Dass es diesen Konvent in Lübeck am kommenden Montag gibt, ist schon das erste Bemerkenswerte. Wir vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN begrüßen die Einberufung des Konvents in Lübeck. Wir unterstützen das Anliegen der gemeinsamen Erklärung.
Wir wünschen uns, dass bei der Fortsetzung des Konventprozesses die Grundforderungen der gemeinsamen Lübecker Erklärung in weitgehendem Konsens ausformuliert werden können und noch in dieser Legislaturperiode – damit meine ich die Legislaturperiode der Bundesregierung – in erste Schritte bei der Reform des bundesstaatlichen Systems einfließen können.
Ich will an dieser Stelle nach diesem grundsätzlichen Bekenntnis selbstkritisch fragen, wer außer den Landesparlamenten prädestinierter wäre, diese Diskussion voranzutreiben. Ich teile die Auffassung, die Herr
Dr. Gölter vorgetragen hat, dass viele andere dieses Interesse nicht so sehr nach vorn stellen. Wir müssen uns aber selbstkritisch fragen, warum wir das nicht schon vorher, früher, lauter und wahrnehmbarer gemacht haben. Ich glaube, nur mit einer breiten Diskussion in den Länderparlamenten selbst, mit einer Diskussion, die über den Kreis dieses Hauses hinaus in die Öffentlichkeit geht und die nicht zusätzliche Auslöser wie den Europäischen Konvent braucht, bekommen wir das hin, was notwendig ist, nämlich dass in Deutschland der Verdruss über den Föderalismus abgelöst wird von einer neuen Zustimmung oder von einer neuen Begeisterung für Föderalismus,
und zwar nicht nur Begeisterung in eigener Sache in diesem Haus, sondern Begeisterung bei den Menschen, die dieses Prinzip über lange Zeit hochgehalten, geschätzt und als wesentliche Säule unserer demokratischen Entwicklung angesehen haben.
Fragen wir uns ehrlich, wer außer dem aufmerksamen „ZEIT“-Leser, dem Altrevoluzzer oder dem Senator i.A., also Senator in Aussicht, Herrn Dr. Gölter, wer in der Breite der Bevölkerung bekommt mit, wo im Moment der Diskussionsstand liegt, zum Beispiel in der Kommission der Bundesregierung und der Länderregierungen, die in dieser Diskussion schon ein ganzes Stück weiter sind als das, was die Länderparlamente zurzeit an Formulierungen vornehmen werden?
Wer weiß, dass dieser Beratungsprozess auf Regierungsseite Ende 2003 abgeschlossen sein soll und schon 2002 auf den Weg gebracht worden ist? – Ich wage zu behaupten, wenige wissen das, zu wenige. Ich glaube, deswegen ist das Engagement der Landesparlamente nicht nur in eigener Sache so wichtig, sondern durchaus auch im Verständnis dafür, dass wir andere anstecken müssen, in diese Diskussion mit einbeziehen müssen und wir diese Begeisterung wieder wecken wollen.
Herr Dr. Schiffmann hat vorhin angesprochen, dass man durchaus behaupten kann, dass wir nach den grauenvollen Erfahrungen mit der Nazi-Diktatur, die als einen ihrer ersten Schritte jede föderale Struktur zerschlagen hat, ohne eine neue demokratische Ordnung mit einklagbaren Grundrechten, aber auch mit einer föderalen Struktur und einer Selbstverwaltung der Kommunen, die wir uns nach dem Zweiten Weltkrieg gegeben haben, heute nicht so überzeugt von einer gefestigten Dem okratie reden könnten, wie ich dies heute tue.
Ich glaube, wir leben in einer gefestigten Demokratie, und ein wichtiger Grundpfeiler war und ist das föderale Prinzip. Wenn wir dieses föderale Prinzip neu beleben wollen und ihm die Bedeutung der Selbstverwaltung, der Selbstregierung, des Erhalts von dezentralen Kompetenzen, der Vielfalt, aber auch der Nähe von Entschei
dungen und der Identität beimessen, sind wir in der Diskussion sehr nahe bei den Menschen angekommen, die in einer immer komplexer werdenden Welt eine erlebbare Demokratie haben möchten. Das bedeutet nicht die Delegation ins Zentrum, sondern das Zurückholen von Entscheidungen nach unten, in die Nähe, die Wählbarkeit und die Überschaubarkeit. Ich glaube, damit sprechen wir viele an und insbesondere all diejenigen, die sich zivilgesellschaftlich organisieren und einen solchen Prozess nicht nur parlamentarisch und staatlich, sondern auch außerstaatlich begleiten wollen. Dafür lohnt es sich. Es lohnt sich auch, all diese Menschen mitzunehmen. Wenn wir das nicht schaffen, wird die Diskussion, die Entscheidung, aber auch das, was wir in Lübeck und in den nachfolgenden Diskussionen an Reformen auf den Weg bringen wollen, fade und ohne durchgreifenden Erfolg, meine Damen und Herren.
Meine Vorredner haben an ein paar Beispielen ausgeführt oder auch beschrieben, dass sich der Zustand des deutschen Föderalismus verändern muss, weil er in den vergangenen Jahrzehnten ausgezehrt wurde. Ich möchte insbesondere drei Entwicklungen nennen, die an dieser Auszehrung beteiligt waren.
Der deutsche Föderalismus wurde zum einen durch die Entwicklung hin zu einem Exekutivföderalismus ausgezehrt, im Übrigen ein Bereich, der in dem gemeinsam getragenen Antrag in diesem Haus meiner Meinung nach zu kurz gekommen ist. Aber wir haben gesagt, wir bringen einen gemeinsamen Antrag ein, aber erlauben es uns, in der Debatte auf andere Schwerpunkte einzugehen.
Wir müssen feststellen, dass der Kompetenzverlust der Landesparlamente in Richtung Bund und Europa fast ausschließlich durch einen Einflusszuwachs der Landesregierungen im Bundesrat kompensiert wurde, und zwar immer mit Verlusten für die Länderparlamente. Das, was sich in einer – extrem ausgedrückt – nie enden wollenden Kaminrunde der Ministerpräsidenten an Exekutivföderalismus entwickelt hat, – –
Schrecklich! Ich stelle es mir nicht immer so kommod vor wie Herr Dr. Gölter, aber wir wissen, was in der Vergangenheit an zentralen Entscheidungen an diesem Kamin getroffen wurde.
Wenn wir auf der anderen Seite sehen – Herr Dr. Gölter hat diese Zahl genannt –, dass 60 % der Bundesgesetzgebung mittlerweile zustimmungspflichtig sind, so kann dies nicht das sein, was wir uns unter einer föderal organisierten Demokratie vorgestellt haben.
Auch die Entwicklung von zahlreichen Kommissionen auf Bund-Länder-Ebene strotzt eigentlich eher durch Intransparenz als durch föderale Strukturen. Vor dem Hintergrund solcher Entwicklungen und Beschreibungen kann man schon verstehen, dass Bürgerinnen und Bürger den Mut, aber auch die Lust verlieren, dort mit hineinwirken zu wollen. Ich denke beispielsweise auch an Pattsituationen im Vermittlungsausschuss.
Der zweite Prozess, der zu dieser Auszehrung beigetragen hat, ist die parteipolitische Instrumentalisierung des Föderalismus. Herr Dr. Gölter hat gesagt, es ist nicht immer nur das föderale Prinzip, das im Wege stand, wenn es zu Entscheidungen kam, ob dies nun in Form von Nebenkanzlern oder Kandidaten war, die sich dort in besonderer Art und Weise einbringen. Denken Sie in diesem Zusammenhang auch an die Abstimmung über das Zuwanderungsgesetz mit diesem abgesprochenen Zauber von CDU und SPD aus Brandenburg. Wenn diese Praxis fortgeführt werden sollte, brauchen wir uns an einer Föderalismusreform gar nicht erst versuchen, meine Damen und Herren.
Wenn wir es nicht schaffen, solche parteitaktischen Instrumentalisierungen hinten anzustellen, werden wir nicht zu einem Erfolg kommen. Wir müssen uns an der Sache orientieren, und das muss uns allen klar sein.
Der dritte Aspekt, der ebenfalls an der Auszehrung des Föderalismusprinzips beteiligt war, waren durchaus freiwillige Beschneidungen, beispielsweise die Einstimmigkeitspflicht in der Kultusministerkonferenz, wenn es um die Anerkennung von Bildungsabschlüssen ging. Je mehr Einstimmigkeit, um so weniger Wettbewerb, aber auch um so weniger kreative Ansätze in der Bildungspolitik sind gegeben. Auch dies ist ein Prozess, der nicht nur vom Bund diktiert war, sondern der von den Ländern und den Regierungen als solchen gewählt wurde.
Ich komme nun zu der Perspektive. Wenn der Föderalismus nicht zu einer Reformbremse werden oder sich als solche verfestigen soll, muss klar sein, dass wir ihn zu einem Gestaltungsföderalismus entwickeln müssen, sonst wird er seine Stärken in der Vielfalt und im Wettbewerb, gepaart mit Solidarität, nicht entwickeln können. Ich möchte kurz vier Punkte benennen, die auch von vielen anderen benannt wurden:
Erstens muss die Grundlinie sein, dass klare Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern gefunden werden, die im Kontext mit der Kompetenzordnung in Europa stehen, und dass die Gesetzgebungskompetenz der Länder erweitert werden muss. Damit hätten wir als Parlament und als Gesetzgeber wieder mehr Kompetenz. Aber das bedeutet für mich – auch das fehlt mir in unserem Antrag und in dem, was wir schriftlich fixiert haben –, dass die Länder im Gegenzug auf einen Teil ihrer Einspruchsrechte bei der Gesetzgebung verzichten müssen. Dabei sind wir als Parlament, aber insbesondere auch die Landesregierungen gefragt.
Wie gesagt, mit 60 % der Bundesgesetze, die auch auf Dauer zustimmungspflichtig sind, kann man mit einer solchen Kompetenzverteilung natürlich jede Bundesregierung lahm legen, und auch dies kann nicht im Interesse der Länder und der Länderparlamente sein.
Wir brauchen zweitens eine Entflechtung der Gemeinschaftsaufgaben. Wir müssen überdenken, welche Aufgaben heute gemeinschaftlich getragen werden müssen.
Damit einher geht die Neuordnung der Finanzverfassung, die man in diesem Zusammenhang anmahnen muss.
Meine Damen und Herren, ich möchte deutlich in Richtung der CDU sagen, wie schwierig dies in der konkreten Ausformulierung werden wird, erkennt man doch schon an der zurückhaltenden Art, wie es in der Lübecker Erklärung überhaupt untergebracht werden konnte.
Das ist der Punkt, der allein in dem ersten Beschluss der Länderparlamente mit einem Prüfauftrag versehen wird. Sie wissen doch alle, dass die Sorge der finanzschwachen Länder dort auf der Bremse gestanden hat. Wahrscheinlich ist es viel einfacher, dass wir uns hier innerhalb eines Parlaments in dieser Frage auf eine Position einigen, was Mischfinanzierung und Finanzverfassungsreform angeht, als dass wir das in einem Konvent zwischen den verschiedenen Länderparlamenten hinbekommen. Ich weiß nicht, wie Ihre Erfahrungen in den Abstimmungsprozessen mit den Fraktionen in den anderen Bundesländern waren. Ich habe davon auch schon bei den GRÜNEN-Landtagsfraktionen einen Vorgeschmack haben können. Das wird einer der schwierigsten Punkte sein. Es wird entscheidend sein, wenn man das auf Konsens orientieren will und Schritte machen will, weil ich glaube, da kriegt man keine Revolution hin, Herr Dr. Gölter, dass dann eine Veränderung mit der Zusicherung der Solidarität auch mit den finanzschwachen Ländern gekoppelt werden muss, weil wir dort sonst keine Basis für eine Veränderung und eine Entscheidung hinbekommen, meine Damen und Herren.
Drittens will ich hier nicht einem wilden Wettbewerbsföderalismus das Wort reden. Ich will ein ganz aktuelles Beispiel nehmen. Heute Morgen habe ich sehr früh in den Nachrichten gehört, dass der Ministerpräsident Teufel von Baden-Württemberg erklärt, dass BadenWürttemberg aus der Tarifgemeinschaft der deutschen Länder ausscheidet. Das ist eine andere Diskussion? Aber ich will nur einmal deutlich machen, ich persönlich erachte das als einen falschen Schritt, als einen, der uns auch in eine falsche Richtung bringen wird, wenn einzelne Länder jetzt diese Entscheidung treffen. Ich befürworte es auf der anderen Seite aber, dass mit dem jüngsten Bundesratsbeschluss eine Öffnungsklausel den Ländern im Rahmen des Bundesbesoldungsgesetzes Möglichkeiten und einen beschränkten Gestaltungsspielraum gibt. Wenn wir über Wettbewerbsföderalismus reden, können wir das nicht nur – wenn ich einmal auf Bilder aus der Formel 1 zurückgreifen kann – aus der Pole-Position, sondern dann müssen wir sehen, wie wir das mit denjenigen, die nicht in der Pole-Position, sondern aus der fünften Reihe starten müssen, hinbekommen.
Da bin ich überzeugt, dass wir keinen reinen Wettbewerbsföderalismus gestalten können, ohne dass wir auch Leitplanken der Solidarität mit einziehen. Anders
Viertens möchte ich noch einen Gedanken ansprechen, der uns hier hin diesem Hause besonders betrifft, nämlich uns als gesamtes Parlament und die Bundesregierung, dass wir einen Weg finden müssen, dass bei Bundesratsentscheidungen und bei Vorhaben der Europäischen Kommission, die unseren Zuständigkeitsbereich berühren, unsere Stellungnahmen von der Regierung maßgeblich berücksichtigt werden. „Unsere Stellungnahmen“ heißt Stellungnahmen des Parlaments. Bisher haben wir auch bei der Diskussion um die Veränderung der Landesverfassung hier nur eine Information, eine Unterrichtung vorgesehen. Mitwirkung in aktiver Form gibt es dort nicht. Auch das kann so nicht bleiben. Davon bin ich fest überzeugt. Da müssen wir in diesem Hause auch noch einmal heran.
Meine Damen und Herren, ich will zum Schluss noch einmal kurz drei Bedingungen nennen, die meines Erachtens Voraussetzungen für ein Vorwärtskommen in der bundesstaatlichen Modernisierung darstellen:
1. Wir müssen nach Lübeck einen Nachfolgeprozess hinbekommen, der die Forderungen konkretisiert und die Sicht der Landesparlamente in die Verhandlungen mit der Regierungskommission einbringt und auch durchsetzt, meine Damen und Herren.
2. Wir müssen die Diskussion zwischen den Landesparlamenten und in den Parlamenten konsensorientiert führen. Wenn wir das nur an Polen und nur polarisiert führen, werden wir als Landesparlamente dort keine maßgebliche Rolle spielen.
3. Der Diskussions- und Reformprozess darf nicht aus parteipolitischen Überlegungen heraus blockiert und instrumentalisiert werden. Das ist schwierig – das weiß ich – in der derzeitigen Konstellation, wenn ich nur auf die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag und im Bundesrat schaue. Das ist natürlich verführerisch für die ganze Klaviatur der Parteipolitik. Aber wenn das dazu führt, dass keiner aufgrund der aktuellen Gegebenheiten etwas an Einflussmöglichkeiten aufgeben will, dann wird dieser Prozess auch erfolglos bleiben.
Meine Damen und Herren, deswegen will ich zum Schluss noch einmal sagen, wir wollen einen kraftvollen Auftakt in Lübeck, nicht zuletzt, um das Demokratieprinzip für die Menschen im Land lebbar zu machen. Wir wollen eine Fortsetzung und eine Konkretisierung der Debatte in diesem Landtag. Dafür bietet der gemeinsame Antrag eine Grundlage. Ich kann auch sagen, er bietet dafür eine gute Grundlage, aber es wird auch noch Grund geben, sich zu streiten, insbesondere, was die Mitwirkung auch bei Entscheidungen, die bisher nur der Exekutive vorbehalten sind, angeht.
Für die Bedeutung des Konvents in Lübeck im Zusammenhang mit der europäischen Integration wird jetzt mein Kollege Wiechmann noch etwas sagen.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie Frau Thomas eben schon in den Grundlinien und in den Grundhaltungen unserer Fraktion ausgeführt hat, begrüßt auch unsere Fraktion die Einberufung des Föderalismus-Konvents in der nächsten Woche in Lübeck – gar nicht so weit weg von meiner Heimat – ganz besonders.