Protocol of the Session on March 24, 2020

Für wen geben wir das Geld aus? Für wen nicht und warum nicht? Was ist jetzt wichtig, und was ist vielleicht weniger wichtig? Es darf keinen Zweifel an den Prioritäten geben.

Wir retten kein Finanzsystem, keine Banken und keine Hegdefonds. Wir setzen das Geld ein, damit Menschen ihre Jobs behalten,

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

damit Solo-Selbstständige und Künstler überleben, mittelständische Unternehmen nicht pleitegehen und Mieterinnen und Mieter ihre Wohnungen behalten können.

Ganz oben auf der Prioritätenliste stehen indes unsere Eltern und Großeltern, unsere Freunde und Angehörigen mit Vorerkrankungen. Ihr Leben gilt es jetzt zu schützen. Das muss oberste Priorität haben.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Deshalb müssen wir zuallererst die Finanzierung und die Arbeitsfähigkeit unserer Krankenhäuser sicherstellen. Die Anzahl der Intensivbetten mit Beatmungsgeräten muss deutlich erhöht werden. Eben ist schon gesagt worden, dass der Bund Mittel dafür zur Verfügung stellt. Meines Erachtens ist es gut und richtig, in dieser Sache gemeinsam an einem Strang zu ziehen.

Heute lesen wir aber in den Zeitungen, dass es in den Krankenhäusern und Arztpraxen, bei Rettungsdiensten und Pflegeheimen noch immer einen akuten Mangel an Desinfektionsmitteln, Schutzmasken und Schutzausrüstungen gibt. Ohne ausreichende Ausrüstung gibt es aber keinen ausreichenden Arbeitsschutz für die Beschäftigten. Die Gefahr einer Coronainfektion ist groß. Fallen aber Ärztinnen, Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger aus, fehlt noch mehr Personal als ohnehin schon und die Versorgung von Patientinnen und Patientinnen würde noch schwieriger. Deswegen hat auch das jetzt oberste Priorität.

Ich halte es für – gestatten Sie mir diese Anmerkung – schon sehr bemerkenswert, dass ein Landrat die chinesische Regierung anschreibt und um Hilfsmaßnahmen bittet. Es ist gut, dass das offensichtlich funktioniert hat. Es ist jetzt aber meines Erachtens eine gemeinsame Anstrengung – auch der Landesregierung – nötig, um wirklich alle Kraft dort hineinzustecken, damit nicht ein solcher Weg eines einzelnen Landrates gewählt werden muss und die Instrumente, Masken und Mittel nun ankommen, wo sie tatsächlich gebraucht werden. Das ist eine wichtige Aufgabe.

(Beifall von der SPD)

Was für unsere Krankenhäuser gilt, gilt natürlich ebenso für die Pflegeeinrichtungen. Es muss sichergestellt werden, dass auch dem Pflegepersonal in den Heimen, den Einrichtungen alle nötigen Schutzausrüstungen zur Verfügung gestellt werden, damit die Aufrechterhaltung der pflegerischen Versorgung auch zukünftig weiterhin gesichert ist.

Als wäre das noch nicht schlimm genug, trifft die Coronapandemie unsere Pflegeeinrichtungen natürlich auch in einer Zeit, in der ohnehin Personal und Arbeitskräfte in diesem Bereich sehr knapp sind. Das wird sich kurzfristig wenig ändern, aber es wäre meiner Meinung nach angebracht, in dieser Situation dem ohnehin überarbeiteten Personal vielleicht einmal Danke zu sagen – vielleicht auch mit einem Gehaltszuschuss. Das wäre vielleicht das Mindeste, was wir diesen Kräften an Anerkennung schuldig sind.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN, der AfD, Josef Hovenjürgen [CDU] und Christof Ra- sche [FDP])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Ministerpräsident hat versprochen, dass kein gesundes Unternehmen wegen wirtschaftlicher Einbußen an mangelnder Liquidität scheitern werde. Das war ein wichtiges Versprechen. Meine Fraktion wird alles tun, damit Sie dieses halten können, Herr Laschet. Wir erwarten aber auch, dass Sie alles tun, um es zu halten.

Berlin tut sich manchmal schwer, was wir bei der letzten Diskussion um die Frage, ob die sozialen Dienste unter den Rettungsschirm der Bundesregierung kommen können, mitbekommen konnten.

Meines Erachtens müssen wir aus Nordrhein-Westfalen in diesen Tagen ein deutliches und starkes Signal auch für die sozialen Dienste, für die Wohlfahrtsverbände senden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Ver- einzelt Beifall von der CDU)

Gerade jetzt ist die Arbeit der Wohlfahrtsverbände, der sozialen Dienste und der freien Träger für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft unverzichtbar. Sie helfen Menschen, die sich selbst nicht helfen können, weil sie gebrechlich, krank, behindert oder arm sind.

Wer wird diesen Menschen helfen, wenn die sozialen Dienste ihre Arbeit einstellen müssen? – Der Staat? – Das kann er nicht; das weiß jeder. Deswegen gehören auch die sozialen Dienste unter den Rettungsschirm.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Es gibt ein weiteres Problem, das wir möglichst kurzfristig gemeinsam angehen sollten. Ich finde gut, dass es einen leichteren Zugang zum Kurzarbeitergeld gibt und dass auf Bundesebene diesbezüglich sehr viel passiert und bewegt worden ist.

Das Kurzarbeitergeld liegt derzeit aber auf einem Niveau von 60 % bzw. 67 %. Ich plädiere stark dafür, dass wir dieses Kurzarbeitergeld auf ein Niveau von mindestens 80 % oder 87 % anpassen. 60 % bis 67 % reicht den meisten Familien hinten und vorne nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Was wichtig ist: Keine Familie darf aufgrund dieser Krise in die Privatinsolvenz abrutschen.

Ich betone es noch einmal: Die Milliardenpakete vom Bund und von den Ländern müssen vor allem auch ein Rettungsschirm für einfache Selbstständige, für normale Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sein. Die Sozialdemokratie wird in dieser Krise an der Seite dieser Menschen stehen und ihre Interessen vertreten.

Auch deshalb sage ich mit aller Deutlichkeit: Arbeitswillige und leistungsbereite Menschen dürfen nicht auf den Fluren des Arbeitsamtes landen. Das ist unwürdig. Das darf nicht passieren.

(Beifall von der SPD)

Sorgen wir also gemeinsam dafür, dass es zu Verbesserungen auch im Bereich des Kurzarbeitergeldes kommt.

Übrigens kann auch das Land Nordrhein-Westfalen jungen Familien helfen. Es ist wohl an der Zeit, dass wir die Gebühren für Kitas und Ganztagsschulen aussetzen und den Kommunen die Einnahmeausfälle erstatten.

(Beifall von der SPD)

Für viele Familien geht es um 200, 300, 400 oder mehr Euro im Monat – Geld, das sie jetzt dringend brauchen und für das sie momentan keine Gegenleistung erhalten.

Die Aussetzung der Bildungs- und Betreuungsgebühren wäre eins der wichtigen Signale, die wir jetzt brauchen. Dieser Staat ist euer Staat. Sein Rettungsschirm ist für euch. Er steht euch bei und lässt euch nicht im Stich. Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, eine Aussetzung der Kita- und OGSGebühren wäre eine echte Hilfe für viele Familien in Nordrhein-Westfalen. Weil wir jetzt helfen können, sollten wir das auch gemeinsam tun, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Zur Bekämpfung der Pandemie haben die Regierungen im Bund und in den Ländern so viele und so drastische Maßnahmen ergriffen wie noch nie in der Geschichte unseres Landes. Schulen, Kindertagesstätten, Geschäfte und Restaurants wurden geschlossen. Das öffentliche Leben in Deutschland wurde größtenteils stillgelegt, und jetzt wurden auch noch Kontaktsperren verhängt – all das in kaum mehr als zehn Tagen. Man könnte fast meinen, diese Katastrophe sei über Nacht über unser Land hereingebrochen.

Als ich hier vor zwei Wochen über die Situation an Schulen und Schulschließungen sowie den öffentlichen Nahverkehr gesprochen habe, war die Aufregung noch groß. Zwei Tage später war alles Realität.

Ich stelle mich hier jetzt nicht hin, um das großartig zu kritisieren, und ich zitiere auch nicht einen bestimmten Landrat, der in der Landesregierung viele Hauptbedenkenträger ausgemacht hat. Ich will es heute eher positiv ausdrücken.

Herr Ministerpräsident, bitte unterstützen Sie unsere Kommunen, Oberbürgermeister und Landräte bei ihrer schwierigen Aufgabe und sorgen Sie dafür, dass die Ministerien gut abgestimmt und koordiniert mit den Kommunen zusammenarbeiten können.

(Beifall von der SPD)

Gestatten Sie mir noch eine Anmerkung. Dies ist nicht die Zeit für einen Konkurrenzkampf unter Parteifreunden. Dies ist die Zeit für einen Kampf für die Menschen in Nordrhein-Westfalen. Es geht um ihre Gesundheit, ihr Einkommen, ihre Zukunft. Die Bekämpfung der Coronakrise ist das Einzige, was jetzt zählt – das Einzige.

(Beifall von der SPD)

Wir müssen das Land gemeinsam gut durch die Coronakrise bringen. Ein nordrhein-westfälischer Ministerpräsident hat dabei eine ganz besondere Bedeutung und Herausforderung; denn auch in dieser Krise wird unser Land nicht von Virologen und Medizinern regiert. Wir hören ihren Rat, aber wir können sie nicht für Entscheidungen verantwortlich machen, die allein Regierungen und Parlamente zu treffen haben.

Auch in der Krise wird unser Land von einer Regierung geführt, die der Öffentlichkeit gegenüber rechenschaftspflichtig ist und die der Kontrolle parlamentarischer Demokratie, eines gewählten Parlaments unterliegt.

Eben habe ich gesagt, diese Krise sei eine Bewährungsprobe für die Demokratie. Sie ist aber keine Krise der Demokratie. Dies ist nicht die Zeit für Notstandsgesetze oder Freibriefe an die Exekutive. Dieser Landtag wird seinen Verfassungsauftrag erfüllen. Darauf wird meine Fraktion bestehen.

Wir werden Sie bei Ihrer Arbeit konstruktiv begleiten. Wir werden uns aber auch erlauben, bei den einzelnen Maßnahmen gemeinsam nach dem bestmöglichen Weg zu suchen. Wenn wir dabei Gegenvorschläge unterbreiten, dann ist das nicht immer unbedingt Kritik, sondern etwas, das wir vorbringen und uns aus Sicht unserer Partei, unserer Fraktion besonders am Herzen liegt.

Insbesondere in Zeiten, in denen wir Bürgerrechte sehr stark und massiv einschränken – was für einen bestimmten Zeitraum richtig, gut und notwendig ist – , ist es meiner Meinung nach wichtig, dass die parlamentarische Demokratie nicht vom Netz geht und wir hier eng beieinander bleiben, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD, der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Das garantieren wir Ihnen. Selbstverständlich werden wir die Regierung auch unterstützen, wenn sie tut, was getan werden muss, um diese Krise zu überwinden – so, wie bei den weiteren Tagesordnungspunkten heute.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wann der Tag kommt, an dem die Gefahr gebannt und die Krise überwunden ist, kann heute noch niemand sagen. Aber dieser Tag wird kommen; das ist sicher.

Wenn er da ist, dann werden wir mit neuen Augen auf die Menschen blicken, die uns täglich umgeben. Es wird ein Tag der Erkenntnis sein, an dem wir alle begriffen haben, wer die echten Leistungsträger in unserem Land sind und dass diese Leistungsträger übrigens meist Leistungsträgerinnen sind – wie die Verkäuferin im Supermarkt, die Pflegerin im Krankenhaus oder die Erzieherin im Kindergarten.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Wir werden endlich verstehen, was diese Menschen leisten und was sie schon immer waren: unentbehrlich und unabkömmlich – genauso wie Lkw-Fahrer, Busfahrer, Bäcker, Feuerwehrleute, Reinigungskräfte, Sozialarbeiter und noch viele Menschen mehr. Niemand wird sie mehr übersehen. Niemand wird ihre Arbeit mehr gering schätzen oder ihre Leistungen für selbstverständlich halten. Dieses Land wird endlich zu würdigen wissen, was sie für uns alle tun – auch, indem wir ihnen endlich die Löhne zahlen und die soziale Sicherheit geben, die sie verdienen.