Wenn ich diese Anerkennung äußere, weiß ich sehr wohl, dass sich ihr Engagement nicht nur auf die Arbeit im engeren Sinn in diesem Ausschuss der Regionen konzentriert, sondern dass sie durch eine Vielfalt von Initiativen mit dazu beitragen erstens, dass es zu dieser Gewichtung und dieser Bedeutung dieses Ausschusses kommen konnte und zweitens Formen des Zusammenwirkens und des Zusammenarbeitens über nationale Grenzen zwischen Regionen möglich geworden sind, die für sich genommen eine hohe Bedeutung in der europäischen Meinungsfindung, Meinungsbildung und letztendlich dann auch in der Entscheidungsfindung darstellen.
Meine sehr geehrte Damen und Herren, Europa greift inzwischen in fast alle Lebensbereiche unmittelbar oder mittelbar ein und bestimmt die Rechtsetzung und die Politik in Deutschland mit. Alle wichtigen politischen Kräfte haben diese Entwicklung grundsätzlich bejaht. Das soll nicht beklagt werden, es muss aber festgestellt werden. Die Bundesregierungen hatten und haben am Ratstisch wesentlichen Einfluss auf diese europäischen Entscheidungen. Die Länder haben mittlerweile über den Bundesrat Mitwirkungsmöglichkeiten, wie sie in Europa vergleichbar nur in Belgien existieren.
Ich will in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass wir im Zuge der deutschen Verfassungsdebatte diese Frage im Auge behalten müssen, um die Landesparlamente in angemessener Weise in diese Meinungsbildung und Entscheidungsfindung einfügen zu können.
Meine Damen und Herren, bei aller Zustimmung zu dem, wie es bisher organisiert ist, was wir an Zuständigkeiten und Meinungsbildungsbeteiligungen haben, darf doch darauf verwiesen werden, dass die Detailverliebtheit mancher EU-Richtlinie uns schwer zu schaffen macht. Auch der „enorme Regelungsappetit der Europäischen Union und ihrer Institutionen mit gelegentlichem Griff in Nachbars Garten“ – wie Bundespräsident Rau auf dem Föderalismus-Konvent in Lübeck formuliert hat – ist für uns schwer verdaulich.
Wir erwarten, dass der Konvent die regionale Eigenständigkeit und Vielfalt stärker als bisher schützt und die Gestaltungsmöglichkeiten der Regionen erweitert.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die deutschen Länder haben sich mit Bundesratsbeschlüssen vom 20. Dezember 2001 und vom 12. Juli 2002 frühzeitig im Hinblick auf den Konvent positioniert. Auch der rheinland-pfälzische Landtag hat sich in diesen Fragen stark engagiert, in Lübeck auf dem Föderalismus-Konvent – eben schon erwähnt – und in Beschlüssen zur Zukunft der Europäischen Union, die mit großer Mehrheit gefasst worden sind.
Nicht alle der in diesen Beschlüssen vorgetragenen Vorstellungen konnten bisher in den Konventsberatungen eingebracht werden und Berücksichtigung finden. Dennoch zeichnen sich zu zahlreichen unserer gemeinsamen Anliegen zustimmende Tendenzen und Entwicklungen ab.
Dafür möchte ich bereits jetzt unseren Vertretern im Konvent ein herzliches Wort des Dankes sagen – für die Länder mein Kollege Erwin Teufel aus BadenWürttemberg, für die Bundesregierung Herr Bundesaußenminister Joschka Fischer und für den Bundestag und dessen Mitglieder Professor Meyer.
Ich denke, dass diese Art zusammenzuwirken, eine Position miteinander abzugleichen, viele an dieser Pos itionsabgleichung zu beteiligen, ein zwar nicht einfacher und zeitraubender, aber letztendlich richtiger und wichtiger Weg ist, weil wir alle von vornherein im Auge behalten müssen, dass am Ende dieser gesamten Prozesse eine verfassungsändernde Mehrheit in den beiden Kammern der deutschen nationalen Gesetzgebung zustande kommen muss.
Lassen Sie mich vor diesem Hintergrund den Stand der Dinge aus Sicht der Landesregierung kurz skizzieren.
Anfang Juni will der Konvent seine Arbeiten abschließen, und bereits am 30. Juni wollen sich die EU-Staatsund Regierungschefs mit seinen Ergebnissen befassen. Die deutschen Ministerpräsidenten werden am 23. Mai darüber beraten, ob die Akzente aus Ländersicht richtig gesetzt sind, um für die Schlussphase der Beratungen durchsetzungsfähig zu sein.
Dieses letztgenannte Datum war für mich auch Anlass, diese Regierungserklärung abzugeben, weil ich glaube, dass wir, bevor wir in diese Schlussabstimmung gehen, noch einmal ein sorgfältiges Meinungsbild auch in diesem hohen Hause zu diesen Fragen herbeiführen sollten.
Aus meiner Sicht wäre viel erreicht, wenn wir in folgenden Bereichen zu erkennbaren Fortschritten kämen:
Erstens müssen die gemeinsamen Werte der Europäer stärker als bisher deutlich werden. Unabdingbar ist für mich die rechtsverbindliche Verankerung der Charta der Grundrechte in der Verfassung.
Aus dem Konvent höre ich, dass die Einbeziehung der Grundrechtscharta in den Verfassungstext weitgehend akzeptiert ist, wobei allerdings noch geklärt werden muss, an welcher Stelle die Grundrechte positioniert werden. Eine Verbannung in den Anhang zur europäischen Verfassung in Form eines nachzustellenden Protokolls wäre – für mich jedenfalls – nur schwer akzeptabel.
Ich sage dies in dem Bewusstsein, dass wir schwer eine Verfassung schreiben können, die mit Aufgabenbeschreibungen oder mit Organisationsregelungen beginnt und nicht auch durch ihre Form deutlich macht, dass dieses Europa auf gemeinsamen Werten, Erkenntnissen, einer Vielfalt der Kulturen, des Respekts vor diesen Kulturen und entsprechend religiöser Verankerung beruht. Ich denke, das muss deutlich werden, damit wir nicht Aktionismus zumindest scheinbar in den Vordergrund schieben, wo Wertebestimmung geboten ist.
Zweitens muss die Europäische Union – vor allem in den Bereichen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und bei der Innen- und Rechtspolitik – handlungsfähiger werden, als sie dies derzeit ist.
Die derzeitigen außenpolitischen Kompetenzen der EU und – dies muss hinzugefügt werden – auch die Bereitschaft der EU-Staaten zu einem gemeinsamen Handeln reichen bei weitem nicht aus.
Erkennbare Handlungsdefizite der EU bestehen auch in der Innen- und Rechtspolitik. Stichworte sind hier die Einführung einer gemeinsamen Einwanderungs- und Asylpolitik und eine verbesserte Verbrechensbekäm pfung.
Ich weiß sehr wohl, dass wir dann, wenn dies in konkrete Rechtsetzung umgesetzt wird, erhebliche Diskussionsbedarfe haben werden – Aufgabenabgrenzungen, Abgrenzung der Zuständigkeit von Polizeien, Ermittlungsbehörden etc. Dennoch bleibt es richtig, dass Europa, wenn es in dem Sinn zusammenwachsen soll, wie wir dies bisher gemeinsam postuliert haben, in diesen Fragen gemeinsame Politikansätze braucht.
Es gibt auch solche Ansätze, die fortgesetzt werden sollten und fortgesetzt werden können. Ich erinnere nur an das Europäische Polizeiamt EUROPOL. Im Konvent wird derzeit über die Einrichtung einer europäischen Staatsanwaltschaft diskutiert, die Betrug und Korruption zulasten des EU-Haushalts aufgreifen und ihr Einhalt gebieten soll. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von der Europäischen Union aber weitere Schritte, damit der europäische Mehrwert, der gerade in der Innen- und Rechtspolitik deutlich erkennbar ist, voll zum Tragen kommt.
Drittens ist der Landesregierung an einer klaren Abgrenzung der Kompetenzen und an einer Vereinfachung der Handlungsinstrumente gelegen, wobei das Ergebnis keineswegs ein starrer Kompetenzkatalog sein muss. Es ist eine Regelung erforderlich, die das Handeln und die Maßstäbe deutlich macht hinsichtlich dieser Kompetenzabgrenzung. Die Europäische Union muss in den Bereichen, in denen ein gemeinsames Vorgehen sinnvoll und Erfolg versprechend ist, über ihre derzeitigen Zuständigkeiten hinaus gestärkt werden. Zugleich gilt es, eine jetzt bereits erkennbare Überforderung der Europäischen Union, die sich im Zuge der Erweiterung der Gemeinschaft noch verschärfen dürfte, zu vermeiden.
Vor allem müssen wir darauf drängen, dass von der Europäischen Union nicht immer neue detailliertere Verwaltungsanforderungen an Regionen und Kommunen gestellt werden, die kaum mehr zu meistern sind.
In diesem Zusammenhang erscheint es mir wichtig, dass die Befugnisse der Europäischen Union zur Rechtsharmonisierung im Binnenmarkt eindeutiger als bisher abgegrenzt werden. Unsere Erfahrungen zeigen, dass die Kommission in vielen Fällen leider dazu tendiert, auch Vorhaben, die primär anderen politischen Zielen – etwa dem Verbraucherschutz, der Medienpolitik oder der kulturellen Zusammenarbeit – dienen, wegen ihrer dann stärkeren Handlungsmöglichkeiten dem Binnenmarkt zuzuordnen. Der Europäische Gerichtshof hat hierzu klare Regeln aufgestellt, die in den Verfassungstext übernommen werden sollten. Um es klar zu sagen: Es darf nicht über die Binnenmarktkontrolle zu so etwas wie einer „Kompetenzkompetenz“ kommen.
Als Vorsitzender der Rundfunkkommission der Länder gilt meine besondere Aufmerksamkeit Artikel 11 der Grundrechtscharta, der aus meiner Sicht ohne inhaltliche Änderungen in die Verfassung übernommen werden sollte.
Gleichfalls ist es von erheblicher Bedeutung, dass das Amsterdamer Protokoll zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk ohne Änderung seiner Rechtsqualität dem neuen Verfassungstext angefügt wird. Wünschenswert wäre darüber hinaus ein eigener Medienartikel in Ergänzung des bisherigen Kulturartikels. Klar muss sein: Auf die Kultur- und Medienkompetenz der Europäischen Union gestützte Maßnahmen können nur diejenigen der Mitgliedstaaten ergänzen. Eine Abkehr vom Einstimmigkeistserfordernis in diesen Fragen würde der Achtung der nationalen und kulturellen Identität der Mitgliedstaaten diametral entgegenlaufen.
Viertens schließlich wünsche ich mir eine Stärkung der regionalen Ebene innerhalb der Europäischen Union. Die Regionen – in Deutschland die Länder – können im Hinblick auf die Bürgernähe und die Legitimität der Europäischen Union einen wesentlichen Beitrag leisten. Zudem sind sie ohnehin in aller Regel für die Umsetzung der Rechtsakte der Europäischen Union zuständig.
Länder und Regionen sind zu einer konstruktiven Mitwirkung in der Europapolitik bereit. Dies haben alle Begegnungen und begleitenden Diskussionsforen zu diesem Konvent immer wieder unterstrichen. Doch muss die Europäische Union künftig den Regionen beispielsweise bei eigenen Strukturfördermaßnahmen einen größeren Handlungsspielraum einräumen und vor allem die Regionen mit Gesetzgebungsbefugnissen mehr als bisher als ernst zu nehmende Partner akzeptieren.
Derzeit ist unklar, ob wir das von uns geforderte allgemeine Klagerecht der einzelnen Regionen mit Gesetz
gebungskompetenz erreichen können. Doch wäre es sicherlich bereits ein Fortschritt, wenn künftig der Ausschuss der Regionen und die Ländermehrheit über den Bundesrat gegen Verletzungen des Subsidiaritätsprinzips rechtlich vorgehen könnten.
Positiv bewertet die Landesregierung die Vorschläge zur Subsidiaritätskontrolle, die einer solchen Möglichkeit vorgeschaltet werden soll. Dadurch würden der Deutsche Bundestag und der Bundesrat auch in der politischen Bewertung der Subsidiaritätsanwendung an Gewicht gewinnen.
Ebenso bedeutend für die regionalen Anliegen sind die Fragen der Balance innerhalb der Europäischen Union, die bis zum Schluss des Konvents heftig debattiert werden. Dazu zähle ich die Stellung und Struktur von Kommission und Rat, die eines möglichen Ratspräsidenten, die Gestaltung der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, das Gewicht kleiner und großer Mitgliedsstaaten. Es muss ferner darum gehen, dass die vom Deutschen Bundestag und von der Bundesregierung und von uns allen gewünschte Stärkung der Rechte des Europäischen Parlaments gesichert wird. Dies wiederum ist noch keinesfalls sicher.
Für den erfolgreichen Abschluss der Arbeiten ist noch eine gewaltige Kraftanstrengung aller Beteiligten notwendig. Es wäre insoweit nicht hilfreich, wenn für die im Herbst anschließende Regierungskonferenz wesentliche Fragen offen blieben, weil ich der Auffassung bin, dass der Konvent seine Legitimität aus der Diskussion heraus und aus seiner Zusammensetzung heraus ziehen muss und aus einer breiten Beteiligung der nationalen Parlamente, der nationalen und regionalen Verantwortlichen der Parlamente der kommunalen Ebene, aber auch der Bürgerschaft, die sich an dieser Diskussion beteiligt. Ich bin der Meinung, dass wir nur über diese Legitimität die entscheidenden Fragen so klären können, dass dann Entscheidungen des Europäischen Rats möglich sind. Ich bin nicht der Auffassung, dass wir den Regierungen allein die Aufgabe übertragen sollten, wichtige, sehr unterschiedlich daherkommende Fragen am Ende entscheiden zu müssen.
Für mich besonders erfreulich ist es, dass sich die deutsche und die französische Regierung im Konvent auf gemeinsame Initiativen verständigen konnten. Bisher wurden drei gemeinsame deutsch-französiche Beiträge eingebracht: ein Beitrag zur Weiterentwicklung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, ein Beitrag zur Verwirklichung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sowie Vorschläge zur Reform der Institutionen. – Diese Vorschläge, insbesondere letztere, sind nicht unumstritten, aber sie sind meiner Meinung nach wichtige Orientierungspunkte der Diskussion im Konvent.
Gestatten Sie mir bitte fünftens, auf zwei Aspekte einzugehen, für die sich die rheinland-pfälzische Landesregierung in den vergangenen Monaten beharrlich eingesetzt hat und bei denen wir in vielfacher Weise hinter den Kulissen die Kontakte gesucht haben.
Wir halten es für erforderlich, dass über die Achtung der innerstaatlichen Strukturen hinaus die kommunale Selbstverwaltung ein verbrieftes europäisches Recht wird.
Zum anderen wäre Europa heute nicht dieses Europa ohne seine religiösen Traditionen. Dies soll in der Verfassung angemessen Berücksichtigung finden, ebenso wie die bedeutende Rolle, die auch die Religionsgemeinschaften in vielen europäischen Mitgliedsstaaten für den gesellschaftlichen Zusammenhang haben. Es gibt derzeit einige unterschiedliche Vorschläge, um den Gedanken der Verankerung der Bedeutung von Religion und Ethik in der Verfassung vorzunehmen. Ich meine, dass es durchaus realistische Chancen gibt, dies umzusetzen. Wir wissen, dass es beispielsweise wegen der unterschiedlichen Verfassungstraditionen auch zwischen Frankreich und Deutschland nicht einfach ist, eine entsprechende Lösung zu finden. Wir haben aber insoweit Glück, als dass Valéry Giscard d‘ Estaing den Vorsitz dieses Konvents wahrnimmt, weil an vielen Stellen, wenn man seine Vorschläge verfolgt und die Diskussionen miterlebt, feststellbar ist, dass die langen Jahre des engen Zusammenwirkens zwischen Deutschland und Frankreich und seine persönliche Rolle ein Verständnis auch der deutschen Verfassungswirklichkeit und Verfassungslage mit sich bringt, dass man nicht automatisch von einem grundsätzlich anders verfaßten Land und einem seiner Repräsentanten erwarten darf. Insoweit bin ich in Bezug auf diese Fragen nicht ohne Hoffnung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die größere Union wird von den Bürgerinnen und Bürger aber nur akzeptiert werden, wenn sie in ihrer Politik auf deren Sorgen und Nöte – die der Bürgerinnen und Bürger – eingeht. Zugleich müssen europapolitische Themen in der Öffentlichkeit eine größere Rolle spielen.
Im Zusammenhang mit der europäischen Verfassung rege ich eine europäische Debatte zu den großen Zukunftsfragen dieser EU an. Die dabei anzusprechenden Themenstellungen müssen in die Parteien, Verbände, Schulen und Universitäten hineingetragen werden. Vor allem geht es mir auch darum, die jungen Menschen dabei anzusprechen; denn die europäische Entwicklung hat unmittelbare Auswirkungen unter anderem auf die Bildungschancen und auf den Zugang zum Arbeitsmarkt.