Protocol of the Session on April 29, 2004

Wir wollen eine Strukturveränderung in diesem Sinn und keine Betreuungsrate von bis zu 3 %, 4 %, 5 %, 6 % oder 8 % in den rheinland-pfälzischen Städten und Landkreisen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen dazu eine grundlegende Debatte, die in diese Richtung führt.

Herr Kuhn, ich frage mich, warum Sie als FDP diese Aktuelle Stunde beantragt haben. Nur um zu sagen, wir belegen Platz drei? Das reicht noch nicht. Dann kommt Herr Dr. Gölter und sagt zu Recht, die Arbeitsplätze

zählen. Aber was hören wir von Ihnen? Die BASF baut in Ludwigshafen 15.000 Arbeitsplätze ab.

(Zuruf des Abg. Creutzmann, FDP)

Große Firmen bauen alle ab. Es gibt keine Deindustrialisierung. Das wissen wir. Es gibt eine Produktivitätssteigerung.

(Zuruf des Abg. Creutzmann, FDP)

Natürlich gibt es weniger Arbeitsplätze in der Industrie. Das ist vollkommen klar. Aber es gibt mehr Produktion in der Industrie. Da müssen Sie sehen, dass Sie neue Arbeitsfelder aufmachen müssen.

Es bleibt aber nicht nur in der Wirtschaftspolitik die Nanotechnologie – insgesamt bestimmt eine hoffnungsvolle Geschichte –, aber eben nicht die einzige, das heißt, wir müssen uns den Initiativen, die die Bundesregierung startet anschließen. Sie werden sich nicht wundern, dass ich dies jetzt sage: Erneuerbare Energien und Export in diesem Bereich ist für Deutschland, für Rheinland-Pfalz die größte Chance, Arbeitsplätze im Export zu schaffen, weil wir da Technologieführer sind.

(Frau Grützmacher, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sehr richtig!)

Es hat doch keinen Sinn, irgendwo eine Technologie aufzubauen, die wir dann weiterhin nicht führend begleiten können. Weltmarktführer kann man nur werden, wenn man Technologieführer ist. Das kann man nicht verordnen. Das kann man sein.

(Zuruf des Abg. Creutzmann, FDP)

Das sind wir bei den erneuerbaren Energien. Wenn wir in der Welt technologisch führend sind, dann hat es einen Sinn, daraus einen Exportschlager zu machen und Arbeitsplätze zu schaffen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dazu müssen Sie sich auch bekennen. Wir haben im Land Rheinland-Pfalz die besten Voraussetzungen dafür. Wir haben die Chemische Industrie, die wir dafür brauchen. Außerdem haben wir das technische Knowhow im Handwerk, Anlagen zu installieren.

Das ist eine Erfolgsstory, der Sie sich anschließen müssen. Wenn Sie sich nicht anschließen, dann vergeben Sie Chancen für das Land Rheinland-Pfalz.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Glocke des Präsidenten)

Sie haben gesagt, der Zuwachs komme von den Rentnern in Rheinland-Pfalz. Das kann nicht die Perspektive sein. Wir sind nicht das Mallorca Europas. Wir haben zwar eine Chance darin, dass Leute Rheinland-Pfalz schön finden und wir damit den Tourismus ankurbeln können, aber der Zuwachs muss durch die jungen Leute

kommen, und zwar durch attraktive Angebote beim Studium und durch attraktive Angebote für Familien.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es spricht Herr Innenminister Zuber.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! In der fraglichen Studie werden alle 440 deutschen Landkreise und kreisfreien Städte auf ihre Zukunftsfähigkeit hin untersucht. Dazu hat das Institut 22 Indikatoren ausgewählt, die einen direkten oder indirekten Ausblick auf die Zukunft ermöglichen sollen.

Die einzelnen Bewertungen wurden für die Schwerpunktbereiche Demographie und Wirtschaft sowie darüber hinaus zur Ausländerintegration, zur Bildung, Familienfreundlichkeit und Flächennutzung vorgenommen. Hinsichtlich ihrer demographischen Aussagen stützt sich das Berlin-Institut auf eine regionale Bevölkerungsvorausberechnung aus dem Jahr 2003, da dies bislang die einzige Datenquelle ist, die für alle deutschen Landkreise und kreisfreien Städte Ergebnisse zur künftigen Bevölkerungsentwicklung bis zum Jahr 2020 liefert. Basisjahr der Berechnungen ist das Jahr 1999.

Die Auswertung zur Zukunftsfähigkeit der einzelnen Regionen erfolgt mit einem Punktesystem. Wir haben gehört, im Vergleich der Bundesländer rangiert Rheinland-Pfalz mit einer Gesamtnote von 3,63 auf dem dritten Platz. Hessen liegt knapp hinter Rheinland-Pfalz mit 3,64. Das Schlusslicht bildet Bremen mit einer Gesam tnote von 4,57.

Der Unterschied zwischen den so ermittelten Besten und Schlechtesten beruhigt mich keinesfalls; denn er beträgt ganze 1,5 Punkte. Dieses Ergebnis sagt sehr deutlich, dass erheblicher Handlungsbedarf besteht.

Unter den Kriterien der Studie schneidet innerhalb von Rheinland-Pfalz bei den kreisfreien Städten die Stadt Mainz mit 3,19 am besten und Pirmasens mit 4,73 am schlechtesten ab. Bei den Landkreisen belegen MainzBingen mit 3,14 und Germersheim mit 3,18 die Spitzenplätze, während der Landkreis Birkenfeld mit 4,09 am Ende der Skala liegt.

In einem Punkt allerdings trifft die Einschätzung des Instituts zumindestens auf Rheinland-Pfalz bezogen nicht zu. Nach Ansicht des Berlin-Instituts wurde der regionalen Dimension der demographischen Veränderung zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Gerade Rheinland-Pfalz hat sich mit den eingeleiteten Schritten auf eine intensive Auseinandersetzung mit diesem Thema eingestellt. Sie wissen alle, dass das Statistische Landesamt Rheinland-Pfalz bereits im November 2002 eine regionalisierte Bevölkerungsvorausberechnung mit dem Titel „Rheinland-Pfalz 2050 – Bevölkerungsent

wicklung und Struktur“ – Basisjahr der Berechnungen ist das Jahr 2000 – vorgelegt hat.

Im September 2004 ist eine weitere Veröffentlichung zu den Auswirkungen des demographischen Wandels geplant. Das Kabinett trat zu einer Klausur am 1. Juli 2003 zusammen, um sich speziell diesem Thema zu widmen. Es wurden drei Institute beauftragt, Regionalstudien zu erarbeiten, deren Ergebnisse bei einer zweiten Klausur vorgestellt werden, die für November dieses Jahres geplant ist. Nicht zuletzt hat der Ministerrat in seiner vergangenen Sitzung den Raumordnungsbericht 2003 gebilligt, der als einen Schwerpunkt die demographische Entwicklung herausstellt.

Die rheinland-pfälzische Landesregierung schenkt also mit ihren Aktivitäten der regionalen Dimension der Bevölkerungsentwicklung nicht nur Aufmerksamkeit, sondern sie handelt auch.

Doch zurück zur Studie. Im Gegensatz zu den kreisspezifischen Berechnungen des Statistischen Landesamts werden die demographischen Prozesse der Zukunft in der Studie mit Durchschnittswerten berechnet. Die Berechnung des Bundesamts kommt bis zum Jahr 2020 zu einer Zunahme um knapp 3 %, während die Modellvarianten unseres Statistischen Landesamts zwischen einem Rückgang der Bevölkerungszahl um 1 % und 5 % liegen. Diese Abweichungen beruhen insbesondere auf den unterschiedlichen Wanderungsannahmen. Während das Institut Wanderungsüberschüsse in Höhe von 20.000 Menschen im Jahr prognostiziert, gehen wir nach unserem Dafürhalten von realistischen Entwicklungen aus, so wie sie sich im Licht des Jahres 2002 und bis zum heutigen Tag zeigen.

Diese Annahme des Bundesinstituts erscheint den Fachleuten in Bad Ems als viel zu optimistisch und ist auch im Rahmen der vergangenen Ministerkonferenz für Raumordnung übereinstimmend als korrekturbedürftig bezeichnet worden.

In den Berechnungen des Statistischen Landesamts wurde in der so genannten oberen Variante ein Wanderungsüberschuss von 10.000 Personen angenommen, was dem langfristigen Durchschnitt der Nettozuwanderung in der Vergangenheit tatsächlich entspricht. Aufgrund der insgesamt niedrigeren Bevölkerungszahl für das Jahr 2020 kommt es daher bei den Berechnungen des Statistischen Landesamts in den einzelnen kreisfreien Städten und Landkreisen zu etwas ungünstigeren Entwicklungen. Das Ranking der Regionen hinsichtlich der künftigen Bevölkerungsentwicklung ist allerdings bei beiden Untersuchungen vergleichbar. Die Landkreise Alzey-Worms und Neuwied schneiden am günstigsten, die Region Westpfalz mit den Städten Pirmasens und Zweibrücken sowie dem Landkreis Südwestpfalz am ungünstigsten ab. Gleiches gilt für künftige Veränderungen der Altersstruktur der Bevölkerung.

Ich möchte zum Beitrag des Herrn Kollegen Dr. Gölter Folgendes anmerken dürfen: Ich hoffe, dass seine Aufforderung – so habe ich es zumindest verstanden – auch morgen und übermorgen vernommen wird, wenn wir erneut in Berlin zusammensitzen, um endlich eine Lösung des Zuwanderungsgesetzes zu bekommen. Nach

den Äußerungen, die Herr Kollege Beckstein heute Morgen im Frühstücksfernsehen gemacht hat, habe ich jedoch begründete Zweifel daran. Es wäre dringend an der Zeit, nachdem wir mehr als ein halbes Jahr lang in zähen Sitzungen die Thematik erörtert haben, zu einer Lösung zu kommen.

(Beifall der SPD, der FDP und des Abg. Dr. Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, natürlich zeigen sich künftige Entwicklungen positiver, je optimistischer Annahmen getroffen werden. Die demographische Thematik darf nicht als Angstmacherthema – das will ich besonders herausstellen – behandelt werden, wie man es teilweise durch die Medien erfahren muss. Gerade vor diesem Hintergrund ist es wichtig, sich nicht auf ein nach einer oder mehreren Studien möglicherweise besseres Abschneiden bloß zu verlassen. Dies kommt nicht naturläufig und fällt auch nicht vom Himmel, sondern heute und jetzt sind die Weichen zu stellen, die eine positive Entwicklung erst möglich machen. Dazu ist im Verlauf der Diskussion einiges gesagt worden, was ich nicht wiederholen muss.

Die Landesregierung hat diese Notwendigkeit erkannt. Sie handelt danach.

(Beifall bei SPD und FDP)

Es spricht Herr Abgeordneter Kuhn.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle den Appell an die CDU wiederholen. In den nächsten Tagen könnte die Entscheidung fallen, dass wir zu einem vernünftigen Zuwanderungsgesetz kommen. Vielleicht wäre es ganz sinnvoll, wenn Herr Kollege Dr. Gölter den einen oder anderen Kollegen in der CDU/CSU einmal anrufen könnte.

Zum Zweiten war es schon bemerkenswert, wie sich Herr Kollege Dr. Braun in dieser Technologiedebatte aus der eigentlichen Thematik herausgewunden hat. Es war bemerkenswert, den Schwerpunkt auf alternative Energien zu legen, obwohl es grundsätzlich um allgemeine und wirtschaftspolitische Positionierungen ging. Wenn Sie diese Studie lesen, merken Sie, dass gerade Ihre Konzepte im Hinblick auf Infrastruktur und Schaffung von Arbeitsplätzen alles konterkarieren.

(Beifall der FDP und vereinzelt bei der SPD)

Aus dem Grund weichen Sie heute aus. Das ist jedem klar geworden.

Meine Damen und Herren, es sind drei Schlussfolgerungen aus dieser Studie und auch aus dieser Debatte zu ziehen.

1. Da muss ich mich dem Pessimismus in der Demographiedebatte entgegensetzen. Ich kann nur das unterstützen, was Herr Innenminister Walter Zuber gesagt hat und was auch der Ministerpräsident immer deutlich macht. Wir haben überhaupt keinen Anlass, in Rheinland-Pfalz den Kopf in den Sand zu stecken und eine Negativdebatte zu führen. Führen wir die Debatte pos itiv; denn wir haben enorme Chancen, die Zukunft in Rheinland-Pfalz zu gestalten.

2. Wir können und werden diese Strukturveränderung in Rheinland-Pfalz bewältigen. Wir haben den Mut dazu, und auch diese Studie macht Mut dazu.

(Glocke des Präsidenten – Jullien, CDU: Werner, das war’s! Mach Schluss! Es hört ohnehin niemand mehr zu!)