Protocol of the Session on January 25, 2002

Meine Damen und Herren, Herr Mertes, eine Anmerkung: Wenn Sie etwas im Ältestenrat sagen, dann heißt es noch lange nicht, dass es vereinbart ist. Ich hatte an dieser Stelle widersprochen. Wenn einer widerspricht, dann existiert keine klare Vereinbarung. So weit dazu.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Mertes, SPD: Alle anderen waren dieser Auffassung!)

Meine Damen und Herren, mit dem Titel unseres Antrags – „Umfassenden Embryonenschutz sichern – Geeignete Alternativen zur embryonalen Stammzellenforschung in der Humangenetik nutzen“ – haben wir unsere Position zur embryonalen Stammzellenforschung schon präzise beschrieben und nach langer und intensiver Diskussion bezogen.

Die Diskussion ist notwendig geworden, weil sich die Bonner Wissenschaftler Professor Brüstle und Herr Wiestler als Protagonisten für die Nutzung embryonaler Stammzellen unter tätiger Mitwirkung des Ministerpräs identen in Nordrhein-Westfalen aufgeschwungen haben. Diese Diskussion wird seit einem Jahr an verschiedenen Stellen intensiv geführt, in der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags, im Nationalen Ethikrat und in dem Symposium, das wir in Rheinland-Pfalz gemeinsam im Oktober durchgeführt haben.

Wir sind zu der Auffassung gelangt, dass wir weiterhin an einem umfassenden Embryonenschutz entsprechend den Vorgaben des deutschen Embryonenschutzgesetzes festhalten sollten. Wir sind der Auffassung, dass wir bei den drängenden medizinischen Fragestellungen, wie der Behandlung von bisher unheilbaren oder nur unzureichend zu behandelnden Krankheiten wie Multiple Sklerose, Alzheimer und viele andere, auf die vorhandenen Alternativen zur Stammzellenforschung an embryonalen Stammzellen setzen müssen. Zum einen, weil dieser Weg von vielen in der Wissenschaft als mindestens genauso erfolgreich angesehen wird, und zum anderen, weil wir damit ethisch weniger bedenkliche Arbeiten ermöglichen.

Wir fühlen uns sehr wohl der Ethik des Heilens verpflichtet. Wir wollen aber nicht auf Stammzellen zurückgreifen müssen, die durch den Verbrauch oder – konkreter gesagt – durch die Tötung von Embryonen entstanden sind oder gar damit die Zucht von embryonalen Stammzellen billigen würden.

Ferner sind wir der Auffassung, dass wir dann folgerichtig auf den Import embryonaler Stammzellen verzichten wollen. Wir wollen in Deutschland keine Forschung an den so genannten überzähligen Embryonen zulassen und damit die Entwicklung und die Produktion neuer Stammzellen in Deutschland ermöglichen.

Meine Damen und Herren, weil immer wieder ein Widerspruch (Glocke des Präsidenten – Mertes, SPD: Auch da!)

zwischen der Ethik des Heilens, aber auch dem Grundrechtsschutz der Embryonen aufgebaut wird, will ich darauf in der nächsten Runde eingehen. Wir haben uns zum Glück viel Zeit dafür genommen. Insbesondere möchte ich dann auf die Fragen der Forschungsdynamik und der technischen Entwicklung eingehen. Das sind zwei Aspekte, die man in dieser Diskussion nicht unerläutert lassen darf.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es spricht die Frau Abgeordnete Schleicher-Rothmund.

(Mertes, SPD: So haben wir es doch vereinbart! Sie sind doch die Minderheit! Sie sind doch sonst so demokratisch! – Zuruf des Abg. Dr. Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Mertes, SPD)

Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die biomedizinische Forschung entwickelt sich mit einer immensen Dynamik. In immer kürzeren Abständen präsentieren uns die Lebenswissenschaften wie Genomforschung, Zellbiologie und Stammzellenforschung neue Erkenntnisse und Möglichkeiten.

Vor allem die Stammzellenforschung ist zu einem zentralen Bereich der biomedizinischen Wissenschaft geworden. Mit ihr werden große Erwartungen an die Heilung schwerer Krankheiten wie Multiple Sklerose, Alzheimer, Krebs und Herzleiden verbunden.

Wissenschaftler in Deutschland wollen nun neben der bereits stattfindenden Forschung mit adulten Stammzellen ebenso die Forschung mit pluripotenten embryonalen Stammzellen beginnen. Hierbei geht es den Wissenschaftlern sowohl um das größere Potenzial der embryonalen Stammzellen als auch um den Erkenntnisgewinn durch die vergleichende Forschung.

Es ist nicht auszuschließen, dass die Forschungsergebnisse aus der Forschung mit embryonalen Stammzellen

dazu führen, dass auf ihre weitere Verwendung zugunsten von adulten Stammzellen verzichtet werden kann.

In der nächsten Woche wird der Deutsche Bundestag aufgrund eines Antrags der Deutschen Forschungsgemeinschaft über den Import von embryonalen Stammzellen entscheiden. Sowohl der Import als auch die Forschung mit embryonalen Stammzellen sind in Deutschland zulässig. Die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken wird vom Embryonenschutzgesetz untersagt.

Meine Damen und Herren, das Abstimmungsergebnis des Deutschen Bundestags am 30. Januar ist noch offen. Für die Abstimmung wird es keinen Fraktionszwang geben. Die Abgeordneten entscheiden nach ihrer persönlichen Einschätzung. Ein mögliches Votum für einen Import embryonaler Stammzellen wäre keinesfalls das Ergebnis einer oberflächlich geführten Debatte.

In den vergangenen Wochen und Monaten konnten wir die Ernsthaftigkeit, die Sachlichkeit und die diesem Thema gebührende Behutsamkeit sowohl in den Berliner Fraktionen als auch bei uns während des Symposiums erleben. Diesen Stil müssen wir bei einer verantwortungsvoll geführten Diskussion beibehalten.

(Beifall bei SPD und FDP)

Lassen wir uns auch nicht bei unserer Meinungsbildung hetzen, sondern lassen Sie uns wie vereinbart diese Debatte ausgiebig und in Ruhe im April führen. Wir alle fühlen uns dem Respekt vor der Schöpfung, vor dem menschlichen Leben und vor unserer Verfassung verpflichtet.

Das Grundgesetz garantiert sowohl das Grundrecht auf Leben als auch die Freiheit der Wissenschaft. Keine Vorschrift des Grundgesetzes darf so ausgelegt werden, dass eine andere dadurch völlig außer Kraft gesetzt wird. Die Ethik des Lebens, die Ethik des Heilens und die Freiheit der Wissenschaft müssen die Basis für unsere Entscheidung bilden.

(Beifall bei SPD und FDP)

Auch wenn sich die Stammzellenforschung noch in der Grundlagenforschung befindet und es keine Garantie für Heilungschancen gibt, so dürfen wir dennoch diese Heilungsperspektiven im Interesse der von schweren Krankheiten betroffenen Menschen nicht als irrelevant abtun. Es ist das Wesen der Forschung, auf einen angenommenen Erfolg hinzuarbeiten.

Auch in der Vergangenheit wurden Methoden der medizinischen Forschung heftig diskutiert. Ein gutes Beispiel dafür ist sicherlich die Anatomie.

Wer heute die Forschung an pluripotenten embryonalen Stammzellen in Deutschland aus ethischen Beweggründen ehrlich gemeint und konsequent unterbinden will, der müsste folgerichtig einen Maßnahmenkatalog für ein Verbot der andernorts erzielten Forschungserfolge in Deutschland vorlegen.

(Beifall bei SPD und FDP)

Diese Problematik würde nicht nur konkrete Diagnoseund Therapiemethoden betreffen, sondern sie würde bereits den Umgang mit Forschungserkenntnissen meinen.

Meine Damen und Herren, nach meiner Auffassung darf der Import pluripotenter embryonaler Stammzellen nur unter strengen Auflagen geschehen. Forschungsvorhaben mit solchen Stammzellen müssen genehmigt und kontrolliert werden. Die Einfuhrzulassung sollte zeitlich begrenzt werden. Ihre weitere Handhabung müsste erneut überprüft werden.

Die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken, das heißt, eine Verzweckung menschlichen Lebens, ist in keinem Fall zuzulassen.

(Beifall bei SPD und FDP)

Wer richtigerweise die Stammzellenforschung für einen schützenswerten Bereich hält, der sollte diese Forschung nicht aus der Hand geben. In diesem Sinn müssen wir uns stattdessen weiter dafür einsetzen, dass sich die Stammzellenforschung in einem eng gesteckten Rahmen von klar definierten ethischen und rechtlichen Grundsätzen bewegt. Darüber hinaus müssen wir uns dafür einsetzen, dass die Stammzellenforschung keinesfalls dem Diktat einer bloßen Gewinnorientierung unterworfen wird.

(Beifall der SPD und der FDP)

Es spricht nun Herr Abgeordneter Böhr.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es gibt wahrscheinlich wenige Entscheidungen, die so schwer zu treffen sind wie die, die sich im Zusammenhang mit den „ungeahnten Fortschritten“ bei den Biowissenschaften und mit den damit im Zusammenhang stehenden bioethischen Fragen stellen.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir geht es so, dass man sich selbst oft hin- und hergerissen fühlt. Auf der einen Seite stehen Hoffnungen, wobei sich der naturwissenschaftliche Laie überhaupt kein Bild davon machen kann, ob sich diese Hoffnungen irgendwann einmal erfüllen können. Viele Naturwissenschaftler warnen davor, diese Hoffnungen zu überziehen. Viele werden sich sicher nicht erfüllen. Es ist aber wahr, dass man selbst von dem beeindruckt ist, was vielleicht in naher oder ferner Zukunft möglich ist. Das ist die eine Seite.

Das andere sind die Bedenken, die wir alle insbesondere da haben, wo es um den Lebensschutz des Menschen geht, um die Frage seiner künftigen Gestaltung und um die Frage seiner möglichen Begrenzung. Die Diskussion, die seit unserer ersten Debatte im rheinland

pfälzischen Landtag sehr vorangeschritten ist, kann man meiner Meinung nach nicht so führen, wie Sie das getan haben, indem man die Sache im Unverbindlichen lässt, im Sowohl-als-auch, Frau Kollegin.

(Beifall der CDU)

Es wird uns eine Entscheidung abverlangt, wobei „uns“ jetzt nicht im wörtlichen Sinn gemeint ist, aber den Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestags in wenigen Tagen in der kommenden Woche.

Es gibt meiner Meinung nach eine Frage, von der sich dann alles andere ableitet. Das ist eine Frage, die ich auch für die entscheidende und zentrale Frage in diesem Zusammenhang halte. Das ist die Frage, ob es zulässig ist, einen menschlichen Embryo zu töten. Das ist in aller Klarheit formuliert die entscheidende Frage. Man kann sie höflicher formulieren, man kann sie camouflierender formulieren, aber es hilft nichts: Um diese Frage geht es. Auf diese Frage müssen wir eine ethische und eine politische Antwort geben. Entweder wird das Embryonenschutzgesetz geändert, oder es wird nicht geändert. Entweder geben wir der Forschung diese Vorgabe, oder wir verzichten darauf, der Forschung diese Vorgabe zu geben.

Auf die Frage nach dem Lebensschutz des menschlichen Embryos darf es meiner Meinung nach nur eine einzige klare und unmissverständliche Antwort geben: Nein, die Tötung eines menschlichen Embryos ist und darf nicht zulässig sein.

(Beifall der CDU)

Wenn man diese Frage so beantwortet, wie man sie meiner Meinung nach beantworten muss, folgen daraus eine ganze Reihe sehr, sehr konkreter politischer Schlussfolgerungen; denn dieses Nein zur Tötung des menschlichen Embryos beinhaltet natürlich das Nein zur verbrauchenden Embryonenforschung, beinhaltet natürlich das Nein zur Tötung kryokonservierter Embryonen und beinhaltet natürlich das Nein zur Nutzung so genannter überzähliger Embryonen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, dann ist die Gewinnung von menschlichen Stammzellen in Deutschland in Zukunft nicht erlaubt.

Dann stellt sich die Frage, die mancher Wissenschaftlicher an uns heranträgt, ob das eine auch mit Blick auf die Hoffnungen, von denen die beiden Vorrednerinnen gesprochen haben, im Grunde verantwortliche Entscheidung ist. Ich glaube ja, weil ich mir als juristischer Laie nicht vorstellen kann, dass zwei so ganz unterschiedliche Grundrechte wie das der Forschungsfreiheit auf der einen Seite und das des Lebensschutzes auf der anderen Seite ernsthaft miteinander in einem Wettbewerb stehen können.

(Beifall der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Lebensschutz kann nur der Lebensschutz im Widerstreit stehen. Deshalb ist es schon ein bisschen – ich will einmal sagen – verharmlosend, so zu tun, als wenn es da Abwägungsprozesse gebe. Es gibt da keine Abwägungspro