Protocol of the Session on September 11, 2003

4. Welchen Verwaltungsaufwand im Verhältnis zum möglichen Ertrag verursacht nach Auffassung der Landesregierung die Einbeziehung der Selbstständigen und Freiberufler in die Besteuerung durch die Gewerbesteuer bei begrenzter Anrechnung auf die Einkommensteuer?

Es antwortet Herr Staatssekretär Dr. Deubel.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich darf namens der Landesregierung die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Hörter und Jullien wie folgt beantworten:

Die Gewerbesteuer ist neben dem Anteil der Kommunen an der Einkommensteuer die bedeutendste Finanzquelle

der Gemeinden. Trotz dieses gewichtigen Finanzbeitrags besteht gerade aus der Sicht der Kommunen ein erheblicher Reformbedarf in Bezug auf die Gewerbesteuer; denn die Gewerbesteuer ist mit ihrer primären Anknüpfung an den Gewinn des Unternehmens stark konjunkturabhängig. Infolgedessen zeigt die langfristige Entwicklung der Gewerbesteuer innerhalb einer Gemeinde erhebliche Verwerfungen. Gerade in den letzten Jahren kam es zu Aufkommenseinbrüchen, die in einzelnen Gemeinden bis zu 30 % betrugen.

Aber auch die Unternehmen sehen erheblichen Reformbedarf bei der Gewerbesteuer, zumal sie als im europäischen Vergleich eher unübliche Sonderbelastung empfunden wird. An dieser Stelle hat die Bundesregierung bereits für wesentliche Entlastung gesorgt, indem sie die wirtschaftliche Belastung durch die Gewerbesteuer für Personenunternehmen durch den Betriebsausgabenabzug bei den Ertragssteuern und die pauschale Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuerschuld weitgehend neutralisiert hat. Wirtschaftlich belastet werden durch die Gewerbesteuer heute im Wesentlichen nur noch Kapitalgesellschaften.

Die Bundesregierung hat auf die Forderung nach einer grundlegenden Reform reagiert und nach Vorarbeit der Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen einen Gesetzentwurf vorgelegt. Das grundlegende Ziel, das die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf verfolgt, den Kommunen zu einer verlässlichen und stetigen kommunalen Einnahmenquelle zu verhelfen, wird von der Landesregierung uneingeschränkt begrüßt. Auf der politischen Ebene werden dazu allerdings mehrere Lösungsvorschläge diskutiert. Vor Abschluss dieses politischen Klärungsprozesses ist eine Festlegung der Landesregierung auf einzelne Reformmaßnahmen nicht sinnvoll.

Vor diesem Hintergrund äußert sich die Landesregierung zu den einzelnen Fragen wie folgt:

Zu Frage 1: Ertragsunabhängige Elemente in der Bemessungsgrundlage, wie sie sich etwa aus der Hinzurechnung von Dauerschuldzinsen oder Mieten ergeben, führen zu einer Verstetigung des Gewerbesteueraufkommens und tragen deshalb den finanziellen Interessen der Kommunen Rechnung. Allerdings bedeutet das auf der anderen Seite eine besondere Belastung für körperschaftssteuerpflichtige Unternehmen, wenn sie auch in schlechten Jahren mit einer stetigen Gewerbesteuer belastet werden. Durch spezifische Freibeträge kann diese Belastung jedoch zumindest für kleinere Unternehmen vermieden und für mittlere Unternehmen verringert werden.

Zu Frage 2: Eine Einbeziehung der Selbstständigen und Freiberufler würde einen Beitrag zur Verstetigung der kommunalen Finanzen leisten. Damit korrespondiert aber keine gleich hohe Belastung der Selbstständigen und Freiberufler, da Personenunternehmen nach der Vorstellung der Bundesregierung die Gewerbesteuer bis zu einem Hebesatz von 380 Prozentpunkten bei ihrer Einkommensteuer angerechnet bekommen. Die Gemeinden in Rheinland-Pfalz hatten 2001 einen gewogenen Durchschnittshebesatz von 371 Prozentpunkten.

Nur rund 4 % der Gemeinden wiesen zu diesem Zeitpunkt einen höheren Hebesatz als 375 % aus.

Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass Freiberufler vor allem in Gemeinden mit hohem Hebesatz ihren Sitz haben und deshalb nicht immer in vollem Umfang durch die Anrechnung entlastet werden. In den Gemeinden mit hohem Hebesatz würden aber jedenfalls kleinere Unternehmen durch den Gewerbesteuerfreibetrag ganz oder weitgehend von der Gewerbesteuer freigestellt. Fühlbare negative Auswirkungen auf die Beschäftigung, Ausbildung und Preisentwicklung sind deshalb nicht zu erwarten.

Zu Frage 3: Ausgehend von Schätzungen des Bundes würden sich die Mehreinnahmen des Landes durch eine Einbeziehung der Freiberufler und Selbstständigen in die Gewerbesteuer bei der Gewerbesteuerumlage schätzungsweise auf 48 Millionen Euro belaufen. Gleichzeitig wären bei der veranlagten Einkommensteuer Mindereinnahmen in Höhe von schätzungsweise 95 Millionen Euro zu tragen.

Zu Frage 4: Der Verwaltungsaufwand ist im Wesentlichen abhängig von der Ausgestaltung der Bemessungsgrundlage, kann also isoliert nicht bestimmt werden.

So weit die Beantwortung.

Gibt es Zusatzfragen? – Herr Abgeordneter Jullien, bitte.

Herr Staatssekretär, Finanzminister Mittler hat sich öffentlich mit dem Zitat geäußert, dass er durchblicken lässt, dass er von der Einbeziehung hunderttausender Freiberufler in die neue Gewerbesteuer nicht viel hält, wenn das steuerliche Mehraufkommen gering bleibt. Er verwies dabei auf den bürokratischen Mehraufwand, der im Gegensatz zum Ziel der Bundesregierung stehe, Steuern zu vereinfachen. Ist das auch die Auffassung, die die Landesregierung derzeit in dieser Angelegenheit vertritt?

Selbstverständlich muss bei jeder Veränderung einer Steuer in dem Sinn, dass mehr Steuerpflichtige entstehen, sehr genau geprüft werden, wie hoch der Aufwand ist, und zwar der Aufwand beim Staat und bei den Finanzämtern, der Aufwand aber insbesondere auch bei den Steuerpflichtigen, wenn zusätzliche Erklärungen abgegeben werden müssen.

Dem muss der Ertrag gegenübergestellt werden, der sich aus einer solchen Einbeziehung weiterer Steuerpflichtiger ergibt.

Unstrittig ist, dass es durch die Einbeziehung von Freiberuflern in die Gewerbesteuer zu Mehraufwand kom

men wird. Wie hoch der Mehraufwand sein wird, wird letztendlich erst feststellbar sein, wenn das Gesetzgebungsverfahren so weit ist, dass klar ist, welche Zusatzangaben und welcher zusätzliche Aufwand erforderlich sind. Von daher kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht gesagt werden, wie schlussendlich die Bilanz aussehen wird.

Eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen Hörter.

Herr Staatssekretär, bei einer Veranstaltung vor drei Tagen auf der Festung Ehrenbreitstein hat der Herr Finanzminister vor Koblenzer Unternehmern ausgeführt, dass er sich schwer tue, den Sinn in der Besteuerung von Kosten zu erkennen – Sie haben eben die Mieten angesprochen –, und sich ebenfalls schwer tue, einen Sinn darin zu erkennen – so wörtlich –, 780.000 Freiberufler hinzuzunehmen. Würde die Landesregierung diese Auffassung des Herrn Ministers teilen?

Das Zitat zeigt, dass bei der Einbeziehung der Freiberufler sehr genau abzuwägen ist, welche Kosten und welcher Nutzen entstehen. Der Minister hat auf die Kostenseite hingewiesen.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jullien.

Herr Staatssekretär, es wird derzeit darüber diskutiert, dass Selbstständige und Freiberufler in die Gewerbesteuerpflicht einbezogen werden sollen. Dies hätte natürlich die Konsequenz, dass Winzer und Landwirte, die auch in dem Sinn ein Gewerbe betreiben und einen Ertrag erzielen, in diese Gewerbesteuerpflicht einbezogen werden müssten. Wie ist hierzu die Stellungnahme der Landesregierung?

(Dr. Schiffmann, SPD: Wollen Sie das? – Zuruf des Abg. Pörksen, SPD – Jullien, CDU: Hören Sie doch einmal zu!)

Herr Abgeordneter Jullien, ich habe in der Vorbemerkung deutlich gemacht, dass es noch keine abgestimmte Meinung der Landesregierung gibt und geben kann, da zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschließend fes tsteht, über welche Punkte genau im Bundesrat und mit

einiger Sicherheit auch im Vermittlungsausschuss entschieden werden muss. Insofern ist es die gleiche Antwort wie bei den Vorbemerkungen: Es gibt noch keine abschließende Meinung der Landesregierung.

(Jullien, CDU: Die Landesregierung ist ratlos und konzeptionslos!)

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Braun.

Herr Staatssekretär, würden die Freiberufler nach den Vorschlägen der CDU mehr entlastet, wenn man beispielsweise eine Gewerbesteuer pro Einwohner mit der Einkommensteuer erheben würde? Oder würden Ihrer Auffassung nach die Freiberufler mehr durch die Vorschläge der SPD und den GRÜNEN in Berlin belastet?

(Mertes, SPD: Frau Roth haben Sie vergessen! Sie ist auch der gleichen Meinung, damit wir das klar sehen! Sie haben nicht so eine klare Meinung! – Dr. Weiland, CDU: Ist sie Bürgermeisterin in Rheinland-Pfalz? – Weitere Zurufe des Abg. Mertes, SPD)

Herr Fraktionsvorsitzender!

Herr Abgeordneter Dr. Braun, das Problem bei der CDU ist, dass nicht erkennbar ist, welche Meinung die CDU hat.

(Beifall bei der SPD – Lelle, CDU: Aber bei Ihnen! Sie haben klar gesagt, wie deutlich das bei Ihnen ist! – Weitere Zurufe von der CDU)

In Hamburg wird das Kommunalmodell vertreten. In Hessen wird eine Wertschöpfungssteuer verlangt. In Baden-Württemberg wird das BDI-Modell präferiert.

(Dr. Weiland, CDU: Sagen Sie, was Ihre Meinung ist!)

In Bayern wartet man die Wahl ab.

(Beifall bei der SPD – Lelle, CDU: Und in Rheinland-Pfalz? Da weiß man nichts!)

Im Übrigen sagt die Parteivorsitzende: Keine Entscheidung in diesem Jahr, wir machen eine Übergangsregelung. Dazu ist insgesamt schlecht Stellung zu nehmen.

(Marz, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das verstehen wir! – Lelle, CDU: Es war Ihre Meinung gefragt!)

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jullien.

Herr Staatssekretär, wir nehmen zur Kenntnis, dass die Landesregierung in puncto beabsichtigter Reform der Gewerbesteuer derzeit weder ein Konzept noch eine konkrete Vorstellung hat. Wenn dies so ist, dann sollten Sie das heute Morgen auch sehr deutlich sagen.

(Schmitt, CDU: Das ist deutlich geworden! – Ministerpräsident Beck: Was war denn das für eine Frage?)

Herr Abgeordneter Jullien, man kann natürlich jedes Mal dann, wenn im Bundesrat eine Entscheidung ansteht, und zwar noch nicht heute, sondern erst in einigen Wochen oder wahrscheinlich erst nach dem Vermittlungsausschuss in einigen Monaten, der Landesregierung einige Monate vorher vorwerfen, dass sie noch nicht die prophetische Gabe besitzt, genau zu sagen, über welche Punkte letztendlich zu entscheiden ist. Es hat sich aber bewährt, dass sich die Landesregierung nicht Monate vorher exakt auf ein Modell festlegt und sich damit bei Verhandlungen, die über dieses Thema mit Sicherheit stattfinden werden, selbst die Hände bindet. Es ist wesentlich vernünftiger, klare Ziele zu haben.

(Jullien, CDU: Welche Ziele denn? Nennen Sie doch einmal bitte die Ziele!)

Die Ziele sind eindeutig formuliert. Die Gemeinden brauchen gegenüber der heutigen Gewerbesteuer eine Einnahme, die sich wesentlich stetiger entwickelt, berechenbarer ist und Rücksicht auf die Frage nimmt, ob eine Kommune stark von der Wirtschaft abhängig oder eher reiner Wohnstandort ist.

Es ist notwendig, dass die Kommunen dort mit starkem Wirtschaftsbesatz über zusätzliche Einnahmen verfügen.

Auf der anderen Seite muss klar gesehen werden, dass die jetzige Gewerbesteuer eine sehr selektive Belastung der Unternehmen darstellt. Es gibt wenige Unternehmen, die zahlen, und zwar sehr viel. Sehr viele Unternehmen werden dagegen überhaupt nicht belastet. Auch das ist keine besonders glückliche Lösung.