Protocol of the Session on July 10, 2003

Herr Creutzmann, hören Sie einmal zu. Sie beziehen sich dauernd auf diese Studie.

Dann kann der Pulli nicht mehr hergestellt werden, der den Farbstoff enthält, und das Bekleidungsgeschäft wird schließen, in dem dieser Pullover verkauft worden ist. So wurde in diesem Hurrikan-Szenario gerechnet. Das ist natürlich Quatsch. Das wissen Sie auch. Deswegen ist es auch Quatsch, wenn wir mit solchen Zahlen durch die Gegend laufen, dass 20.000 Arbeitsplätze in der rheinland-pfälzischen Chemieindustrie oder 90.000 Arbeitsplätze insgesamt durch das REACH-System gefährdet werden.

(Dr. Schmitz, FDP: Nicht ablenken, Herr Braun!)

Wenn Sie ehrlicherweise sagen würden, die eine oder andere Firma kann dadurch Schwierigkeiten haben, dass es einen erhöhten Aufwand an Bürokratie gibt, den wir bekämpfen wollen, ist das eine Sache, bei der wir mitmachen würden. In Bausch und Bogen die Chemikalienrichtlinie zu verurteilen, die die Bundesregierung und wir alle unterstützt haben – – –

(Schwarz, SPD: Nein!)

Sie tun es doch nicht, aber die FDP tut es. Der VCI tut es auch. Das ist doch das Problem. Im Moment wird darauf gezielt, dass diese Chemikalienrichtlinie in dieser Legislatur im Europäischen Parlament nicht verabschiedet werden kann. Das wissen Sie genauso gut wie ich.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme noch einmal zu den Kosten. Die EUKommission geht davon aus – diese ist in diesem Vorgang nicht ganz unbedeutend –, dass es direkte Kosten von 327 Millionen Euro pro Jahr geben wird. Das ist für die Chemieindustrie in Europa nicht wenig, man muss es aber in Relation zum Umsatz setzen. Es ist weniger als 0,1 %. Das habe ich schon gesagt.

Wenn wir eine Debatte über Verbraucher- und Gesundheitsschutz führen, müssen wir auch die Zahlen zur Kenntnis nehmen. Jährlich gibt es Gefährdungen und Folgekosten im Gesundheitsbereich, weil Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Arbeitsplatz Gesundheitsschäden durch Chemikalien bekommen, zum Beispiel in Rumänien usw., wo jetzt die Schuhindustrie produziert. Früher war das in Rheinland-Pfalz der Fall. Hier hat es

sehr viele Schäden durch Lösemittel gegeben. Diese Schäden betragen 1,2 Milliarden Euro in Europa pro Jahr. Außerdem haben wir in Europa allgemeine Allergiekosten von 45 Milliarden Euro pro Jahr.

(Zuruf des Abg. Schwarz, SPD)

Ich will nicht sagen, dass allein die Chemikalien daran schuld sind. Wenn aber die Chemikalien nur zu 1 % daran schuld sind, rechnet sich volkswirtschaftlich eine genauere und konkretere Untersuchung der Chemikalien jederzeit. Diese volkswirtschaftliche Rechnung muss im Parlament aufgemacht werden. Wir sind nicht die Versammlung des BDI und VCI. Wir sind gewählte Volksvertreter und auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher verantwortlich.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe aus dem Hause)

Meine Damen und Herren, für die Landesregierung spricht Herr Minister Bauckhage.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße es, dass die Haltung der Landesregierung in der EU-Chemikalienpolitik eindeutig und klar ist. Es ist ganz natürlich, dass es in der Wirtschaft, im Verkehr und der Umwelt manchmal Konflikte gibt, die wir aber immer zu einem guten Kompromiss führen können. In dieser Frage sind wir übereinstimmend einer Meinung.

Herr Ministerpräsident, ich danke Ihnen ganz besonders dafür, dass Sie sich noch einmal an Frau Wallström gewandt haben, um unsere Position klar zu machen. Diese Position vertreten wir nicht aus einem Selbs tzweck heraus.

Herr Dr. Braun, wenn Sie so tun, als ob die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer keine Rolle mehr spielen und diese Studie mit 90.000 Beschäftigten maßlos überzogen sei, dann sage ich Ihnen: Mir sind schon 10.000 Arbeitsplätze viel zu viel.

(Beifall der FDP und der SPD)

Ich möchte nur noch einmal die Relation ins rechte Licht rücken.

(Zuruf der Abg. Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Beurteilungen der Kostensituation, einerseits die Schätzung der EU, wie hoch die Kosten sein werden, die aus der Chemikalienverordnung entstehen, und ande

rerseits Ihre Rechnung, wie hoch die Gesundheitskosten sind – – –

(Zuruf des Abg. Dr. Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Dr. Braun, man kann das nie monokausal sehen. Das eine oder das andere ist nicht wichtig. Ich sage das in aller Klarheit.

Meine Damen und Herren, in Rheinland-Pfalz sind wir im Besonderen verständlicherweise betroffen; denn der bedeutendste Industriezweig des Landes mit rund 20 % der Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe und 30 % des Umsatzes in unserem Bundesland wird in der Chemie rekrutiert. Deshalb muss man einerseits die Harm onisierung und die Vereinfachung des EU-Chemikalienrechts natürlicherweise in den Fokus des Interesses rücken. Aber man muss auch darüber diskutieren dürfen, dass diese Maßnahmen, die jetzt vorgesehen sind, weit überzogen und schlicht nicht handelbar sind.

(Vereinzelt Beifall bei FDP und SPD)

Meine Damen und Herren, die Chemie ist eine der innovativsten und dynamischsten Wirtschaftszweige weltweit. Wer so damit umgeht, wie jetzt vorgesehen, wird erleben – Herr Dr. Gölter, ich gebe Ihnen völlig Recht –, dass im Anschluss Forschung und Entwicklung in anderen Staaten stattfindet und nicht mehr in Europa. Dadurch ist eine erhebliche Wettbewerbsbenachteiligung gegeben, sodass sogar die Arbeitsplätze schlicht und einfach in andere Länder gehen müssen. Das exakt muss verhindert werden, und zwar mit einem Gebot der Vernunft, dass man eine handelbare Verordnung auf den Weg bringt, die auch Mittelständler handeln können.

Es gibt im Übrigen Mittelständler, bei denen sind die Kosten der Ausführung dieser vorgesehenen Verordnung höher als die Umsatzerlöse. Das kann doch nicht normal sein. Deshalb muss man ein Maß finden, das vernünftig ist. Herr Dr. Gölter, deshalb haben wir gemeinsam mit meinem Haus und dem Ministerium für Umwelt und Forsten eine Internetplattform in Brüssel auf den Weg gebracht. Diese wird heute erscheinen. Dabei wird noch einmal die Haltung der rheinland-pfälzischen Landesregierung klar werden. Man kann sich natürlich darüber streiten, aber immerhin spricht man von 2 Millionen Arbeitsplätze im worst case. Das wäre die schlimmste Situation. Aber wir hängen jetzt in einer Ecke. Das ist nicht nur eine Frage, wie geht das rational vor, das ist auch eine Frage, was die Chemieindustrie tut. Es wird eins bezwecken, es werden die jungen Wissenschaftler und Forscher diesen Standort Europa verlassen. Es wird natürlich dann Chemie in anderen Staaten der Welt stattfinden. Das wird dann importiert werden. So wird das werden. Das ist das Ergebnis der jetzt vorgesehenen Verordnung.

Es gibt auch keinen Zweifel, dass man damit sehr seriös und sachlich umgehen muss.

Dieser Entwurf des Chemikalienrechts ist also ein weit überzogener Entwurf, insbesondere für Mittelständler gar nicht handhabbar. Herr Dr. Gölter hat die Beispiele angeführt, wie das im Unternehmensverbund aussieht.

Das ist fast schon so, als ob man Till Eulenspiegel die Zipfelmütze aufsetzen müsste. Das sage ich ganz bewusst auch vor dem Hintergrund der sehr seriösen Belichtung des Gesundheitsschutzes und des Verbraucherschutzes. Hier wird in der Tat das Kind mit dem Bad ausgeschüttet. Es ist nun an der Zeit, gemeinsam dagegen etwas zu tun und eine vernünftige Lösung auf den Weg zu bringen. Diese Landesregierung tut das gemeinsam. Im Übrigen hat es auch wenig Sinn, sich in parteipolitisch taktische Spielchen zu verlieren. Das macht keinen Sinn. Es macht nur Sinn, dass wir einmal die innovative Industrie in Europa halten können. Es macht ferner Sinn, dass wir die Arbeitsplätze ausbauen können. Drittens macht es verständlicherweise Sinn, dass man dabei Gesundheitsschutz und Verbraucherschutz entsprechend belichten muss. Es muss aber schlicht und einfach handelbar sein; denn sonst wird es anderswo gehandelt. Wir werden dann hier die Importe haben. Das kann doch niemand wollen.

Ich habe manchmal den Eindruck, als ob man tatsächlich in Brüssel dabei ist, nicht mehr die Realitäten zu sehen. Man kann natürlich alles machen und alles unternehmen, nur werden teilweise Berichte und Erfassungen verlangt, die einmal nicht notwendig sind und zum anderen nicht zielführend sein werden. Exakt davon müssen wir weg. Wir werden das nur schaffen können, wenn wir das gemeinsam tun. Wir werden es auch nur schaffen können, indem man beides entsprechend in den Fokus des Interesses setzt, einerseits Gesundheitsschutz und Verbraucherschutz und andererseits dabei nicht vergisst, dass die Chemie, wie ich eingangs sagte, einer der innovativsten und dynamischsten Wirtschaftszweige ist. Wir müssen ein hohes Interesse daran haben, dass wir diesen Wirtschaftszweig in Europa halten.

Verständlicherweise hat natürlich diese Landesregierung das höchste Interesse daran, die Arbeitsplätze in Rheinland-Pfalz zu halten und auszubauen, darüber hinaus die Industrie in Rheinland-Pfalz zu halten und auszubauen. Dabei ist die derzeitige Verordnung kontraproduktiv. Damit werden wir dies nicht erreichen. Deshalb müssen wir behutsam und sehr vernünftig vorgehen, damit eine handelbare, vernünftige Lösung auf den Weg gebracht wird. Im anderen Fall wird sich Europa von der Chemie verabschieden. Meine Damen und Herren, das wollen wir in aller Klarheit nicht.

(Beifall bei FDP und SPD)

Meine Damen und Herren, nach der Rede des Ministers steht den Fraktionen jeweils noch eine Redezeit von zwei Minuten zur Verfügung.

Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Braun das Wort.

Herr Minister Bauckhage, um das noch einmal deutlich zu machen, ich glaube, dass die EU-Kommission nicht das Interesse hat, die chemische Industrie aus Europa zu jagen und Europa dem Bankrott anheimzustellen.

Das ist wahrscheinlich nicht das Ziel der Vertreterinnen und Vertreter der europäischen Regierungen. Auch das Europäische Parlament wird dieses Ziel nicht haben. Ich glaube, wenn ich das hier höre, dann wird diesem Parlament und dieser Kommission kein ernsthafter Respekt entgegengebracht. Man muss doch ernsthaft und inhaltlich diskutieren und nicht sagen: Wenn das durchkommt, was die europäische Regierung im Moment an Kompromissen verhandelt, dann wird sich die chemische Industrie aus Europa verabschieden. – Herr Bauckhage ich glaube, das ist unseriös, so können und sollten wir in diesem Parlament nicht argumentieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen doch genauso wie Sie, dass diese Arbeitsplätze in der chemischen Industrie erhalten bleiben, dass wir volkswirtschaftlich davon profitieren und nicht am Schluss – deswegen gibt es doch diese Bestrebungen, die Untersuchungen der Chemikalien zu machen – volkswirtschaftlich ein Minus haben, weil das teurer wird, Altlasten zu entsorgen, die ubiquitär auf der ganzen Welt verteilt sind. Deswegen wollen wir, dass es nachhaltige Arbeitsplätze auch in der Chemieindustrie gibt. Sie sagen es doch zu Recht, die Chemieindustrie ist die innovativste Branche, die es gibt. Vielleicht ist bei der ITBranche eine ähnliche Innovationskraft vorhanden.

Weil die Chemieindustrie so innovativ ist, hat sie die Chance zu substituieren. Die EU-Kommission wollte – wir übrigens auch – diese Substitutionspflicht haben. Jetzt haben wir das aus der gemeinsamen Richtlinie herausgestrichen. Man kann also Altstoffe und neue Stoffe gemeinsam verwenden.

(Glocke der Präsidentin)

Damit können Sie auch hier klar sagen: Wir haben in Deutschland und in Europa durch eine vernünftige Politik einen Erfolg erreicht. – Diese absolute Gegenposition zur Kommission wird Sie auch in Brüssel nicht weiterbringen, weil man so nicht verhandeln und keine Kompromisse finden kann.

Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Creutzmann das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Braun, ich habe mich noch einmal gemeldet, weil Sie die Ausführungen des Ministers Bauckhage bestritten haben, man würde sich von der Chemie in Europa verabschieden. Bedenken Sie bitte, dass wir in einer globalisierten Welt leben und heute Chemiestandorte weltweit haben. Wir haben kleine und mittelständische Chemieunternehmen in Rheinland-Pfalz, die nicht ausweichen können. Diese haben in der Regel nur einen

Standort, nämlich den in Rheinland-Pfalz. Darin liegt die große Gefahr bei dem Chemikaliengesetz, dass es die Kleinen trifft und die Großen aufgrund ihrer Menge und ihrer Umsätze dieses Gesetz verkraften können, oder sie können natürlich auch die Standortvorteile nutzen, die es heute schon gibt. Die Gefahr, dass die Forschung nach außen verlagert wird, wird natürlich gerade bei kleinen Mengen evident. Eine Tonne haben wir geschafft; für diese Produktionsmenge gilt das Chemikaliengesetz nicht. Es geht auch um Anlagen, in denen kleine Mengen hergestellt werden. Darin liegt die Gefahr durch das Chemikaliengesetz. Ich wolle das nur noch einmal als rein sachlichen Beitrag zu überlegen geben. Wir leben nicht in einer Welt in Deutschland, in Europa – da hätten Sie Recht –, sondern wir leben in einer globalisierten Welt.

Vielen herzlichen Dank.