Protocol of the Session on June 3, 2005

Frau Grützmacher, anders gefragt: Wer hat denn die Sicherheit des freien Europas sichergestellt, als der Warschauer Pakt existent war? Das waren die verschiedenen NATO-Strategien, beginnend mit „New Look“ über „Forward“ und „Force Attack“ und „Flexible Response“ bis hin zu „Last Resort“. Die „Last Resort“Doktrin, die heute Gültigkeit hat, besagt, dass Nuklearwaffen nur das letzte Mittel entweder zur Abschreckung oder zur schnellen Beendigung eines Krieges sein können. Das ist die derzeit gültige Doktrin der NATO.

Frau Grützmacher, bei diesen Fragen geht es auch um Bündnistreue und um Bündnisverlässlichkeit. Man kann natürlich zum Irakkrieg unterschiedlicher Auffassung sein – auch ich habe dazu eine sehr differenzierte Haltung –, aber ich frage Sie: Weshalb hat eine rotgrüne Bundesregierung im Irakkrieg die Intervention zwar verurteilt, aber den USA den Überflug gestattet und ihr Lande- und Startrechte auf deutschen Flughäfen eingeräumt?

(Hartloff, SPD: Weil sie vernünftig ist!)

Das passt auch nicht zusammen. Entweder bin ich konsequent dagegen, aber man kann nicht nach dem Motto vorgehen, dass man sich auf der einen Seite distanziert, aber ihnen auf der anderen Seite das zugesteht. So kann man keine verlässliche und vertrauensvolle Politik betreiben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Ich rede dann noch in einer zweiten Runde, damit ich Gelegenheit habe zu reagieren.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Thomas für eine Kurzintervention das Wort.

Herr Altherr, das kann so nicht unwidersprochen stehen bleiben. Wenn man eine Rede um acht Begriffe herum

rankt und glaubt, damit würde man Kompetenz dokumentieren, kann ich nur sagen: Das ist gründlich danebengegangen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Altherr, CDU)

Wenn Sie es nicht in Ihrem Antrag schreiben, hätte ich zumindest erwartet, dass Sie es über Ihre Lippen bringen, dass die CDU-Fraktion begrüßen würde, wenn die Atomwaffen in Rheinland-Pfalz oder in Europa an anderer Stelle, wo Sie glauben, dass sie mutmaßlich gelagert sind, abgezogen werden. Davon habe ich von Ihnen kein Wort gehört. Das ist auch die Krux in Ihrem Antrag.

(Dr. Altherr, CDU: Machen Sie doch einmal langsam!)

Der Passus, den Sie aus einem Antrag vorgelesen haben, der nach einer gescheiterten Konferenz in New York gestellt worden ist, stimmt doch hinten und vorne nicht. Sie schreiben, dass der Atomwaffensperrvertrag auf diesen drei Säulen beruht. Sie verschweigen aber, weshalb die Konferenz gescheitert ist.

(Zuruf des Abg. Dr. Altherr, CDU)

Die Konferenz ist auch gescheitert, weil seitens der Atomstaaten nicht ein Signal gekommen ist, dass man bereit ist, weitere Abrüstungsschritte zu gehen. In diese Zielsetzung hätte man noch Dynamik in Richtung Nichtproliferation hineinbringen können. Dieser Impuls ist zu Beginn dieser Überprüfungskonferenz gesetzt worden.

Ich will Ihnen sagen, was Außenminister Fischer am 2. Mai in New York – getragen und unterstützt von der Bundesregierung – gesagt hat: „Was wir heute brauchen, ist neuer Schwung zur nuklearen Abrüstung. Wir sollten die bestehenden Arsenale strategischer und taktischer Atomwaffen überprüfen und energisch daran arbeiten, sie weiter zu reduzieren.“

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das war eine Zielsetzung. Das war auch der Versuch, hier noch einmal einen Impuls zu setzen. Ich will nicht die Gefährdungen der weiteren Verbreitung von Atomwaffen kleinreden. Ich will nur sagen, dass man in einer solchen Konstruktion und in einem solchen Mitgliederbestand, wie er in diesem Atomwaffensperrvertrag zusammengehalten wird, nicht nur Forderungen an die eine Seite stellen kann, sondern auch die Versprechungen, die man in 1995 und 2000 bei diesen Überprüfungskonferenzen den Vorgängerkonferenzen gegeben hat, einhalten und Schritte vorangehen muss.

Ich glaube, das ist die Einbettung dieses Antrags und des Impulses, dass 50 Jahre, nachdem die ersten Atomwaffen in Deutschland angekommen sind, die Forderung nach dem Abzug dieser Waffen in Europa von vielen öffentlich getragen wird. Man muss einen Abrüstungsschritt signalisieren,

(Glocke der Präsidentin)

damit man auf der anderen Seite eine weitere Proliferation verhindern kann.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Zur Erwiderung erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Altherr das Wort.

Frau Kollegin, etwas mehr Gelassenheit täte Ihnen auch gut. Ich kann Ihre Aufregung verstehen. Sie erzählen natürlich nur die Wahrheit, die Ihnen passt. Ich will aus der Zeitung „DIE WELT“ vom 30. Mai zitieren: „Annan und Baradei enttäuscht über Atomkonferenz“. – Hier heißt es: „Beobachter der Konferenz machten vor allem drei Länder für die fruchtlosen Verhandlungen verantwortlich. Die USA …“ – Das ist das, was Sie dargestellt haben. Dann geht es weiter, dass die USA nur vor der nuklearen Gefahr durch Nordkorea und den Iran gewarnt hatten und ihrerseits nicht bereit sind, die eigenen Arsenale offen zu legen bzw. zu reduzieren.

Dann heißt es weiter: „Iran wiederum bestand darauf, nukleare Energie zur zivilen Nutzung gewinnen zu können. Und Ägypten soll die Konferenz damit aufgehalten haben, Schritte gegen Isreals vermutete Atomwaffen zu verlangen.“ – Das ist die volle Wahrheit. Sie haben nur den Teil der Wahrheit beigetragen, der in Ihr Konzept passt.

(Zuruf der Abg. Frau Grützmacher, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Über die Konferenz und den Atomwaffensperrvertrag sollen die Leute auch wissen, dass gerade die Staaten, die ein Gefährdungspotenzial darstellen und die bereits Atomwaffenmächte zweiter Ordnung sind, wie Pakistan, Indien und Israel, dem Vertrag nicht beigetreten sind. Wenn wir die verbleibenden 188 Staaten nach unseren demokratischen Grundsätzen messen, kann man sagen, dass ein Großteil dieser Staaten nicht unsere Vorstellungen von Demokratie und Freiheit erfüllt. Das gehört zur vollen Wahrheit.

(Zuruf der Abg. Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie der CDU vorwerfen – das haben Sie insinuiert –, die CDU wäre für den Verbleib von Atomwaffen, ist das dummes Zeug. Für wie beschränkt halten Sie die CDU?

(Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ich hätte das nur gern aus Ihrem Mund gehört, Herr Dr. Altherr!)

Ich kann Ihnen nur eines sagen: Es wird doch wohl in diesem Land Rheinland-Pfalz und auch in Deutschland keinen vernünftigen Menschen geben, der an Atomwaffen festhalten würde, wenn es nicht mehr notwendig ist. – Ich frage Sie einmal ganz direkt: Ihr Außenminister

Fischer ist seit 1998 in politischer Verantwortung. Was hat er seitdem dafür getan?

(Zuruf der Abg. Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will noch den „SPIEGEL“ zitieren. Dieser sagt, dass sowohl Struck als auch Fischer die Schwänze eingezogen und kleinlaut das Vorhaben ad acta gelegt haben bzw. Herr Struck das in Brüssel vertreten will. Herr Fischer hat bei Kanzler Schröder keinen Termin bekommen, um das Thema anzusprechen. Der Kanzler war klüger als der Außenminister; denn dieses Thema taugt führwahr nicht für die politische Auseinandersetzung mit den Amerikanern. Das muss man in sensiblen Gesprächen klären. Dazu bedarf es nicht des Landtags, eines Jahrmarkts und der Jahrmarktschreierei.

(Beifall bei der CDU)

Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Geisen das Wort.

Verehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte von der Weltdebatte wieder zurück nach Rheinland-Pfalz kommen.

Meine Damen und Herren der GRÜNEN, höchstwahrscheinlich mutet es Ihnen seltsam an, wenn ich am Beginn meiner Rede anmerke, dass wir den Vereinigten Staaten dankbar sein dürfen, dass die Stationierung der Atomwaffen während des Kalten Krieges das Gleichgewicht zwischen Ost und West erhalten hat und ohne diese ein stabiles und freies Deutschland höchstwahrscheinlich nicht hätte erhalten werden können.

(Beifall bei der FDP)

Demnach verdankt auch Westeuropa die 60 Jahre Frieden einer Atomwaffenabschreckung.

Meine Damen und Herren, dies bedeutet nicht, dass wir von der FDP oder ich persönlich nicht über die Stationierung der Atomwaffen diskutieren möchte – im Gegenteil.

Meine Damen und Herren der GRÜNEN, wir wollen die Diskussion nicht mit Angst und Panikmache führen, wie Sie es in Ihrem Antrag bereits begonnen haben.

(Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was für ein Quatsch!)

Meine Damen und Herren der Union, ich bin auch fest davon überzeugt, dass das Transatlantische Bündnis stark und nicht so wackelig ist, wie Sie es anscheinend befürchten, wenn Sie in Ihrem Antrag schreiben, eine öffentliche Diskussion führe zu Schwierigkeiten innerhalb des Bündnisses. Es gibt bereits ganz rationelle

Gespräche mit den Amerikanern. Es wäre ein sehr schwaches Bündnis und nicht nur ein sensibles, wie Sie es nennen, wenn man nicht über Nuklearwaffen öffentlich sprechen könnte.

(Zuruf der Abg. Frau Grützmacher, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unter Freunden kann man über alles reden. Im Vertrauen kann man mit Freunden über alles reden. Die Menschen in Rheinland-Pfalz haben natürlich Sorgen, was die Stationierung der Atomwaffen angeht. Deswegen sind wir Politiker auch verpflichtet, das Thema aufzugreifen und nach Möglichkeiten zu suchen.

(Beifall bei FDP und SPD)

Die Größenordnungen wurden genannt. 5 % der ursprünglich in Europa stationierten Nuklearwaffen werden hier angenommen. 95 % sind, so sagt man, abgezogen. Dies haben wir dem nuklearen Nichtverbreitungsvertrag und der Verpflichtung der Nuklearwaffenstaaten zur Abrüstung ihres Nuklearwaffenarsenals zu verdanken.