Protocol of the Session on March 24, 2020

Es geht bei dem Paket um die Bewältigung aller direkten und indirekten Folgen der Coronakrise. Deshalb haben wir es bewusst breit aufgestellt. Dazu beschließen wir heute einen Nachtragshaushalt 2020.

Ich danke allen Fraktionen auch im Namen der Landesregierung noch einmal, dass die Verabschiedung des Nachtragshaushalts so schnell, so unbürokratisch mit erster, zweiter und dritter Lesung sowie der Fachberatung an einem Tag möglich ist.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Das zeigt, so sehr wir hier oft streiten: Wenn Krise ist, stehen Demokraten zusammen. Vielen Dank an die Opposition.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Das ist ein Novum.

Und ein Teil dessen, was wir gleich beschließen, ist abgepasst mit dem, was der Bund morgen verabschieden wird. Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat haben schon vor zwei Wochen im Eilverfahren wichtige Schritte beschlossen. Dazu gehört der Schutzschild für Beschäftigte, Kurzarbeitergeld, steuerliche Liquiditätshilfe für Unternehmen und ihre unbegrenzten Kredite. Gestern, am Montag, hat das Bundeskabinett Milliardenhilfen für Kleinunternehmer und Selbstständige beschlossen. Der Bundestag berät noch in dieser Woche abschließend.

Die Landesregierung begrüßt diese schnellen Maßnahmen, um Kleinunternehmen durch direkte Zuschüsse in Höhe von 9.000 Euro bis fünf Mitarbeiter und 15.000 Euro bis zehn Mitarbeiter zu unterstützen.

Da wir abgewartet haben, was genau der Bund macht, schlagen wir zusätzlich ein Sonderprogramm des Landes vor, das beinhaltet, dass den Unternehmen mit 10 bis 50 Beschäftigte, die von den Bundesmaßnahmen nicht erfasst sind, ein Zuschuss in Höhe von 25.000 Euro gezahlt wird.

Damit haben Bund und Länder für Unternehmen mit bis zu fünf Mitarbeitern bzw. mit bis zu zehn Mitarbeitern finanzielle Hilfen bereitgestellt, und durch das Landesprogramm werden Unternehmen mit bis zu 50 Mitarbeiter unterstützt, um genau die Lücke, die bei der Bundesförderung entstanden ist, zu schließen. Denen helfen keine Kredite, denen helfen nur Direktzahlungen, und die sind hiermit garantiert.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Bei- fall von Roger Beckamp [AfD])

Das Ganze läuft über die Bezirksregierungen. Es gibt ein Formular für Bundes- und Landeshilfen, damit das auch unbürokratisch und schnell bearbeitet werden kann. Das Ganze erfolgt in Zusammenarbeit mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau und den Banken aus Nordrhein-Westfalen. Die Banken selbst müssen jetzt befähigt werden, ihre freien Liquiditätsreserven zur Kreditvergabe an Unternehmen auch nutzen zu dürfen, denn sie unterliegen bankenregulatorischen Vorgaben. Insofern brauchen wir eine Nachbesserung, damit sie in der Krise jetzt schnell reagieren können.

Die Auswirkungen für unsere Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen können wir als Bürger selbst gestalten. Wir können Lebensmittel weiterhin beim Bäcker, beim Metzger, beim Gemüsehändler vor Ort kaufen. Wir können Lieferdienste der Händler, die angeboten werden, ebenso nutzen wie zum Beispiel die Mitnahmeangebote der Gastronomen. Wir können bestimmte Anschaffungen und Käufe zurückstellen, bis

die Krise beendet ist. Es hilft niemandem, wenn jetzt jeder alles online bestellt,

(Beifall von Daniel Sieveke [CDU])

was er jetzt haben will, und am Ende der Einzelhandel nicht mehr existiert.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Was jetzt nicht nötig ist, kann man auch zurückstellen. Wir werden sehen, wozu unsere Wirtschaft fähig ist.

Das Letzte: Die Europäische Kommission, die das alles begleiten muss, hat wichtige Beschlüsse gefasst. Wir dürfen jetzt als Mitgliedsstaaten Unternehmen in größerem Umfang unter die Arme greifen. Das ist normalerweise beihilferechtlich extrem kompliziert. Seit Freitag sind Regeln in Kraft, die bis zu 90 % Liquiditätsdeckung in der Bürgschaft möglich machen. Es gibt mehr Flexibilität in der europäischen Fiskalpolitik. Die Europäische Kommission nennt das den sogenannten Befristeten Rahmen. Dieser soll bis zum Dezember 2020 gelten, und wenn nötig, wird er auch verlängert.

Auch die Europäische Zentralbank tut alles, um die europäische Wirtschafts- und Finanzordnung zu stabilisieren. Sie wird unter anderem ein Pandemie-Notkaufprogramm für Anleihen der Privatwirtschaft und der öffentlichen Hand mit einem Gesamtvolumen von 750 Milliarden Euro auflegen.

Wir wollen auch diesen europäischen Geist erhalten. Wir erleben zu viele, die jetzt plötzlich nur nationalstaatliche Lösungen und nicht europäisch-solidarische Lösungen im Blick haben.

Ich habe mit dem niederländischen Ministerpräsidenten Marc Rutte und der belgischen Premierministerin, Sophie Wilmès, verabredet, dass wir eine „CrossBorder Task Force Corona“ gründen. Diese arbeitet seit dem letzten Freitag, tauscht jede Information aus und geht allen Fragen nach, die sich damit befassen, wie die Maßnahmen in den beteiligten Ländern aussehen und wie sich die drei Beteiligten abstimmen können. Wie können wir helfen, wenn es erforderlich ist?

Wir müssen diesen Schulterschluss suchen, weil unser Gesundheitssystem vernetzt ist. Sowohl Arbeitnehmer als auch das Wissen aus der Forschung überqueren täglich unsere Grenzen, gerade zu Belgien und den Niederlanden. Wir haben Wertschöpfungsketten, Lebensmitteltransporte, Arzneimitteltransporte. Diesseits und jenseits der Grenze leben und arbeiten Menschen grenzüberschreitend.

Deshalb tun wir alles, so schwierig das ist, diese offenen Grenzen bei uns zu erhalten. Sie sind auch noch offen, auch wenn Belgien derzeit beispielsweise noch Kontrollen durchführt. Sie erklären uns das so: Sie kontrollieren, ob die Ausgangssperre, die

in Belgien gilt, auch umgesetzt wird. Sie kontrollieren auch an der Grenze, sie machen aber keine Grenzkontrollen. Die Bürger unterscheiden das nicht. Ich bin gestern selber dorthin gefahren, um zu sehen, ob die Grenzen geöffnet sind: Sie sind stundenweise offen, aber es gibt auch Zeiten, in denen einige Kontrollen durchgeführt werden – wie überall im Binnenland ebenfalls. Es ist mühsam, dieses grenzenlose Europa zu erhalten, aber wir tun alles, damit das jedenfalls bei uns so bleibt.

(Beifall von der CDU, der FDP und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Grenzenlose Solidarität, finde ich, brauchen wir in Europa auch gegenüber unseren Freunden in Italien. Deshalb habe ich gestern dem Botschafter Italiens angeboten, dass wir zunächst zehn Patienten aus der besonders betroffenen Region im Norden Italiens in Krankenhäusern bei uns aufnehmen. Die italienische Luftwaffe wird in den nächsten Tagen die Patienten verlegen. Das ist ein kleiner Tropfen, aber es soll Italien signalisieren: Ihr seid nicht allein. – Jedes Leben, das wir retten, ist es wert, dies zu tun.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN sowie von Roger Beckamp [AfD])

Wir dürfen uns nichts vormachen. Die Infektionszahlen werden weiter steigen, die Zahl der Toten wird weiter ansteigen, die Belastungen für jeden Einzelnen werden weiter zunehmen, die Einschränkungen werden andauern. Das ist das, was wir heute sagen können. Die Mediziner erklären uns, die Zahl der Infizierten sei wahrscheinlich sieben- bis zehnmal so hoch wie die veröffentlichten Zahlen, weil natürlich nicht jeder getestet wird.

Deshalb werden die nächsten Tage und Wochen zeigen, ob unsere Maßnahmen ausreichen. Wenn sich alle an die Regeln halten, können wir das schaffen. Dann schaffen wir es auch, dass nicht die Jungen gegen die Alten stehen, dass nicht Stadt und Land gegeneinander stehen, dass Einheimische und Zugezogene jetzt nicht wieder auseinanderdriften.

Ich danke dem Ministerium, dass die Informationen in allen Sprachen, die in Nordrhein-Westfalen gesprochen werden, auch an die Menschen mit einer anderen Muttersprache herangetragen werden.

Wir stehen zusammen. Vielen Dank allen, die daran mitwirken. Mein Wunsch ist: Bleiben Sie und Ihre Familien gesund. Glück auf und Gottes Segen für unser Land!

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP, den GRÜNEN, Roger Beckamp [AfD] und Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Fami- lie, Flüchtlinge und Integration)

Ich danke Herrn Ministerpräsident Laschet, eröffne nun die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Fraktion der SPD dem Abgeordneten Kutschaty das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Coronavirus bedroht ganz viele Menschenleben, es bedroht aber auch die wirtschaftliche Existenz von Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, von SoloSelbstständigen, von kleinen und mittleren Unternehmen, ja bis hin zu Dax-Konzernen.

Dieses Virus verändert auch unsere Gesellschaft und jede und jeden Einzelnen von uns. Corona erreicht alle Menschen und löst viele Ängste und Sorgen aus. Wir alle können uns davon, meine ich, persönlich gar nicht frei machen.

Ich kann im Augenblick meine Eltern nicht mehr besuchen, die nur wenige Hundert Meter von mir entfernt wohnen. Der 13. Geburtstag unserer Tochter fand gestern zum ersten Mal ohne die Großeltern und ohne Freundinnen statt. So wie mir geht es vielen Menschen, die in schwierigen Zeiten auf Verwandtschaftskontakte, die ihnen besonders am Herzen liegen, verzichten müssen. Das tut weh.

Aber, meine Damen und Herren, das ist nichts im Vergleich zu dem Leid, das Menschen gerade tragen müssen, die auf Intensivstationen um ihr Überleben kämpfen und sich um ihre erkrankten Angehörigen und Freunde sorgen oder sogar schon Tote beklagen mussten. Unsere Gedanken sind auch in dieser Stunde bei all diesen Menschen.

(Beifall von allen Fraktionen und Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flücht- linge und Integration)

Weil das Leben von Menschen das höchste zu schützende Gut ist, sind wir bereit, unsere Volkswirtschaft ganz bewusst in eine konjunkturelle Krise zu führen. Jede Eindämmung der Virusverbreitung ist mit einer massiven Eindämmung des Konsums verbunden. Ein möglicher Erfolg bei der Pandemiebekämpfung wird also mit einem ökonomischen Absturz erkauft. Das aber, meine Damen und Herren, müssen wir in diesen Tagen in Kauf nehmen.

Wichtig ist jetzt allerdings, dass diese Nebenwirkungen des medizinisch Notwendigen nun mit stabilisierenden wirtschaftspolitischen Maßnahmen tatsächlich flankiert werden; denn die soziale Lage in unserem Land spitzt sich weiter zu. Wer auf Kurzarbeit ist, verliert 40 % seines Einkommens. Da bleibt für die meisten, verdammt noch mal, wenig übrig.

Menschen am Rand ihres Existenzminimums fehlen teilweise Lebensmittel, weil die Tafeln nicht mehr so wie gewohnt arbeiten können. Sozialverbände stehen vor dem Kollaps, Freiberufler und Künstler vor dem Nichts, weil kein Konzert, keine Messe, keine

Reise, keine Fortbildungsveranstaltung, kein Event mehr stattfindet. Eine schwere Rezession lässt sich, glaube ich, nicht mehr vermeiden.

Aber wir können noch eine schwere Depression mit Massenarbeitslosigkeit, Pleitewellen, Zwangsversteigerungen und Privatinsolvenzen verhindern. Ja, das Wirtschaftswachstum wird auch wieder zurückkehren, wenn die Coronakrise vorbei ist, aber nur dann, wenn noch etwas da ist, was auch wachsen kann. Es geht heute um nicht weniger als die Zukunftsfähigkeit unserer Volkswirtschaft.

Was wir jetzt nicht haben, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist Zeit. Zu spät zu handeln, wäre weitaus schlimmer als vorschnell zu handeln. Wer zögert, versagt. Wer zu wenig tut, scheitert ebenfalls mit katastrophalen Folgen. Der Staat muss handeln – schnell, mutig und entschlossen.

Deshalb hat meine Fraktion auch einen Maßnahmenkatalog erarbeitet, den wir heute Morgen veröffentlicht haben. Dieser macht deutlich, wo aus unserer Sicht Hilfen geboten sind. Ich denke, vieles ist deckungsgleich mit dem, was gemeinsam an Ideen und Vorschlägen jetzt veröffentlicht wird. Lassen Sie uns die nächsten Wochen nutzen, um die bestmöglichen Maßnahmen gemeinsam auf den Weg zu bringen, was den Menschen in unserem Lande hilft, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Zusammen mit den Mitteln des Bundes und anderer Länder stehen nun weit mehr als 175 Milliarden Euro zur Bekämpfung der Krise zur Verfügung. Hinzu kommen noch die Kreditgarantien in ganz vielen Beträgen in Höhe von einer halben Billion Euro.

Angesichts dieser Summen muss uns allen aber auch bewusst sein, was die Stunde geschlagen hat. Diese Krise ist eine Bewährungsprobe für unsere Demokratie und für unsere Gesellschaft. Eine Regierung durch das Volk und für das Volk wäre bedeutungslos, wenn sie angesichts dieser Bedrohung unfähig wäre, Entscheidungen zum Wohle des ganzen Volkes zu treffen.

Dabei handelt es sich nicht nur um eine medizinische oder ökonomische Frage. Letztendlich ist es eine ethische, auch eine moralische Frage, die wir alle gemeinsam zu beantworten haben: Wer nämlich in einem Kampf für das Leben und gegen den Ruin bestimmt, wofür diese Milliarden ausgegeben werden, der bestimmt de facto auch die sozialen und menschlichen Prioritäten einer Gesellschaft.

Für wen geben wir das Geld aus? Für wen nicht und warum nicht? Was ist jetzt wichtig, und was ist vielleicht weniger wichtig? Es darf keinen Zweifel an den Prioritäten geben.