Protocol of the Session on November 10, 2004

Eines müssen wir uns doch eingestehen, wo die Durchschaubarkeit fehlt, wo die Nachvollziehbarkeit nicht mehr gegeben ist, wo keine Transparenz wenigsten im möglichen Maße mehr gegeben ist, dort geht Vertrauen verloren oder dort kann Vertrauen nicht gewonnen werden, meine Damen und Herren.

(Beifall der CDU und bei der FDP)

Das muss man sehen. Es ist schon alles so furchtbar kompliziert. Was erwarten wir von den Menschen? Wenn sie das mitbekommen, was in Brüssel passiert – die europäischen Strukturen –, oder wenn sie dann hören „Zustimmung“ und „Kanzlermehrheit“ usw., fragen sie einmal auch politisch interessierte Menschen, wie weit sie das übersehen und wie weit sie das verstehen. Ich denke, auch vor dem Hintergrund unseres demokratischen Selbstverständnisses und der Stabilität der demokratischen Gesellschaft ist die Frage des Bemühens um Nachvollziehbarkeit und Transparenz außerordentlich wichtig.

Meine Damen und Herren, jetzt sind das große Worte. Ich weiß, das Leben ist mühsam. Das Leben ist konkret. Der Föderalismuskommission geht es wie dem Eichhörnchen. Es ernährt sich mühsam und mit endlosem Fleiß. Glücklicherweise gehört die Bundesregierung dieser Kommission nicht an. Sie ist zurzeit unbestreitbar der größte Hemmschuh. Was die Bundestagskollegen betrifft, will ich doch sagen, es gibt hier sehr unterschiedliche Positionen und sehr viel Bemühen bei einer ganzen Reihe von Kollegen. Auch das sollten wir anerkennen.

Meine Damen und Herren, ich begrüße auch, dass der Fraktionsvorsitzende der SPD deutlich gemacht hat, und zwar mehrfach, dass es hier zuerst einmal um die Meinungsbildung der Parlamentarier geht und nicht um die Position der Bundesregierung.

Meine Damen und Herren, was die Länder betrifft, gibt es ein grundsätzliches Problem. Das ist die Schwäche der Position der Länder bei allem Bemühen der Ministerpräsidenten um eine gemeinsame Position, Herr Ministerpräsident. Das ist Groß und Klein und Ost und West und Reich – wer ist heute noch reich, also in Anführungszeichen – und Arm, wobei es auch sein Gutes hat, dass die Trennlinien nicht entlang der parteipolitischen Strukturen laufen, sondern dass hier unterschiedliche Konstellationen zum Tragen kommen, wobei manches schon zu bedauern ist.

Meine Damen und Herren, wenn ich es recht sehe, wäre es möglich gewesen, dass die Länder die Gesetzgebungshoheit über die Steuern hätten erhalten können, deren Ertrag den Ländern zusteht. Das wäre möglich gewesen. Das ist ganz offensichtlich an der Sorge einiger Länder gescheitert. Ich finde es schon irgendwo

ganz gut und bemerkenswert, dass der Bayerische Landtag, als er die „Münchner Erklärung“ verabschiedet hat, einen Punkt hinzugefügt hat: Die Landesparlamente sollen für die Steuern, die voll den Ländern zufließen, die volle Gestaltungskompetenz erhalten, also auch für die Steuersätze. Verantwortung ist mühsam.

Meine Damen und Herren, ich befürchte, dass hier eine große Chance verloren gegangen ist. Was zu tun ist und worum es geht, das ist gesagt worden.

Noch einmal: Es geht erstens um die Stärkung der Durchsetzungsmöglichkeiten des Bundestags. Das muss sein, auch im Sinne einer Situation, die dem zweiten großen Feld, den Ländern, mehr Kompetenzen zuspricht. Das muss beides ineinander greifen. Die Schnittstelle ist die Zustimmungspflicht des Bundesrates.

Meine Damen und Herren, es ist in der Tat nicht einzusehen, dass der Bund die organisatorische Umsetzung im Einzelnen bestimmt, und es ist nicht einzusehen, wenn in Trier bei der ADD ein Oberregierungsrat und zwei Sachbearbeiter bei der Umsetzung eines Gesetzes mitwirken – ich vergröbere etwas –, dass daraus eine Zustimmungspflicht des Landes Rheinland-Pfalz entsteht. Das heißt, hier müssen wir wirklich schneiden. Wenn das nicht gelingt, hier wenigstens entscheidend zu schneiden, dann schmeckt mir das Essen – um das Bild von vorhin zu gebrauchen – nicht so furchtbar. Die Stärkung der Durchsetzungsmöglichkeiten des Bundes, die Stärkung der Kompetenzen der Länder – da will ich doch noch einmal sagen, was vernünftig wäre –, eine erhebliche Reduzierung der konkurrierenden Gesetzgebung, ein Wegfall, zumindest ein weitgehender Wegfall der Rahmengesetzgebung wäre möglich, wenn man wirklich will.

Es gibt einen Punkt, die Abwanderung des deutschen Kulturguts ins Ausland, wo man eine Regelung finden müsste.

Meine Damen und Herren, es gäbe bei den drei Gemeinschaftsaufgaben die Möglichkeit, zumindest den Hochschulbau in die Kompetenz der Länder zu übertragen. Wenn man wollte, könnte man weiter gehen. Je größer und je weiter Europa wird, umso geringer wird die Bedeutung der nationalen Wirtschafts- und regionalen Strukturförderung. Insofern könnte auch das ins Auge gefasst werden. Aber das ist eine Überforderung der derzeitigen Möglichkeiten. Das sehe ich auch.

Herr Kollege Schiffmann hat zu Recht bedauert, dass die Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland nicht zur Debatte steht.

Frau Präsidentin, ich komme gleich zum Schluss.

Das ist ein weites und großes Feld und ein großes Thema für die Zukunft.

Nur ein Beispiel. Ich bleibe bei dem Land Thüringen, weil ich dem besonders verbunden bin. Meine Damen und Herren, wenn die Thüringer Steuereinnahmen um 1 Million Euro sinken, steigen die Leistungen aus dem Länderfinanzausgleich um 950.000 Euro. Das kann mit

Blick auf Wettbewerb und das Bemühen um das Sinnvolle und Richtige nicht sinnvoll und richtig sein.

(Beifall der CDU, bei SPD und FDP)

Hier gibt es in der Tat ein großes Thema, auch für die Zukunft.

Herr Kollege Schiffmann, was Artikel 23 des Grundgesetzes betrifft, sollte man es bei dem belassen, was jetzt im Grundgesetz steht. Der Bund will weniger, die Länder formulieren mehr. In der Tat ist Absatz 4 des Artikels 23 schon ein bisschen weitreichend, dass dort, wo Zuständigkeiten der Länder betroffen sind, die Länder nur in den Prozess einbezogen werden müssen. Auch das könnte man sich anders vorstellen. Ich denke, von Artikel 23 des Grundgesetzes sollten die Beteiligten die Finger lassen. Dann können sie sich bei anderen Dingen ein bisschen mehr einigen.

(Beifall des Abg. Dr. Schiffmann, SPD)

Meine Damen und Herren, ich habe die Bitte an den Herrn Ministerpräsidenten – er ist der Einzige, der in diesem Kreis mit am Tisch sitzt –, dass die Ministerpräsidenten das irgend Mögliche tun. Ich habe an diesem Tisch schon einmal formuliert, ich misstraue den Ministerpräsidenten, aber parteiübergreifend, damit ich niemandem zu nahe trete.

Meine Damen und Herren, die Ministerpräsidenten mit ihren Einflussmöglichkeiten und die Landesregierungen sind die großen Gewinner der letzten 30 Jahre. Das ist gar keine Frage. Die eigentlichen Verlierer sind die Parlamente.

Uns bringt es wenig, wenn wir irgendwelchen Illusionen nachjagen. Das haben wir alle schon formuliert, auch wir in dieser rheinland-pfälzischen CDU-Kommission. Wenn wir alle möglichen Papiere rechtzeitig bekommen und dazu gefragt werden, dann läuft das meist nicht ganz so. Was wir brauchen, ist eine ganz nüchterne Kompetenzausweitung, der – da gebe ich Herrn Kollegen Schiffmann Recht – sich die Landtage dann allerdings auch als würdig erweisen müssen.

(Glocke der Präsidentin)

Vielen Dank.

(Beifall im Hause)

Ich erteile Frau Abgeordneter Morsblech das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Als wir es im März des vergangenen Jahres in diesem Hause geschafft haben, eine gemeinsame rheinland-pfälzische parlamentarische Position zum Föderalismuskonvent zu formulieren, haben wir viel Hoffnung in den 31. März des letzten Jahres gesetzt. Wir

haben eine eigene Position formuliert, die dann auch in die Lübecker Erklärung eingeflossen ist. Es hat sich auch einiges dort wiedergefunden.

Der gemeinsame Konvent der Länderparlamente hat in uns Hoffnungen auf einen Anstoß zu einem Prozess geweckt, der in eine wirkliche Modernisierung unserer bundesstaatlichen Ordnung mündet. Es war der richtige Weg, dass der Konvent die Kommission zur Modernisierung der bundesstatlichen Ordnung als gemeinsames Bund-Länder-Gremium ins Leben gerufen hat. Unser föderales System – das haben meine Kollegen schon gesagt – muss wieder funktionsfähiger werden, Kompetenzen müssen entflochten und wieder klarer den einzelnen Ebenen zugeordnet werden, damit Bund und Länder wieder mehr eigene politische Entscheidungen treffen können. Transparenz, Bürgernähe und Subsidiarität müssen die Leitlinien der Föderalismusdebatte sein.

(Beifall der FDP und vereinzelt bei der SPD)

Mittlerweile hat die Kommission schon einige Zeit gearbeitet. Die verschiedenen Interessengruppen haben unterschiedliche Papiere vorgelegt, in denen sie sich positioniert haben. Einzelfragen wurden immer wieder neu diskutiert und formuliert. Gemeinsam und einzeln wurde immer wieder Stellung bezogen. Es gab auch viele politische Fragen, die irgendwo anders entstanden sind und wo man gesagt hat, dass man sie aus dem Zusammenhang herausnimmt und die Föderalismuskommission sich bitte darum kümmern möge.

Mittlerweile haben wir alle mehrere Ordner, in denen die einzelnen Positionspapiere enthalten sind. Ich möchte deshalb nur noch einmal kurz drei davon aufgreifen, auch nur am Rande, bevor dann verständlicherweise die Einzelpositionen zurückgestellt werden müssen und ich etwas zum Stand der Debatte sage.

Am ehesten gemeinsam wiederfinden können wir uns mit Sicherheit bei den großen Linien in der Position der Präsidentinnen und Präsidenten der Landesparlamente, zuletzt formuliert in der Münchener Erklärung.

Ich möchte kurz noch einmal aufgreifen, dass die Fraktionsvorsitzenden meiner Partei auch eine gemeinsame Position formuliert haben. Diese geht in einigen Punkten weiter. Es gibt in dem Reigen auch ein Papier der Ministerpräsidenten. Auch das zeigt klare Ziele auf und bekennt sich deutlich zum Föderalismus, formuliert Schritte zu dessen Stärkung.

Das FDP-Papier geht deshalb am weitesten, weil es einen ganz klaren Wettbewerbsföderalismus fordert, das Prinzip der Einfachheit und das Prinzip der Klarheit beinhaltet. Die Aufgaben und Zuständigkeiten des Bundes sollen ganz klar getrennt werden. Bei der Neuabgrenzung gibt es dann keine Rahmengesetzgebung mehr. Es gibt auch keine konkurrierende Gesetzgebung mehr. Es gibt nur noch zwei Arten der Gesetzgebung, nämlich die der Länder und die des Bundes. Wir halten das für die klarste Lösung.

Wir gehen auch in anderen Punkten weiter – beim Abbau von Mischfinanzierungen. Wir sagen etwas zur

Finanzverfassung, auch wenn das jetzt nicht mehr zur Debatte steht, und zum eigenen Steuerfindungsrecht. Das beinhaltet auch, dass die Länder bei der Zustimmungspflichtigkeit im Bundesrat an Kompetenzen verlieren.

Aber selbst wenn man alle Dinge nebeneinander legt und sich die einzelnen Positionen anschaut, dann sind gerade auch diejenigen Papiere, die nicht mehr unseren Idealvorstellungen oder anderer Leute Idealvorstellung entsprechen, die über Parteigrenzen hinweg entstanden sind, die im Fall des Papiers der Präsidentinnen und Präsidenten der Landesparlamente ganze Parlamente repräsentieren, von großer Bedeutung. Gerade diese Papiere geben in der Endphase der Debatte bis zum 17. Dezember das gemeinsame Reformziel vor und zeigen Schritte dahin auf. Wir wären dankbar, wenn wenigstens einige wichtige Schritte davon realisiert werden könnten.

Zum jetzigen Stand der Debatte: Es zeichnet sich in einem Punkt ein deutlicher Konsens ab. Bund und Länder sind sich weitgehend darüber einig, dass Berlin als Bundeshauptstadt im Grundgesetz beschrieben werden soll.

In fast allen anderen Bereichen sieht es anders aus. Im Einzelnen auf die Konfliktfelder einzugehen, sprengt den Rahmen. Ich greife deshalb ein Politikfeld heraus, das uns in den Ländern besonders betrifft. Das ist das der Bildungspolitik. Hier wird es dann auch schon sehr schwierig. Das konnte man heute wieder in einigen Zeitungen im Rahmen der Debatte über die Studiengebühren nachlesen. Das sieht man exemplarisch an der Finanzierung der Ganztagsschule durch den Bund, worüber es auch eine Diskussion gab. Das sieht man bei dem Ruf des Bundes nach mehr Kompetenzen auf dem bildungspolitischen Feld als Lösung für die in den OECD-Studien formulierten Probleme.

Es gibt – wie gesagt – noch viele andere Bereiche. Wenn man die offiziellen Verlautbarungen der Bundesregierung liest – darauf ist Herr Kollege Schiffmann schon eingegangen –, dann wird dort zwar eine klarere Reform des Föderalismus gefordert. Aber das Argument, warum man diese braucht, ist dann: Die Bundesrepublik muss in der Europäischen Union handlungsfähiger werden, wir brauchen gleichwertige Lebensverhältnisse, wir müssen als Standort erkennbar sein und dafür werben können, die Investitionsbedingungen müssen wir verbessern, indem man – da kann man Frau Ministerin Zypries mit Genehmigung der Frau Präsidentin kurz zitieren –, damit wir sagen können, „Kommt nach Deutschland, investiert hier, hier habt ihr gute Bedingungen“ und man nicht sagen muss, „Hier habt ihr an fünf verschiedenen Standorten fünf verschiedene Bedingungen“. Das entspricht nicht unbedingt der Idee des Wettbewerbsföderalismus.

(Beifall der FDP und bei der SPD)

Es passieren auch noch andere Dinge. Am 27. Oktober 2004 findet sich bei „FAZ-Online“ ein Bericht über das Verhalten des Bundeskabinetts in der Kommission zur Neuordnung der bundesstaatlichen Ordnung. Man weiß immer nicht, ob das, was die Medien schrei

ben, dem entspricht, was tatsächlich gesagt wurde. Hier wird zunächst formuliert, dass man sich seitens der Bundesregierung noch nicht festgelegt habe, weil der schwierige Prozess der Verhandlungen nicht durch Festlegungen und öffentliche Stellungnahmen gefährdet werden darf.

Laut „FAZ-Online“ wirft der Bund im gleichen Atemzug den Ministerpräsidenten vor, dass sie mit einer klaren Positionierung eine Schützengrabenmentalität erzeugen würden. Gerade unsere Verfassung, gerade die Zukunft und das Funktionieren unseres Staates sind Themen, die meiner Ansicht nach in einem offenen gesellschaftlichen Prozess diskutiert werden müssen. Gerade an dieser Stelle müssen die Entscheidungen für die Bürgerinnen und Bürger transparent und nachvollziehbar sein.

Kurz zurück zum Thema „Bildung“. Bei diesem Thema sieht man meiner Ansicht nach sehr deutlich, dass die Fronten – sofern es Schützengräben bei dieser Debatte gibt – nicht entlang der Parteigrenzen verlaufen. Mir erscheint es nicht so, dass alle Bundestagsabgeordneten eine Stärkung der Parlamente im Blick hätten, wenn sie diese Debatte führen, Herr Präsident. Die FDPGeneralsekretärin, Frau Pieper, hat sich in den vergangenen Wochen wiederholt für eine nationale Bildungsstrategie stark gemacht. Die Kultusministerkonferenz und die Länderzuständigkeit hat sie dabei mitunter als Kleinstaaterei und Chaos bezeichnet. Eine nationale Bildungsstrategie werde damit begründet, dass es eine enge Allianz geben muss, und zwar von Familien- und Bildungspolitik sowie frühkindlicher Bildung, Schule, Wirtschaft und außerschulischem Leben. Deshalb dürfen nach Meinung von Frau Pieper die Länder nur noch beteiligt werden, indem es ein nationales Gremium gibt, zusammengesetzt aus Bundespolitikern und Experten. Die Länder können dabei, wenn sie wollen, ein Mitspracherecht wahrnehmen. Sie argumentiert dabei genauso wie die Bundesregierung. Sie sagt nämlich, dass man sonst international den Standort Deutschland nicht vermarkten könne.

Mittlerweile gibt es eine dritte Schiene in der Debatte, die Herr Kollege Dr. Gölter angesprochen hat, nämlich die Positionen unterschiedlichster Interessenverbände, die uns in den vergangenen Wochen zugegangen sind. Dabei ist einiges zusammengekommen von der GEW, von den Jägern, von Förstern, der Jugendhilfe usw. Es wird deutlich gemacht, dass zum Teil sehr berechtigte Bedenken bestehen, wenn gesetzgeberische Kompetenzen an die Länder übertragen werden, dass man die derzeitige Rechtslage, die finanzielle und organisatorische Situation sowie die Realität der Betroffenen berücksichtigen muss. Viele dieser Probleme wurden von uns bereits aufgegriffen. Manche dieser Vorschläge sind deshalb schon wieder vom Tisch.