Protocol of the Session on November 16, 2006

Ich denke, sie ist vielmehr Spiegel des gegenwärtig differenzierter zu sehenden Verhältnisses zwischen dem Staat und einer Gesellschaft, die heute von einer Vielfalt der Lebensverhältnisse und der Bekenntnisse gekennzeichnet ist. Wir haben die Trennung von Religion und Staat. Der in der Präambel des Grundgesetzes und der Landesverfassung von Rheinland-Pfalz hergestellte Bezug zu Gott hat natürlich im historischen Kontext der Verfassungen aus der Sicht der allermeisten Bürgerinnen und Bürger einen spezifisch christlich-jüdischen Inhalt. Wir haben aber keine spezifisch christliche Rechtsprechung. Ich meine, das ist völlig unstreitig. Wir dürfen keine katholische und auch keine evangelische Rechtsprechung haben. Der alleinige Maßstab für die Entscheidungen unserer Gerichte sind Recht und Gesetz.

(Billen, CDU: So wahr mir Gott helfe!)

Ich denke, das ist völlig unbestreitbar. Bisher habe ich auch geglaubt, es sei unbestritten.

Die Praxis der Justiz in Rheinland-Pfalz ist eine Praxis der Toleranz. Sie hat sich jahrzehntelang bewährt. Die Entscheidung des Trierer Landgerichts bewegt sich in diesem Kontext.

Die Richterinnen und Richter in den Gerichtssälen unserer Gerichte sprechen dasselbe und gute Recht, unabhängig davon, ob das geschieht in einem Gerichtssaal mit Kreuz oder in einem Gerichtssaal ohne Kreuz.

(Beifall der SPD)

Die Gerichtssäle ohne Kreuz haben in Rheinland-Pfalz keine mindere Würde. Die Haltung der rheinlandpfälzischen Justiz, die der Gerichte und die der Staatsanwaltschaften, die Haltung aller ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist eine Haltung der Toleranz und der Liberalität, die Haltung eines friedvollen und solidarischen Miteinanders. Weil das so bleiben muss, werden wir uns darin nicht stören lassen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall der SPD)

Das Wort hat Herr Kollege Hartloff.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich denke, wir müssen fragen, zu was die Debatte dienen soll. Ich habe vorhin die Zwischenrufe gehört. Sie haben das,

was der Justizminister ausgeführt hat, mit heftigem Kopfschütteln kommentiert.

(Zuruf des Abg. Wirz, CDU)

Natürlich dürfen Sie das. Es ist aber die Frage, wohin Sie den Staat und die Gesellschaft führen wollen.

(Wirz, CDU: Das fragen wir Sie!)

Selbstverständlich bin ich an Ihrer Seite, wenn Sie sagen: Wir führen eine Wertedebatte. Wir führen diese Debatte auf der Basis unseres Staatsverständnisses. Wir führen diese Debatte vor unserem historischen Hintergrund und unserer lebendigen Religion. – Diese Werte fließen ein in die Gesetzgebung, in unser Handeln im Landtag. Wir haben uns für eine Trennung von Kirche und Staat entschieden. Frau Dr. Lejeune hat zutreffend darauf hingewiesen, dass es in Deutschland keinen laizistischen Staat gibt, sondern dass es vielfache Verschränkungen gibt.

Ein Element dieses Staatsverständnisses ist, dass die Rechtsprechung unabhängig ist und jedermann einen Anspruch darauf hat. Wir sind uns doch vollkommen einig, dass ein Kreuz ein christliches religiöses Symbol ist, zu dem auch viele stehen.

(Billen, CDU: Das ist es! Zweifelsohne!)

Die Diskussion bewegt sich in dem Spannungsverhältnis der Fragen der Unabhängigkeit der Justiz und dem, was Nichtchristen vom Staat zu erwarten haben, nicht von der Religion. Die Fragen nach Trost und nach Verständnis beziehen sich auf einen anderen Bereich.

Sie sagen, das sei absurd. Nach unserem Grundgesetz werden Urteile im Namen des Volkes gesprochen. Das ist eine Errungenschaft, in die das andere hineinfließt.

(Billen, CDU: So wahr mir Gott helfe!)

Ich meine, Sie tun uns und der Gesellschaft keinen Gefallen, wenn Sie den Versuch unternehmen, Gräben aufzureißen zwischen denjenigen, die begründet die Auffassung vertreten, dass es besser sei, dass in einem Bereich kein Kreuz hängt, und denjenigen, die dafür sind, dass dort ein Kreuz hängt.

Sie wissen, dass wir das in diesem Land lokal unterschiedlich handhaben, weil wir die Selbstständigkeit haben. Außerdem werden Gebäude, die gewiss nicht den Stellenwert von Gerichtssälen haben, in Regionen eingesegnet, in denen das landestypisch ist, während das in anderen Regionen nicht landestypisch ist. Das wird ebenfalls unterschiedlich gehandhabt. Nicht viel anders ist es mit der Handhabung von Kreuzen. Das ist meines Erachtens ein guter Maßstab, den wir mit unserer Bevölkerung in Rheinland-Pfalz und mit denjenigen beibehalten, die bei Gericht tätig sind und damit umgehen müssen.

Lassen Sie mich etwas zu Ihrer Forderung nach einer Weisung des Ministerpräsidenten sagen. Halten Sie es für sinnvoll, dass solche Fragen per Weisung entschieden werden? Sie halten das für sinnvoll. Sie haben es

zwar 60 Jahre lang auch nicht gemacht, aber an diesem Punkt halten Sie es für sinnvoll. Erst als Sie darauf gestoßen sind, haben Sie diese Forderung erhoben. Wie glaubwürdig ist also Ihre eigene Debatte, die Sie führen?

(Beifall der SPD)

Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage bislang offen gelassen. Im konkreten Fall, in dem sich Menschen dadurch gestört fühlten, hat das Bundesverfassungsgericht die Frage entschieden und Veränderungen eingefordert. Ich denke, weitere verfassungsgerichtliche Entscheidungen zu dieser Frage sind weder sinnvoll noch notwendig. Diese Handhabung sollte wie bisher verantwortungsvoll praktiziert werden. Ich spreche denjenigen, die so entschieden haben, wie wir persönlich vielleicht nicht entschieden hätten, nicht ihr Verantwortungsgefühl für die Sache ab, sondern diese Menschen haben sich ihre Gedanken in ihrer Verantwortung gemacht und sind dem gerecht geworden.

(Beifall der SPD)

Das Wort hat der Herr Ministerpräsident.

(Zurufe von der CDU)

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich verstehe die Zwischenrufe nicht. Sie haben mich doch aufgefordert, Stellung zu nehmen.

(Beifall der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich stehe nicht an, das zu wiederholen, was ich gestern Abend auf Einladung der katholischen Bischöfe und des Katholischen Büros gesagt habe. Ich hätte es auch nicht für in Ordnung gefunden, wenn ich dort, wo eine solche Diskussion öffentlich geführt wird, und dort, wo man den Dialog zwischen der staatlichen, der kommunalen, der wirtschaftlichen, der sozialen, der kulturellen Verantwortung weltlicherseits und den Kirchen andererseits miteinander sucht, nicht zu einem solchen Thema Stellung bezogen hätte. Ich meine, es wäre ein sehr seltsamer Auftritt nach diesen doch sehr beeindruckenden Ausführungen zu diesem Thema entlang der Frage der Menschen muslimischen Glaubens und der Ausprägungs- und Ausformungsgestalten, die uns begegnen, und dem christlichen Glauben mit den historischen Dimensionen, die gezogen worden sind, gewesen, wenn man zu einer Frage, die sich genau in diesem Feld bewegt, nicht Stellung bezogen hätte.

Ich will deshalb noch einmal klar sagen, dass das, was ich gestern gesagt habe, meine Meinung ist und bleibt. Ich habe gesagt, wenn ich diese Entscheidung zu treffen gehabt hätte – es ist korrekt von Herrn Dr. Wilke zitiert worden, aber es ist falsch von Frau Schmidt in Ihrer Zwischenfrage zitiert worden, weshalb ich Wert darauf lege, dass ich korrekt zitiert werde –, wie sie in diesem Fall ein Gerichtspräsident zu treffen hatte, hätte ich

anders entschieden. Dies vor dem Hintergrund meiner Überzeugung, dass sich die Wertebestimmtheit, die sich auf die christlichen, humanitären und aufklärerischen Wurzeln unserer Geschichte und unserer Gesellschaft bezieht, auch in unserer Zeit dazu eignet, offensiv vertreten zu werden.

Ich habe aber auch gesagt – dabei bleibt es, und dabei muss es bleiben –, dass die Ordnung unseres Grundgesetzes nicht wertfrei daherkommt, sondern sehr wohl dem Einzelnen, egal welchem Glauben er angehört oder ob er Glauben ablehnt, in Offenheit, Toleranz und Neutralität zu begegnen hat. Das ist ein deutlicher Unterschied.

Das ist in Rheinland-Pfalz – der Herr Justizminister hat dies eben noch einmal in Erinnerung gerufen – über sechs Jahrzehnte so gesehen worden. In RheinlandPfalz, das eine Verfassung hat, in deren Präambel eine besonders dichte Begründung des Rechts in Bezug auf Gott zu finden ist, ist dies trotzdem so gehandhabt worden.

Herr Billen schüttelt den Kopf. Ich werde ihm das jetzt belegen.

(Billen, CDU: Es gibt eine Rechtsverordnung!)

Ja, ich habe sie inzwischen auch vor mir liegen.

Das ist in der Regierungszeit der Kollegen Altmeier, Kohl, Vogel, Wagner, Scharping und jetzt in den zwölf Jahren, in denen ich an der Spitze der Landesregierung und dieses Landes stehe, genauso gehandhabt worden. Ich bin sicher, dass das unter christdemokratischen Justizministern, unter freidemokratischen Justizministern und jetzt seit wenigen Monaten unter einem sozialdemokratischen Justizminister nicht – wie ich gelesen habe – wegen Wertevergessenheit und Werteverlorenheit und was ich sonst noch alles gelesen habe, so gehandhabt worden ist – ich habe sogar in der Zeitung die Formulierung „bewusste Leugnung der Werte“ lesen können –, sondern weil man sich bewusst war, dass die Trennung zwischen der Aufgabe der Kirche, dem Respekt der weltlichen Gewalt vor der Kirche und dem Glauben, aber auch vor nichtchristlichen Glaubensüberzeugungen und vor atheistischen Überzeugungen, die Haltung des Staates prägen muss und wir auf diese Art und Weise einen Rechtsfrieden bei uns halten und eine Toleranz gegeneinander üben können, die niemanden in diesem Land Rheinland-Pfalz zwingt und nie jemanden gezwungen hat, seinen Glauben nicht leben zu können, ihn in irgendeiner Weise zurückstellen zu müssen

(Unruhe bei der CDU)

oder wegen derer er vor Gerichten benachteiligt wird. Ich ziehe den Schluss, das war die Überzeugung, die aus der Haltung all der Regierungen vor der heutigen zu schließen ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich einmal fragen, warum jetzt – im Übrigen neun Monate nach dem Ereignis – diese Diskussion geführt wird. Sie wird geführt, weil sich eine Person aus Trier

wenn ich es richtig weiß, ein Rechtsanwalt – beschwert hat. Es ist sein gutes Recht, seine Meinung zu äußern. Ich habe aber meine Zweifel an der Wahrhaftigkeit der Debatte,

(Wirz, CDU: Ich auch!)

wenn Ihre erste Äußerung, Herr Kollegen Billen, bei allem Respekt, zumindest wenn das richtig ist, was in der Zeitung zu lesen war – ich lasse einmal die Kopftuchgeschichte völlig außen vor –, gelautet hat, das sei das, was eine SPD-Alleinregierung mit sich bringe. Das haben Sie gesagt. Das wurde in wörtlicher Rede wiedergegeben. Sie haben das nicht dementiert.

Meinen Sie, von uns kann noch jemand ernsthaft glauben, dass Sie sich hier hinstellen und eine Wertedebatte führen wollen? Glauben Sie das wirklich?

(Beifall der SPD)

Sie haben versucht, Ihre erste Äußerung zu dieser Frage zu einem rein parteipolitischen Schlagaustausch zu nutzen. Er musste im Übrigen deshalb danebengehen, weil zu dieser Zeit der Kollege Mertin die Verantwortung getragen hatte, die er nach meiner Überzeugung völlig korrekt getragen hat. Meinen Sie, dass jemand, der das objektiv wahrnimmt, Ihnen aus tiefstem Herzen abnehmen kann, dass es um diese Wertefrage geht? Bei mir sind da deutlich Zweifel vorhanden.

(Beifall der SPD)