Gesellschaftliche Akzeptanz, nein, Mitgehen bei den Veränderungen, die nun anstehen, leitet mich zu einem weiteren Gedanken: Offen gestanden kann ich mit dieser allgegenwärtigen Ausstiegsrhetorik immer weniger anfangen. Mehr noch: Die Menschen im Land können mit dieser allgegenwärtigen Ausstiegsrhetorik immer weniger anfangen.
Im Ruhrgebiet trifft man ja gelegentlich auf solche, die es gut mit einem meinen, die einem aber trotzdem ziemlich unverblümt die Meinung sagen. Einem von ihnen bin ich am letzten Samstag begegnet. Er hatte eine ziemlich kurze und knappe Ansage: Macht ihr eigentlich noch was anderes, als überall auszusteigen? Das kann doch nicht gut gehen. – Es war kein Leugner des Klimawandels. Und doch hat er einen anderen Anspruch an die Energiewende und dazu, wie wir sie gestalten sollen. Nicht aussteigen, nicht abschalten, nicht zumachen, sondern einschalten, aufbrechen, loslegen! Das war der Punkt, den der junge Mann auf dem Herzen hatte. Das war die Anforderung an uns.
Wir müssen doch mehr als alles andere eine Vorstellung davon entwickeln, meine sehr verehrten Damen und Herren, was zukünftig sein soll, und nicht nur davon, was nicht mehr sein darf. Davon habe ich, Herr Ministerpräsident, von Ihnen wenig gehört, zu wenig, wenn NRW als Energieland Nummer eins bei der Energiewende auf der Gewinnerseite stehen soll, zu wenig, wenn die Reviere dabei an der Spitze stehen sollen, zu wenig, wenn wir Lokomotive in Deutschland bleiben wollen.
Dass die Kohlekommission von CDU und SPD mit „richtigem“ Namen, wie man vielleicht sagen müsste, „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ genannt worden ist, kann doch vor diesem Hintergrund für uns auch bei der Umsetzung handlungsleitend sein. Wenn der Ministerpräsident hier heute gesagt oder zumindest gemeint hat, dass NRW Vorreiter beim Ausstieg ist, weil wir hier die ersten nicht 15, sondern 2,8 GW Braunkohle bis 2022 abschalten, dann ist das richtig. Dann, Herr Ministerpräsident Laschet, wird das von uns unterstützt.
Besser wäre es, Herr Laschet, wenn Sie uns gleichzeitig zum Vorreiter beim Einstieg in eine gesicherte und bezahlbare Energieversorgung auf der Basis von regenerativen Energien machen wollten,
wenn Sie uns in eine klimaneutrale Produktion und Mobilität, in die energetische Sanierung des Gebäudebestandes und in eine mutige, eine anspruchsvolle Wasserstofftechnologie als die Kerntechnologie des 21. Jahrhunderts – mit zwei Worten: in neues Wachstum und neue Beschäftigung – nicht nur im Rheinischen Revier, sondern auch an den Steinkohlestandorten und im ganzen Land führen würden.
Die Energiewende meistern wir nicht durch Ausstieg. Wir meistern sie durch Einstieg, durch eine breite Transformation unserer Wirtschaft im Energiesektor, bei den Automotive-Zulieferern und weit darüber hinaus. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist unsere Aufgabe für die nächsten Jahrzehnte hier in Nordrhein-Westfalen – nicht nur das Abschalten von Kraftwerken.
Stattdessen entzündet sich der Streit – man möchte sagen: mal wieder – an der geplanten Inbetriebnahme von Datteln 4. Für die einen ist es ein Wiedergänger der alten Kohlewirtschaft, für die anderen Menetekel einer fundamentalistischen Haltung beim Ausstieg.
Ich bin überzeugt, es taugt zu beidem nur bedingt, wenn man sich auf die Fakten konzentriert. Für die einen ist schon erklärungsbedürftig, warum ein betriebsbereites Kraftwerk, das die Kilowattstunde Strom mit weniger CO2-Ausstoß produziert als alle Kohlekraftwerke, die wir ansonsten haben, nicht ans Netz darf und stattdessen alte Braunkohlekraftwerke laufen sollen.
Für die anderen ist nicht wegzudiskutieren – Herr Laschet, auch nicht durch Ihre Hinweise hier –, dass gerade aufgrund der hohen Effizienz von Datteln 4 zumindest die Situation bestehen kann, dass höhere Leistung in Datteln abgerufen wird und damit die
Menge des ausgestoßenen CO2 – nicht der installierten Leistung – steigt. Das wäre in der Tat die Axt am Grundkonsens der WSB-Kommission.
Diesen Widerspruch gilt es aufzulösen. Ich finde, dass Svenja Schulze da den richtigen Weg gewiesen hat, nämlich dass die zusätzlichen CO2-Frachten im entsprechenden Steinkohleausstiegspfad zu berücksichtigen sind, sodass am Ende die CO2-Reduktionsziele auch bei der Steinkohle und auch mit Datteln 4 eingehalten und kompensiert werden können.
Unter dieser Bedingung ist es doch allemal vertretbarer, ein modernes, sauberes Kraftwerk zu nutzen, als alte dreckige Kraftwerke länger zu betreiben und als Folge davon weitere Milliardenentschädigungen an die Energiewirtschaft zu bezahlen. Das muss doch jedem einleuchten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin mir sicher, die Grünen in Regierungsverantwortung hätten nicht anders entschieden. Nein, nicht sie „hätten“, sondern sie entscheiden nicht anders: in den Landesregierungen in Sachsen, in Sachsen-Anhalt, auch in Brandenburg. Bis heute ist nicht bekannt, dass es dort einen entsprechenden Dissens zur Bund-Länder-Einigung gibt.
Im Gegenteil: So begrüßt die Landesvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen, Julia Schmidt, den Konsens mit den Worten, hiermit nehme der Kohleausstieg für Brandenburg Fahrt auf. „Mit der gestrigen Einigung auch zum Kraftwerk Jänschwalde herrscht nun Klarheit für die Region“, sagte sie letzte Woche. Ein kurzer Blick auf die Liste zeigt das Datum: 31.12.2028, das ist in acht Jahren und elf Monaten. Bis dahin ist im Rheinischen Revier schon alles bis auf zwei Blöcke in Niederaußem und die drei zitierten BoA-Anlagen abgeschaltet. 4,3 GW sind dann hier in Nordrhein-Westfalen vom Netz gegangen.
Eine Generalabrechnung mit der Bund-Länder-Einigung macht keinen Sinn. Was aber Sinn machen würde und zielführend wäre, wenn sich die Bundesregierung mit den Kommissionsmitgliedern in gemeinsamer Verantwortung für den Konsens noch einmal zusammensetzen und die strittigen Details diskutieren würde mit dem Ziel, einen Ausgleich herbeizuführen in dem Sinne, wie ich es gerade gesagt habe, nämlich dass die zusätzlichen CO2-Tonnagen eingespart werden.
Unser zweites großes Ziel war es, einen Strukturwandel in den betroffenen Regionen ohne Strukturbruch einzuleiten. Die Beschäftigten im Rheinischen Revier und im Ruhrgebiet haben ein Recht auf diese
Wir haben diesem Recht Geltung verschafft durch die 14 Milliarden zusätzliche Investitionen im Rheinischen Revier und an den Kraftwerksstandorten und durch die Anpassungsgelder, die nicht nur in den Gruben, sondern auch in den Kraftwerken – egal ob Stein- oder Braunkohle – gezahlt werden. Niemand fällt ins Bergfreie, neue Zukunftschancen für die Region – so wird Strukturwandel gemacht, so machen wir Strukturwandel in Nordrhein-Westfalen.
Wir sind froh, dass die Bundesregierung genau das vorgelegt hat. Wir gehen auch davon aus, dass die Landesregierung Nordrhein-Westfalen dem zustimmt, wenn ein entsprechend gutes Angebot vorgelegt wird. Darauf hat die SPD immer bestanden.
Aber es wäre nicht durchsetzbar gewesen – auch das will ich an dieser Stelle erwähnen – ohne den massiven Einsatz von IG BCE und ver.di und das engagierte Eintreten vieler Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus den entsprechenden Regionen. Wer dazu beiträgt, den darf man an dieser Stelle auch einmal erwähnen.
Sie jetzt zu echten Beteiligten des Prozesses, zu gleichberechtigten Mitentscheidern zu machen, das ist die Aufgabe. Herr Laschet, dazu muss die Landesregierung weit über das hinausgehen, was sie bisher an Beteiligung und Mitentscheidung für die Region und auch für die Gewerkschaften angeboten hat.
In nur wenig mehr als anderthalb Jahrzehnten beenden wir die Nutzung von Rohstoffen, die über eineinhalb Jahrhunderte die Antriebe unserer Wirtschaft gewesen sind. Wir tun das, um die Erderhitzung zu stoppen. Wir tun das aber auch für den wirtschaftlichen Erfolg.
Ich bin zurück am Beginn. Wir reden zu oft von Ausstiegen und Schlusspunkten, doch in Wahrheit geht es um Einstiege und Anfänge. Es geht um Transformation unserer Wirtschaft, es geht um Aufbruch in eine neue Zeit. Wenn wir es richtig machen, dann werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Gewinner der Energiewende sein, dann wird NRW Gewinner der Energiewende sein. Das ist unser Anspruch an die Energiewende.
Herr Ministerpräsident, Sie haben heute viel Richtiges zur Bund-Länder-Vereinbarung gesagt. Manchmal hat man den Eindruck, damit sei die Arbeit erledigt. Ich hoffe, deutlich gemacht zu haben, dass für uns Sozialdemokraten klar ist: Die Arbeit fängt hier erst an.
Sie beginnt mit einer klaren Wende in Ihrer Energiepolitik, mit der Lösung der Fesseln für Windkraft und regenerative Energien. Sonst wird NRW das 65-%Ziel, das jetzt neu gesetzt worden ist, nicht erreichen; sonst wird NRW nicht Energieland und Gewinner der Entwicklung sein.
Produktion, meine sehr verehrten Damen und Herren, folgt auf Energie. Das ist die Geschichte des Ruhrgebiets. Dass das auch weiterhin gilt, ist leider das bittere Lehrstück von Tesla in Brandenburg. Wer heute keine grüne Energie bieten kann, wer nicht auf Wertschöpfungsketten in der Wasserstoffwirtschaft setzt, der wird auch keine Erfolge in der Industriepolitik haben. Und wer keinen Plan für die Energiepolitik hat, der hat in Wirklichkeit keinen Plan für die Industriepolitik im Land Nordrhein-Westfalen.
Es liegt bei uns, ob wir die Energiewende zum Erfolg führen, ob wir sie zum Fortschritt der Beschäftigten, zum Wohlstand für die vielen in unserem Land machen – nicht durch Ausstieg, sondern durch einen mutigen Aufbruch, nicht durch blumige Reden, sondern durch konsequentes Handeln, nicht durch Wirklichkeitsverweigerung, sondern durch anspruchsvolles Gestalten dieses Weges in eine neue Zeit. Wir sind davon überzeugt, dass Nordrhein-Westfalen die Kraft hat. Wir werden alles dafür geben, dass Nordrhein-Westfalen diese Kraft der Menschen und der Industrie hier in Nordrhein-Westfalen entfesseln kann. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Herter. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun die Abgeordnete Frau Düker.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ist diese Bund-Länder-Einigung zum Kohleausstieg nun tatsächlich der große Durchbruch für den Klimaschutz, der Quantensprung, der Erfolg, mit dem nun alle Anliegen zusammengebracht werden, wie uns heute der Ministerpräsident hier weismachen will? Ist diese Vereinbarung wirklich die Umsetzung der Empfehlung der Kommission Wachstum und Beschäftigung, in der sich angeblich alle wiederfinden müssen?
Ja. Ich fange mit einem „Ja“ an, liebe Kolleginnen und Kollegen. Auch aus unserer Sicht ist es selbstverständlich ein Erfolg, wenn die Beschäftigten, die ihre derzeitigen Arbeitsplätze verlieren, nicht ins Bergfreie fallen, sondern abgesichert werden. Natürlich ist das ein Erfolg.
Natürlich ist es auch ein Erfolg für diese Region, dass 15 Milliarden Euro an Strukturfördermitteln dem Rheinischen Revier eine Zukunftsperspektive geben können. Selbstverständlich ist das alles ein Erfolg.
Ich denke, RWE kann es auch nur als Erfolg werten, wenn ein Unternehmen 2,6 Milliarden Euro Entschädigung für alte, abgeschriebene, nicht mehr wirtschaftliche und unrentable Kraftwerke bekommt, ohne dass darauf ein rechtlicher Anspruch besteht. Die Frage ist nur: Ist das wirklich noch angemessen? Diese Frage haben wir aber heute nicht zu bewerten.
Jetzt kommt das Nein. Für mich ist es kein Erfolg, und es ist auch kein Erfolg für zwei große Verlierer, die sich bei dieser Vereinbarung als Verlierer fühlen müssen, Herr Ministerpräsident. Diese zwei Verlierer hatten keine Interessenvertreter am Tisch, als dieser Deal besiegelt wurde. Zum einen ist das der Klimaschutz, und zum anderen sind es die vom Tagebau unmittelbar betroffenen Menschen.
Wegen dieser Verlierer, die sich als Verlierer fühlen müssen, kann dieser Erfolg kein Erfolg für alle Beteiligten sein. Acht Mitglieder der Kohlekommission bilanzieren aus meiner Sicht völlig zu Recht – ich zitiere aus der Stellungnahme –: