Protocol of the Session on March 15, 2007

„Verfassungsrechtliche Zweifel des niedersächsischen Finanzgerichts an der Pendlerpauschale“ auf Antrag der Fraktion der FDP – Drucksache 15/857 –

Das Wort für den Antragsteller hat Herr Kollege Creutzmann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Mittwoch, den 10. September 2003, haben wir auf Antrag der CDU im Hohen Hause in einer Aktuellen Stunde des Landtages Rheinland-Pfalz die Haltung der Landesregierung zur geplanten Kürzung der Entfernungspauschale für Berufspendler diskutiert. Damals sagte der Abgeordnete Jullien für die CDU-Fraktion: „Die von der Bundesregierung beabsichtigte Kürzung der Entfernungspauschale ist und bleibt eine verdeckte Steuererhöhung, die gerade diejenigen trifft, die ihren Arbeitsplatz nicht unmittelbar vor der Haustür haben.“

Der Herr Ministerpräsident sagt in der gleichen Debatte: „Ich glaube insoweit, dass wir, unabhängig welchen Weg man am Ende findet, die Vorschläge, die jeweils auf den

Tisch kommen, daraufhin abklopfen müssen, ob sie übergroße Belastungen für die eine oder andere Gruppe mit sich bringen würden. Man muss im Vergleich der Länder sehen, gerade im Bereich von über 20 Kilometern pendeln in Rheinland-Pfalz überdurchschnittlich viele Menschen.“ Er sagte weiter: „Unter diesem Gesichtspunkt war der Ansatzpunkt zu sagen – wie immer man dies ordnungspolitisch einordnet –, wir suchen eine von unten her gerechte Kilometerbegrenzung, weil ohnehin ein Teil über die Pauschale eingerechnet ist.“

So weit die CDU-Fraktion als damalige Oppositionspartei in Bund und Land und die SPD als damalige Regierungspartei in Bund und Land. Was war das Ergebnis? – So ähnlich wie bei der Mehrwertsteuer, nur diesmal umgekehrt. Bei der Mehrwertsteuer wollte die SPD keine Erhöhung, die CDU wollte 2 %. Heraus kamen 3 % Mehrwertsteuererhöhung.

Bei der Entfernungspauschale wollte die CDU laut Herrn Jullien – O-Ton vom 10. September 2003 – Folgendes: „Reden Sie auf Ihre Genossen in Berlin ein, dass diese Pläne zur Kürzung der Entfernungspauschale so schnell wie möglich vom Tisch kommen.“ Die SPD wollte, so der Ministerpräsident, eine von unten gerechte Kilometerbegrenzung.

Herr Kollege Pörksen, das Ergebnis sah dann so aus: Am 19. Juli 2006 hat die Große Koalition ein Steueränderungsgesetz beschlossen, das ab dem Jahr 2007 eine geänderte Regelung für die Pendlerpauschale vorsah. § 9 Abs. 2 bestimmt jetzt, keine Werbungskosten sind Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte. Zur Abgeltung erhöhter Aufwendungen für die Wege zwischen der Wohnung und der regelmäßigen Arbeitsstätte ist erst ab dem 21. Entfernungskilometer von jedem vollen Kilometer der Entfernung eine Entfernungspauschale von 0,30 Euro wie Werbungskosten anzusetzen.

Sie sind jetzt sicherlich gespannt, was die FDP damals zu diesem Thema gesagt hat.

(Pörksen, SPD: Das weiß ich noch!)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich zitiere aus dem Protokoll: „Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes sind Werbungskosten – ich zitiere –, Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen im Rahmen der Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit.“ Ich habe weiter ausgeführt: „Insofern empfinde ich die Diskussion, die in dem Zusammenhang von Subventionen spricht“ – ich möchte es einmal gelinde sagen –, „als eine Geisterdiskussion. Sie ist für mich völlig unverständlich.“

Ich habe weiter ausgeführt: „Die FDP-Landtagsfraktion bittet“ – wir waren noch in der Koalition, weshalb wir nicht fordern durften – „deshalb die Landesregierung zu prüfen, ob bei den Beratungen zur geplanten Kürzung der Entfernungspauschale für Berufspendler wieder zu dem zurückgekehrt wird, was Werbungskosten eigentlich sind.“ Ich habe dann weiter hinzugefügt: „Nach meiner persönlichen Auffassung wäre es verfassungswidrig, wenn Steuergesetze willkürlich, ideologisch geprägt und

den Grundsatz der Gleichheit bei der Besteuerung verletzend verändert würden.“

(Pörksen, SPD: Ideologisch geprägt?)

Ja, das kam damals von den GRÜNEN. Die gibt es heute leider nicht mehr im Parlament. Frau Thomas hatte vehement die Kürzung verteidigt. Wie Sie vielleicht wissen, gab es damals noch Rot-Grün.

Die FDP hofft, dass man sich wieder darauf besinnt, ordnungspolitisch, steuerrechtlich und verfassungsrechtlich zu denken und zu handeln. Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion fordert die Landesregierung deshalb auf, sich dafür einzusetzen, dass Pendler wieder vom ersten Kilometer an ihre Fahrtkosten zur Arbeit als Werbungskosten steuerlich geltend machen können.

(Pörksen, SPD: Macht mal das Fenster auf!)

Herr Kollege Pörksen, was hat das Finanzgericht Niedersachsen dazu gesagt? Das niedersächsische Finanzgericht hat dazu gesagt, die Regelung in § 9 Abs. 2 StG, wonach die Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte keine Werbungskosten seien, verstoße gegen Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz, nämlich gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz. Dieser Grundsatz der Gleichheit fordere, dass die Einkommen aller Bürger gleichermaßen nach der finanziellen Leistungsfähigkeit zu besteuern sind. Die geänderte Pendlerpauschale stelle demnach eine Verletzung des im Grundgesetz verankerten Gleichheitsgebots dar, weil sie subjektiv und objektiv das etablierte Prinzip verletze, die Besteuerung am Nettoeinkommen des Bürgers auszurichten.

(Zuruf des Abg. Pörksen, SPD)

Mit der Neuregelung des neuen Absatzes 2 liege eine Verletzung des subjektiven und objektiven Nettoprinzips vor.

(Glocke des Präsidenten)

Ich werde nachher noch das eine oder andere dazu sagen. Meine Damen und Herren, klar ist – deshalb hoffe ich, dass die Landesregierung sagen wird, wie hoch der Steuerausfall sein wird –, dass dann, wenn das Bundesverfassungsgericht das niedersächsische Finanzgericht bestätigen wird, dem Bund 2,5 Milliarden Euro fehlen werden. Wie viel fehlt dem Land? Wie soll dieser Fehlbetrag gedeckt werden?

(Beifall der FDP)

Das Wort hat Herr Kollege Puchtler.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Gesetzgeber hat im Steueränderungsgesetz 2007 das sogenannte Werkstorprinzip wie auch in ande

ren Industrienationen festgeschrieben. Hier setzt die Auffassung ein, der Weg zwischen Wohnung und Arbeitsplatz ist der steuerlich nicht relevanten Privatsphäre zuzuordnen. Das heißt, die Kosten für die Fahrten sind nicht als Werbungskosten absetzbar.

Um gerade aber im Interesse der Flächenländer und des Landes Rheinland-Pfalz die Interessen der Menschen zu berücksichtigen, die sehr weit zu ihrem Arbeitsplatz pendeln müssen, wurde ab dem 21. Kilometer eine Pauschale von 0,30 Euro pro Entfernungskilometer eingeführt. Sie sind nicht wie Werbungskosten anzuerkennen, sondern entsprechend zu berücksichtigen, damit insbesondere den Menschen, die einen weiten Weg zum Arbeitsplatz haben, eine sozialverträgliche Komponente geboten werden kann. Ich meine, das war sinnvoll und richtig und liegt gerade auch im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in RheinlandPfalz.

(Beifall der SPD)

Das Finanzgericht Niedersachsen hat darin wegen der generellen Thematik der Berücksichtigung als Werbungskosten und auch wegen der Thematik der Differenzierung zwischen einem Kilometer bzw. 21 Kilometer eine gewisse Verfassungswidrigkeit gesehen.

Damit befinden wir uns beim entscheidenden Punkt, nämlich der rechtliche Betrachtung. Es gibt die eine wissenschaftliche Auffassung mit dem sogenannten Werkstorprinzip, in dem davon ausgegangen wird, die Arbeit beginnt am Werkstor. Hier spielt auch die Frage eine Rolle, ob die Kosten immer dem Beruf zugeordnet werden können oder ob dabei auch privat veranlasste Kosten einzukalkulieren sind.

Die zweite Auffassung wissenschaftlicher Art lautet, die Kosten sind Werbungskosten und werden zur Erzielung des Arbeitseinkommens benötigt. Das ist die andere Auffassung.

Die Bundesregierung hat die jetzige Entscheidung auf der Grundlage einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts getroffen, weil das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, die Entscheidung sei eine Grundentscheidung, die im Rahmen des Einkommensteuerrechts zu treffen sei. Das bedeutet, der Gesetzgeber hat die Entscheidung zu treffen. Er hat mit der Regelung für die Fernpendler eine sozialverträgliche Regelung geschaffen.

Meine Damen und Herren, wer jetzt auf der Basis der Entscheidung des Finanzgerichts Niedersachsen über eine Änderung der jetzigen Regelung diskutiert, muss natürlich auch sehen, dass er eventuell die Interessen der Fernpendler massiv beeinträchtigt.

(Beifall der SPD)

Das ist insbesondere für die Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzer schlecht. Wenn es zu Kompensationen kommt, wer wird weniger gefördert werden? Das werden die Fernpendler sein. Es sind sehr viele dabei, die weit über 50 Kilometer fahren müssen. Da ist dieser Punkt von Bedeutung.

Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht ist jetzt aufgefordert zu entscheiden. Wichtig ist, dass aus Gründen der Rechtssicherheit eine zügige Entscheidung kommt.

Ich gebe aber eines zu bedenken: Was ist, wenn sich das Bundesverfassungsgericht für die generelle Werkstorprinzipregelung entscheidet – ohne Ausnahme – oder wenn das Bundesverfassungsgericht meint, die Hürden, sprich die Kilometerentfernung bei der Fernpauschale, müssen noch höher gelegt werden? Dann wird es noch ungünstiger. Dieses Risiko sollte man nicht unterschätzen. Ich hoffe insbesondere für die rheinland-pfälzischen Pendler auf eine sozialverträgliche Lösung.

(Beifall der SPD – Pörksen, SPD: Ich auch!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssen das Ganze auch aus einem anderen Baustellenbereich heraus betrachten. Wir sehen, wie wichtig das Thema „Energie“ ist. Wir sehen, wie wichtig das ist, was wir morgen diskutieren, nämlich die Investitionsmilliarde, die Stärkung der Arbeitsplätze vor Ort, die Stärkung der Wirtschaftskraft unseres Landes, die Fördermöglichkeiten der ISB usw. Das gehört alles mit dazu, weil dadurch dem einen oder anderen erspart wird, pendeln zu müssen, weil wir eine starke wirtschaftliche Situation vor Ort haben. Das sind Punkte, die eine vernetzte Politik erfordern. Diese Politik machen wir in Rheinland-Pfalz.

(Beifall der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich das Wort weitergebe, begrüße ich Gäste bei uns im Landtag, und zwar Schülerinnen und Schüler des HindenburgGymnasiums in Trier. Herzlich willkommen bei uns in Mainz!

(Beifall im Hause)

Ich begrüße darüber hinaus Mitglieder der Idarer Karnevalsgesellschaft und Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde Berlangenbach sehr herzlich bei uns im Landtag. Herzlich willkommen!

(Beifall im Hause)

Ferner begrüße ich Bürgerinnen und Bürger aus dem Wahlkreis Rengsdorf/Linz. Herzlich willkommen!

(Beifall im Hause)

Ich erteile das Wort Herrn Kollegen Billen.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Creutzmann, Sie haben vergessen zu zitieren, dass ich schon vor der Bundestagswahl und nach der Bundestagswahl gesagt habe – das halte ich nach wie vor aus

rheinland-pfälzischer Sicht für richtig –, dass wir ab dem ersten Kilometer eine Kilometerpauschale an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bezahlen müssen.

(Zuruf des Abg. Pörksen, SPD)

Lassen Sie mich doch einmal ausreden. Sie sind schon immer am blöken, bevor der Mensch seine Gedanken zu Ende geführt hat. Machen Sie einmal schön langsam.