Protocol of the Session on May 28, 2020

Davon, meine Damen und Herren von der AfD, macht auch Ihre Partei ausgiebig Gebrauch. Zum Beispiel sagte die AfD Sachsen am 8. Juli 2017: „Berliner Urteil gegen U-Bahn-Treter ist Fehlurteil!“

„Nach Urteil wegen Verleumdung: AfD-Vorsitzender kritisiert Amtsrichter“, titelte die „Passauer Neue Presse“ am 14. November 2019.

„Skandal-Urteil“ schrieb der AfD-Kreisverband Wittenberg am 29. März 2020 auf seiner Internetseite.

Unsere Gerichte sind unabhängig, unsere Richterinnen und Richter sind stark. Sie entscheiden nach Recht und Gesetz und beweisen dabei Rückgrat, auch und insbesondere dann, wenn ihre Entscheidungen kritisiert werden oder wenn sie sogar – dieses Spiel beherrscht die AfD am besten – auf das Schlimmste persönlich angefeindet werden.

Sie brauchen keinen besonderen Schutz, der über das hinausgeht, was unsere Verfassung gewährleistet, so wie es die AfD beantragt. Deshalb lehnen wir diesen Antrag ab. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Geerlings. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Bongers.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Gleich zu Beginn möchte ich zum Ausdruck bringen: Niemand aus meiner Fraktion stellt die Unabhängigkeit der Justiz infrage, und ich bin mir sicher, dass auch niemand aus den anderen hier vertretenen demokratischen Fraktionen die Unabhängigkeit der Justiz infrage stellt.

Gewaltenteilung und die damit verbundenen Freiheiten für die Judikative sind tragende Werte unseres Staatsrechts und unserer Staatskultur. Aber auch,

wenn wir die Unabhängigkeit der Justiz für ein hohes Gut halten, heißt das nicht, dass die eine oder andere Entscheidung eines Gerichts nicht kritisch hinterfragt bzw. beurteilt werden kann.

Die Unabhängigkeit von richterlichen Entscheidungen schützt nicht vor Kritik an einzelnen Entscheidungen. Wie hier richtigerweise festgestellt wurde, gab es Kritik an dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf das Staatsanleihenkaufprogramm der Europäischen Zentralbank, das auch Public Sector Purchase Programme – kurz PSPP – genannt wird.

Allerdings wird im vorliegenden Antrag völlig verzerrt dargestellt, dass sich das Karlsruher Urteil explizit nicht gegen Hilfsmaßnahmen im Kontext der Coronapandemie richtet,

(Sven Werner Tritschler [AfD]: Das steht aus- drücklich drin!)

sondern dass es hier um die volkswirtschaftlichen Auswirkungen des früheren Anleihekaufprogramms PSPP geht.

(Sven Werner Tritschler [AfD]: Das steht im Antrag!)

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts sind aktuelle finanzielle Hilfsmaßnahmen der Europäischen Union oder der EZB im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Coronakrise ausdrücklich nicht Gegenstand der Entscheidung gewesen. Wer das zusammenbringt, offenbart eine ganz andere Haltung.

Dem Antragsteller geht es doch gar nicht um die Wahrung der Unabhängigkeit der Justiz nach dem Ultra-vires-Prinzip, also die Wahrung der Kompetenzen deutscher Gerichte. Ihnen geht es doch nur darum, die europaweite wirtschaftliche und finanzielle Solidarität in der Coronakrise in Verruf zu bringen.

Deutschland hat seit Beginn der Europäischen Union und sogar schon in ihrem Vorläufer, der Montanunion, wirtschaftlich stark von der Gemeinschaft mit anderen europäischen Staaten profitiert. Wenn man in der derzeitigen Krise die Bilder aus Italien oder Griechenland sieht, muss man kein glühender Europafreund sein, um Solidarität zu fordern.

(Beifall von der SPD und Christian Mangen [FDP])

Solidarität mit unseren europäischen Nachbarn ist einfach eine Frage des Anstands.

Der vorliegende Antrag zeigt sehr deutlich, wie zutiefst europafeindlich er ist. Unter dem Deckmantel der Forderung nach einer bereits bestehenden und niemals infrage gestellten Unabhängigkeit der Justiz sollen hier Ressentiments gegen eine europäische Bewältigung der Coronakrise geschürt werden.

Gerade jetzt ist europäische Solidarität wichtiger denn je. Aus diesem Grund lehnen wir Ihren Antrag ab.

(Beifall von der SPD und der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Bongers. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Mangen.

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Leider hat auch die Pause des allgemeinen Plenarbetriebs die Qualität der Anträge der AfD nicht verbessert.

(Lachen von der AfD)

Ich hatte gehofft, wenigstens in der mündlichen Begründung etwas dazuzulernen. Herr Kollege Tritschler, ich darf Sie daran erinnern, dass der Antrag den Titel „Unabhängigkeit deutscher Gerichte bewahren“ trägt. Gehört habe ich von Ihnen aber nur irgendetwas zum Thema „Inflation“.

(Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])

So gesehen war der Vortrag rechtskenntnisfrei, und dieser Antrag ist es bei näherer Betrachtung leider ebenfalls,

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU und der SPD)

denn bereits die geforderten Feststellungen laufen ins Leere und beweisen lediglich völlige Unkenntnis des deutschen Rechtsstaates und insbesondere des Grundsatzes der in Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz verankerten Gewaltenteilung.

Die Gewaltenteilung ist im deutschen Grundgesetz als besonders hohes Gut besonders schutzwürdig und zusätzlich durch die Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 Grundgesetz geschützt.

(Sven Werner Tritschler [AfD]: Jetzt lesen Sie mal nicht den Wikipedia-Eintrag vor!)

Doch, doch.

Die Unabhängigkeit der Richter ist auch kein Privileg, sondern eine Verpflichtung. Laut Art. 97 Abs. 1 Grundgesetz sind die Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen.

Jetzt fordern Sie in Ihrem Antrag, dass diese Unabhängigkeit vom Landtag NRW festgestellt werden muss. – Was also sowieso schon im Grundgesetz steht, was man nachlesen kann, sollen wir feststellen. Das ist wirklich überflüssig und zeigt, dass Sie sich mit dem Thema offenbar nicht wirklich befasst haben.

Obwohl in nicht allzu ferner Vergangenheit die Unabhängigkeit der Justiz gerade von rechtsnationalen

Parteien ausgehebelt wurde und auch heute noch ausgehebelt wird – momentan erleben wir das zum Beispiel in Polen oder Ungarn, und gerade Viktor Orbán ist doch Ihr großer Freund, den Sie immer als Vorbild zitieren, und gerade da passiert das gerade –,

(Sven Wolf [SPD]: Sehr richtig! – Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])

stellen Sie sich als AfD hin und lassen sich als Retter der deutschen Justiz feiern und befördern da auch noch etwas, was Sie selber schon getan haben: Richterschelte nennen Sie das.

Ich erinnere mich noch an einen denkwürdigen Antrag der AfD-Fraktion hier, in dem es um einen peruanischen Bauern ging, der RWE nicht verklagen durfte. Damals haben Sie Richterschelte betrieben, und nun wollen Sie diese als verfassungsfeindlich brandmarken.

Auch die zweite von Ihrer Fraktion geforderte Feststellung, dass es dem Bundesverfassungsgericht unbenommen sei zu prüfen, ob die Organe der EU ultra vires agieren, liegt außerhalb des Einflussbereichs des Landtags NRW.

Die Entscheidungsbefugnis des Bundesverfassungsgerichts ist abschließend in Art. 93 Grundgesetz geregelt; das kann man nachlesen. Daraus ergibt sich klar, dass das Bundesverfassungsgericht nicht per ipsum, also von sich selbst aus, befugt ist, das Handeln von EU-Organen zu überprüfen, weshalb Ihr Antrag an dieser Stelle sehr nebulös bleibt.

Wie auch im Falle des von Ihnen angesprochenen Urteils vom 5. Mai 2020 kann eine solche Überprüfung nur im Rahmen einer zulässigen Klage erfolgen, sofern eine Rechtsverletzung des Beschwerdeführers mindestens hinreichend geltend gemacht wurde.

Nun zu Ihren weiteren Beschlussforderungen. Der Landtag soll die EU-Kommission auffordern, von der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens abzusehen. Auch hier handelt es sich um eine rein plakative Forderung, da die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens nicht von einem Appell des Landtags Nordrhein-Westfalen abhängt.

Auch hier tun Sie wieder etwas Merkwürdiges: Sie geißeln den grünen EU-Abgeordneten Sven Giegold, der es in der Tat etwas dümmlich formuliert hatte, als er die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens forderte. Jetzt fordern Sie, dass das Vertragsverletzungsverfahren nicht durchgeführt werden soll. Das ist also vom Inhalt her dasselbe, was Herr Giegold getan hat.

Und auch da verweise ich auf die Lektüre des Art. 258 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, wonach nur die Kommission als Hüterin der Verträge rechtliche Schritte gegen einen Mitgliedsstaat einleiten kann, der seinen Verpflich

tungen nicht nachgekommen ist. Ob die Voraussetzungen des Art. 258 vorliegen, wird natürlich von der Kommission geprüft; das kann auch gerichtlich überprüft werden.

Denken Sie wirklich, wie Sie in Ihrem Antrag glauben machen wollen, dass die Aufforderung des grünen Europaabgeordneten Sven Giegold zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland geführt hat? – Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.

Gerade Ihr Versuch, auf die Entscheidungen Einfluss nehmen zu wollen, beweist, dass Sie den Grundsatz der angeblich von Ihnen geschützten Gewaltenteilung nicht verstanden haben oder nicht selber beherzigen.

(Beifall von der FDP)