Protocol of the Session on December 14, 2004

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht Frau Abgeordnete Friedel Grützmacher.

Meine Damen und Herren, der Justizhaushalt zeichnet sich finanztechnisch gegenüber den anderen Haushalten durch zwei Besonderheiten aus. Er ist ein sehr kleiner Haushalt. Der Prozentsatz am Gesamthaushalt beträgt nämlich nur rund 4 %. Er hat eine Kostendeckungsquote von 35 %. Das sieht finanztechnisch nicht nach viel aus. Aber inhaltlich gesehen ist er natürlich ein ganz schwergewichtiger. Er umfasst die unsere Demokratie konstituierende dritte Gewalt, die Judikative, und dann als Zweites den ganz wichtigen Strafvolllzug, eine unverzichtbare Einrichtung, um unser Zusammenleben gewaltlos und in Sicherheit zu gewährleisten.

Natürlich lastet aber auch auf diesem Haushalt trotz seines geringen Anteils am Gesamthaushalt der Spardruck, das nicht nur in Rheinland-Pfalz, sondern in allen Bundesländern. Darum gibt es auch immer wieder – Frau Reich, Sie haben darauf hingewiesen – im Zweijahresrhythmus inzwischen Vorschläge für die so genannte große Justizreform, die auch wohl deswegen so häufig ausgerufen werden, weil dieser Spardruck besteht.

Meine Damen und Herren, wenn wir ebenfalls die Notwendigkeit einer Justizreform anerkennen, so darf sie nicht unter dem Aspekt der Einsparung geführt werden. Wir haben nichts gegen eine Erhöhung der Effizienz der Justiz. Wir wollen auch gern darüber streiten, wie wir das hinbekommen können. Wir sagen aber sehr deutlich: Das, was im Moment geplant ist, der Wegfall der Berufung in Strafsachen, wie er von vielen Bundesländern unterstützt wird, ist kontraproduktiv und wird von uns GRÜNEN abgelehnt.

Die rotgrünen Landesregierungen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen waren auch neben der rheinland-pfälzischen Landesregierung die einzigen, die bei der Justizministerkonferenz am 24. November dagegen gestimmt haben. Meine Damen und Herren, wir wollen, dass die Justiz als dritte und unabhängige Gewalt erhalten bleibt, und sie muss in der Lage sein und in die Lage versetzt werden, jedem Bürger und jeder Bürgerin

in überschaubarer Zeit eine gerechte Entscheidung zu gewährleisten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Präsident Grimm übernimmt den Vorsitz)

Meine Damen und Herren, wir setzen uns als GRÜNE im Bund und auch im Land dafür ein, dass die Dreigliedrigkeit des Justizsystems grundsätzlich erhalten bleibt. Das vor allen Dingen aus zwei Gründen: Erstens glauben wir, dass sonst die wichtige Streit schlichtende Funktion der Amtsgerichte aufgehoben würde, und zweitens würde die Abschaffung der Berufungsinstanzen zu einer massiven Überforderung der Eingangsinstanzen führen. Darin sind wir uns zusammen mit vielen Expertinnen und Experten einig; denn dann muss in jedem kleinen Prozess sofort von Anfang an die ganze Batterie der möglichen Beweisanträge aufgefahren werden, da es keine Möglichkeit gibt, zur Not in der zweiten Instanz bei der Berufung neue Beweisanträge vorzulegen, wenn sich die Notwendigkeit dafür erweist.

Das kann dann leicht zur Folge haben, dass im Gegensatz zu dem, was man erhofft, es zu viel längeren Verfahrenslaufzeiten kommt. Wir wissen auch, was das bedeuten kann. So hat das Bundesverfassungsgericht vor zwei Jahren festgestellt, dass dann, wenn ein Verfahren zu lang dauert, dies bei der Strafbemessung berücksichtigt werden muss. Das kann zu großen Ungerechtigkeiten führen.

Im Übrigen müssen wir uns auch vor Augen führen, dass im Moment – das wurde im Ausschuss immer wieder gesagt – rund 10 % aller Verfahren in die zweite Instanz gehen, also 90 % in der ersten Instanz erledigt werden. Wenn man also eine Reform der Justiz machen will, sollte das Ziel die Stärkung der Eingangsinstanzen am Amtsgericht und am Landgericht sein; denn das ist das Gesicht der Justiz, das die allermeisten Rechtsuchenden als Erstes sehen. Das ist dieses Gericht, und das ist das Eingangsgericht, und die Akzeptanz unseres Rechtssystems und unseres Rechtsstaats wird davon beeinflusst und bestimmt. Das dürfen wir natürlich nicht aufs Spiel setzen.

Meine Damen und Herren, wenn wir über die Entlastung der Gerichte, vor allem über die Eingangsgerichte reden, müssen wir natürlich auch unbedingt über die so genannte konsensuale Streitbeilegung reden. Wir begrüßen es, dass auch der rheinland-pfälzische Justizminister dem Beschluss der Justizministerkonferenz zugestimmt hat, die konsensuale Streitbeilegung zu fördern; denn diese Form der Konfliktlösung mindert nicht nur die Belastung der Gerichte, was sicher ein wichtiges Ziel in Zeiten knapper Kassen ist. Die Möglichkeiten der konsensualen Streitbeilegung, die sehr weit gefächert sind, haben natürlich vor allem deswegen einen besonderen Wert, weil sie den Rechtsfrieden fördern und damit auch langfristig auf eine Änderung der Streitkultur hinzielen.

In der Begründung des Beschlusses werden viele Schritte aufgeführt, die man in die Richtung Stärkung der konsensualen Streitbeilegung machen kann. Wir sind gespannt und werden bei Gelegenheit auch nachfragen, was die Landesregierung getan hat, um diesen vorwärts weisenden Beschluss zu realisieren.

Meine Damen und Herren, der zweite große Bereich im Haushalt der Justiz ist der Strafvollzug. Das ist ein ungeliebter Bereich, der immer wieder den oberflächlichen Parolen an Stammtischen ausgesetzt ist. Als Politiker und Politikerinnen müssen wir wirklich eine Vorbildfunktion einnehmen. Wir müssen deutlich machen, dass die sozialtherapeutische Arbeit mit Straftätern in erster Linie keine soziale Wohltat für die Strafgefangenen ist, sondern dass das vor allen Dingen praktizierter Opferschutz ist. Hier stoßen wir dann auf ein ganz aktuelles Problem: die Überbelegung der Justizvollzugsanstalten. So fehlten im Jahr 2000 im geschlossenen Männervollzug durchschnittlich 476 Haftplätze. Das wird sich in der Hochrechnung bis 2008 auf 816 fehlende Haftplätze steigern.

Dies führt auch im Moment zu bedenklichen Doppelbelegungen von Zellen. Die Möglichkeiten, mit Strafgefangenen in Gruppen und einzeln therapeutisch zu arbeiten, werden stark eingeschränkt.

Auch die Arbeitslosenzahlen in den Justizvollzugsanstalten steigen. Wir wissen, wie wichtig die Arbeit für die Strafgefangenen auch für die Resozialisierung ist.

Kurz gesagt, diese Überbelegung stellt eine enorme Belastung nicht nur für die Strafgefangenen, sondern besonders auch für die Vollzugsbeamtinnen und -beamten dar. Sie erschwert die Aufgabe der Resozialisierung enorm.

Wir von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sehen den Weg aus dieser Misere auf keinen Fall in einem ständigen Neu- und Zubau von Gefängnissen.

Wir wollen, dass ein Konzept entwickelt wird, ein Konzept der verantwortbaren Haftvermeidung und Haftverkürzung, ein Konzept, das Dritte in den Behandlungsvollzug einbindet, wobei – das ist immer klar – die Sicherheitsbedürfnisse der Öffentlichkeit beachtet und erfüllt werden müssen, aber natürlich auch die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des Strafvollzugsgesetzes.

Herr Mertin, es ist richtig, wenn Sie sagen, dass das Rückfallrisiko deutlich höher wird, wenn Gefangene ohne jede Vorbereitung durch resozialisierende Maßnahmen in die Freiheit entlassen werden, also die Res ozialisierungsarbeit in den Gefängnissen auch praktizierter Opferschutz ist. Das ist richtig, aber das reicht nicht.

Wir von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind der Meinung, dass eine effektive und effiziente Resozialisierungsarbeit ein durchgehendes Handlungskonzept erfordert, also eine Verzahnung von stationären Maßnahmen, das heißt, die Maßnahmen in den Justizvollzugsanstalten, und von ambulanten Maßnahmen, das heißt, den Maßnahmen außerhalb der Gefängnismauern nach der Entlassung.

Dieses Konzept, ambulant und stationär, das in vielen anderen Bereichen, Gesundheitssystem, Jugendhilfe usw., schon praktiziert und unstreitig ist, muss in Rheinland-Pfalz endlich auf die Arbeit mit Strafgefangenen übertragen werden.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das heißt aber nicht nur, dass mehr Bewährungshelferinnen und -helfer eingestellt werden müssen – das ist sicher auch ganz wichtig; denn da haben wir in Rheinland-Pfalz eine schlechte Relation zwischen entlassenen Strafgefangenen und Bewährungshelferinnen und -helfern –, das bedeutet mehr.

Das bedeutet, dass auf regionaler Ebene Verbundlösungen zwischen den Justizvollzugsanstalten, den sozialen Diensten der Justiz und der Jugend- und Sozialhilfe geschaffen werden müssen. Dazu gehört auch eine Zusammenarbeit mit den Arbeitsämtern bzw. mit den jetzt neu geschaffenen Arbeitsgemeinschaften auf lokaler Ebene.

Dazu gehört die Kooperation mit externen Drogenhilfen und mit Schuldnerberatungen und Therapeutinnen und Therapeuten.

Herr Mertin, wir fordern Sie auf, ein Konzept für diese engere Verzahnung der Resozialisierungsmaßnahmen innerhalb und außerhalb der Gefängnismauern zu entwickeln, als ein Baustein und eine Maßnahme, um der Überbelegung der Justizvollzugsanstalten entgegenzuwirken, um die Qualität der Arbeit mit Strafgefangenen zu steigern und dadurch auch die Innere Sicherheit zu stärken.

Meine Damen und Herren, ein besonderes Augenmerk muss im Strafvollzug immer auf jugendlichen Straftätern liegen, weil die Möglichkeit zur Verhaltensänderung im jugendlichen Alter natürlich sehr viel größer ist, allerdings auch zur negativen Seite. Darum gibt es auch die Trennung zwischen Jugendstrafvollzug und Erwachs enenstrafvollzug.

Aber Jugendliche sind auch leichter positiv zu beeinflussen. Darum spielt die Resozialisierung gerade bei jugendlichen Strafgefangenen eine so wichtige Rolle.

Leider ist aber auch im Jugendstrafvollzug die Überbelegung ein großes Problem. Die Jugendstrafanstalt in Schifferstadt ist für 260 Jugendliche ausgelegt. Aber im September dieses Jahres sind 308 Jugendliche dort untergebracht gewesen.

Die Jugendlichen sind in Wohngruppen untergebracht, in denen ihnen ganz individuell Arbeit und Therapie angeboten wird. Aber wenn die Gruppen immer größer werden – das Konzept sieht eigentlich 12 oder 13 Jugendliche pro Gruppe vor, inzwischen sind es in vielen Fällen schon 17 Jugendliche pro Gruppe –, dann wird das Ziel, den Jugendlichen eine Grundlage für die Zeit nach der Entlassung zu bieten, immer schwerer zu erreichen sein.

Dabei ist es gerade bei jungen Menschen so immens wichtig; denn wir wissen, dass Jugenddelinquenz nur in ganz wenigen Fällen der Beginn einer so genannten kriminellen Karriere ist.

Eine im Februar 2004 vom Bundesjustizministerium vorgelegte Rückfallstatistik zeigt für jugendliche Straftäter deutlich, für die meisten strafrechtlich in Erscheinung tretenden Jugendlichen bleibt die Straffälligkeit ein einmaliger Vorgang, und zum anderen – das kommt auch in dieser Rückfallstatistik deutlich heraus – schneiden

Bewährungsstrafen, die immer mit Auflagen versehen sind – das wissen wir –, deutlich besser ab als Freiheitsund Jugendstrafen, was die Rückfallquote angeht.

Meine Damen und Herren, darum ist es auch der falsche Weg, wie er von der CDU propagiert wird, immer und in regelmäßigen Abständen, der Delinquenz bei Jugendlichen und besonders bei Heranwachsenden durch stärkere Repression zu begegnen.

Wir von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen den Grundgedanken des Jugendstrafrechts „Erziehung statt Strafe“ möglichst effektiv umsetzen. Dazu gehört natürlich auch ein Abbau der Überbelegung, ebenso wie diese enge Verzahnung der stationären und ambulanten Maßnahmen. Gerade bei Jugendlichen lohnen sich solche Anstrengungen.

Meine Damen und Herren von der Landesregierung, wir wissen natürlich, dass das Geld kostet, aber nicht so viel wie ständiger Neu-, Um- und Ausbau von Gefängnissen oder wie eine Rückfallquote, die ständig steigt. Ich denke, darum müssen wir diese Maßnahmen in Angriff nehmen für eine sichere Zukunft für Rheinland-Pfalz.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auf der Zuschauertribüne begrüße ich Landfrauen aus Hornbach. Seien Sie herzlich willkommen im Landtag!

(Beifall im Hause)

Es spricht Herr Kollege Creutzmann.

(Zurufe aus dem Hause)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich soll es nicht zu lang machen. Ich habe das vernommen. Ich lese jetzt alle 19 Seiten, die ich aufgeschrieben habe, nicht vor.

(Staatsminister Bauckhage: Das haben wir aber erwartet!)

Ich will ein paar Anmerkungen zum Kollegen Baldauf machen. Eigentlich zwingt er mich, meine Rede vorzulesen, weil er vorhin in seiner Rede gesagt hat, der Minister verwalte, er gestalte nicht.

(Baldauf, CDU: Genau!)

Herr Kollege Baldauf, dies ist schlicht und einfach falsch. Jetzt müsste ich Ihnen meine Rede vorlesen, in der alles – – –

(Zurufe von der CDU)

Ja, das tut der Opposition weh, aber ein paar Dinge muss ich erwähnen.

All das, was das Land hat machen können, im ITBereich, im Verwaltungsbereich, macht das Land und auch in den nächsten Jahren noch. Da sind wir führend, das weiß der Kollege.

Ich verweise auf die Ausführungen meiner charmanten Kollegin, Frau Reich.

(Beifall bei der SPD)