gerade Langzeitarbeitslose – diese Erkenntnis haben auch die ARGEn – haben häufig viele Probleme in ihren Familien zu lösen. Es ist nicht nur die Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosigkeit hat häufig auch Ursachen in fehlenden Berufsabschlüssen, aber auch in Verschuldungsproblemen und Suchtproblemen. Es gibt also vielfältige Problemlagen, für die gerade die Kommunen vor Ort Beratungsangebote vorhalten. Durch diese im Rahmen ihrer Zusammenarbeit mit vielen Wohlfahrtsverbänden vor Ort organisierten Angebote können sie diese Probleme sehr gut lösen.

Ich weiß, dass die Diskussion im Fluss ist. Ich bin für alles dankbar, was dazu führen wird, zum Schluss eine möglichst optimale Aufgabenwahrnehmung hinzubekommen. Es sollte wirklich nicht so sein, dass wir doppelte Bescheide haben und zweimal Klagewege und Widerspruchswege eröffnen. Das wäre für die Betroffenen erneut schwieriger. So etwas kann nicht in unserem Sinne sein.

Wir sollten an dieser Stelle auch darauf achten, dass der Staat gerade bei einer so wichtigen Aufgabe möglichst geschlossen gegenüber den Kommunen auftritt. Diese Möglichkeit wäre vorhanden. Dann könnte man vor Ort sicherlich auch Kooperationen schließen – auch das gibt es heute schon –, damit nicht jeder kleine Kreis bzw. jede kleine kreisfreie Stadt die Aufgabe schultern muss. Bei den Gesundheitsämtern praktizieren wir es auch schon, dass Gesundheitsämter an einem Standort die Aufgaben für benachbarte Kommunen mit wahrnehmen. Es gibt Möglichkeiten, dies zu regeln, sodass es auch vernünftige – – –

(Hartloff, SPD: Da reden Sie jetzt aber manches schön!)

Ich sage Ihnen, was nach meiner Meinung denkbar und möglich ist. Die Gegebenheiten sind da. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass wir auf diesem Weg noch ein Stück weiterkommen. Auf Bundesebene muss sich mit Sicherheit noch etwas bewegen. Wir bleiben aber an diesem Thema dran. Unser Ziel muss eine möglichst zentrale Aufgabenwahrnehmung sein, die die Bedürfnisse der Betroffenen optimal wahrnimmt und die ihre Probleme auch gut lösen kann, indem sie sie sehr gut fordert, aber auch fördert. Das muss unser Ziel sein.

(Glocke des Präsidenten)

Daran werden wir mit unseren Kollegen im Bundestag vernünftig weiterarbeiten, denke ich.

Vielen Dank.

(Beifall der CDU)

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Peter Schmitz von der FDP-Fraktion.

Herr Dr. Schmitz, eine Minute, bitte. Zunächst begrüße ich noch Besucherinnen und Besucher im Landtag, und zwar zum einen Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Schülerlandtagsseminar und Schülerzeitungsredakteure und zum anderen Mitglieder des VdK Birkenfeld. Herzlich willkommen in Mainz!

(Beifall im Hause – Baldauf, CDU: Die Ampel steht auf Rot!)

Herr Präsident, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Heiterkeit hat nichts mit diesem Thema zu tun. Dieses Thema gibt eher Anlass zu einer ganz anderen emotionalen Äußerung; denn wir erleben hier ein Trauerspiel, seit etwas in der Politik vereinbart wurde, was grundvernünftig ist, nämlich die Zusammenführung der Aufgaben der Arbeitsvermittlung, der Betreuung der Langzeitarbeitslosen und der früheren Sozialhilfe für Erwerbsfähige. Kein Mensch will zum Status quo ante zurück; immerhin kann man das wohl erfreulicherweise festhalten.

Zum Einstieg fallen mir zwei Dinge ein – zum einen die Besonderheit, dass heute in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ an prominenter Stelle ein Beitrag der Sozialministerin unseres Landes und des Sozialministers von Hessen, Herrn Banzer, platziert ist. Dass SPD und CDU gemeinsam etwas in der „F.A.Z.“ veröffentlichen, ist ein wirklicher Schritt zu neuen Ufern. Das hat mir mein Frühstück besonders gut munden lassen.

Allerdings macht man sich Gedanken, warum sich zwei Kollegen zusammenfinden, die sonst eher im Streit vereint sind. Sie finden sich in der Familie der Landesvertreter zusammen und bleiben bei ihrer Position, so wie der Bund bei seiner Position bleibt. Jetzt erleben wir in der Aktuellen Stunde auch den Versuch, das zu politisieren. Das ist auch in Ordnung.

Herr Hartloff hat schon schneidige Bemerkungen zum vernünftigen Redebeitrag von Frau Thelen gemacht. Wir sollten bei diesem Thema als Allererstes stecken lassen, dass wir glauben, wir können das noch in den Streit der drei Fraktionen tragen. Das ist schlicht lächerlich.

(Hartloff, SPD: Man kann auch nicht alles schönreden!)

Herr Kollege Hartloff, es geht uns allen um das gleiche Ziel, nämlich Fordern und Fördern zu ermöglichen und das zu machen, was wir sonst in jeder Sonntagsrede im Mund führen, nämlich ganz nah am Menschen zu sein.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Wenn wir das wirklich wollen, sollten wir diesen albernen Streit sein lassen. Er gehört nicht hierhin. Wir sollten aus den Erfahrungen lernen, und zwar so, wie es die Landesregierung gestern beim Heimgesetz formuliert hat. Wenn wir einen neuen Bundesratsanlauf nehmen – Geschichte mit der steuerlichen Bewertung des Ehrenamtes –, sollten wir nicht die Fehler machen, die wir schon einmal gemacht haben. Das gilt auch für diese Diskussion. Wir sollten die Panzer-Position aufgeben, bei der zwei Monolithe, die sich gegenseitig brauchen, gegeneinander stehen.

Es ist doch klar, dass weder die eine noch die andere Lösung so kommen wird, wie sie jetzt eingefordert wird. Das versteht doch jeder. Wer will in dieser festgefahrenen Situation sein Gesicht verlieren? Dann ist es doch nicht mehr als vernünftig, sich noch einmal auf die Startposition zurückzubewegen und zu überlegen, worum es eigentlich geht.