Es gibt dann auch verschiedene Ebenen, bei denen man beim Jugendlichen selbst ansetzen muss, nämlich bei der kognitiven Ebene, bei der emotionalen Ebene und bei der Verhaltensebene. Das sage ich nur, um zu skizzieren, dass das Problem hoch komplex ist und es nicht auf einzelne Fälle beschränkt werden kann, die sich dann gerade an der berufsbildenden Schule zeigen.
Die Komplexität versuchen wir, in diesem Land aufzugreifen, indem die Maßnahmen auch sehr vielschichtig sind. Deshalb kann man nicht sagen, an den Schulen wird nichts getan, und deshalb kann man auch nicht sagen, dass auf anderen Ebenen nichts getan wird, sondern es gibt enorm viele Angebote, die sich gerade die Schulen selbst auf die eigene Situation zuschneiden können.
Dazu gehören die Programme „PROPP“ und „PIT“ und „Ich, Du, Wir“ sowie das Programm der Streitschlichter. Dazu gehört auch, dass im Schulgesetz verankert wird, dass die Lehrpläne den veränderten Lebenswirklichkeiten Rechnung tragen und in sehr vielen Fächern Gewaltprävention im Unterricht verankert und Unterrichtsthema ist. Dazu gehört, dass Gewaltprävention Bestandteil unzähliger Qualitätsprogramme und Schulentwicklungsprogramme ist, wie wir jetzt sehen konnten. Es gibt eine Lehrerfortbildung, die sehr breit angelegt ist. Es gibt regionale Kriminalpräventive Räte, die schon angesprochen worden sind. Der Landespräventionstag im vergangenen Jahr hat versucht aufzuzeigen, wie breit die Palette ist. Egal was man aufzählt, man vergisst immer etwas. Das ist ganz gut so, da das sehr breit gefächert angelegt sein muss.
Die Schulsozialarbeit – das haben wir gerade gehört – ist in fast allen berufsbildenden Schulen mit Berufsvorbereitungsjahr angelegt. Man muss aber auch sehen, dass man an dieser Stelle den Schulsozialarbeitern nicht komplett die Aufgabe anlastet bzw. ihn für die komplette Aufgabe verantwortlich macht, die Prävention in solchen Fällen zu leisten.
Man kann auch noch Verbände nennen, die auf ehrenamtlicher Basis viel dazu tun. Es sind der Kinderschutzbund und die Jugendverbände zu nennen. Das gilt gerade auch für den Bereich der Medienkompetenz. Aber selbst wenn sich alle engagieren und niemand wegschaut, wird es immer wieder Fälle geben, in denen Menschen Konflikten gern aus dem Weg gehen. Daran müssen wir meiner Meinung nach gesellschaftlich weiter sehr intensiv arbeiten und dazu auch unseren eigenen Beitrag leisten sowie mit vielfältigen Programmen daran arbeiten. Es wird nie möglich sein, eine komplette Biographie,
die dazu führt, dass sich so etwas entwickelt, so zu beeinflussen, dass man zu 100 % davon ausgehen kann, dass man Gewalt vermeiden kann.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Gewalt und Gewaltbereitschaft bei Kindern und Jugendlichen ist in der Tat ein sehr ernst zu nehmendes Problem. Deshalb bin ich dankbar, dass wir – wenn auch in kurzer Zeit – heute die Möglichkeit haben, das Thema zumindest noch einmal anzudiskutieren.
Gewalt und Gewaltbereitschaft bei Kindern und Jugendlichen einzudämmen, bedarf unser aller Kräfte. Ich sage das bewusst am Anfang. Dies nicht deshalb, um etwas von Schule und Schulaufsicht, die da große Aufgaben haben, wegzunehmen, sondern um das in den realistischen Rahmen zu rücken, dass die Schulen das nicht allein schaffen können, sondern sie Unterstützung aus vielen anderen gesellschaftlichen Gruppen und ihrem Umfeld benötigen. Ich komme darauf noch einmal zurück.
Erschreckend an den jüngst auch in Rheinland-Pfalz bekannt gewordenen Ereignissen ist für mich besonders, dass Schülerinnen und Schüler zum Teil über einen längeren Zeitraum Opfer von Gewalt durch Mitschülerinnen und Mitschüler geworden sind, ohne dass dies bekannt wurde und man darauf reagieren und daran arbeiten konnte. Deshalb will ich sagen, dass es aus meiner Sicht das oberste Gebot ist, dass wir eine noch stärkere Sensibilisierung bei allen Beteiligten zu diesem Thema bekommen, dass wir aber den Schwerpunkt darauf legen, gerade auch Kinder und Jugendliche mit Zivilcourage auszustatten und ihnen das Gefühl zu geben, dass wir ihnen dann auch zur Seite stehen.
Ich bin froh über den Ton, in dem diese Debatte stattfindet. Herr Abgeordneter Schreiner, ich sage aber sehr deutlich an dieser Stelle, dem Dienstherrn oder der Dienstherrin, um die es da wohl geht, mangelndes Interesse vorzuwerfen oder auch zu sagen, dass die Lehrerinnen und Lehrer von ihrem Dienstherrn alleine gelassen werden, trifft nicht nur mich persönlich, die ich mich um diese Einzelfälle zum Teil mit kümmere, sondern das trifft auch alle meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die im täglichen Kontakt mit den Schulen stehen.
Sie haben eine Reihe von Punkten angesprochen, bei denen aus Ihrer Sicht Schwerpunkte zu setzen sind. Ich teile viele dieser Bereiche. Deshalb will ich auch einige nennen.
Wir setzen bei den Schülerinnen und Schülern an, indem wir sie vor allen Dingen zu gewaltfreien Konfliktlösungen erziehen wollen und indem wir ihr Selbstwertgefühl stärken wollen, damit in der Schule ein Klima der Anerkennung Platz greifen kann. Wir haben in mehreren Anfragen und auch im Ausschuss ausführlich diskutiert, wie weit inzwischen Streitschlichterprogramme verbreitet sind und wie weit Präventionsprogramme verbreitet sind. Wir haben aber auch auf solche Aspekte hingewiesen, dass wir zum Beispiel unter dem Thema „Kinder gestalten Gemeinschaft“ oder aber unter dem Thema „Menschenrechte/Menschenpflichten“ dies in die Demokratieerziehung von Kindern einordnen. Damit fangen wir selbstverständlich nicht erst in der Berufsschule an, sondern das ist schon ein Schwerpunkt in Kindertagesstätten.
Der zweite Schwerpunkt ist die Lehrerfort- und -weiterbildung für alle Schularten mit spezifischen Angeboten zur Gewaltthematik. Ich darf darauf hinweisen, dass das Institut für schulische Fortbildung und schulpsychologische Beratung allein im ersten Halbjahr dieses Jahres 20 Fortbildungsmaßnahmen zu diesem Thema anbietet, die auch von den Lehrerinnen und Lehrern in Anspruch genommen werden.
Ein zweiter Punkt ist sicherlich die Verstärkung dieses Themas in der Lehrerausbildung. Mit Herrn Kollegen Zöllner bin ich mir einig, dass es auch ein Thema sein wird, wenn es um die pädagogischen Qualifikationen von Lehrerinnen und Lehrern geht, sie noch besser damit auszustatten. Es gibt aber auch schon heute in den BBS-Seminaren, zum Beispiel im Rahmen der Ausbildung, spezielle Angebote für Lehrkräfte, die in BVJund BGJ-Klassen zum Einsatz kommen.
Ein dritter wichtiger Bereich ist sicherlich die Vernetzung der Arbeit sowohl auf Landesebene als auch auf kommunaler Ebene. Das bedeutet Zusammenarbeit mit der Schulaufsicht, Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe, Zusammenarbeit mit der Polizei, Zusammenarbeit im Landespräventionsrat und in den Kriminalpräventiven Räten. Hier ist gerade in den vergangenen Jahren eine ganze Menge in Bewegung gekommen.
Ich will etwas zu den BBS-spezifischen Angeboten sagen. Neben den speziellen Fortbildungen, neben speziellen Maßnahmen zum Thema „Diagnostik“, zum Beispiel für den Bereich der Berufssonderpädagogik, neben speziellen Projekten auch im Rahmen des Förderprogramms des Bundes „Berufliche Qualifizierung für Jugendliche mit besonderem Förderbedarf“ ist eben die Schulsozialarbeit an den berufsbildenden Schulen ein Schwerpunkt.
Frau Brede-Hoffmann hat bereits darauf hingewiesen, wir haben im berufsbildenden Bereich an 46 von 48 berufsbildenden Schulen mit Berufsvorbereitungsjahr spezielle Schulsozialarbeiterinnen und -sozialarbeiter. Wir haben im Rahmen des Strukturkonzepts für die berufsbildenden Schulen vorgesehen, dass dies zum kommenden Schuljahr noch einmal um weitere 3,5 Stellen ausgeweitet wird, obwohl der Haushalt sehr, sehr angespannt ist. Wir setzen einen Schwerpunkt, weil auch wir wissen, dass die Lehrerinnen und Lehrer Unterstützung brauchen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bitte aber auch darum – beides ist schon von unterschiedlichen Rednerinnen und Rednern angesprochen worden –, dass wir zwei Fehler nicht machen. Zum einen müssen wir dieses Thema sehr, sehr ernst nehmen. Wir müssen präventiv arbeiten, und wir müssen auch jeden Einzelfall, der leider passiert, aufklären und darauf reagieren. Dies muss mit großer Sorgfalt angegangen werden. Ich sage aber auch, dass wir nicht den Eindruck erwecken dürfen, als ob solche schlimmen Fälle den schulischen Alltag dominierten.
Sie passieren zu oft. Wir müssen dagegen arbeiten. Es passiert auch heute schon sehr viel in unseren Schulen, um Gewalt zu verhindern, damit diese nicht stattfindet. Wenn wir darüber nicht reden, frustrieren wir auch diejenigen, die jeden Tag mit großem Engagement hunderte von Fällen verhindern.
Es ist auch der zweite Punkt angesprochen worden. Gewalt in der Schule ist Gewalt in dieser Gesellschaft. Die Ursachen liegen oft außerhalb des schulischen Bereichs – das ist bereits gesagt worden –, wie zum Beispiel im Umfeld, oder sie haben familiäre Gründe.
Deswegen wären die Schulen allein überfordert, mit diesem Problem umzugehen. Aus diesem Grund brauchen wir die aktive Zusammenarbeit mit den Eltern, mit Akteuren im sozialen Umfeld, mit lokalen Netzwerken, der Jugendhilfe und der Polizei. Auch hier wollen wir weiter daran arbeiten.
Für mich ist der wichtigste Punkt, dass wir Perspektiven mit und für die Jugendlichen erarbeiten müssen; denn der schulische Bereich, der seinen Beitrag zweifelsohne leisten muss, wird es dann um vieles besser können, wenn wir den Jugendlichen insgesamt auch nach der Schule eine Perspektive vermitteln. Ich glaube, das ist
Frau Ministerin Ahnen, niemandem ging es in dieser Debatte darum, irgendetwas schlechtzureden. Das konnte man aus meiner Rede nicht hören. Insofern ist das eine Argumentation, die ich nicht nachvollziehen kann. Das sage ich ganz deutlich.
Frau Ministerin, Sie haben die Zivilcourage genannt. Ich habe versucht, es in meiner Formulierung zu sagen. Wir brauchen eine Kultur des Hinschauens. Ich glaube, beides hat im Endeffekt denselben Tenor. Das ist tatsächlich etwas, auf das wir einen verstärkten Fokus richten sollten und müssten. Das ist auch unsere Verantwortung als Politikerinnen und Politiker.
Frau Brede-Hoffmann hat Recht, wenn sie sagt, das wäre nicht die Schuld der einzelnen berufsbildenden Schulen, sondern es handele sich um ein gesellschaftliches Problem.
Ich möchte noch auf einen Punkt eingehen. Der langfristigste Weg zur Prävention von Gewalttaten an unseren Schulen ist der über die allgemein bildenden Schulen und die Kindertagesstätten. Herr Kollege Schreiner hat das angesprochen.
Es ist nämlich ein Armutszeugnis für unser Schulsystem, dass wir 10 % Schülerinnen und Schüler eines Schülerjahrgangs ohne Abschluss aus den allgemein bildenden Schulen entlassen. Ich glaube, das ist ein entscheidender Punkt. Man muss sich einmal anschauen, was im PISA-Siegerland Finnland passiert. Es ist ein gewaltiger Unterschied, dass dort über die individuelle Förderung und das gemeinsame Lernen diese Rate auf 3 % reduziert wird.
Es wäre vielleicht ein Signal, wenn wir die Landesregierung auffordern würden, ein Konzept zu entwickeln und mit dem Landtag eine Zielvereinbarung abzuschließen, in den nächsten fünf Jahren die Quote der Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss auf 5 % zu reduzieren. Damit wären viele Ursachen für Gewalttaten an den berufsbildenden Schulen beseitigt. Das ist meine persönliche Meinung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich appelliere an uns alle, den jungen Menschen mehr anzubieten als Warteschleifen, Frust und Perspektivlosigkeit. Hier stehen wir in der Verantwortung.