Protocol of the Session on January 24, 2008

Als Zweites stellt sich die Frage, wie ich sinnvollerweise mit Straftätern umgehe und wie ich Opfern helfe. Wir haben dazu heute Morgen ein Bündel von Maßnahmen gehört, das der Justizminister in der Antwort auf die Mündliche Anfrage genannt hat.

Herr Kollege Baldauf, wenn Sie kritisieren, dass wir angekündigt haben, dass wir das hier thematisieren wollen und Sie selbst dazu eine Aktuelle Stunde benennen, während wir eine Mündliche Anfrage dazu gestellt haben, sind das Fragen des parlamentarischen Stils, die ich jetzt gar nicht vertiefen will.

(Beifall der SPD)

Den hat man, oder den hat man nicht. Ich bin dankbar dafür, dass wir darüber diskutieren können. In der aufgeregten Debatte habe ich mich zurückgehalten.

Ich darf Sie aus n-tv vom 30. Dezember unter der Überschrift „Salz in der Wunde“ zitieren. Es wird gesagt – ich zitiere –: „Der rheinland-pfälzische CDU-Landes- und Fraktionschef Christian Baldauf nutzt die Diskussion derweil weiter für parteipolitische Interessen: Koch habe ,den Mut, offen auszusprechen, was allzu lange tabuisiert wurde. Man darf Probleme nicht totschweigen – nur aus Angst, Beifall von der falschen Seite zu bekommen’, erklärte er in einer Mitteilung.“

(Beifall der CDU)

Hat irgendjemand verschwiegen, dass es Probleme mit jugendlichen Gewalttätern gibt?

(Zurufe von der CDU)

Niemand, sondern wir sind seit Jahren dabei, vernünftige Ahndungen vorzunehmen, und haben auch die Mittel geschärft. (Zuruf des Abg. Baldauf, CDU)

Was wollen Sie suggerieren? Durch eine Vielzahl von Vorschlägen wollen Sie suggerieren, dass Sie das Problem besser lösen könnten.

(Bracht, CDU: Genau so ist es!)

Sie machen den Menschen Angst und bieten Pseudolösungen an, die darin bestehen, dass man den Gesetzesrahmen verschärft. Herr Koch fordert, dass Kinder unter 14 Jahren bestraft werden. Herr Oettinger sagt, man solle Kriminellen das Kindergeld streichen.

(Baldauf, CDU: Schröder hat gesagt, man soll sie wegschließen!)

Es ist ein äußerst „sinnvoller“ Vorschlag, dass das Geld nicht mehr bei den Kindern ankommt. Herr Baldauf, wenn Sie sich über die Ursachen von Kriminalität unterhalten, sagen Ihnen alle Fachleute – ich verweise hier auf die Resolution zur aktuellen Diskussion, unterschrieben von über 600 Richtern, Staatsanwälten, Kriminologen und Professoren –, eine Verschärfung des Jugendrechts hilft nicht weiter. Ein Jugendlicher handelt spontan.

(Beifall der SPD)

Die Ahndungsmöglichkeiten im Jugendstrafrecht – auch da sollten wir den Menschen keinen Unsinn erzählen – sind viel ausdifferenzierter und viel stärker an das Fehlverhalten angepasst, als das im Erwachsenenstrafrecht überhaupt möglich ist.

(Beifall der SPD – Zuruf von der CDU: Das stimmt doch gar nicht, was Sie da sagen!)

Das sollten Sie in einer fachlichen Diskussion und als Fachmann auf diesem Gebiet wissen. Sie sollten den Leuten nicht Sand in die Augen streuen. Das hat keinen Sinn.

Ich möchte noch das ergänzen, was heute Morgen zum „Haus der Jugendrechts“ gesagt worden ist – praktische Politik in Rheinland-Pfalz –: 2005 haben wir das „Haus des Jugendrechts“ in Ludwigshafen eröffnet. Wir haben es als Modell, als guten Vorschlag aus Stuttgart übernommen.

Wir haben es entwickelt und im letzten Jahr angekündigt, dass die Polizeidirektionen das an jedem Standort von Polizeidirektionen in Rheinland-Pfalz – flächendeckend – machen werden. Das steht in einer Drucksache des Landtags aus dem letzten Jahr, im Bericht über die Innere Sicherheit. Ich könnte es zitieren. Wir setzen praktische Maßnahmen zum Schutz um.

(Beifall der SPD – Bracht, CDU: Sechs Monate Verfahrensdauer!)

Ich darf durchaus zum Ende dieser Runde Andrea Ypsilanti zitieren. „Wir haben es nicht nötig“, sagt sie, „Politik mit Angst zu machen. Wir können Politik mit Hoffnung machen“, und das wird sich auszahlen.

(Beifall der SPD)

Ich erteile Frau Dr. Lejeune von der FDP-Fraktion das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wird Ihnen in den letzten Wochen kaum anders gegangen sein als mir. Ganz gleich, welche Veranstaltung man besucht hat, überall gab es eigentlich nur ein Thema: die steigende Gewaltbereitschaft und Kriminalität von Kindern und Jugendlichen. Man kann trefflich darüber streiten, ob das Thema so, wie es aufbereitet wurde, für einen Landtagswahlkampf geeignet ist. Aber eines ist klar: Neu ist dieses Thema auf gar keinen Fall.

Immer wieder gab es in den letzten 30 bis 40 Jahren Phasen, in denen bei jungen Menschen eine verstärkte Enthemmung im Umgang mit Gewalt beobachtet wurde. Nun kann man sich fragen, was heute anders geworden ist als vielleicht vor zehn Jahren, und was unverändert geblieben ist. Unverändert geblieben ist zweifelsohne die sehr hohe Emotionalität, mit welcher der Einzelne, aber auch die Gesellschaft insgesamt auf dieses Thema reagiert. Dieses Thema spricht jeden an, und Sie werden immer wieder beobachten, dass in der Diskussion jeder etwas argumentativ dazu beitragen kann.

Was hat sich geändert? Geändert haben sich nicht nur die statistisch erhobenen Zahlen, sondern auch das Anzeigeverhalten der Opfer, die mediale Aufbereitung und vor allem – das scheint mir sehr wichtig zu sein – die viel klarere Benennung der Ursachen für diese Entwicklung.

Bereits vor zehn Jahren war es in den Schulen, in der Jugendhilfe, aber auch in der Polizei und in der Justiz bekannt, dass zwei wesentliche, wenn auch nicht alleinige Ursachen – man muss ganz klar sagen, die alleinigen Ursachen sind es nicht, aber es sind die wesentlichen – zu einer erhöhten Gewaltbereitschaft bei Kindern und Jugendlichen beitragen bzw. für diese verantwortlich zu machen sind.

Zum einen ist das ein soziales Umfeld, das eine werteorientierte Erziehung vermissen lässt. Diesen Kindern wird von ihren Eltern weder Zuwendung gegeben noch wird ihnen vermittelt, welche Bedeutung Werte wie Empathie, Rücksichtnahme, Respekt, Hilfsbereitschaft und Disziplin für ein gedeihliches Miteinander haben. Grenzen kennen diese Kinder oft nicht. Ein vernünftiges Selbstwertgefühl bleibt dabei aber ebenso auf der Strecke wie die Fähigkeit zum Aufbau stabiler sozialer Kontakte. Begleitet werden diese Defizite in der Erziehung nicht selten von umfangreichen Gewalterfahrungen der Kinder und Jugendlichen in der eigenen Familie.

Zum anderen haben nicht wenige der jugendlichen Täter einen Migrationshintergrund. Sie sind sehr oft durch ihr Elternhaus einem anderen, meist patriarcharlichen Kulturkreis verhaftet und oft nur wenig in die deutsche Gesellschaft integriert. Sie beherrschen die deutsche Sprache nur unzureichend und scheitern dadurch sehr oft in der Schule. Eine spätere Ausbildung gestaltet sich meist schwierig, und sie schaffen es nicht, beruflich Fuß zu fassen. Auch hier taucht wieder das familiäre Gewaltproblem auf. Allerdings wird hier nicht aus Vernachlässigung, verdrängter Aggression und Hilflosigkeit geschla

gen, sondern weil die Anwendung von Gewalt in diesen Kulturkreisen als probates Erziehungsmittel gilt.

In einem Artikel mit dem Titel „Kinder des Zorns“ vom 11. November des vergangenen Jahres berichtete der „Tagesspiegel“ von der Studie „Gewalt von Jungen, männlichen Jugendlichen und jungen Männern mit Migrationshintergrund in Berlin“. Danach wird fast jedes zweite türkische Kind in Deutschland von seinen Eltern misshandelt oder schwer gezüchtigt. Weiter heißt es in dem Artikel – Herr Präsident, ich zitiere mit Ihrer Genehmigung –: „Dass Schläge Hass, Angst, Wut, Scham, Trotz und Misstrauen hervorrufen, dass sie verzweifelt machen, das Selbstwertgefühl beschädigen, resignieren lassen und für Süchte oder Rachegefühle anfällig machen, ist heute wissenschaftlich tausendfach belegt.“ – Diese klare Benennung der Ursachen ohne jede verbale Vernebelung und unter Verzicht auf die politische Korrektheit, die wir jahrelang, jahrzehntelang auf das Fleißigste gepflegt haben, ist ein wesentlicher Schritt nach vorn. Das ist wirklich etwas Neues in der Debatte.

(Beifall der FDP)

Vor zehn Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass eine Tageszeitung die Probleme der mangelnden Integration so klar auf den Punkt bringt, ohne dafür der Fremdenfeindlichkeit bezichtigt zu werden. Diese Klarheit der Problembenennung ist der erste und wichtigste Schritt zur Problemlösung. Dadurch wird deutlich, dass es eines wohlüberlegten Vorgehens mit Augenmaß bedarf, dass an vielen verschiedenen Stellen und vor allem vernetzt angesetzt werden muss, dass Polizei und Justiz die Probleme nicht allein lösen können und es deshalb auch nicht weiterführend ist, das Jugendstrafrecht zu verschärfen. Zu den weiteren zu ergreifenden Maßnahmen werde ich heute Nachmittag im Detail sprechen; denn dafür sind die fünf plus zwei Minuten Redezeit einfach zu knapp.

(Beifall der FDP)

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Dr. Bamberger das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die Landesregierung misst der Bekämpfung der Jugendkriminalität seit jeher eine große Bedeutung bei. Das gilt nicht erst seit dem Bekanntwerden gewalttätiger Übergriffe auf Mitbürger und auch nicht nur zuzeiten von Wahlkämpfen. Daher ist es mir wichtig, vorweg klar zu betonen: Rheinland-Pfalz ist ein sicheres Land.

(Beifall der SPD)

Die Zahl der Tatverdächtigen unter 21 Jahren ist in den Jahren 2002 bis 2006 insgesamt um etwa 2 % bis 3 % gesunken. Dabei ist die Anzahl der nicht deutschen

Tatverdächtigen unter 21 Jahren in diesem Zeitraum kontinuierlich um mehr als 20 % zurückgegangen.

(Zuruf von der CDU: Das ist ein Witz!)

Zwar – das ist richtig – ist der Anteil der bekannt gewordenen Gewaltdelikte in den letzten Jahren angestiegen. Allerdings ist dies zu einem guten Teil – Frau Dr. Lejeune hat darauf hingewiesen – auch auf die gesteigerte Anzeigebereitschaft zurückzuführen. Hierzu hat nicht zuletzt auch die von unserer Polizei bereits seit dem Jahr 2000 durchgeführte Kampagne „Wer nichts tut, macht mit“ beigetragen, und das ist gut so.

Meine Damen und Herren, brauchen wir bei dieser Sachlage eine Verschärfung des Jugendstrafrechts? Ich sage dazu ein klares Nein. Ich habe heute Morgen schon gesagt, dass wir uns damit in Übereinstimmung mit allen Fachleuten auf diesem Gebiet befinden.

(Beifall der SPD – Lelle, CDU: Das stimmt nicht!)

Das Jugendstrafrecht bietet ein sehr flexibles und vielseitiges Instrumentarium zur Reaktion auf die Straffälligkeit junger Menschen. Es ist geradezu vorbildlich konzipiert.

Meine Damen und Herren, es wäre kurzsichtig und gefährlich – auch darauf ist hingewiesen worden –, die Problematik der Jugendkriminalität allein mit den Mitteln des Strafrechts lösen oder hierin gar ein Allheilmittel sehen zu wollen. Erforderlich ist vielmehr ein ganzheitlicher Ansatz. Den Betroffenen sind nicht nur ihre Grenzen, sondern auch Perspektiven aufzuzeigen, sei es in beruflicher, schulischer oder sonstiger Hinsicht.

(Beifall der SPD)

Hierzu gehört etwa das Landesprogramm „Zukunftschance Kinder – Bildung von Anfang an“, das insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund in ihrer Sprachentwicklung und damit in ihrer Integration fördert. Darüber hinaus fördern wir diverse Projekte zur Vermeidung von Schulverweigerung.

Die Landesregierung hat zudem sowohl im Bildungs- als auch im Polizeibereich eine Vielzahl von Maßnahmen im präventiven Bereich ergriffen. Prävention ist – ich denke, auch darüber besteht Einigkeit – ein wichtiger Schlüssel zu einer gewaltfreieren Gesellschaft und damit auch zu effektivem Opferschutz, der einen weiteren Schwerpunkt unserer Justizpolitik darstellt.