Protocol of the Session on April 9, 2020

Verantwortliche Politik heißt in diesen besonderen Zeiten aber auch, Vorsorge für den Worst Case zu treffen. Das Beste zu hoffen, aber für das Schlimmste vorbereitet zu sein, bedeutet für uns heute, die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen für eine erneut zugespitzte Notlage zu schaffen und Handlungsfähigkeit herzustellen, bevor eine solche Lage eintreten könnte.

Vor dem Landtag gibt es eine Säule, die mir heute Morgen noch einmal aufgefallen ist. Auf ihr steht als Überschrift: „Wege der parlamentarischen Demokratie“. Einen solchen Weg der parlamentarischen Demokratie haben gestern die Fraktionsvorsitzenden, Parlamentarischen Geschäftsführer und Mitarbeiter der Fraktionen für das Epidemiegesetz gefunden. Teil unserer Vereinbarung ist die Verabredung, einen gemeinsamen Antrag zu erarbeiten, der ein Konzept zum Aufbau wirksamer Strukturen in solchen Pandemielagen vorsieht.

Ich kann uns allen nur dringend raten, dazu einen Blick in das Schweizer Bundesgesetz über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen zu werfen. Das, was dort glasklar in einer Abfolge von Maßnahmen geregelt ist, kann beispielhaft sein für das, was wir hier im Land regeln können.

Das, was wir heute mit dem Pandemiegesetz beschließen wollen, ist dort übrigens in Art. 6, Besondere Lage, beschrieben. Dieser Artikel unterscheidet sich gar nicht so sehr von unserer Definition einer Pandemielage von besonderer Tragweite für das Land Nordrhein-Westfalen.

Danach kann der Bundesrat, also die Bundesregierung der Schweiz, nach Anhörung der Kantone folgende Maßnahmen anordnen: „Maßnahmen gegenüber einzelnen Personen“, „Maßnahmen gegenüber der Bevölkerung“ und – man lese und staune – „Ärztinnen, Ärzte und weitere Gesundheitsfachpersonen verpflichten, bei der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten mitzuwirken“. Verpflichten!

Wir in Nordrhein-Westfalen sind vielleicht vorsichtiger als die sprichwörtlich vorsichtigen Eidgenossen, die diese Rechte in die Hände ihrer Regierung legen und auf einen verantwortlichen Umgang mit diesen vertrauen.

Aber es erschließt sich mir jedenfalls bis zum heutigen Tage nicht, warum der Deutsche Bundestag mit den Stimmen aller demokratischen Fraktionen den Bundesgesundheitsminister ohne Parlamentsvorbehalt zu den gleichen Grundrechtseingriffen berechtigt, die wir in diesem Parlament mit Parlamentsvorbehalt regeln.

Meines Erachtens sollte ein NRW-Gesundheitsminister nicht nur – was wir dankenswerterweise in diesem Gesetz geregelt haben – die Möglichkeit haben, mit einer Meldepflicht festzustellen, wo benötigtes medizinisches Gerät ist, sondern auch die Möglichkeit, die dem Bundesminister eingeräumt worden ist, dieses Gerät in einer speziellen Notlage auch zu beschlagnahmen und dorthin zu bringen, wo es notwendig ist und richtig eingesetzt werden kann.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, deshalb bitte ich darum, das Nachfolgende einfach auch als Bitte zu verstehen: Wir sollten achtgeben, dass aus dem notwendigen Kontrollrecht des Parlaments kein grundsätzliches Misstrauen gegenüber der Arbeit der Regierung erwächst.

In diesem Zusammenhang sind mir und meiner Fraktion bei allem Bestreben nach Gemeinsamkeit zwei Feststellungen, die ich ebenfalls als Bitte verstanden wissen möchte, wichtig:

Erstens. Niemand sollte einem christdemokratischen Minister den Vorwurf machen... Sie haben es dankenswerterweise heute anders genannt und von

„Zwangsverpflichtungen“ gesprochen. Aber Sie haben auch schon von „Zwangsarbeit“ gesprochen. Diesen Vorwurf sollten Sie nicht machen.

Zweitens. Niemand sollte einem christdemokratischen Ministerpräsidenten den Vorwurf machen, seine Regierung und die sie tragenden Fraktionen hätten ein „Ermächtigungsgesetz“ vorgelegt.

(Thomas Kutschaty [SPD]: Das hat keiner ge- sagt! – Monika Düker [GRÜNE]: Nein! Das hat keiner gesagt! Nein! Dann sagen Sie bitte, wer und wo!)

Ich kann die Stelle auch benennen, liebe Monika Düker.

(Sven Wolf [SPD]: Aber „Zwangsarbeit“ steht in Art. 12 Grundgesetz! Das meinen Sie!)

Ja, meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf war in einigen Punkten fehlerhaft und hat berechtigte Kritik hervorgerufen. Verbunden mit einem Dank an die Kolleginnen und Kollegen von SPD, Grünen und FDP für die konstruktive Zusammenarbeit legen wir heute einen gemeinsamen Änderungsantrag vor, der diese Kritik berücksichtigt und die Fehler, die im Gesetzentwurf vorhanden waren, korrigiert. Die Wege der parlamentarischen Demokratie funktionieren. Und das ist gut so.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich nun der Abgeordneten Frau Düker das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe für meine Fraktion vor einer Woche in der Debatte hier zu diesem Gesetz erklärt, dass Demokratie auch in Krisenzeiten Handlungsfähigkeit zeigen muss. Wir müssen dazu nicht als Parlament Verfassungsgrundsätze infrage stellen. Das Parlament darf sich nicht – das wollen wir auch nicht – aus der Verantwortung verabschieden und der Regierung Blankoschecks erteilen.

Herr Kollege Löttgen, das hat nichts, aber auch gar nichts mit Misstrauen einem engagierten christdemokratischen Minister gegenüber zu tun. Ich hoffe auch nicht, Herr Laumann, dass Sie das so verstanden haben.

Herr Ministerpräsident, da ging es auch nicht nur – Sie haben das ein bisschen kleingeredet – um rechtstheoretische Abhandlungen im Klein-Klein. Nein, mit dem vorgelegten Gesetz – das haben uns die als Sachverständige hinzugezogenen Verfassungsrechtler alle bestätigt und ins Stammbuch geschrieben – wurde unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig in Grundrechte eingegriffen. Diese

Eingriffe waren in dieser Form nicht in Ordnung. Das ist kein juristisches Klein-Klein.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Deswegen haben wir das in der letzten Woche auch nicht beschlossen.

Es war gut, dass wir uns der Herausforderung gestellt haben. Mit der Verabschiedung des Pandemiegesetzes, die heute hoffentlich in großem Einvernehmen erfolgt, zeigen wir, dass wir diesem Anspruch auch gerecht geworden sind: Parlamentsrechte nicht zu beschneiden und gleichzeitig eine handlungsfähige Demokratie zu haben, die der Situation und den Anforderungen gerecht wird.

Vor einer Woche habe ich auch erklärt, dass vorausschauende Politik – da sind wir uns einig, Herr Laschet – einerseits zu diesen Handlungen führt, die auch notwendig sind, um Durchgriffsrechte für die Gesundheitsbehörden zu schaffen. Nach Treffen der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie muss vorausschauende Politik aber andererseits auch darüber nachdenken, nach welchen Kriterien die Entscheidungen über potenzielle stufenweise Lockerungen der Maßnahmen erfolgen können.

Schwierige Abwägungen stehen bevor. Die Analyse der sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen gehört natürlich dazu, damit die Verhältnismäßigkeit der Eingriffe im Einzelfall immer wieder neu dahin gehend bewertet werden kann, was am Ende verantwortbar ist. Dafür braucht Politik weitere Erkenntnisse.

Wir haben es begrüßt, dass der „Expertenrat Corona“ dazu von Ihnen einberufen wurde. In diesem Zusammenhang haben wir darum gebeten, diese Debatte auch ins Parlament zu holen und sie transparent zu führen. Da geht es um wichtige Dinge für die Menschen in diesem Land. Sie haben einen Anspruch darauf, dass Politik sich öffentlich damit auseinandersetzt.

Auch diesem Anspruch werden wir heute gerecht. Ich bedanke mich ganz herzlich dafür, Herr Laschet, dass Sie unserer Anregung gefolgt sind. Aber ich muss dazusagen: Nicht in Ordnung finde ich es, zuerst die Presse zu informieren und danach ins Parlament zu kommen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

In der Debatte über Lockerungen muss man nach unserer Meinung berücksichtigen, dass es am Ende keine Zweiklassengesellschaft geben darf, wenn es um Grundrechte geht. Die Lockerungen dürfen unsere Gesellschaft auch nicht spalten. Daher halten auch wir die Isolierung älterer Menschen für unsolidarisch und nicht zielführend.

Nicht zielführend und nicht hilfreich ist zudem, dass jetzt der Wettlauf darum eröffnet wird, wer denn der Erste ist, der in die Kameras die ganz konkreten

Lockerungen verkündet. Alle wollen nicht, dass das Herr Söder ist.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN)

Das sollte doch nicht Maßstab des politischen Handelns sein.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Herr Stamp, in allen Ehren, dass Sie in der Challenge mit Herrn Söder der Erste sein wollen! Mich hat aber wirklich irritiert, dass Sie schon gestern wussten, dass zahlreiche Geschäfte – so war es im Zitat von Ihnen zu lesen – bereits Ende dieses Monats wieder öffnen. Ich finde es unverantwortlich, das jetzt so zu verkünden, Herr Stamp. Das sollte man nicht machen.

(Zuruf von Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration)

So habe ich es der Presse entnommen. Die Quelle kann ich Ihnen gerne nachliefern.

Solche Aussagen verunsichern jetzt. Wir sollten nicht mit konkreten Benennungen von Daten die Leute verunsichern. Das verstehen wir nicht unter verantwortungsvollem Handeln.

Am Mittwoch wird es in Berlin hoffentlich gelingen, Herr Ministerpräsident, sich auf einheitliche Kriterien zu verständigen – selbstverständlich immer unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten.

Große Versammlungen – das ist uns vermutlich allen klar – wird es auf längere Zeit wohl nicht geben. Zwar ist das für die Fußballfreundinnen und -freunde eine harte Botschaft. Ich vermute allerdings, dass solche Dinge lange nicht möglich sein werden. Aber in Bezug auf Schule und Kita sind die nächsten Schritte wahrscheinlich absehbar. Dort könnte schnell abgestuft gelockert werden.

Wir meinen nach wie vor, dass wir, um diese Entscheidungen treffen zu können, statt der Nennung von Kalendertagen wissenschaftliche Kenngrößen brauchen, auf deren Grundlage Kontakteinschränkungen wieder gelockert werden können, also eine risikoangemessene, schrittweise Lockerung erfolgen kann.

Wie können zum Beispiel – das wurde noch heute Morgen von den Wissenschaftlern angesprochen – Hygienemaßnahmen aussehen, um Kitas und Schulen schrittweise wieder öffnen zu können? Je strenger sich die Menschen an die Vorgaben halten, desto mehr kann dann auch gelockert werden.

Wir können uns auch gut vorstellen, dass für den Weg aus dem Lockdown digitale Lösungen helfen können. Statt Massendaten über Funkzellen abzurufen, ist es aus unserer Sicht jedoch wesentlich zielführender, mit einer freiwilligen und zielgenauen App Kontakt- und Bewegungsdaten auf dem eigenen Gerät aufzuzeichnen – das ist ja gerade in der Ent

wicklung –, die dann benutzt werden können, um bei einer Infektion zu ermitteln, mit wem der Infizierte Kontakt hatte. Personen, die durch diesen Kontakt gefährdet sind, können dann problemlos anonymisiert informiert werden. Außerdem kann man eine Risikobewertung vornehmen und schnell Infektionsketten unterbrechen. Das wäre ein hilfreiches Instrument, das aus unserer Sicht begleitend zu den Abwägungen, wann Lockerungen beschlossen werden können, mit auf den Weg gebracht werden muss.

(Beifall von den GRÜNEN)

Mit dem überarbeiteten Gesetzentwurf der Landesregierung zeigen wir als Parlament heute, dass unser Rechtsstaat auch in Ausnahmesituationen und Krisen funktioniert. Das heißt: Wir werden dem Anspruch an das Parlament als Gesetzgeber, aber auch als Kontrollinstanz der Regierung gegenüber – Herr Minister Laumann, das bitte ich nicht persönlich zu nehmen; aber diesen Auftrag haben wir verfassungsrechtlich – mit diesem Gesetz gerecht. Wir haben Befristungen, Überprüfungen, Evaluierungsklauseln und vor allen Dingen Parlamentsvorbehalte bei grundlegenden Grundrechtseingriffen eingeführt. Und das ist auch gut so.

Wir haben uns Stellungnahmen von Sachverständigen angehört und sie einbezogen. Wir haben miteinander gerungen. Das war auch nicht immer leicht. Aber es war in weiten Teilen davon geprägt, dass alle Gesprächspartner sich konstruktiv am Erreichen eines lösungsorientierten Ergebnisses beteiligt haben. Ich glaube auch, dass wir ein solches Ergebnis erzielt haben.