Protocol of the Session on March 24, 2020

oder auch so abgegrenzt zu sitzen, wie wir das heute hier tun. Das ist etwas Ungewöhnliches. Wir brauchen einander.

Deshalb müssen wir jetzt die sozialen Kontakte erhöhen und einen Kampf gegen Einsamkeit und Ängste führen. Lassen Sie uns im besten Sinne gemeinsam alleine sein. Rufen Sie einander an. Schicken Sie Sprachnachrichten. Trinken Sie Kaffee in der Videoschalte. Es ist herzzerbrechend, wenn Kinder ihre Großeltern nicht besuchen oder Väter bei der Geburt ihrer Kinder nicht der Mutter beistehen können. Deshalb müssen wir in diesen Zeiten durch viel sozialen Einsatz und Empathie kontaktfreudig sein – ohne körperlichen Kontakt. Das ist die Aufgabe, vor der wir jetzt stehen.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Mit dem Kontaktverbot werden wir die Vernünftigen weder überwachen noch einsperren. Aber wir können die Unvernünftigen bestrafen. Wir werden diese Maßnahmen streng kontrollieren und Verstöße hart ahnden. Mit unserem Bußgeldkatalog schaffen wir Klarheit für jeden.

Ich danke all denen, die sich schon heute an die Maßnahmen und Einschränkungen halten. Wer durch unsere Städte geht, sieht: Die Menschen haben auch ohne Verbote des Staates verstanden, worum es geht. – Die wenigen, die das nicht verstanden haben, werden in den nächsten Tagen aber die Sanktionen spüren. Anders, ohne diese Freiwilligkeit, würde unsere freiheitliche Demokratie auch nicht funktionieren.

Ich will noch einmal deutlich sagen: Alle diese Menschen zeigen damit große Solidarität.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und Markus Wagner [AfD])

Besonders deutlich konnte man das spüren, als die Kitas und Schulen geschlossen wurden. Eltern hatten sich schon am ersten und zweiten Tag darauf eingestellt. Es kam kaum zu größeren Konflikten. Alle wussten, worauf es jetzt ankommt. Und bei 2,5 Millionen Schülern und Kita-Kindern ist es schon eine Riesenleistung, dass so etwas, was am Wochenende verkündet wird, dann auch so schnell bei den Eltern ankommt und entsprechend umgesetzt wird.

Es gibt ein riesiges ehrenamtliches Engagement zur Unterstützung von Risikogruppen. Dabei geht es darum, Einkaufe zu tätigen, oder einfach nur anzurufen, um Einsamkeit zu nehmen. Dieser Zusammenhalt, auch zwischen den Generationen, in den Nachbarschaften zwischen zuvor einander Unbekannten schafft auf einmal Herzlichkeit, wo vorher Distanz war.

Wir dürfen jetzt nicht nachlassen. Es kann bis zu zwei Wochen dauern, bis wir erste Erfolge sehen. So sind

die medizinischen Inkubationszeiten. Man kann nicht heute etwas beschließen und davon ausgehen, dass es schon morgen wirkt. Zwei Wochen sind eine Perspektive; dann sehen wir klarer. Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt die Regeln einhalten.

Zweitens geht es darum, das Gesundheitssystem vorzubereiten. Wir müssen diese Zeit gewinnen, um unser zweites Ziel erreichen zu können – nämlich, unser Gesundheitssystem für den kritischen Zeitpunkt X, der irgendwann kommt, bestmöglich vorbereitet zu haben.

Jetzt gilt es, alle verfügbaren Ressourcen zu mobilisieren. Daran arbeiten wir als Landesregierung auf allen Ebenen.

Wir beschleunigen Prozesse und reduzieren Bürokratie, wo es nur geht. Karl-Josef Laumann hat dazu mit den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen klare Vereinbarungen getroffen, um die Dokumentationspflichten auf das Nötigste zu beschränken.

Bis die zusätzlichen Mittel des Bundes bei unseren Krankenhäusern eintreffen, schaffen wir Liquidität, indem wir in den nächsten Tagen den Krankenhäusern die jährlichen Pauschalen, die sie als Teilzahlungen bekommen, als Einmalzahlung überweisen. Das ist schnelle und unbürokratische Hilfe.

Wir mobilisieren Personal für die kritische Infrastruktur, indem wir die Notbetreuung an Schulen und Kindertageseinrichtungen auf mehr Berufstätige der kritischen Infrastruktur sowie auf das Wochenende und auch die Osterferien ausweiten. Ich danke den Erzieherinnen und Erziehern und den Lehrerinnen und Lehrern, die das ermöglichen.

Wir mobilisieren Personal für die Gesundheitsämter in den Kommunen und ermöglichen den dortigen Einsatz von Bediensteten der Landesregierung und ihrer nachgeordneten Behörden, die jetzt in die Gesundheitsämter vor Ort entsandt werden.

Wir mobilisieren auch die Potenziale der nordrheinwestfälischen Wirtschaft bei der Versorgung mit Schutzmaterialien. Zahlreiche Unternehmen kommen uns dabei bereits entgegen. Viele stellen ihre Produktion um – genau auf den Zweck, auf den es jetzt ankommt.

Ich denke beispielsweise an die Klosterfrau Healthcare Group, den Hersteller von Klosterfrau Melissengeist. Dieses fast 200 Jahre alte Unternehmen mit Stammsitz in Köln hat uns angeboten, seine Produktion umzustellen und bereits in der nächsten Woche 150.000 Flaschen Handdesinfektionsmittel zu spenden.

(Beifall von allen Fraktionen)

Insgesamt will Klosterfrau in der Krise 500.000 Flaschen spenden. Das sind 100.000 Liter Desinfektionsmittel.

Wir werden sicherstellen, dass die Mittel dort ankommen, wo sie am meisten gebraucht werden: bei Ärzten und Helfern in der Fläche. Die Unikliniken haben natürlich diese Materialien. Aber nicht jeder in der Fläche, im ländlichen Raum, verfügt gleichermaßen darüber. Deshalb ist das unser Schwerpunkt.

Wir haben als Landesregierung – ganz besonders der zuständige Minister Karl-Josef Laumann – in den vergangenen Wochen auch Maßnahmen ergriffen, um die Infrastruktur unserer Krankenhäuser auszubauen. Die Bettenkapazität in den Krankenhäusern wird ständig erhöht, indem zum Beispiel nicht dringend nötige Operationen verschoben werden, nicht genutzte Krankenhäuser reaktiviert werden und auch Rehakliniken in diesen Prozess einbezogen werden.

Gesundheitsministerium und Innenministerium haben das landesweit eingesetzte IT-Verfahren „Informationssystem Gefahrenabwehr NRW“ ausgebaut. Nun werden darüber auch die Anzahl der Coronapatienten sowie die Anzahl der davon intensivmedizinisch betreuten Patienten erfasst.

Mit dem Abschluss der Aufbauphase noch in dieser Woche werden wir in Nordrhein-Westfalen über ein System verfügen, das uns in Echtzeit einen Überblick über freie Kapazitäten jeder Einrichtung und jedes einzelnen Bettes gibt. So etwas existiert zurzeit nicht. Wir haben das unter Hochdruck vorangetrieben. Am Ende dieser Woche werden wir genau wissen, wo es eng ist und wo es noch Raum gibt, damit auch Patienten von einem Ort zum anderen gebracht werden können.

Am 29. März, also in wenigen Tagen, startet auf Veranlassung des Gesundheitsministeriums eine Vorstufe zum virtuellen Krankenhaus in Nordrhein-Westfalen, fokussiert auf die Bereiche Intensivmedizin und Infektiologie. Die Universitätsklinika Aachen und Münster stellen kurzfristig Ressourcen dafür bereit, Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung zu unterstützen.

Mit dieser Maßnahme holen wir universitäres Fachwissen gerade in dieser Krisensituation in die Fläche, um eine bestmögliche Behandlung von schwerstkranken COVID-19-Patienten überall in NordrheinWestfalen sicherzustellen.

Ich habe am Wochenende die Professoren getroffen, die das in Aachen machen. Sie sind mit ihrer gesamten Region eingespielt. Dann werden kleinere Krankenhäuser zugeschaltet, und Patienten können mit der Betreuung aus der Universität auch vor Ort optimal versorgt werden. Das Gleiche gibt es in Münster. Das war schon auf dem Weg. Wir haben es aber noch einmal beschleunigt, damit es in dieser Krise wirken kann.

Wir lassen die Kreise und Städte nicht allein. Wir beschaffen zentral medizinisches Material und kümmern uns um die bedarfsgerechte Verteilung.

Wir haben kurzfristig aus dem jetzigen Haushalt 150 Millionen Euro für den Ausbau der Krankenhäuser und mehr Schutzkleidung mobilisiert.

Jedes neue Intensivbett wird jetzt vom Bund mit 50.000 Euro Bonus gefördert. Das Land zahlt zunächst pauschal 50.000 Euro für jeden neuen Beatmungsplatz, den Kliniken einrichten.

Darüber hinaus haben wir in großer Menge, in Millionenzahl, medizinische Schutzmasken gekauft. Wir bekommen sie nur mühsam. Denn es ist ein Kampf, den der Bund führt, den wir führen. Auf den Weltmärkten ist ein ungeheuerlicher Wettbewerb mit allen möglichen Geldern ausgebrochen, um jede einzelne Schutzmaske irgendwo zu aktivieren. Am vergangenen Freitag sind die ersten 130.000 eingetroffen. Weitere kommen in dieser Woche. Sie werden dann vom Deutschen Roten Kreuz und anderen Institutionen direkt in die Krankenhäuser gefahren.

Das MAGS unternimmt darüber hinaus – nicht nur mit Blick auf den Kreis Heinsberg – seit Wochen alle Anstrengungen, um kurzfristig weitere Schutzausrüstung zu beschaffen. Es ist bisher in großer gemeinschaftlicher Anstrengung gelungen, die Versorgung aufrechtzuerhalten. Diejenigen, die vor Ort sind, sagen aber: Soundso viele Tage haben wir noch. – Sie sehen immer schon das Ende dieser Kette. Die Mitarbeiter von Karl-Josef Laumann und er selbst sind oft Tag und Nacht bemüht, die Kontakte weltweit herzustellen und dafür zu sorgen, dass die Materialien kommen.

Ich möchte das einmal mit Zahlen verdeutlichen. Allein in dieser einen Woche hat das Ministerium 30.000 Schutzmasken, 2.000 Schutzkittel und 10.000 Einheiten Desinfektionsmittel an den Kreis Heinsberg geliefert. Jeder weiß, wie lange das reicht; jeder weiß, dass es Woche für Woche in gleicher Intensität geliefert werden muss.

Mein ganz herzlicher Dank und mein größer Respekt gelten allen, die die Daseinsvorsorge aufrechterhalten. Das sind die unzähligen Krankenschwestern und -pfleger, Ärztinnen und Ärzte, Angehörigen von Rettungs- und Hilfsdiensten, Apothekerinnen und Apotheker, aber auch Verkäuferinnen und Verkäufer im Lebensmitteleinzelhandel und in Drogerien sowie Bediensteten der Polizei und der Feuerwehr. Sie arbeiten jetzt schon über ihre Grenzen hinaus und nehmen auch persönliche Risiken für ihre eigene Gesundheit in Kauf. Aber sie sorgen für die Gesundheit und die Sicherheit der Versorgung in unserem Land.

Diesen Einsatz kann man nicht hoch genug schätzen. Es gibt eine schöne Initiative in den Städten. Immer um 21 Uhr klatschen Bürgerinnen und Bürger abends, um mit diesem Beifall auch nach außen zu zeigen, welchen Respekt sie vor diesen Menschen haben. Deshalb sollten auch wir als Landtag ihnen Beifall schenken.

(Anhaltender Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank – Die Anwesenden erhe- ben sich von ihren Plätzen.)

Auch möchte ich in diesen Tagen – das sollte man von hier unten nicht allzu oft tun, weil es da eine saubere Trennung gibt – den Journalistinnen und Journalisten danken, die mit großer Sorgfalt unsere Mitbürger über das aktuelle Geschehen informieren. Wir haben in unserer Liste Journalisten auch zur kritischen Infrastruktur gezählt. Qualitätsjournalismus ist in Zeiten von Fake News gerade jetzt wichtig.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP, den GRÜNEN, Roger Beckamp [AfD] und Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Fami- lie, Flüchtlinge und Integration)

Als Landesregierung informieren wir die Bürger auf allen Kanälen. Es gibt ein Coronavirus-Bürgertelefon und eine zentrale Homepage. Jeden Tag werden Hunderttausende von Anrufen – wirklich Hunderttausende – durch die Mitarbeiter des Servicecenters beantwortet. Das zeigt die große Nachfrage nach seriösen Informationen.

Nun komme ich zu dem dritten, letzten und zu diesem Zeitpunkt auch wichtigsten Ziel. Wenn es uns gelingt, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und den Ausbau unseres Gesundheitssystems zu beschleunigen, haben wir sehr, sehr viel geschafft. Mir ist aber wichtig, dass wir schon heute gleichzeitig den Blick auf die Zeit nach der Krise richten, den Weg aus der Krise in den Blick nehmen.

Die Coronapandemie hat massive wirtschaftliche Folgen für unser Land und für jeden Einzelnen. Es geht um weggebrochene Umsätze, unterbrochene Lieferketten, abgesagte Veranstaltungen, ausbleibende Zahlungen. Das ist eine vielfache Dimension der damaligen Weltfinanzkrise 2008; denn jeder Einzelne ist davon betroffen.

Die Situation ist für viele – vom Freiberufler über den Gastronomen, das kleine Unternehmen und die mittelständigen Zulieferer bis hin zum Großkonzern – existenzbedrohend. Unternehmen, Mittelständler, Handwerker, die vor einem Monat noch bestens dastanden, tolle Quartalszahlen hatten, gute Jahresberichte 2019 abliefern konnten und kerngesund waren, sehen jetzt ihre Existenz bedroht und schauen mit Angst in die Zukunft.

Es wäre fatal, einfach zu behaupten, dass das ohne größere Schäden an uns vorübergehen würde. Wir haben eine solche Situation noch nie erlebt. Deshalb sage ich mit großer Deutlichkeit: Wir stehen am Beginn einer großen wirtschaftlichen, wahrscheinlich weltweiten Krise.

Umso entscheidender ist, dass wir als Landesregierung und als Parlament, alle Fraktionen, mit aller Kraft alles tun, um diese negativen Auswirkungen zu

minimieren. Wir müssen es schaffen, diesen Krisenmodus so schnell wie möglich wieder zu verlassen. Wenn uns die Mediziner das erste Signal geben: „Ja, die Kurve ist abgeflacht; ja, wir können es schaffen“, müssen wir direkt an die Arbeit gehen und damit beginnen, das öffentliche Leben langsam wieder hochzufahren. Jeder Tag, an dem unsere Wirtschaft stillsteht, an dem unsere Menschen nicht arbeiten können, gefährdet Existenzen. Insofern muss der Kollaps der Volkswirtschaft verhindert werden.

In Nordrhein-Westfalen hat das Zusammenwirken von Arbeitgebern und Gewerkschaften, von Industrie, Handwerk, Handel und Banken, von großen und kleinen Unternehmen Tradition.

Deshalb haben Herr Wirtschaftsminister Pinkwart, Herr Finanzminister Lienenkämper, Herr Arbeitsminister Laumann und ich am vergangenen Donnerstag per Videoschalte alle an einen Tisch geholt. Die Spitzen der Wirtschaft und der Gewerkschaften haben uns noch einmal an sehr vielen Beispielen auch das Ausmaß dieser Krise geschildert, und gemeinsam haben wir beraten, was wir als Politik tun können, damit unser wirtschaftliches und soziales Leben diese Krise überlebt. Das ist nicht automatisch so.

Deshalb müssen wir unbürokratisch und wirksam helfen. Daher gibt es diesen Rettungsschirm, den wir nachher beraten werden: 25 Milliarden Euro, historische Ausmaße für ein Sondervermögen in dieser Zeit. Hunderttausende von Mittelständlern, Kleinunternehmen, auch Start-ups werden jetzt für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Sicherheit bekommen.

Dazu stellen wir zusammen mit der NRW.BANK eine Vielzahl von Instrumenten für unsere Unternehmen bereit. Unsere Finanzverwaltung kommt von der Krise betroffenen Unternehmen mit zinslosen Steuerstundungen und der Herabsetzung von Vorauszahlungen, die ja gerade in diesen Tagen fällig werden, entgegen. Zudem setzen wir Sondervorauszahlungen für Dauerfristverlängerungen bei der Umsatzsteuer für krisenbetroffene Unternehmen auf null. So schaffen wir sofort 4 Milliarden Euro Liquidität für die Unternehmen.

Es geht bei dem Paket um die Bewältigung aller direkten und indirekten Folgen der Coronakrise. Deshalb haben wir es bewusst breit aufgestellt. Dazu beschließen wir heute einen Nachtragshaushalt 2020.