Protocol of the Session on December 10, 2003

(Billen, CDU: Da erfahren wir wieder nichts!)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Jetzt muss ich mir die ersten Freundlichkeiten vom Kollegen Billen schon anhören, bevor ich überhaupt anfange. Lieber Michael, das ist aber auch sinnvoll; denn was deine Kollegin, Frau Huth-Haage, hier an Brandrede gehalten hat, hat uns alle tief bewegt, insbe

sondere deshalb, weil es nirgendwo brennt. Das hat uns am allermeisten beeindruckt.

Der Auftritt des Kollegen Wiechmann hat mir auch sehr gut gefallen, weil er an Unverfänglichkeit durch nichts zu überbieten war. Herr Wiechmann nutzt die Aktuelle Stunde, um sage und schreibe eine konstruktive Diskussion zu diesem Thema anzuregen. Herzlichen Glückwunsch, Herr Kollege Wiechmann: Treffer!

(Zuruf des Abg. Wiechmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Sache ist aber – da teile ich die Meinung meiner Vorredner – viel zu ernst, um sie in Platitüden untergehen zu lassen. Es geht wirklich um den entscheidenden Schritt der Menschen, die zum ersten Mal ins Berufsleben starten, die einen Ausbildungsplatz suchen. Das ist viel zu wichtig, um das in fundamentalistischen Positionskämpfen zu opfern. Ich glaube, das ist uns allen gleich wichtig. Wir wissen, was es bedeutet, einen Ausbildungsplatz zu erhalten oder ihn eben nicht zu erhalten.

Das System ist leicht zu durchschauen. Es gibt im Wesentlichen Ausbildungsplätze im Bereich der Wirtschaft. Der Staat hat dazu wichtige Zuarbeit zu leisten. Im Ergebnis – auch da bin ich überzeugt, sind wir uns alle einig – sollte ganz pragmatisch und erfolgsorientiert stehen, dass wir nicht nur genügend Ausbildungsplätze schaffen, sondern dass wir auch solche Ausbildungsplätze erhoffen, die bedarfsgerecht und chancengerecht sind. Solche Ausbildungsplätze schafft in Deutschland vor allem die Wirtschaft im dualen System. Dieses System gilt es, nicht nur zu erhalten, sondern auch zu stärken. Auf alle anderen Details darf ich in meinem zweiten Teil eingehen.

(Beifall der FDP und vereinzelt bei der SPD – Zuruf der Abg. Frau Grützmacher, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jullien, CDU: So steigert man die Spannung!)

Meine Damen und Herren, die Landesregierung tritt heute im Doppelpack auf, zunächst Herr Staatssekretär Glahn und dann Frau Staatsministerin Malu Dreyer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es gibt zwar Entschließungen in Parteien und Fraktionen zur Erhebung einer Ausbildungsplatzabgabe, eine Vorlage der Bundesregierung in dieser Sache gibt es aber bisher nicht. Andererseits gibt es eine klare Position der Landesregierung, die auch außerhalb des formalen Verfahrens konstruktiv in den Meinungsbildungsprozess eingehen kann. Zur inhaltlichen Orientierung möchte ich kurz stichwortartig die Eckpunkte der diskutierten Vorschläge nennen. Ich beziehe mich hierbei auf ein Eckpunktepapier der SPD-Bundestagsfraktion:

1. Es soll ein zentraler Fonds auf Bundesebene eingerichtet werden, durch den zusätzliche, vorrangig betriebliche Ausbildungsplätze geschaffen werden.

2. Das Umlageverfahren soll zu einem Stichtag – Vorschlag 30. September – nach bestimmten Kriterien ausgelöst werden.

3. Alle Maßnahmen sollen möglichst flexibel und unbürokratisch gestaltet werden.

4. Freiwillige Lösungen – das ist hier auch schon von Frau Grosse erwähnt worden – sollen Vorrang haben. So sollen zum Beispiel Branchen mit vergleichbaren tarifvertraglichen Vereinbarungen ausgenommen werden.

Dies sind die Kernpunkte des erwähnten Papiers zur Ausbildungsfinanzierung. Eine Gesetzesinitiative liegt nicht vor. Deshalb möchte ich die Kriterien und Leitlinien der Landesregierung vortragen, nach denen wir uns für die Ausbildung junger Menschen engagieren, und zwar für die Ausbildung möglichst aller jungen Menschen hier in Rheinland-Pfalz.

Die Landesregierung setzt auf Verantwortung und Engagement im Rahmen des geltenden Berufsbildungsgesetzes. Unser Ziel ist es, in partnerschaftlicher Verantwortung – vor allem auch Verantwortung in der Wirtschaft – jungen Menschen ausreichende Ausbildungsangebote zu bieten. Ich will auch ganz deutlich sagen, es gibt sicherlich kein formales Recht mit einem Anspruch auf einen Ausbildungsplatz, aber es sollte in der Politik Konsens sein, dass jeder junge Mensch eine berechtigte Erwartung an uns richtet, ihm einen adäquaten Ausbildungsplatz zu bieten. Wir sind allerdings der Auffassung, dass ein zusätzliches staatliches Regelwerk, das von einer solchen Verantwortlichkeit eher entlastet, nicht zielführend ist. Eine solche Regelung würde letztlich auch nicht die Grundlinie der Landesregierung stützen, die sagt: Wir wollen eher weniger Regelungen. Wir wollen das staatliche Regelwerk verschlanken.

Insofern würde ein solches Verfahren aus der gegenwärtigen Bewertung heraus eher zusätzlichen Aufwand erfordern. Ich will das an wenigen Beispielen verdeutlichen:

1. Es muss also ein handhabbares Auslösekriterium geben,

(Billen, CDU: Für was?)

nach dem man dieses Umlageverfahren in Gang setzt. Man wird hier zum Beispiel statistische Werte einsetzen müssen. Es wird natürlich schon bei der Nutzung von statistischen Daten Interpretationsraum geben. Es wird unterschiedliche Bewertungskriterien geben, und es wird auch eine gewisse statistische Unsicherheit geben. Das erfahren wir letztendlich seit Jahren.

2. Für den Gesamtbedarf einer solchen Umlage muss eine Erhebung vorgenommen werden. Es sind zum Beispiel durchschnittliche Ausbildungskosten und viele vergleichbare Größenordnungen, die hier hereinkom

men. Es wird ein Aufwand sein, und es wird natürlich auch eine erhebliche Diskussion zwischen den Partnern sein, um hier jeweils die Größenordnung einigermaßen vernünftig festlegen zu können.

3. Der zu bildende Fonds soll zusätzliche – das ist ausdrücklich in dem Eckwertepapier auch so gesagt –, vor allem betriebliche Ausbildungsplätze schaffen. Alternative sind dann überbetriebliche Ausbildungsplätze. Ich denke, wir sind uns einig, unser erstes vordringliches Ziel ist, eine betriebsnahe, also eine möglichst in ausbildenden Betrieben stattfindende duale Ausbildung zu haben, also unser klassisches Modell zu verstärken und fortzusetzen, während letztlich ein großer Zuwachs an überbetrieblichen Ausbildungsplätzen das Risiko enthält, dass die Absolventen dieser Ausbildungsgänge wegen ihrer doch stärkeren Betriebsferne geringere Chancen am Arbeitsmarkt haben.

Ich möchte einen letzten Gesichtspunkt nennen: Ein Umlagesystem kann natürlich auch dazu führen, dass Betriebe ihr Engagement, das weit über ihren Bedarf vielleicht hinausgeht, zurücknehmen auf eine kritische Grenze, vielleicht sogar eine Grenze, wo sie sagen: Da sind wir in Zukunft in einem Förderverfahren drin, lasst uns doch diesen Weg gehen.

Das heißt, es könnte sein, das Ganze gerät zu einem stark kalkulatorischen Element im Betrieb. Wir sind der Auffassung, Ausbildung ist mehr als ein solches Element. Insofern ist die Wirkung einer solchen Maßnahme jedenfalls heute nicht in allen Punkten vorhersehbar.

Es gibt wenig Erfahrungen. Es gibt sehr viele Prognosen, wie sich das Ganze entwickeln wird. Deshalb setzt die Landesregierung zunächst auf ihre bewährten Instrumente, um Ausbildungsangebote zu sichern. Es ist uns in diesem schwierigen Jahr in Rheinland-Pfalz wieder gelungen, die angespannte Lage zu reduzieren, ich sage nicht, das Problem zu überwinden. Wir haben in den letzten vier Wochen durch viele ineinander greifende Maßnahmen zusätzliche Ausbildungsplätze gewinnen können. Ich denke, es ist spürbar, dass in RheinlandPfalz die Frage der Ausbildung, Chancen für junge Menschen, Chefsache ist. Sie ist nicht nur Chefsache, sondern auch persönliche Sache des Ministerpräsidenten, was durch die vielfältigen Gespräche, ovaler Tisch, Initiativen auf breitester Ebene, deutlich wird. Das ist ein atmosphärischer Teil, der wahrscheinlich nicht zu unterschätzen ist.

(Zuruf von der CDU)

Die Finanzierungsanreize für die Errichtung zusätzlicher betrieblicher Ausbildungsplätze werden angenommen und sollen letztlich 2004 in modifizierter Form fortgesetzt werden, worüber noch entschieden werden muss. Die Anreize richten sich zum einen an Existenzgründer, zum anderen an Betriebe, die über ihr Ausbildungskontingent hinaus vor allen solchen jungen Menschen einen Ausbildungsplatz geben, die Schwierigkeiten hätten, weil sie bestimmte Schwächen mitbringen.

In wenigen Tagen wird mit dem Landesarbeitsamt, den Industrie- und Handelskammern und den Handwerkskammern des Landes eine Vereinbarung fortgeschrie

ben, die die Grundlage für die gemeinsam finanzierte Lehrstellenakquise abgibt. Bisher sind in diesem Bereich beachtliche Erfolge erzielt worden. Es werden Fachkräfte unterwegs sein, um zusätzliche Ausbildungspotenziale ausfindig zu machen und jungen Menschen zu helfen.

Wir verfolgen den Weg ohne Sanktion, aber mit Motivation. Wir möchten zusätzliche Verwaltungsaufwendungen vermeiden, weil wir uns auf das Hauptziel Ausbildung konzentrieren wollen und nicht auf Verfahren, die viel Zeit kosten.

Zwei Elemente sind für die Stärkung der Ausbildungsbereitschaft besonders wichtig:

1. Dazu gehören unbestritten die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, in denen Betriebe ihre Perspektive sehen. Hierfür engagiert sich die Landesregierung kontinuierlich. Für die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ist in den nächsten Tagen und Wochen bundesweit Politikfähigkeit gefordert. Viele junge Menschen werden auf die Politik schauen und fragen, wie sie dieses löst und ob sie fähig ist, diese Lösungen gemeinsam zu erarbeiten.

2. Das Bewusstsein, dass Ausbildung durch die Betriebe die entscheidende Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe ist, gehört auch dazu. Unser Ziel ist es, zu diesem Bewusstsein zu motivieren. Zur Wahrheit gehört auch, dass dieses Bewusstsein an der einen oder anderen Stelle entwicklungsfähig ist.

(Beifall bei SPD und FDP – Bracht, CDU: Ist die Landesregierung für oder gegen eine Abgabe?)

Nachdem sich Frau Ministerin Dreyer entschieden hat, am Schluss der Debatte zu sprechen, erteile ich Herrn Abgeordneten Weiner das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben im Sommer gehört, dass die Landesregierung kritisch einer Zwangsabgabe gegenübersteht.

(Mertes, SPD: Haben Sie die Ohren nur, damit Sie – – – Schwarz, SPD: Was heißt Zwangsabgabe?)

Ausbildungsabgabe oder Zwangsabgabe. Natürlich ist es eine Zwangsabgabe für die Betriebe, wenn es gesetzlich geregelt wird.

Im November haben wir den Ministerpräsidenten beim Bundesparteitag der SPD gesehen. Dort wurde bekanntlich für diese Abgabe votiert. Wir haben heute Herrn Kollegen Wiechmann am Pult erlebt, der ein flammendes Plädoyer für die Abgabe gehalten hat, wobei er es verharmlosend eine Umlage genannt hat. Herr Staats

sekretär, es war wichtig, dass wir heute dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt haben, um zu hören, wie die Landesregierung inzwischen dazu steht,

(Zuruf des Abg. Schmitt, CDU – Zurufe von der SPD und der FDP)

ob die Vorgaben des SPD-Parteitages wichtiger als das sind, was wir heute hier hören.

(Beifall der CDU – Mertes, SPD: Vorgaben, reden Sie keinen Unsinn, Sie Wicht!)

Die Kollegin von der SPD hat sich ein Hintertürchen offen gelassen.

(Mertes, SPD: Wir brauchen keine Hintertürchen, wir gehen durch Scheunentore!)

Sie hat gesagt, im Moment sind wir gegen diese Abgabe, aber so ganz doch nicht. Wir behalten diese Keule nach wie vor im Beutel,

(Unruhe bei der SPD)

um gelegentlich damit zu drohen und zuzuschlagen.

Noch einmal im Klartext: Weitere Abgaben führen dazu, dass das Produzieren in Deutschland teurer wird. Weitere Abgaben treiben noch mehr Betriebe, die am Rand der Zahlungsunfähigkeit stehen, in die Insolvenz. Weitere Abgaben verursachen natürlich eine große Bürokratie, Herr Wiechmann. Dieses Geld soll der Wirtschaft entzogen werden. (Zuruf des Abg. Wiechmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jede Abgabe verursacht Verwaltung und Bürokratie. Da beißt die Maus keinen Faden ab.