Protocol of the Session on July 1, 2004

2. Es ist niemand dafür verantwortlich zu machen, dass es keine Sondermaßnahmen gegeben hat, weil das eben nicht vorhersehbar war.

Diese Vorbemerkung ist meiner Meinung nach notwendig und trägt zur Versachlichung der Diskussion bei.

Wir haben im vergangenen Sommer über einen vergleichsweise langen Zeitraum hinweg Extremtemperaturen bei Tag und in der Nacht gehabt. In Frankreich, wo es ebenfalls eine Hitzeperiode gab, haben daraufhin insbesondere Ärzte und Pflegepersonal relativ schnell Alarm geschlagen und von einer vermehrten Todeszahl insbesondere bei älteren Menschen berichtet. Man hat das dann in Frankreich zunächst ad hoc und später statistisch sehr detailliert untersucht. Man kam dann auf eine Größenordnung von ungefähr 15.000 Menschen, die in Frankreich im Verlauf dieser Hitzeperiode mehr gestorben sind als in Vergleichsjahren zuvor.

Wir haben in Rheinland-Pfalz – auch die südwestdeutschen Länder waren von dieser extremen Hitzeperiode betroffen – Ende August vergangenen Jahres bei der Landesregierung angefragt, ob es auch bei ihr Erkenntnisse gibt, dass es Probleme in diesem Feld gibt. Man konnte damals noch keine Aussagen treffen. Das statistische Material lag noch nicht vor.

Wir haben daraufhin im Frühjahr dieses Jahres, als das statistische Material vorlag, wieder nachgefragt. Dabei kamen Zahlen heraus, von denen ich nicht behaupten möchte und auch nie behauptet habe, dass sie unmittelbare Schlussfolgerungen zulassen, aber man muss sie zumindest würdigen. Diese Zahlen sagen im Kern aus, dass wir in der Hitzeperiode des vergangenen Jahres in bestimmten höheren Altersgruppen ungefähr 1.000 Tote mehr als in den fünf Vergleichsjahren vorher hatten. Das ist eine signifikante Steigerung.

Wir haben daraufhin gesagt, dass man diese Zahl ernst nehmen und zumindest Vorsorge treffen muss. Problematisch ist – deshalb habe ich die Vorbemerkung gemacht, dass für das, was im vergangenen Jahr passiert ist, wirklich niemand verantwortlich gemacht werden

kann –, dass die Landesregierung zum einen diese Zahlen vermeldet hat und zum andern sagt, sie würde aber keinen Zusammenhang sehen, sodass sich daraus kein unmittelbarer Handlungsbedarf ergebe.

Erst dann haben wir unseren Antrag „Vorsorgemaßnahmen für ältere Menschen bei Hitzeperioden“ formuliert, weil wir es zumindest nicht ausschließen können, dass ein solches Extremereignis wieder auftritt und wir auf jeden Fall Vorsorge treffen wollen, dass alles getan werden kann, um den Menschen zu helfen. Das sind im Wesentliche sehr undramatische Maßnahmen. Das bedeutet, dass man das Umfeld, die Betroffenen selbst, das professionelle Pflegepersonal, aber auch die Öffentlichkeit, Nachbarn, Verwandte usw. informieren muss, was zu tun ist, wenn so etwas auftritt. Wir haben das in diesem Antrag zusammengefasst und gesagt, dass sehr viele Maßnahmen mit relativ kleinem Aufwand sehr schnell zu realisieren sind. Die Maßnahmen, insbesondere Informationsmaßnahmen, sind in diesem Antrag zusammengefasst.

Wir haben darüber hinaus gesagt, dass wir mittelfristig die Sache auch ein bisschen mehr beleuchten und über Ad-hoc-Maßnahmen hinausgehen müssen. Deshalb schlagen wir dazu eine Anhörung im Sozialpolitischen Ausschuss vor.

Bis gestern hat es die Koalition nicht für notwendig gehalten, zu diesem Thema zu handeln. Gestern ist nun ein Alternativantrag der Koalition zu unserem Antrag eingegangen, der in weiten Teilen überhaupt keine Alternative darstellt. Daher kann ich ihn zunächst einmal insofern begrüßen, dass Sie endlich etwas tun.

Zusammengefasst beinhaltet der Antrag Folgendes: Er konkretisiert zum Teil und nimmt das auf, was wir im ersten Teil unseres Antrags geschrieben haben. Er unterscheidet sich in dem Punkt, dass man keine längerfristigen Maßnahmen im Rahmen einer Anhörung diskutieren will.

Ich mag das Vorgehen von Ihnen jetzt nicht weiter kommentieren. Ich sage nur, dass Sie damit endlich eingestanden haben, dass es in diesem Feld einen Handlungsbedarf gibt.

Das ist positiv zu vermerken. Ich denke, dass wir bei dem nicht stehen bleiben können, was wir nun ad hoc und sofort machen können, sondern darüber hinaus denken müssen. (Glocke des Präsidenten)

Deshalb wäre eine Anhörung im Sozialpolitischen Ausschuss über längerfristige Maßnahmen sinnvoll und notwendig.

Herzlichen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die SPD-Fraktion hat Herr Abgeordneter Dröscher das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie auch mir eine Vorbemerkung. Bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts weisen die Sterbestatistiken große, gar extreme Schwankungen auf. Lebenszeit und Tod wurden durch Krieg und Krankheitsepidemien, Hungerzeiten und klimatische Bedingungen stark beeinflusst.

In den ländlichen Gebieten lässt sich der Jahresablauf mit seinen arbeitsintensiven – das heißt den lebendigen – Zeiten und den Ruhezeiten auch an den Sterbetafeln aus dieser Zeit ablesen. Erst die moderne Gesellschaft mit ihren medizinischen Möglichkeiten und den Fortschritten in Ernährung, Bildung und Hygiene hat aus dieser Fieberkurve eine gerade Linie ohne messbare Ausschläge gemacht.

Der heiße Sommer des Jahres 2003 hat uns aus dieser eher trügerischen Sicherheit herausgerissen und aufgeschreckt. Die Hitzewelle hatte – das ist inzwischen auch für Deutschland belegt – gesundheitliche Auswirkungen für die Bevölkerung, die sich in einer so genannten Übersterblichkeit bestimmter Risikogruppen niederschlug.

Eine Kommission der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften hat diese Zusammenhänge inzwischen untersucht und auch Schlussfolgerungen aufgezeigt. Ich will zwei Faktoren nennen, die in einer Kumulation zu dieser Situation geführt haben, nämlich zum einen gefahrengeneigte Wetterlagen. Ich will nicht weiter über das Wärmehaushalts-Modell dieser Kommission reden, die den Einfluss der thermischen Bedingungen auf die Gesundheit näher beschreibt.

Zum anderen haben wir zunehmend auch mit diesen Risikogruppen zu rechnen. Hier holt uns die demographische Entwicklung ebenfalls ein. Zu diesen Risikogruppen gehören ältere Menschen und Menschen mit eingeschränkter Anpassungsfähigkeit.

In diesem Kommissionsbericht gibt es eine ganze Reihe Einzelheiten zu den physiologischen Vorgängen. So holen junge Menschen Flüssigkeitsverluste und Austrocknungseffekte, Hyperhydrationseffekte, sehr viel schneller als ältere Menschen auf, bei denen dies weitgehend zu intensivpflichtigen medizinischen Behandlungen führt. Offenbar müssen wir uns – auch das ist eine Folge der Gesamtentwicklung – darauf einstellen, dass mit solchen Kumulationseffekten in Zukunft häufiger zu rechnen ist.

Was ist zu tun? Informationen und Warnungen sind sicher wichtig. Die Hitzebelastung muss als Problem erkannt werden, und zwar nicht nur in den sozialen Einrichtungen, sondern auch im Alltag; denn viele ältere oder geschwächte Menschen leben zu Hause. Es müssen spezielle Kenntnisse der Prävention und der Therapie vermittelt werden. Auch Warnsysteme sind wichtig.

Die Anträge der GRÜNEN, aber auch der SPD- und der FDP-Fraktion liegen vor. Das Herz eines Sozialpolitikers schlägt höher, wenn man ein solch umfangreiches Pa

pier wie den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf den Tisch bekommt. Beim näheren Hinschauen enthält dieser unserer Meinung nach aber zu viel Bürokratie und – ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen – etwas Aktionismus.

(Beifall der SPD und der FDP)

Auch Ihre Aussage, dass die Landesregierung bisher keinen Handlungsbedarf gesehen hat, trifft nicht zu; denn die Landesregierung hat bereits gehandelt. Die Heimaufsicht und der MDK prüfen im Rahmen der Qualitätssicherung seit Jahren auch die Flüssigkeitsversorgung der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner. In der Pflegeausbildung – ich habe selbst über viele Jahre auf diesem Gebiet gearbeitet – ist dieses Thema seit langem Teil des Lernstoffes.

Ein entsprechendes Informationspapier wurde mittlerweile von der Landesregierung an die Einrichtungen verteilt. Es gibt einen Ratgeber, der nach Auskunft der Landesregierung in Arbeit ist, und zwar zum Thema „Was tun bei Hitze?“.

Vor diesem etwas weniger spektakulären Hintergrund haben die Fraktionen der SPD und der FDP ihren Alternativantrag eingebracht. Wir bitten dieses Plenum heute um Zustimmung für diesen Antrag, damit jetzt, und zwar zu Beginn dieses Sommers, weitere Schritte und Maßnahmen erfolgen können. Das Thema eignet sich nicht als Füllthema für das Sommerloch.

Ich danke Ihnen.

(Beifall der SPD und der FDP)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Altherr das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss auch die Historie bemühen. Schon im Alten Testament steht: Manasse, der Mann der Judith, war bei der Erntearbeit. Da kam die Hitze über sein Haupt. Er fiel zu Bett und war tot.

Sie sehen, der Hitzetod ist schon damals biblisch erwähnt worden. Das, was der Kollege Dröscher über Mortalitätsstatistiken gesagt hat, ist richtig. Bei der statistischen Betrachtung der GRÜNEN muss man kritisieren, dass man die Sterberate nicht nur punktuell für zwei Monate in einem Jahr betrachten kann. Man muss sehen, ob diese überhöhte Sterblichkeit durch die Hitzewelle im Sommer zu einer erhöhten Sterblichkeit im darauf folgenden Herbst und Winter geführt hat; denn das gehört zur Gesamtbetrachtung.

Unbeschadet dessen könnte ich auch einen propädeutischen Exkurs über die physiologischen und pathophysiologischen Vorgänge beim Hitzetod halten. Das würde heute zu weit führen.

Tatsache ist, dass alte Menschen und kleine Kinder, wie zum Beispiel Neugeborene und Säuglinge, im Flüssigkeitshaushalt weitaus sensitiver als Erwachsene und Jugendliche reagieren. Das hängt mit den drei Flüssigkeitskompartimenten zusammen, die der Mensch hat, nämlich das Interstitium, intrazellulär und extrazellulär. Beim Kleinkind und beim älteren Menschen befinden sich 70 % der Flüssigkeit im extravasalen Raum. Das ist der entscheidende Unterschied.

Bei der Hyperthermie kommt es dazu, dass der Organismus reagiert, und zwar einmal über die Wärmestrahlung – rund 70 % gehen über die Wärmestrahlung ab –, die Verdunstungskälte – das sind ungefähr 25 % – und der Rest über Konvektion. Genau das ist das Problem bei den alten Menschen. Diese sind in aller Regel dehydriert.

(Glocke des Präsidenten)

Ist die Zeit schon um?

Herr Kollege, ich wollte nur um mehr Ruhe bitten.

Sie trinken zu wenig, weil das Durstgefühl beim alten Menschen alteriert ist. Das liegt im Limbischen System am dritten Ventrikel, also ein sehr komplexes System.

Aus dem Grund kommt es dazu, dass wir unsere besondere Aufmerksamkeit dem Trinkverhalten der älteren Menschen und der Kleinkinder bei Hitzeperioden widmen müssen.

Nun kommt es dazu, dass die periphären Gefäße weit gestellt werden. Dadurch wird die Wärmeabstrahlung erzielt. Die zentralen Gefäße konstringieren, ziehen sich zusammen. Es kommt zu einer Erhöhung des Herzzeitvolumens, einer Pulsfrequenzsteigerung und aufgrund der verminderten Flüssigkeit durch die Schweißabsonderung einer Eindickung des Blutes. Dadurch kommt es zu einer Herz-Kreislauf-Belastung, die letztendlich zum Tod führt.

Wir wissen auch, dass der gesunde Mensch 10 Tage bis 20 Tage ohne Wasseraufnahme in Abhängigkeit des äußeren Milieus überleben kann. Wir wissen auch, dass eine Kerntemperatur von 43,5 ° zum Tod führt. Das sind – pathophysiologisch gesehen – die Ursachen.

Nun zu den Vorschlägen. Es ist gesagt worden, wir sollen der Hyperthermie keinen Hyperaktionismus folgen lassen. Eine Anhörung im Gesundheitsausschuss erachte ich für etwas überzogen. Unbeschadet dessen sind unsere Pflegeheime, Krankenhäuser und Ärzte auf die Behandlung solcher Vorfälle vorbereitet. Ein Jahrhundertsommer kommt nicht alle Jahre vor.

Wir sollten, wie der Kollege Dröscher gesagt hat, die Dinge gelassen angehen und dort Vorsorge treffen, wo es notwendig ist. Außerdem sollten wir im Ausschuss

dieses Thema beraten, ohne eine Anhörung durchzuführen. Auch die CDU hat Interesse daran, dass gerade die alten Menschen diese Hitzeperioden gut überstehen, und zwar nicht zuletzt aus wahlpolitischen Gründen. Das will ich einmal dazu sagen.

Wir sollten im Ausschuss diese Gegebenheit noch einmal sachlich diskutieren und die Heimaufsicht, die Pflegeheime, die Gesundheitsämter und die behandelnden Ärzte entsprechend mit einbinden.

Danke schön.

(Beifall der CDU)