Protocol of the Session on December 12, 2007

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

weil es in dieser Debatte nicht nur eine Medaille, sondern vielleicht sogar noch mehrere gibt. Es ist einfach facettenreich. Das muss man insgesamt würdigen.

Frau Dreyer, Sie haben meinen Redebeitrag durchaus sehr richtig aufgenommen;

(Harald Schweitzer, SPD: Nein, es hat ihn ja keiner verstanden!)

denn ich habe deutlich gemacht, dass sich die beiden großen Parteien in diesem Thema enorm bewegt haben und es in dieser Bewegung zu diesem Entsendegesetz kam, zu der Formulierung, wie wir sie heute vorfinden.

Nur – das ist auch mein Punkt – das ist auch die Schwierigkeit dessen, was die Unionspolitiker in vielen Bereichen vor Ort wiederfinden. Es eignet sich genau nicht – es wäre vielleicht hilfreich gewesen, auf einem anderen Weg oder in anderen Branchen zu einem Tarifvertrag zu kommen, der eben nicht bei 9,80 Euro liegt, der eben gerade nicht den Post-Mindestlohn bedeutete –, das jetzt als Paradebeispiel anzuführen, wie man künftig vielleicht mit diesem Gesetz umgeht, was man künftig an Diskussionen erwartet. Das wollte ich noch einmal deutlich machen.

Meine Damen und Herren, wir erleben doch jetzt, dass alle anfangen, sich an den 9,80 Euro zu orientieren, wir morgen Parteitagsbeschlüsse haben, Parteiprogramme haben, die in diesem Bereich nur noch über Beträge reden, wie der Mindestlohn auszusehen hat. Das befürchte ich.

Dann sagten Sie, dass wir einen fairen Wettbewerb garantieren sollen, auch Sie einen fairen Wettbewerb garantieren möchten. Dann stellen Sie sich hier hin und sagen, ab morgen muss die Post auch ihre Mehrwertsteuer zahlen. Das ist zum Beispiel ein Stück zu fairem Wettbewerb. Dann sagen Sie, dass es um die weiteren Privilegien, die es auch in versicherungstechnischen Fragen, wo die Arbeitnehmer bei der Post versicherungstechnisch im Vorteil sind, geht, die – wie man mir sagte – bei der Lohnsumme etwa um die 3 % betragen.

(Glocke der Präsidentin)

Das wären 19 % plus 3 %, das sind schon 22 % Vorteil, wenn ich es jetzt auf die Lohnsumme beziehe.

(Glocke der Präsidentin)

Wenn Sie andere Vorteile mit einrechnen und die dem Wettbewerb entziehen oder den Wettbewerb dort jetzt freigeben, dann können wir auch über fairen Wettbewerb reden. Den haben die Freien bei uns nicht, die sich um die Lücken kümmern, die die Post leider hinterlassen hat.

(Beifall bei der CDU – Hartloff, SPD: Der heißt Licht, nicht Glocke!)

Herr Kollege Eymael hat das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich will noch einmal darauf hinweisen, 9,80 Euro – das, was der Kollege Licht auch gesagt hat – wird die Richtschnur für viele Branchen in der Wirtschaft, für 4,3 Millionen Beschäftigte sein. Da wird die Diskussion beginnen. Machen wir uns nichts vor, das wird so kommen. Das führt zu Kündigungen. Das führt zu Arbeitsplatzverlusten. Ich würde es sehr bedauern, wenn übermorgen in der Tat die PIN Group Tausende von Menschen entlassen würde. Dann wäre der Mindestlohn in der Tat auch unsozial gewesen und hätte nicht sein Ziel erreicht. Es ist auch nicht verständlich, dass hier einseitig ein Monopolkonzern gestützt wird. Damit wird Wettbewerb verzerrt. Wir haben keinen echten Wettbewerb mehr, sondern wir haben einen verzerrten Wettbewerb, weil die privaten Postdienstleister keine Chance mehr am Markt haben. Wir wollen, dass sie eine Chance am Markt haben.

Lassen Sie mich vielleicht abschließend noch Folgendes sagen: Herr Ministerpräsident, das ist an Sie gerichtet, es sind auch wahltaktische Gründe, die da eine Rolle spielen. Da läuft sozusagen ein gestandener Pfälzer einem Demagogen aus dem Saarland hinterher. Er kann das Rennen nie gewinnen. Jetzt muss ich das Wort an die CDU richten, ein Großteil der CDU läuft auch noch hinterher. Das Rennen werdet Ihr alle verlieren.

(Hartloff, SPD: Versuchen Sie sich nicht an großer Politik! – Harald Schweitzer, SPD: Ihr seid doch die Partei der Besserverdienenden! Lasst die Leute doch besser verdienen!)

Ich sage noch einmal, es ist ordnungspolitisch falsch und wirtschaftspolitisch eine Katastrophe in der Zeit, der wir jetzt entgegengehen. Diese Mindestlohndebatte wird uns jetzt Monate und Jahre beschäftigen, dies zum Nachteil unserer Volkswirtschaft insgesamt und zum Nachteil der Schwachen und der wenig Qualifizierten in diesem Land, die dann keinen Arbeitsplatz mehr haben.

(Beifall der FDP)

Für die Landesregierung spricht nun Herr Ministerpräsident Beck.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte einige Bemerkungen aus meiner Sicht machen, nachdem ich auch angesprochen worden bin. Zum Ersten ist es in der Tat so, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland – „West“ muss man formulieren – zunächst einmal über 40 Jahre mit der Tarifautonomie gut gefahren sind. Es ist aber auch so, dass man zu Beginn der Bundesrepublik Deutschland unter der Regierung von Konrad Adenauer eine gesetzliche Grundlage schaffen musste, weil zu diesem Zeitpunkt Tarifstrukturen noch nicht bestanden haben. Das ist das, was wir Mindestarbeitsbedingungsgesetz nennen und was wir jetzt wieder aufnehmen und aktualisieren.

Es ist auch die Wahrheit, dass ein immer größerer Prozentsatz in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere im Osten Deutschlands, von Tarifverträgen überhaupt nicht mehr erreicht wird. Rund 80 % der Beschäftigten werden von Tarifverträgen nicht mehr erreicht, weil die Arbeitgeber nicht in einem Tarifverband sind und damit natürlich auch jede Chance für Gewerkschaften, Mitglieder zu werben, wenn man ohnehin keine Tarifverträge abschließen kann, gleich null ist. Es besteht Einvernehmen in der Bundesregierung zwischen den Koalitionspartnern, dass wir darauf reagieren müssen. Deshalb wird dieses Mindestarbeitsbedingungsgesetz aus den 50er-Jahren jetzt aktualisiert und für die Zukunft wieder in Kraft gesetzt.

Zum Zweiten müssen wir vor dem Hintergrund der Entsenderichtlinie der Europäischen Union Wege finden, wie wir die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Unternehmen in Deutschland vor Dumpinglöhnen schützen, weil man für Löhne von 4 Euro in Deutschland nicht leben kann. Wir können natürlich auch, was die europäische Konkurrenz angeht, es gar nicht aushalten, dass dann solche Betriebe, die ihre Leute in Baubuden unterbringen, hier Aufträge bekommen, und dann bekommt ein deutsches Unternehmen keinen Auftrag mehr.

Aus dieser Erkenntnis heraus ist für das Baugewerbe ein gesetzlich verankerter Mindestlohn vereinbart worden. Dem ist übrigens das Handwerk im Bereich des Lackiergewerbes und im Bereich des Elektrogewerbes von sich aus gefolgt. Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben dort beantragt, ihre Löhne, die sie vereinbart haben, als Mindestlöhne allgemein verbindlich festzusetzen.

Wir haben drittens eine Situation, dass wir in Deutschland ein äußerst bedrückendes Auseinanderlaufen hinsichtlich der Zukunftschancen von Menschen und von Familien haben. Nach einer Allensbach-Umfrage, die auch durch andere Umfragen gestützt wird, sagen gerade einmal 15 % der Deutschen, dass sie von dem, was wir Aufschwung nennen – es ist ein Aufschwung, den wir Gott sei Dank haben –, partizipieren und Anteil haben.

Was einen noch mehr umtreiben muss, es sind gerade noch 24 % der Deutschen, die das System der sozialen Marktwirtschaft als gerecht bezeichnen. Das muss uns umtreiben.

Ich habe gestern vor dem Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverbände gesagt, vor diesem Hintergrund sind wir alle gemeinsam gefordert zu handeln. Die Frage ist jetzt, wie man es tut. Wir haben vor uns in der Tat einen internationalen Wettbewerb, dem wir uns zu stellen haben. Daran kann es gar keinen Zweifel geben. Aber die Unternehmen – mit ganz wenigen in Grenzbereichen zu Mittel- und Osteuropa als Ausnahme –, die im internationalen Wettbewerb stehen, haben alle Tarifbindung. Ich habe dieser Tage mit dem vorhin zitierten Chef des Instituts, Herrn Professor Sinn, vor dem Bundesverband der deutschen Banken diskutiert. Wir haben bei dieser Gelegenheit auch über diese Frage des Wettbewerbs geredet.

Da war ein Unternehmer dabei, übrigens ein Unternehmer eines großen rheinland-pfälzischen Unternehmens, der darauf angesprochen worden ist, was er dazu sagt. Er sagte: Was soll ich dazu sagen. Unser niedrigster Lohn für Zuarbeiten liegt bei 14,20 Euro. – Ich weiß es jetzt nicht genau. Legen sie mich nicht auf die Zehntel fest.

Die, die im internationalen Wettbewerb stehen, sind überhaupt nicht tangiert, weil sie weit höhere Löhne bezahlen. Wenn wir uns da einig sind, sind wir schon ein ganzes Stück weiter. Also reden wir über den Binnenmarkt.

(Zuruf des Abg. Eymael, FDP)

Herr Kollege Eymael, Sie haben mit dieser Zahl den Fehler gemacht, dass Sie die Teilzeit- und Geringbeschäftigten in diese Zahl mit einbezogen haben. Die stecken da mit drin. Es sind nicht so viele. Aber es gibt viele Menschen, die so wenig verdienen, dass man davon nicht leben kann. Leider haben sogar christliche Gewerkschaften Tarifverträge abgeschlossen, die bei unter 4 Euro liegen. Das ist ein Skandal für sich genommen. Aber das lassen wir einfach einmal außen vor.

(Zuruf des Abg. Baldauf, CDU)

Meine Damen und Herren, jetzt geht es um eine entscheidende Frage. Wenn wir nicht die Frage des internationalen Wettbewerbs stehen haben, weil wir sagen können, sonst fliegen sie alle heraus, welches ordnungspolitische Bild haben wir denn? Haben wir ein ordnungspolitisches Bild, das heißt, auch wenn man vollschichtig arbeitet, bekomme ich trotzdem für eine Reihe von Tätigkeiten so wenig Lohn, dass ich noch zum Staat oder zu einer Sozialeinrichtung gehen und mir einen Teil Lohn holen muss?

(Dr. Schmitz, FDP: Sie haben 1.600 Euro! Kann man davon leben?)

Das ist doch gar nicht wahr. Immer die Ruhe.

(Zuruf des Abg. Dr. Schmitz, FDP)

Lieber verehrter Herr Dr. Schmitz, hören Sie doch einen Moment zu.

(Zuruf des Abg. Dr. Schmitz, FDP)

Wir nehmen zur Kenntnis, dass Herr Dr. Schmitz einen Zwischenruf gemacht hat und dass ich, wenn ich an der richtigen Stelle meiner Logik bin, auch noch dazu komme.

(Zuruf aus dem Hause: Welcher Logik?)

Es gibt Leute, die habe ich schon reden hören, wo der Faden ein bisschen verworren zu sein schien. Also lassen wir es.

Es geht darum, ob wir zulassen zu sagen, auf diese Definition, was ist wettbewerbsfähiger Lohn, antworten wir mit Kombilöhnen, also mit einem Lohnbestandteil im Betrieb plus einem staatlichen Transfer. Das ist Kombilohn, nichts anderes. Oder sagen wir – das sage ich, meine Partei, das sagt in Grenzen auch die Große Koalition und eine Mehrheit von über 80 % der Deutschen –, in einer Marktwirtschaft – – –

(Eymael, FDP: Über 70 %!)

Auch da sollen Sie recht haben. Das ist mir egal wie Wurschtsupp’.

(Zuruf des Abg. Eymael, FDP)

Es ist schon schwierig. Herr Staatssekretär a. D., oh weh.

Eine deutlich große Mehrheit der Deutschen sieht dies auch so, und zwar nicht, weil die Leute zu dumm sind, sondern weil sie ein gesundes Gespür dafür haben, dass in einer marktwirtschaftlichen Ordnung nur Arbeiten gemacht werden, die notwendig sind. Ich nehme den Teil zur Einarbeitung oder aus therapeutischen Zwecken heraus. Das ist eine Sondersituation. Aber ansonsten sind wir uns einig, dass in einer Marktwirtschaft nur Tätigkeiten gemacht werden, die notwendig sind. Wir sagen, unser ordnungspolitisches Bild in einer sozialen Marktwirtschaft ist, wenn notwendige Arbeiten vollschichtig gemacht werden, dann müssen die Menschen auch davon leben können. Daran machen wir keine Abstriche.

(Beifall der SPD – Zuruf des Abg. Eymael, FDP)

Jetzt komme ich zu dem Zwischenruf des Kollegen Dr. Schmitz. Er sagt, von 1.600 Euro kann man auch nicht leben. Das ist ein bisschen ein Irrtum, den wir in unseren Einkommensschichten manchmal haben.

(Dr. Schmitz, FDP: Brutto!)

Viele Leute leben davon, müssen davon leben.