„Keine Krise rechtfertigt es jedoch, im Vorfeld solch massiver Eingriffe nicht das Für und Wider zu überdenken und abzuwägen. Selbst in der größten Krise gilt unsere Verfassung. Rechtsstaatlichkeit und Demokratie gelten immer. Nicht die schnellste Entscheidung ist die beste, sondern diejenige, die wirksam ist und gleichzeitig dem Verfassungsprinzip der Verhältnismäßigkeit entspricht. Wir als Politiker sind deshalb gut beraten, nicht dem Rausch des Ausnahmezustands und der Tatkraft zu verfallen, sondern auch in dieser Stunde der Exekutive Maß und Mitte zu wahren.“
(Beifall von der SPD] – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ihr klatscht jetzt für Herrn Laschet. Dieses Zitat stammt nämlich von ihm. Und das ist auch richtig, und das ist gut. (Sarah Philipp [SPD]: Das ist doch in Ord- nung!)
Was aber nicht dazu passt, lieber Herr Laschet, ist Ihr Pandemiegesetzentwurf; denn dieser strotzt nur so vor Verfassungsbrüchen.
Ich will mich heute aber gar nicht über Ihre Widersprüchlichkeit auslassen, sondern stattdessen noch einige Worte darüber verlieren, was die Rolle des Parlaments in diesen Zeiten tatsächlich ausmacht und was wir hier gerade leisten.
Wir werden heute ein Gesetz verabschieden, das zwar formal als Regierungsvorlage eingebracht, faktisch aber durch das Parlament erarbeitet worden ist. Denn die Änderungen, die der Landtag am Regierungsentwurf vorgenommen hat, ja vornehmen musste, sind so wesentlich, dass man eigentlich nur noch von einer Regierungshülle um ein im Kern neues Gesetz sprechen kann.
Aber immerhin: Jetzt ist es möglich, notwendige Vorkehrungen für den epidemischen Katastrophenfall zu treffen, ohne Verfassungsbrüche zu begehen.
Damit ist erwiesen, was ich in den letzten Wochen in jeder Debatte nicht müde geworden bin zu betonen: Dieser Landtag erfüllt seinen Verfassungsauftrag, meine Damen und Herren.
Wir haben gemeinsam fraktionsübergreifend innerhalb allerkürzester Zeit ein Gesetz erarbeitet, das nicht nur verfassungskonform ist. Dieses Gesetz ermöglicht den Schutz der Gesundheit, ohne die Freiheit des Einzelnen unzulässig einzuschränken. Das haben wir gemeinsam geschafft. Keine Fraktion hat
sich hier profilieren wollen. Wir haben gemeinsam dafür gekämpft, dass unser Land zukünftig von diesem Gesetz profitieren kann. Dafür will ich mich bei allen Abgeordneten dieses Hauses bedanken. Das war eine große Leistung in den letzten Stunden. Herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bin sehr froh, dass wir auch heute die Handlungsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie damit unter Beweis stellen können. Wir zeigen zudem, dass Demokratinnen und Demokraten zusammenhalten und zusammenarbeiten, wenn es gilt, Bedrohungen für unser Land abzuwenden und Krisen wie diese zu überwinden.
Mit diesem Gesetz sorgen wir für einen starken und handlungsfähigen Staat im epidemischen Ernstfall. Tritt dieser Fall ein, kann es erforderlich sein, dass die Exekutive mit außerordentlichen Rechten ausgestattet wird und ein zentrales Krisenmanagement installiert werden kann. Dieses Gesetz schafft dafür die nötigen Voraussetzungen.
Aber sie können nicht nach Belieben in Kraft gesetzt werden, sondern nur in ausdrücklich vom Gesetzgeber festgelegten Fällen, nämlich nur dann, wenn die gesundheitliche und pflegerische Versorgung der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen gefährdet ist. Im Zweifelsfall ist das nachprüfbar – für die Öffentlichkeit, notfalls auch für Gerichte.
Aber auch wenn der Krisenfall eintritt, darf die Regierung ihre außerordentlichen Rechte nur mit Zustimmung des Landtags wahrnehmen. Zudem werden nicht nur alle Maßnahmen auf zwei Monate befristet und einer parlamentarischen Kontrolle unterstellt. Vielmehr wird auch das gesamte Gesetz befristet und läuft zum 31. März nächsten Jahres aus.
Auf diese Beschränkungen der Regierungsbefugnisse hat meine Fraktion großen Wert gelegt – und auch darauf, dass keine Privatperson mehr fürchten muss, dass ihre Medikamente, medizinischen Apparate oder Materialien beschlagnahmt werden, sowie darauf, dass Entscheidungen über die Organisation von Schulabschlüssen allein vom Parlament getroffen werden können.
Wir sind uns einig, dass wir dafür sorgen werden, dass die vielen Überstunden der Bediensteten des Landes, die sie gerade zur Bewältigung dieser Krise leisten, nicht verfallen. Wir werden auch gemeinsam dafür sorgen, dass alle Bediensteten den bestmöglichen Anspruch auf eine Schutzausrüstung bei ihrer tagtäglichen Arbeit hier im Land Nordrhein-Westfalen haben. Das haben unsere Landesbeschäftigten sich auch verdient, meine Damen und Herren.
Ich bin froh darüber, dass wir uns darauf verständigen konnten; denn im Ernstfall brauchen wir eine gute Organisation und eine kompetente Verwaltung, damit wir die Gesundheitsversorgung aufrechterhalten können.
Doch am Ende kommt es wahrscheinlich nicht so sehr auf Politikerinnen und Politiker an. Es wird auch auf viele andere ankommen: auf die Ärztinnen und Ärzte, die Pfleger und die Krankenschwestern sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den medizinischen Laboren und in den medizinisch-technischen Berufen. Sie sind es, die den Kampf gegen die Epidemie am Ende führen und gewinnen müssen.
Deswegen möchte ich heute an diesem Pult in diesem Parlament den Frauen und Männern im Gesundheitssystem eines sagen: Wir wissen um Ihre Einsatzbereitschaft. Wir wissen, welche Opfer Sie bringen und welches Risiko Sie eingehen, um Ihren Patienten zu helfen. Wir vertrauen Ihrer Kompetenz und werden alles dafür tun, damit Sie weiter Ihre Arbeit für Ihre Patienten tun können.
Nur eines werden wir nicht: Wir werden Ihnen nicht drohen, nicht mit der Einschränkung Ihres Grundrechts auf Berufsfreiheit, nicht mit Zwangsverpflichtungen und schon gar nicht mit der Beschneidung der medizinischen Entscheidungsfreiheit.
All das wird nicht aufgegeben. Darauf haben wir bestanden. Und so ist es gekommen. Das Recht zur Zwangsverpflichtung ist aus dem Gesetzentwurf gestrichen worden.
Unsere Bedingungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wurden erfüllt. Deshalb können wir diesem Gesetz heute zustimmen. Gleichzeitig hoffen aber auch wir, dass die einzelnen Regelungen dieses Gesetzes niemals zur Anwendung kommen müssen. – Herzlichen Dank. Glück auf, Nordrhein-Westfalen!
Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion der CDU erteile ich nun dem Abgeordneten Herrn Löttgen das Wort.
Bodo Löttgen*) [CDU]: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin Ihnen, Herr Kutschaty, erstens dankbar dafür, dass Sie auf einen Sachverhalt hingewiesen haben, der besondere Wichtigkeit hat. Wer heute falsche Hoffnungen weckt, weckt morgen echte Enttäuschungen. Das festzuhalten ist wichtig.
Gestatten Sie mir eine zweite Vorbemerkung. Weil auch in Krisenzeiten humorvolle Bemerkungen nottun, möchte ich die Tatsache, dass Sie das Zitiergebot heute nicht beachtet haben
(Beifall von der CDU – Jochen Ott [SPD]: Das haben wir gerne gemacht! – Stefan Zimkeit [SPD]: Wir wollten doch nur mal tun, was er sagt! – Heiterkeit von der SPD)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme nun wieder zurück zum Ernst der Lage und will etwas anders beginnen, als Thomas Kutschaty es getan hat.
In seinem Werk „Politik als Beruf“ – das für Berufspolitiker, denke ich, das Standardwerk ist – hat Max Weber die drei wichtigsten Qualitäten eines Politikers beschrieben: sachliche Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und ein distanziertes Augenmaß. Vielleicht sind diese Qualitäten in der Ausnahmesituation, in der wir uns auch als Parlament befinden, in besonderer Weise gefragt und in besonderer Weise notwendig.
Wir sehen derzeit die große Leistung derer, die in der vordersten Linie gegen die Ausbreitung des Coronavirus kämpfen, und wir dürfen dankbar zur Kenntnis nehmen, dass sich die Menschen in unserem Land an Regeln halten und Einschränkungen akzeptieren.
Wir stehen jetzt vor der Herausforderung, weiterhin die Stabilität unseres Gesundheitswesens zu gewährleisten, Kapazitäten von Intensivbetten und Beatmungsgeräten zu erhöhen, Verfügbarkeit von notwendigem Material und Gerät zu gewährleisten und zeitgleich an Maßnahmen zur Rückkehr ins normale Leben zu arbeiten.
Erneut gibt es keine Blaupause, keine Checkliste, die abgearbeitet werden könnte, um diese Herausforderungen zu bewältigen. Aber sachliche Leidenschaft zu zeigen, heißt jetzt, deutlich zu machen, dass wir als Politiker, dass dieser Landtag, dass diese Regierung Tag für Tag dafür kämpfen, beschränkte Räume wieder zugänglich zu machen, beschränkte Rechte wieder zu gewähren, Beschränkungen der persönlichen oder beruflichen Freiheit wieder aufzuheben.
Distanziertes Augenmaß zu bewahren, heißt jetzt, diese Rückkehr zum gewohnten Leben mit den notwendigen Auflagen zu versehen, die eine Gefährdung durch das Virus bestmöglich ausschließen. Oder um es mit den Worten von Professor Streeck bei der heutigen Pressekonferenz zu sagen:
Deshalb können nicht alle Beschränkungen zeitgleich entfallen. Deshalb können nicht alle am gleichen Tag, in der gleichen Woche, vielleicht auch im gleichen Monat die zurückgewonnene Freiheit in gleichem Maße genießen.
Aber wir dürfen den Menschen in unserem Land Hoffnung mitgeben. Das ist vielleicht gerade in dieser, wie auch der Ministerpräsident beschrieben hat, so besonderen Osterzeit, die vor uns liegt, wichtig. Trotz der Tatsache, dass wir vielleicht immer noch am Beginn der Ausbreitung einer Pandemie stehen, stehen wir auch am Beginn der Rückkehr zum normalen Leben.
Die Zahlen, die heute zu COVID-19 bekannt gegeben wurden, zeigen ein Abflachen der Kurve. Die Verdopplungszeiträume – sofern sie denn Relevanz haben – vergrößern sich.
Jetzt verantwortlich zu handeln, heißt, diese Gefahr zu erkennen und ihr mit geeigneten und nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angepassten Mitteln zu begegnen.
Hinweise darauf, wie diese angepassten Mittel aussehen können, haben uns die Zwischenergebnisse der Studie von Professor Streeck, Professor Hartmann und Professor Exner gegeben. Sie bezeichnen dies als Phase zwei und die Rücknahme von Quarantänisierungsmaßnahmen – immer kontrolliert durch die Einhaltung entsprechender Hygienemaßnahmen.
Sie sprechen auch von einem Lerneffekt. Und jeder von uns, der Lebensmittel einkauft, wird feststellen, dass dieser Lerneffekt in der Bevölkerung angekommen ist.
Verantwortliche Politik heißt in diesen besonderen Zeiten aber auch, Vorsorge für den Worst Case zu treffen. Das Beste zu hoffen, aber für das Schlimmste vorbereitet zu sein, bedeutet für uns heute, die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen für eine erneut zugespitzte Notlage zu schaffen und Handlungsfähigkeit herzustellen, bevor eine solche Lage eintreten könnte.