Protocol of the Session on December 12, 2003

1. Wie wird sich unter Berücksichtigung der neu erteilten Errichtungsoptionen für Ganztagsschulen in neuer Form im Schuljahr 2004/2005 deren Verteilung regional und schulartbezogen darstellen?

2. Wie beurteilt die Landesregierung die bisher umgesetzten und geplanten Organisationsmodelle im Hinblick auf die in der Entwicklungsphase vorgege

benen Zielsetzungen und unter dem Aspekt der Schulentwicklung durch Ganztagsangebote?

3. Weisen die Konzepte und Organisationsformen der geplanten und mit Errichtungsoptionen versehenen Schulen wesentliche Unterschiede zu den in dem Bericht der Landesregierung (Drucksache 14/2661) dargestellten Ganztagsschulen seit dem Schuljahr 2002/2003 auf?

Es antwortet Frau Bildungsministerin Doris Ahnen.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Frau Brede-Hoffmann beantworte ich namens der Landesregierung wie folgt:

Zu Frage 1: Vergeben sind bisher 163 Genehmigungen und 75 Optionen, also zusammen 238. Diese erfreuliche Entwicklung lässt es aus heutiger Sicht unzweifelhaft erscheinen, dass die Planungen, in dieser Legislaturperiode 300 zusätzliche Ganztagsschulen einzurichten, ohne Einschränkungen umgesetzt werden können.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der FDP)

Rheinland-Pfalz nimmt damit eine Spitzenposition bei der Schaffung zusätzlicher Ganztagsschulen ein.

Bei der Verteilung der Errichtungsoptionen in den bisher durchgeführten drei Auswahlverfahren wurde die Qualität der eingereichten Anträge unter Berücksichtigung der Errichtungskriterien, des Bedarfs, der regionalen Ausgewogenheit, aber auch unter Berücksichtigung der Orientierungswerte pro Kreis zugrunde gelegt. Ich betone „Orientierungswerte“. Diese Orientierungswerte sehen drei bis vier Grundschulen, mindestens eine Schule mit dem Förderschwerpunkt Lernen, eine bis zwei Hauptschulen sowie zwei weitere Schulen der Sekundarstufe I vor. Dabei müssen immer die Größe der Gebietskörperschaft und ihre schulische Angebotsstruktur sowie der Bedarf beachtet werden.

Die Orientierungszahl ist in manchen Gebietskörperschaften bereits erreicht oder sogar überschritten. In anderen bestehen noch Ergänzungsmöglichkeiten.

In den bisherigen Verfahrensrunden wurde über alles ein gutes Verteilungsergebnis erreicht und dabei insbesondere der Bedarf berücksichtigt.

Zu Frage 2: Die Ganztagsschulen organisieren ihre Angebote ergänzend zum Unterricht nach der Stundentafel und sonstigen Veranstaltungen, die zum Regelbetrieb gehören. Dabei bietet sich ihnen die Möglichkeit, den gesamten Zeitraum von 8 bis 16 Uhr organisatorisch und pädagogisch neu zu gestalten und Ganztagsklassen

einzurichten. Wir nennen das so genannte Organisationsmodell Ganztagsschule I.

Dieses Modell konnte dann umgesetzt werden, wenn ausreichend Schülerinnen und Schüler für die Bildung von Ganztagsklassen angemeldet wurden und an den jeweiligen Standorten prognostiziert werden konnte, dass die Klassen in mehreren Jahrgangsstufen Bestand haben werden, also so genannte Züge entstehen.

Das Organisationsmodell I ist im Startschuljahr von acht Schulen und im zweiten Schuljahr nach zuletzt vorliegenden Rückmeldungen an 20 Schulen umgesetzt worden, an 20 Schulen in der reinen Form oder Mischform mit additiven und zügigen Strukturen. In der Mischform sind in manchen Jahrgangsstufen Ganztagsklassen eingerichtet, in anderen wird additiv organisiert.

In der Startphase entschieden sich die meisten Schulen, vor allem im Hinblick auf die zunächst leichtere Organisierbarkeit, für das so genannte Organisationsmodell II. Sie ergänzten die unterrichtlichen Veranstaltungen am Vormittag um pädagogische Angebote am Nachmittag, die die vier verbindlichen Gestaltungselemente berücksichtigten. Dabei kam ihnen zugute, dass in der Regel außerschulische Partner nur am Nachmittag ihre gerade aus Schülersicht attraktiven Projekte anbieten konnten.

Nach Auffassung einiger Schulen, die dies als besonderen Vorteil herausstellen, entwickelt sich, gerade weil die Kinder klassen- und auch klassenstufenübergreifend in Arbeitsgemeinschaften, Neigungskursen oder Förderangeboten zusammenkommen, ein günstiges Schulklima.

Einige Schulen werden nach eigenem Bekunden im nächsten Schuljahr oder in einem der Folgejahre über die Einführung einer zügigen Organisation entscheiden, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind.

Die Zustimmung der Eltern zur Organisation der neuen Ganztagsschule ist sehr hoch. Mehr als 80 % der im Rahmen der POLIS-Studie im vergangenen Jahr befragten Eltern sind zufrieden mit der Organisation ihrer Ganztagsschule. Beachtenswert dabei ist der Grad der Zufriedenheit. Er ist unabhängig davon, ob die Schule das Organisationsmodell I oder II verwirklicht hat.

Die jetzt vorgesehenen weiteren 75 Ganztagsschulen haben noch keine endgültige Entscheidung über ihre Organisationsstruktur getroffen. Sie werden vor den verbindlichen Anmeldungen im März 2004 ihr Konzept im Rahmen von Informationsveranstaltungen und Gesprächen mit Eltern sowie Schülerinnen und Schülern vorstellen.

Zu Frage 3: Das pädagogische Rahmenkonzept der Landesregierung und die Ausstattung mit pädagogischem Personal sowie die Öffnungsmöglichkeit, außerschulische Fachkräfte einzubeziehen, wird breit akzeptiert. Da sich die neuen Schulen sehr stark an den Organisationsformen und Konzepten der bereits eingerichteten Ganztagsschulen orientiert haben, was auch sinnvoll ist, werden im Grundsätzlichen keine wesentlichen Unterschiede zwischen alten, also zunächst genehmigten, und neuen, also den jetzt vergebenden Optionsschulen, entstehen.

Entscheidend ist also nicht, wann eine Ganztagsschule eingerichtet wurde oder wird, sondern welche konkreten Standortbedingungen die Ganztagsschule berücksichtigen muss. Dazu gehört in erster Linie das Eingehen auf die oft auch von Standort zu Standort ganz unterschiedlichen Stärken und Schwächen in der Schule, aber auch bei Kindern und Jugendlichen.

So weit die Antwort der Landesregierung.

Gibt es Zusatzfragen? Das ist nicht der Fall.

Die Mündliche Anfrage ist beantwortet.

(Beifall der SPD und der FDP)

Ich rufe nun die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Christian Baldauf (CDU), Jugendheim „Mühlkopf“ in Rodalben, Modell „Heimerziehung statt Untersuchungshaft“ – Nummer 9 der Drucksache 14/2732 – betreffend, auf.

Herr Abgeordneter Baldauf, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Nach dem tragischen Ereignis in dem Jugendheim in Rodalben, bei dem eine Mitarbeiterin von drei Jugendlichen bei einem Fluchtversuch tödlich verletzt wurde, ergeben die Ermittlungen nun, dass sowohl die Einweisung der Jugendlichen in das Heim als auch das dem Heimbetrieb zugrunde liegende Konzept nicht unumstritten sind.

Ich frage deshalb die Landesregierung:

1. Warum wurden die von der Heimleitung schriftlich vorgetragenen Bedenken hinsichtlich der Eignung eines der Täter für das Heim als nicht stichhaltig bezeichnet und welche Maßnahmen hat man getroffen, um die Bedenken in rechtlicher wie tatsächlicher Hinsicht auszuräumen?

2. Warum wurde in dem an das Jugendheim gerichteten Schreiben unter Androhung des Projektendes auf die Aufnahme der Jugendlichen gedrängt?

3. Inwieweit wurde bei der Erstellung des dem Heimbetrieb zugrunde liegenden Konzeptes auf mögliches Gewaltpotenzial der Jugendlichen Rücksicht genommen und welche organisatorischen wie personellen Vorkehrungen hat man getroffen?

4. Stimmt die Landesregierung zu, dass es unverantwortlich wäre, den Heimbetrieb in der gegenwärtigen Form weiterzuführen?

Für die Landesregierung antwortet Frau Staatsministerin Malu Dreyer.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Herren und Damen! Die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Christian Baldauf beantworte ich namens der Landesregierung wie folgt:

Zu den Fragen 1 und 2: Grundsätzlich ist anzumerken, dass über die Aufnahme eines Jugendlichen in der Einrichtung allein der Träger entscheidet. Dies ist in der Rahmenkonzeption, die zwischen dem Staatssekretär meines Ministeriums und der Staatssekretärin des Justizministeriums im November 2002 abgestimmt wurde, klar festgehalten.

Die Einrichtung hat seit Inbetriebnahme der Gruppe auch bereits drei Anfragen abgelehnt.

Zu den Fragen 1 und 2 ist laut Auskunft des Ministeriums der Justiz Folgendes anzumerken:

Ein Mitarbeiter des Jugendheims Mühlkopf/Rodalben hatte mit Schreiben vom 14. Oktober 2003 der Staatsanwaltschaft Koblenz mitgeteilt, dass der Jugendliche Ferid T. nicht im Rahmen der U-Haft-Vermeidung in die Einrichtung Mühlkopf/Rodalben aufgenommen werden könne. Als Gründe führte er hierfür an:

1. Es sei derzeit nicht erkennbar, welche Einrichtung der Jugendgerichtshilfe für Ferid T. zuständig sei. Der Mitarbeiter einer der beiden infrage kommenden Jugendgerichtshilfestellen habe sich als nicht zuständig bezeichnet und große Bedenken hinsichtlich der Sinnhaftigkeit einer Unterbringung nach den §§ 71 und 72 des Jugendgerichtsgesetzes geäußert.

2. Ferid T. habe seine Zustimmung für die Aufnahme in das Jugendheim Mühlkopf/Rodalben relativiert, weil ihm vorschwebe, auf legalem oder illegalem Weg wieder zu seinem Vater nach Holland gehen zu wollen. Es könne deshalb vermutet werden, dass der Jugendliche die ersten Vollzugslockerungen zur Flucht nutze.

3. Das Heim sehe sich aufgrund seiner Rahmenbedingungen und seiner Konzeption nicht in der Lage, die erforderliche Sicherstellung der Hauptverhandlung und pädagogische Arbeit zu leisten.

Mit Schreiben vom 22. Oktober 2003 wandte sich der Leiter der Staatsanwaltschaft Koblenz an das Ministerium der Justiz. Das Schreiben wurde über die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz geleitet, die es am 23. Oktober 2003 mit einem Weiterleitungsvermerk an das Ministerium der Justiz versah.

In diesem Bericht bittet die Staatsanwaltschaft das Ministerium der Justiz, gegenüber dem Jugendheim Mühlkopf/Rodalben auf zwei Missverständnisse im Zusammenhang mit der Heimunterbringung von Ferid T. aufmerksam zu machen.

Zum einen legte die Staatsanwaltschaft Koblenz als Anlage zu ihrem Bericht zwei Schreiben des Jugendamts der Kreisverwaltung Ahrweiler vom 14. und 16. Oktober 2003 vor, in denen die Zuständigkeit der

dortigen Jugendgerichtshilfe bejaht und einer Unterbringung des Jugendlichen in ein Jugendheim Mühlkopf/Rodalben zugestimmt wurde.

Ferner sei die von dem Vertreter des Jugendheims vorgebrachte Begründung nicht stichhaltig, die Absicht des Jugendlichen, nach Holland zu fliehen, stünde der Aufnahme in das Jugendheim entgegen.

Mit Schreiben vom 23. Oktober 2003 an den Leiter des Jugendheims „Mühlkopf“ in Rodalben, das gleichzeitig nachrichtlich an das Ministerium für Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheit gesandt wurde, ist der Heimleiter davon unterrichtet worden, dass die Entscheidung seines Mitarbeiters in Bezug auf die Aufnahme von Ferid T. bei der Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft Koblenz auf Unverständnis gestoßen sei. Ferner wurde dem Heimleiter mitgeteilt, dass mittlerweile die Jugendgerichtshilfe bei der Kreisverwaltung Bad Neuenahr-Ahrweiler sich für zuständig erklärt und einer Unterbringung von Ferid T. im Jugendheim „Mühlkopf“ in Rodalben zugestimmt habe.

Schließlich wird in dem Schreiben nochmals die grundsätzliche Konzeption erläutert, die für das Ministerium der Justiz und für das Ministerium für Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheit für die Einrichtung des Jugendheims „Mühlkopf“ maßgebend war. In der Vergangenheit hatten die Gerichte in Rheinland-Pfalz Unterbringungen nach §§ 71 und 72 des Jugendgerichtsgesetzes regelmäßig nicht angeordnet, weil die infrage kommenden Einrichtungen nicht entweichungssicher, aber die dort an sich unterzubringenden Jugendlichen fluchtgefährdet waren. Ziel war es also, ein baulich eintweichungssicheres Heim zu schaffen, damit die Gerichte Unterbringungen nach §§ 71 und 72 Jugendgerichtsgesetz in Erfüllung des Gesetzesauftrags vornehmen konnten.