Protocol of the Session on May 8, 2003

Im Zusammenhang mit der europäischen Verfassung rege ich eine europäische Debatte zu den großen Zukunftsfragen dieser EU an. Die dabei anzusprechenden Themenstellungen müssen in die Parteien, Verbände, Schulen und Universitäten hineingetragen werden. Vor allem geht es mir auch darum, die jungen Menschen dabei anzusprechen; denn die europäische Entwicklung hat unmittelbare Auswirkungen unter anderem auf die Bildungschancen und auf den Zugang zum Arbeitsmarkt.

Hier in Rheinland-Pfalz hat diese Debatte bereits begonnen. Beispielsweise befassten sich am 8. April dieses Jahres auf Einladung der Landesvertretung mehr als 70 Lehrerinnen und Lehrer aus dem Land im „Erbacher Hof“ in Mainz mit den Themen des Konvents. Am 28. April fand im Landtag ein Jugendkonvent zu diesen Fragestellungen statt, bei dem mehr als 100 Schülerinnen und Schüler miteinander und mit Politikerinnen und Politikern der verschiedenen Ebenen diskutiert haben.

In der vom vergangenen Freitag bis zum kommenden Sonntag dauernden Europawoche werden zudem die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes in mehr als 70 Veranstaltungen im Land zu den wesentlichen Europa

themen informiert. Die EU-Erweiterung und die europäische Verfassungsgebung stehen dabei vielfach im Vordergrund.

In diesen Veranstaltungen und auch in den Medien und Publikationsorganen und nicht zuletzt in den elektronischen Medien sollen aus meiner Sicht häufiger als bisher Stimmen aus den Partnerländern zu Wort kommen. Wir brauchen, um wirklich zu europäischen Lösungen zu kommen, den Gedankenaustausch mit den Ideen und Vorstellungen aus Frankreich, Polen, Großbritannien, aber auch aus den kleineren Partnerländern und Beitrittsländern wie aus Luxemburg, Portugal, Lettland und aus anderen baltischen Staaten.

Die europäische Verfassung bietet den geeigneten Anlass, diese Debatte fortzusetzen und zu vertiefen. Ich werde dazu die Chefredakteure der rheinlandpfälzischen Zeitungen und der Sendeanstalten in und für unser Land einladen, um sie – wenn Sie so wollen – zu animieren, diesen Prozess noch nachdrücklicher zu unterstützen, als dies zu einem Teil anerkennenswerterweise bereits geschieht.

(Beifall der SPD und der FDP)

Insgesamt gilt: Die europäische Einigung muss von unten her wachsen. Die Regionen können dazu einen wesentlichen Beitrag leisten. Die deutsch-französischen Erfahrungen sollen auch für die Zusammenarbeit in der erweiterten Europäischen Union beispielgebend genutzt werden. Die Menschen in Rheinland-Pfalz haben in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und auch in den bewährten Partnerschaften, insbesondere mit Burgund, vielfältige und intensive Kontakte geknüpft, auf denen aufgebaut werden kann.

Im Hinblick auf die EU-Erweiterung ist es meiner Meinung nach beispielgebend, dass am 21. Mai dieses Jahres im Mainzer Landtag ein „4er-Netzwerk der Partnerregionen“ gegründet werden wird. Rheinland-Pfalz und Burgund bringen hierzu jeweils ihre Partnerschaften mit den Regionen Oppeln bzw. Mittelböhmen ein. Dieses Netzwerk wird unter anderem dazu dienen, den Prozess der europäischen Einigung zu beschleunigen. Es soll auch helfen, mögliche gemeinsame Projekte, zum Beispiel im Rahmen von EU-Programmen, durchzuführen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Rheinland-Pfalz – ich verweise auf die bisherigen Beschlüsse von Landtag und Landesregierung – und die deutschen Länder insgesamt unterstützen ohne Vorbehalte den europäischen Einigungsprozess. Dies betrifft sowohl die beschlossene EU-Erweiterung als auch das Ziel der europäischen Verfassung. Wir tun dies mit guten Argumenten. Zugleich legen wir aber auch Wert darauf, dass die angestrebten Ziele tatsächlich erreicht werden können. Deshalb gilt es, Fehlentwicklungen zu vermeiden und Befürchtungen und Ängste unserer Bürgerinnen und Bürger – seien sie begründet oder nicht – ernst zu nehmen und soweit wie möglich zu entkräften.

In diesen Fragen ist ein hohes Maß an Aufrichtigkeit in der politischen Diskussion vonnöten. Dazu gehört, dass die Europäische Union nur Erfolg haben kann, wenn sich die politisch Verantwortlichen auf europäischer, natio

naler, regionaler und lokaler Ebene verantwortungsvoll die Arbeit teilen und ihren Partnern den für das Gelingen unerlässlichen institutionellen Respekt zollen.

(Beifall der SPD und der FDP)

Dazu gehört auch, dass wir auf allen Ebenen des Handelns immer wieder unsere Aufmerksamkeit darauf richten, die Dinge so einfach wie möglich, so klar wie möglich und mit möglichst wenig Verwaltungsaufwand zu regeln. In diesem Sinne möchte ich auch den rheinland-pfälzischen Kabinettsbeschluss für einen „Gesetzes-TÜV“ bei Bundesratsentscheidungen, aber auch bei europäischen Vorlagen verstanden wissen.

Dazu wird gehören, dass die Länder, wenn sie im Konvent auch nur annähernd das erreichen, was wir uns gemeinsam wünschen, selbstkritisch ihre europapolitischen Instrumentarien und bisherigen Verfahren überprüfen müssen, um den neuen Anforderungen zu entsprechen.

Meine Damen und Herren, die Forderung nach mehr Subsidiarität wird uns auch in vielfältiger Weise hinsichtlich der Übernahme von Verantwortung und auch im Hinblick auf die Frage fordern, wie wir im Geiste einer gemeinsamen europäischen Entwicklung sozusagen in Form einer Europatreue, so wie wir auch in unserem Bundesstaat Bundesrepublik Deutschland die Bundestreue kennen, die Aufgabe wahrnehmen. Es ist für mich die andere Seite der Subsidiaritätsforderung, dass nicht sozusagen wegen Eigenbrötelei letztlich der Zwang wieder groß wird, diesen Subsidiaritätsgedanken doch viel enger auszulegen, als er nach unserer Auffassung ausgelegt werden sollte.

Der europäische Kontinent ist durch große Vielfalt geprägt – politisch, sprachlich, künstlerisch, musikalisch und wissenschaftlich. Diese Vielfalt ist unser gemeins ames Erbe und unser Reichtum. Ich sage dies auch, um einer Diskussion vorzubeugen, die auf eine Gleichm acherei hinauslaufen könnte. Natürlich ist Unterschiedlichkeit – das gilt im Übrigen auch für den deutschen Föderalismus und für die kommunale Selbstverwaltung – an mancher Stelle auch mit zusätzlichem Aufwand verbunden, aber das, was an Anstößen, an Vielfalt und dadurch auch an Lösungsansätzen erwartet und erreicht werden kann, wiegt meiner Meinung nach diese zusätzlichen Aufwendungen auf. Deshalb muss eine solche Betonung erfolgen, um Fehlentwicklungen in der Diskussion von vornherein vorzubeugen.

Der Reiz dieses Reichtums liegt nicht zuletzt in der besonderen Struktur Europas, durch die das Regionale und Nationale neben dem Gemeinschaftlichen bestehen kann und soll. In diesem Sinne gilt: Zum Prozess der europäischen Integration gibt es keine vernünftige und wünschenswerte Alternative.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich wollte diese Bemerkungen in Form einer Regierungserklärung machen und bitte Sie, die Position dieses Hauses in dieser Debatte noch einmal klarzumachen, damit wir als Regierung auch in Ihrem Namen in der Lage sind, uns an diesem Schlussprozess der europäischen Verfassungsgebung zu beteiligen.

Ich bin hoffnungsfroh und zuversichtlich, dass wir gemeinsam das, was erforderlich ist, in einem Diskussionsprozess unserer Bürgerschaft vermitteln können und am Ende miteinander eine europäische Verfassung haben werden, die auf der einen Seite die großen Verfassungstraditionen vieler europäischer Nationen aufnimmt und auf der anderen Seite auch Freiheit und Spielräume beinhaltet, um zukünftigen Generationen eine gute Entwicklung zu ermöglichen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltend starker Beifall der SPD und der FDP)

Ich eröffne die Debatte zur Regierungserklärung des Herrn Ministerpräsidenten. Die Fraktionen haben sich auf eine Redezeit von 15 Minuten verständigt.

Das Wort hat Herr Kollege Dr. Böhr.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Man tut einer Sache, zumal dann, wenn sie besonders am Herzen liegt, keinen Gefallen, wenn man bestimmte Probleme, die auf der Hand liegen und unübersehbar sind, beschönigt. Das ist kein Ausweis von Europa-Skepsis. Deswegen sage ich das auch im Sinn einer persönlichen Vorbemerkung, und zwar mit Blick auf das, was ich vortragen will. Ich bin bei Gott kein Europa-Skeptiker, war es gottlob nie und werde es hoffentlich nie.

Eine nüchterne Bestandsaufnahme dieses Europas, soweit es sich in der Verfasstheit der Europäischen Union darstellt, kommt nicht umhin, an den Anfang eine Sicht auf schwerwiegende Probleme zu stellen. Ich glaube, dass die Probleme, die sich in der Europäischen Union ergeben und sich für uns alle auch in der Innenpolitik der einzelnen Mitgliedsstaaten niederschlagen, schwerwiegenderer Natur sind als beispielsweise vor zehn oder zwanzig Jahren.

Ich will das an zwei Stichworten benennen. Ich bin froh, dass wir die größte Runde der Erweiterung, die es je in dieser Europäischen Union gab, und von der ich sage, dass sie gottlob gekommen ist, und zwar eher zu spät als zu früh, endlich unter Dach und Fach haben. Es liegt auf der Hand, dass diese Erweiterungsrunde einen Reformbedarf innerhalb der EU ausgelöst hat, den wir noch lang nicht bewältigt haben. Jedem ist ersichtlich, wie schwer wir uns tun, diesen Reformbedarf zu bewältigen.

(Beifall der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Europäische Union befindet sich in einer tiefen politischen Krise. Ich weiß nicht, was uns davon abhalten soll, das so zu sagen und darüber zu diskutieren. Wir haben innerhalb der Europäischen Union seit einigen Monaten tiefe innere Verwerfungen. Ich hoffe von Herzen, dass

es allen Beteiligten gelingt – wir können dazu nur einen verhältnismäßig geringen Beitrag leisten –, diese inneren Verwerfungen im Sinn eines neuen Bekenntnisses zugunsten der vergemeinschafteten Politik bald zu überwinden.

(Beifall der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das wird schwer genug. Als eine kleine Replik auf eine Diskussion von gestern und einen Zwischenruf vom Kollegen Gölter: Ich glaube auch, dass exklusive Sondergipfel keinen Beitrag zur Überwindung solcher inneren Verwerfungen darstellen. Ich sage das ganz leidenschaftslos.

(Beifall der CDU)

Ich habe das übrigens auch einem der Beteiligten, mit dem ich mich in einem sehr engen freundschaftlichen Verhältnis befinde, viel härter gesagt, als ich das hier vortrage.

Wir befinden uns in einer Lage, in der sich vielen die Frage stellt, wie es weitergeht. Mit der Antwort, die der Ministerpräsident gegeben hat, bin ich sehr einverstanden. Ich finde, es ist ein gutes Zeichen, dass nach wie vor die Europapolitik in diesem Haus nicht streitig gestellt werden muss, jedenfalls nicht in ihren großen und wichtigen Zielsetzungen.

Wir dürfen uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele andere außerhalb dieses Kreises die Frage mit einer ganz anderen und durchaus ernst gemeinten Bedeutung stellen: Wie geht es in dieser Europäischen Union weiter? – Die Antwort auf diese Frage ist offen.

In dieser Situation tagt der Konvent. Das ist aus der Sicht eines Landtags heraus das Wichtigste, was uns zu beschäftigen hat. Ich will dazu zwei Bemerkungen machen. Ich bin mit vielem einverstanden, was der Ministerpräsident vorgetragen hat. Die Bemerkungen, die ich mache, sind auch nicht von der Antwort abweichend, die für die Landesregierung vorgetragen wurde. Ich will nur noch einmal Folgendes unterstreichen:

1. Ich glaube, dass in diesem Konventsprozess vor allem eine Frage in den Mittelpunkt gerückt werden muss und schon im Mittelpunkt steht, nämlich für was die Europäische Union in Zukunft wirklich zuständig sein soll.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Frage zu stellen, ist keine Frage der Rechthaberei nach dem Motto „Die haben nur Angst, dass ihnen noch mehr weggenommen wird“. Die Kollegen im Deutschen Bundestag sind inzwischen übrigens bei dieser Angst durchaus infiziert. Das ist keine Frage der Rechthaberei, sondern hinter dieser Frage, für was die Europäische Union in Zukunft zuständig sein soll, verbirgt sich überhaupt nichts anderes als die Frage nach dem Selbstverständnis der Europäischen Union. Wir können diese Erweiterung nicht bewerkstelligen und die politische Krise nicht überwinden, wenn wir nicht eine überzeugende Antwort auf die Frage nach dem Selbstverständnis der Europäischen Union geben. Dieses Selbstverständnis – ich bin einig mit dem, was

hier vorgetragen wird – kann kein zentralistisches Selbstverständnis sein.

(Beifall der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, deswegen ist der Grundsatz der Subsidiarität nichts – um das aufzugreifen, was der Ministerpräsident gesagt hat –, was in den Appendix, in den Anhang des Vertrags gehört, sondern es muss die Eingangstür zu diesem Vertrag sein. Es muss sich diesem Grundsatz alles unterordnen, was in diesem Vertragsentwurf geregelt wird. Der Grundsatz der Subsidiarität ist der Eckstein, der Grundstein und das Fundament der künftigen Europäischen Union und ihrer Zuständigkeit.

(Beifall der CDU)

2. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass das in der Europäischen Union höchst umstritten ist. Der Ministerpräsident hat an die französische Verfassungstradition erinnert. Es gibt noch viel schlimmere Beispiele. Es gibt Länder, in denen schon die Erinnerung an den Grundsatz der Subsidiarität als die nachträgliche Legitimation terroristischer Gewalt ethnischer Minderheiten verstanden wird. Hier liegen wir immer noch weit auseinander, auch in diesem Konventsprozess.

Umso wichtiger ist es, dass dieser Grundsatz der Subsidiarität für die Kompetenzaufteilung entscheidend ist, die innerhalb der Europäischen Union gefunden wird, und sich die Europäische Union hoffentlich mit großer Mehrheit dazu entscheidet, sich lediglich auf bestimmte Kernaufgaben zu beschränken. Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Gemeinschaft scheitern wird, wenn sie sich nicht auf diejenigen Aufgaben beschränkt, die über die Kraft der einzelnen Mitgliedstaaten hinausgehen. Sie darf nur für das zuständig sein, was einzelne Mitgliedsstaaten in eigener Zuständigkeit nicht zu regeln vermögen und wozu sie nicht in der Lage sind.

(Beifall der CDU)

Ich komme zu einem zweiten Punkt und lasse einfach das weg, was im Konvent diskutiert wird, um das hinsichtlich der Kontrollmöglichkeiten sicherzustellen. Ich finde, hier gibt es überzeugende Vorstellungen und Überlegungen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist zu Recht auch in der Regierungserklärung davon gesprochen worden, dass dieser Konventsprozess und dieser Prozess einer vorangetriebenen und vertieften Vergemeinschaftung dazu führt, dass die Frage nach den Zuständigkeiten Folgewirkungen auch für die Länder hat. Wenn von Ländern die Rede ist, denken viele nur an Landesregierungen. Ich bin sehr dankbar dafür – ich glaube, es war sogar abweichend vom Manuskript –, dass der Ministerpräsident ausdrücklich die Länderparlamente mit genannt hat. Ich möchte unser aller Aufmerksamkeit auf diesen Punkt lenken. Diese Europäische Union, selbst wenn sie – wie auch immer im Einzelnen ausgestaltet – eine föderative Struktur erhält, darf nicht nur und ausschließlich ein Exekutivföderalismus werden.

(Beifall der CDU)

Ich sage das auch mit Blick auf die Geschichte dieser Europäischen Union. Nicht der Ministerrat hat die Erfolge bewerkstelligt, die uns heute dieses Europa auch in seinen vielen positiven und erfolgreichen Seiten vor Augen stellt. Nein, die Vergemeinschaftung – ich gehe vielleicht einen halben Schritt zu weit, aber ich sage es trotzdem etwas überspitzt – ist ausschließlich über den parlamentarischen Prozess, über das Europäische Parlament, gekommen.

(Beifall der CDU)