Protocol of the Session on February 25, 2005

(Beifall im Hause)

Wir kommen jetzt zur Aktuellen Stunde. Die Aktuelle Stunde ist geteilt.

Ich rufe das erste Thema der

AKTUELLEN STUNDE auf.

„Aus dem Projekt VERA (Vergleichsarbeiten in der Grundschule) lernen – Grundschule verbessern“ auf Antrag der Fraktion der CDU – Drucksache 14/3843 –

Ich erteile Herrn Abgeordneten Keller das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Im vergangenen September wurde in den sieben SPD-regierten Bundesländern die so genannte VERASchulstudie in den 4. Klassen der Grundschule durchgeführt. Die Ergebnisse waren für Rheinland-Pfalz betrachtet unbefriedigend. Während Rheinland-Pfalz bei der PISA-Studie, die verschiedene Kompetenzen der 15Jährigen testet, im Bundesdurchschnitt bei der Lesekompetenz auf dem vierten Platz lag, kam RheinlandPfalz bei VERA innerhalb der SPD-regierten Länder, die bei PISA alle schlechter, zum Teil erheblich schlechter abgeschnitten haben als wir, mit einer Ausnahme nur auf durchschnittliche oder unterdurchschnittliche Werte.

Meine Damen und Herren, das ist das Ergebnis von 14 Jahren SPD-geführter Bildungspolitik in Rheinland-Pfalz.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU – Unruhe bei der SPD)

Wir sind nicht einmal mehr besser als die PISA-Verlierer. VERA zeigt auf, dass nur 62 % der rheinland-pfälzischen Schüler auf mittlerem bis fortgeschrittem Niveau lesen können, was dem SPD-Länderdurchschnitt entspricht. Nur 59 % der Schüler können auf mittlerem bis fortge

schrittenem Niveau mathematische Textaufgaben lösen, was ebenfalls dem SPD-Länderdurchschnitt entspricht.

Wie gesagt, beim PISA-Ländervergleich lagen wir bei der Lesekompetenz auf Platz 4 bei 14 teilnehmenden Bundesländern und damit über dem Durchschnitt, bei den mathematischen Leistungen bei PISA auf Platz 6 und damit etwas unter dem Durchschnitt.

Entscheidend ist, bei PISA lag kein SPD-regiertes Land vor Rheinland-Pfalz. Das ist bei VERA anders. Im Vergleich der PISA-Verliererländer – alles SPD-regierte Länder; man kann die Gleichung aufmachen, je länger die SPD irgendwo regiert, desto schlechter ist die Bildungspolitik –

(Beifall der CDU)

sind wir nur Mittelmaß, unteres Mittelmaß.

Als Reaktion auf die schockierenden VERA-Ergebnisse kündigte Ministerin Ahnen eine verstärkte Sprach- und Leseförderung vor allem auch für Kinder mit Migrationshintergrund und eine verstärkte Frühförderung an. Diese Konsequenzen sind richtig, aber nicht neu. Sie entsprechen wiederholten Anträgen der CDU-Fraktion. Diese Konsequenzen sind aber mittlerweile nicht vollständig.

Woran liegt es, dass die rheinland-pfälzischen Grundschulen nicht so leistungsfähig sind, wie sie einmal waren und wie es jetzt erforderlich ist, und wir uns im Ländervergleich – das muss Ihnen doch auch weh tun – mit den PISA-Verlierern messen müssen? Sie haben gedacht, wir wären souverän an der Spitze, aber wir sind noch abgestürzt.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Hierfür gibt es einen Grund. Ursächlich ist dafür die im Schuljahr 1998/1999 flächendeckend eingeführte Volle Halbtagsschule verantwortlich zu machen. Ich stelle fest, sie ist gescheitert. Sie kann nämlich nicht leisten, was versprochen wurde, nämlich mehr Zeit und mehr Förderung für die Schüler. Das Gegenteil ist der Fall. Dies haben nicht nur wir damals vorausgesehen. Deswegen haben wir das Konzept der Vollen Halbtagsschule abgelehnt.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU – Hartloff, SPD: Wo steht denn in der Aussage die Logik?)

Das sind die gravierenden Mängel der Vollen Halbtagsschule:

1. Der Unterricht findet fast ausschließlich im ganzen Klassenverband statt, egal wie groß die Klasse ist.

2. Klassen können nicht mehr wie früher geteilt werden, was vor allem für große erste und zweite Klassen wichtig wäre, weil man dann fördern könnte.

3. Es gibt erheblich weniger Förderunterricht als früher. Die Folgen sind, dass vor allem schwächere Kinder und Migrantenkinder nicht genügend gefördert werden kön

nen. Eine Förderung guter Kinder findet nahezu auch nicht statt.

Dann gibt es noch weniger Arbeitsgemeinschaften. Die Schüler, die für PISA im Jahr 2000 und 2003 getestet wurden, kannten noch nicht die „Segnungen“ der Vollen Halbtagsschule. Der Schluss liegt nahe: Deshalb haben sie bei PISA besser als die Grundschüler aus der Vollen Halbtagsschule bei VERA abgeschnitten.

Ich wiederhole: Das Konzept der Vollen Halbtagsschule ist gescheitert. Notwendig ist eine Frühförderung, auf die die Grundschule aufbauen kann. Darüber hinaus brauchen wir eine andere Förderkultur, die eine rechtzeitige Förderung in Klein- und Kleinstgruppen ermöglicht. Wir brauchen eine neue Grundschule. Dafür hat die CDU ein Konzept erarbeitet.

Danke schön.

(Beifall der CDU)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Brede-Hoffmann.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Keller, sind Sie sicher, dass Sie vor der Rede nicht irgendetwas ausgerechnet hatten, um auf diese Aussagen zu kommen, die Sie gemacht haben, und diese Rechnung war dann doch wieder so, wie wir das schon einmal erlebt haben?

Ich glaube, keiner der Anwesenden hat folgen können, welche akrobatischen Berechnungen Sie angelegt haben, um festzustellen, dass irgendwelche Schülerinnen und Schüler, die bei PISA getestet worden sind, angeblich bei VERA besser abgeschnitten hätten, wenn sie überhaupt mitgemacht hätten. Sie haben doch gar nicht mitgemacht. Wir wissen gar nicht, wie sie bei VERA abgeschnitten hätten.

Man kann natürlich von einem Test in der Klasse 8 oder 9 rückrechnen, wie der Schüler abgeschnitten hätte, wenn er viereinhalb Jahre vorher in der Klasse 4 an einem Test mitgemacht hätte, der damals noch gar nicht durchgeführt wurde. Das ist ganz schön abenteuerlich.

Herr Kollege, kommen wir doch einmal zu den Fakten, die VERA uns sagt und aus denen wir Konsequenzen zu ziehen haben. Richtig ist, dass es bei allen teilnehmenden Ländern Schwächen beim Leseverständnis und beim Sachrechnen gibt. Das eine hängt sehr stark mit dem anderen zusammen. Wenn ich etwas lese und nicht verstehe, kann ich es hinterher auch nicht mehr ausrechnen. Insofern ist die Sachrechenschwäche wahrscheinlich im Wesentlichen eine Leseverständnisschwäche.

VERA sagt auch – das ist völlig gleich zwischen allen teilnehmenden Ländern –, dass die Kinder, deren vorherrschende Sprache nicht Deutsch ist, in diesen Berei

chen ganz besondere Schwächen haben. Diese Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen haben in den zurückliegenden Jahren schon reagiert. Wir haben Sprachförderung und Leseförderung durchgeführt. Ich langweile Sie einmal damit, indem ich ein paar Programme, die in unseren Schulen stattfinden, zitiere und Ihnen mitteile, was es zum Beispiel im Bereich der Leseförderung alles gibt:

die Lesespaß- und Medienkisten, – die Filmkoffer, – die Hörspielkoffer, – die Multimediakoffer, – die Bibliotheken für die Ganztagsschulen, – die Leselust, – die Autorenlesungen usw.

All diese vielen Programme, die in den letzten Jahren an den Grundschulen entstanden sind, arbeiten schon in dieser Richtung.

Das Gleiche gilt für das Thema „Sprachförderung“. Anders, als Sie das behaupten, bekommen Schulen mit einem besonders hohen Anteil von Migranten- und Migrantinnenkindern, die der deutschen Sprache noch nicht mächtig sind und nicht länger als drei Jahre in Deutschland leben, zusätzliche Stunden. Wir bekommen Förderstunden für Klassen, denen mehr als 20 % Kinder angehören, die der deutschen Sprache nicht wesentlich mächtig sind. Wir bekommen zusätzlich Stunden in diesen Klassen, die die ADD aus einem besonderen Pool zuweisen kann. Wir bekommen für diese Gruppen Fördergelder für Sprachprogramme. Das waren im Jahr 2002 100.000 Euro. Die Förderung ist im Jahr 2004 auf 209.000 Euro angestiegen. In den nächsten zwei Jahren erhalten wir 300.000 Euro bzw. 400.000 Euro.

Wir haben in den Ganztagsschulen besondere Förderprogramme für Fördermaßnahmen vorgesehen. Eine wesentliche Aufgabe in den Ganztagsschulen ist, den Aspekt „Förderung“ zu betonen. Wir haben Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für die Sprachförderschulung in den Schulen. Wir haben vielfältigste Maßnahmen in diesem Bereich.

Herr Kollege, wie die Entwicklungsprozesse bei den Ganztagsschulen so kann auch der Prozess an unseren Grundschulen, sich zusätzlich weiterzuentwickeln, nicht von heute auf morgen, und nicht nur, weil ein Programm implementiert wird, sofort stattfinden. Das heißt, auch dort müssen Sie den Schulen, den Kolleginnen und Kollegen und Kindern die Chance geben, sich weiterzuentwickeln. Sie wissen, dass im letzten Jahr der neue Rahmenplan Deutsch in Kraft getreten ist und über die Diskussion unserer Bildungsstandards im Besonderen die Anwendungsorientiertheit des Lernens ein Schwerpunkt ist. Dazu zählt auch das, was im Sachrechnen eingefordert wird. Auch das muss sich entwickeln.

Wir haben für unsere Schulen ein neues Programm aufgelegt, über das wir gleich reden werden. Dieses verfolgt den Ansatz: Förderung von Anfang an. – Wir haben in den zurückliegenden Jahren bereits die Sprachförderung in unseren Kindertagesstätten implementiert. Wir haben die Eltern einbezogen, um einen

ganz wichtigen Kooperationspartner zu haben, wenn es darum geht, die Kinder fitter zu machen.

Verehrter Herr Kollege, das braucht seine Zeit. Wenn ich zwei VERA-Tests durchführe, werde ich neu implementierte Programme noch nicht testen können. Das werde ich in drei oder vier Jahren tun.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Kollege Keller, gedulden Sie sich doch einmal!

(Beifall der SPD und der FDP)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Abgeordneten Wiechmann das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Aussagen der VERA-Studie über die Qualität der Leistungen in unseren Grundschulen in Rheinland-Pfalz in der vierten Klassenstufe sind wahrhaftig kein Grund für Triumphgeheul von irgendeiner Seite. Professor Dr. Andreas Helmke, der Leiter des VERA-Projekts, hat zur Bewertung der Ergebnisse gesagt – ich zitiere –: „Gleichwohl lässt sich sagen, dass ein hoher Anteil von Schülerinnen und Schülern auf den beiden untersten Niveaustufen einen unmittelbaren Handlungs- und Förderbedarf in der Klasse signalisiert. Wünschenswert ist, dass alle Schülerinnen und Schüler mindestens Stufe 2 erreichen.“

Von diesem Ziel sind die Grundschulen bei uns im Land leider weit entfernt. In den besonders wichtigen Bereichen „Sachrechnen“ und „Lesekompetenz“ erreichen 41 % bzw. 38 % der Schülerinnen und Schüler dieses Ziel nicht, das alles, obwohl uns ganz unterschiedliche Studien bestätigt haben und immer wieder auch dazu auffordern, dass wir mehr Investitionen in die frühkindliche Bildung, mehr Investitionen in die Kindertagesstätten und in die Grundschulen und demzufolge auch mehr Hochschulzugangsberechtigte und Hochschulabsolventinnen und -absolventen brauchen.