Protocol of the Session on September 11, 2003

Im Koalitionsvertrag ist festgelegt, dass an den Universitätsstandorten Kaiserslautern, Mainz und Trier ein System der Hochbegabtenförderung geschaffen werden soll. Diese Entscheidung wurde vor Bekanntgabe der Ergebnisse der PISA-Studie getroffen. Darauf muss einmal hingewiesen werden.

(Beifall bei SPD und FDP)

Im Bildungsbereich haben wir mittlerweile eine neue Zeitrechnung, nämlich die Zeit vor und nach PISA. Deshalb ist es erfreulich, dass durch die PISA-Studie die differenzierte Förderung zu einem Hauptthema wurde. Deshalb hat der vierte Standort in Koblenz eine so große Resonanz gefunden.

(Beifall bei SPD und FDP)

Meine Damen und Herren, Begabungen sind heterogen. Deshalb gibt es in allen Schularten begabte Schülerinnen und Schüler, die unabhängig von sozialem Hintergrund und Geschlecht gefördert werden müssen. Mit der vorzeitigen Einschulung oder dem Überspringen von Klassenstufen wird schon im Grundschulbereich den begabten Schülerinnen und Schülern Rechnung getragen. An allen weiterführenden Schulen erhalten Schülerinnen und Schüler die Chance, in Arbeitsgemeinschaften oder als Einzelpersonen an verschiedenen Wettbewerben teilzunehmen. In diesem Zusammenhang verweise ich auf „Schüler experimentieren“, „Jugend

forscht“ sowie Bundesbewerbe im musischen Bereich, in alten und neuen Sprachen und im naturwissenschaftlichen Bereich. Es gibt viele AG-Angebote in allen Schulbereichen. An fast allen Gymnasien und Hochschulstandorten arbeiten diese Schulen zusammen mit den Hochschulen vor Ort.

An vielen Gymnasien findet bilingualer Unterricht entweder in Englisch oder Französisch statt. An vier Gymnas ien in Rheinland-Pfalz wird sowohl die deutsche Hochschulreife als auch das französische Baccalaureat angeboten.

Seit dem Schuljahr 1997/98 können alle Gymnasien mit der Einrichtung von so genannten Projektklassen nach dem BEGYS-Modell beginnen. Dreizehn Gymnasien haben davon Gebrauch gemacht. BEGYS bedeutet Begabtenförderung am Gymnasium mit Verkürzung der Schulzeit. Zur Erläuterung: Ab der Klassenstufe 7 können besonders motivierte, leistungsbereite und leistungsbefähigte Jugendliche die Mittelstufe um ein Jahr verkürzt durchlaufen. Die 9. Klasse wird übersprungen. Die Lehrpläne wurden dabei nicht verändert. Am Ende der 10. Klasse werden die Projektklassen aufgelöst und die Schülerinnen und Schüler nehmen am ganz normalen Schulalltag der MSS teil.

Die bundesweite erste Junior-Akademie ist eine gelungene Ergänzung der Begabtenförderung. Vierzehn Tage lang hatten dieses Jahr Siebt- und Achtklässler aus Rheinland-Pfalz am Eifelgymnasium Neuerburg das Vergnügen, neben dem normalen Ferienprogramm je nach Interessenlage mit qualifizierten Experten und Lehrkräften arbeiten zu können.

In Kaiserslautern hat nun zu Beginn des neuen Schuljahrs der Unterricht für die 1. Klasse an der Hochbegabtenschule begonnen. 22 Kinder – 18 Jungen und 4 Mädchen – sollen in dieser Schule eine ganzheitliche Förderung ihrer Persönlichkeit und ihrer kognitiven und emotionalen Entwicklung, der Entfaltung ihrer Kreativität, der Herausbildung ihres Begabten- und Leistungsprofils erfahren. Ein weiter Schwerpunkt wird und muss aber auch die Erziehung zur sozialen Verantwortung sein.

Meine Damen und Herren, diese Schule wurde als erster Standort ausgewählt, weil es sich um ein Sportgymnas ium handelt und es deshalb schon Erfahrungen mit besonders begabten Kindern – in diesem Fall im sportlichen Bereich – hat. Hier gibt es schon Konzepte zur individuellen Förderung und auch ein Internatsangebot mit zweieinhalb Erzieherstellen, das von ungefähr der Hälfte der neuen Schülerinnen und Schüler in Anspruch genommen wird. Dieses Angebot ist wichtig und an allen weiteren Hochbegabtenschulen notwendig; denn jede Schule hat einen überregionalen Auftrag.

(Glocke des Präsidenten – Lelle, CDU: Die Zeit vergeht!)

Die Zeit vergeht. Ich gehe jetzt nicht weiter auf das schulische Angebot ein, weil das über die vielen Veröffentlichungen bekannt ist.

Ich erwähne noch die Umstrukturierung des schulps ychologischen Dienstes, der den Beratungsbedarf von

Hochbegabten in Kaiserslautern entsprechend berücksichtigen wird.

Mit der Einrichtung der Hochbegabtenschule in Kaiserslautern und an drei weiteren Standorten wird in Rheinland-Pfalz der eingeschlagene Weg der individuellen Förderung der verschiedenen Begabungen konsequent fortgesetzt. Das Finden von Begabungen muss aber – Frau Morsblech hat auch darauf hingewiesen – verstärkt zur Normalität werden.

An dieser Stelle muss auch gesagt werden: Es ist schon ein bisschen erstaunlich, dass Mädchen oftmals die qualifizierteren Schulabschlüsse haben, aber sich bei der Bildung der ersten Klasse der Hochbegabtenschule nur sechs Schülerinnen beworben haben. Davon sind letztlich vier Schülerinnen genommen worden, die jetzt diese außergewöhnliche Chance der Förderung erhalten haben.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall der SPD und der FDP)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Wiechmann das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Trotz anders lautender Forderungen aus den Ergebnissen der PISAStudie setzt die FDP und damit natürlich wieder einmal im Schlepptau auch der große Koalitionspartner, die SPD, weiter auf eine absolut falsch verstandene und deshalb auch unzureichende – das sage ich ganz bewusst – Förderung von so genannten Hochbegabten.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer eine spezielle Schule für sage und schreibe dreizehn rheinland-pfälzische Schülerinnen und Schüler fordert und das dann auch noch als einen riesengroßen bildungspolitischen Erfolg verkauft, hat überhaupt kein zeitgemäßes Konzept zu bieten. Derjenige greift ganz, ganz tief in die bildungspolitische Mottenkiste hinein.

(Zuruf des Abg. Kuhn, FDP)

Herr Kuhn, ich hatte gedacht, spätestens seit PISA hätten Sie nun das auch endlich verstanden. Dem ist wohl nicht so.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, überlegen Sie sich das doch einmal: Dreizehn Schülerinnen und Schüler aus Rheinland-Pfalz und zehn aus anderen angrenzenden Bundesländern gehen in Kaiserslautern auf diese Schule. Können Sie mir einmal erklären, was Sie da für einen Bedarf gesehen haben, wenn dreizehn von insgesamt weit über Zehntausend so genannten Hochbegabten, die

wir in Rheinland-Pfalz haben, diese Schule überhaupt besuchen wollen?

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Unruhe im Hause)

Wir diskutieren jetzt ganz hochoffiziell darüber – durch den Herrn Ministerpräsidenten geschieht das auch –, dass wir auch für Koblenz eine Eliteschule brauchen, weil sich der Herr Ministerpräsident von einigen Kolleginnen und Kollegen der Union provoziert gefühlt hat. Überlegen Sie sich doch einmal, vor welchem Hintergrund wir das machen. Im ganzen Land fällt massenhaft Unterricht aus. Das wissen Sie von der FDP, aber das wissen auch alle anderen Kolleginnen und Kollegen. Es fällt massenhaft viel Unterricht aus, und wir buttern richtig viel Geld in eine Schule für dreizehn Schülerinnen und Schüler. Dafür fehlt mir jegliches Verständnis. Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allem ist das auch nicht gerecht. Das hat mit Gerechtigkeit überhaupt nichts zu tun. (Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das hat überhaupt nichts mit bildungspolitischem Weitblick zu tun, und das geht an den bildungspolitischen Notwendigkeiten, die wir in diesem Land wirklich reichlich haben, (Zuruf der Abg. Frau Morsblech, FDP)

absolut vorbei. Sie wollen maximal 500 Schülerinnen und Schüler bis zum Ende der Legislaturperiode.

(Mertes, SPD: Das sind ein paar mehr als dreizehn!)

Im Moment sind es dreizehn rheinland-pfälzische Schülerinnen und Schüler.

(Mertes, SPD: Keine Diskriminierung von Baden-Württemberg!)

Selbst wenn es irgendwann einmal fünfhundert sind, sind dies 0,1 Prozent aller rheinland-pfälzischen Schülerinnen und Schüler, Herr Mertes.

(Mertes, SPD: Es lohnt sich für jeden! Selbst für Sie hätte es sich gelohnt!)

Dafür machen wir ein Riesenbohei, während die anderen in kalten Schulräumen sitzen und keinen Unterricht haben. Können Sie mir das einmal erklären?

(Mertes, SPD: Genau, und Sie haben Hunger und Durst!) – Unruhe im Hause)

Eine verantwortliche Politik für dieses Land sieht meiner Meinung nach nun wirklich anders aus; dies auch gerade angesichts der angespannten Haushaltssituation.

(Unruhe im Hause)

Herr Mertes, auch das müssen Sie berücksichtigen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kuhn, FDP: Peinlich!)

Meine Damen und Herren, jetzt hören Sie einmal zu. Die Argumente für separate Hochbegabtenschulen sind an den Haaren herbeigezogen, weil sie eigentlich natürlich für alle Schülerinnen und Schüler in Rheinland-Pfalz gelten müssten und deshalb nicht als Begründung für nur einige wenige Schulen für intellektuell Hochbegabte taugen.

Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. Der GEW-Landesvorsitzende, Herr Boehlkau, hat die Hochbegabtenförderung à la FDP dieser Landesregierung kritisiert. Frau Morsblech hat daraufhin in einer Pressemitteilung mitgeteilt, dass sich Herr Boehlkau etwas intensiver mit dem Thema „Hochbegabten“ zu befassen habe.

(Kuhn, FDP: Sie auch!)

Frau Morsblech formulierte, Hochbegabte denken häufig nicht in lehrplanmäßigen Strukturen. Sie lernen nicht nur schneller, sondern sie lernen grundlegend anders. Deshalb sei es richtig, hochbegabten Schülerinnen und Schülern gezielt eine eigene Schule anzubieten.

Liebe Frau Kollegin Morsblech, können Sie mir einmal einen einzigen Schüler oder eine einzige Schülerin nennen, der bzw. die in lernplanmäßigen Strukturen denkt? Das ist doch Quatsch. Jeder Schülerin und jeder Schüler lernt individuell anders, hat andere Voraussetzungen und hat ein anderes Lerntempo. Wenn man ihrer verqueren Logik folgt, bräuchten wir eine halbe Million Schulen, nämlich für jede rheinland-pfälzische Schülerin und für jeden rheinland-pfälzischen Schüler eine eigene Schule.

(Mertes, SPD: Geheizt!)

Das kann doch wohl nicht die Lösung sein.