Wegen dieser Verlierer, die sich als Verlierer fühlen müssen, kann dieser Erfolg kein Erfolg für alle Beteiligten sein. Acht Mitglieder der Kohlekommission bilanzieren aus meiner Sicht völlig zu Recht – ich zitiere aus der Stellungnahme –:
„Mit der Bund-Kohleländer-Einigung zum Kohleausstieg zum 15. Januar 2020 sehen wir Buchstaben und Geist der in den Empfehlungen der Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung erzielten Kompromisse vor allem mit Blick auf den Klimaschutz sowie den Umgang mit den vom Braunkohletagebau betroffenen Menschen grob verletzt.“
Herr Herter, die Kohlekommissionsmitglieder nennen nicht irgendwelche Details, die sie in der Vereinbarung nicht wiederfinden. Sie sagen, die Betroffenen seien „grob verletzt“. Wenn Sie Ihre Rechnungen vorstellen, Herr Ministerpräsident, meinen Sie offenbar, dass Herr Professor Schellnhuber nicht rechnen kann. Er hat diese Vereinbarung nämlich auch unterzeichnet.
Warten Sie einmal ab, das kommt gleich noch. – Sie haben mit dieser Vereinbarung aus unserer Sicht eine große Chance, einen mühsam errungenen und breit getragenen gesellschaftlichen Kompromiss aufs Spiel gesetzt.
Es war ein Kompromiss, und die, die jetzt diese Vereinbarung unterzeichnet haben, stellen sich immer noch hinter diesen Kompromiss, obwohl sie sich mehr gewünscht haben. Sie haben die Chance vertan, diesen Kompromiss tatsächlich eins zu eins umzusetzen. Aus unserer Sicht muss das im Gesetzgebungsverfahren dringend nachgebessert werden.
Erstens. Der Ausstiegspfad wird nach hinten verlagert. In den Dreißigerjahren wird einiges nach hinten verlagert, und damit – so die Kommissionsmitglieder – können die Emissionsminderungsziele nicht erreicht werden.
Zweitens. Ganz wesentlich ist, dass der Ausstieg auch ein Einstieg sein muss. Das haben Sie offenbar vergessen. Die notwendigen verlässlichen Rahmenbedingungen für Investitionen zum Ausbau der erneuerbaren Energien werden nicht geschaffen.
Damit erreichen wir nicht die Klimaziele, die von der Kommission beschlossen worden sind. Darüber hinaus gefährden Sie die gerade von Ihnen so hoch gepriesene und wichtige Versorgungssicherheit, indem Sie weiterhin den Ausbau der Windkraft blockieren, statt ihn zu befördern.
Drittens. Mit Datteln 4 geht entgegen der eindeutigen Empfehlung der Kommission ein neues Kohlekraftwerk in Betrieb. Sie haben heute nicht dargestellt, wie die äquivalenten CO2-Mengen denn eingespart werden sollen. Herr Pinkwart, Sie haben das einen Sieg der Vernunft genannt. Das ist kein Sieg der Vernunft, das ist eine klimapolitische Mogelpackung, die Sie vorlegen. Sie haben heute nicht darstellen können, wie die Klimaschutzziele mit einem neuen Kohlekraftwerk erreicht werden können.
Viertens. Hier geht es nicht nur um Zahlen und Berechnungen, sondern ganz konkret – das ist mir auch ganz wichtig – um Menschen und deren Schicksale. Einer wichtigen Bitte der Kommission wird auch nicht gefolgt.
So steht es im Kommissionsbericht, lieber Kollege Josef Hovenjürgen. Ich zitiere nur aus dem Kommissionsbericht, zu dem Sie sich immer so gerne eins zu eins bekennen. Im Kommissionsbericht wird eine Empfehlung ausgesprochen, und die lautet: Mit den Tagebaubetroffenen vor Ort soll die Landesregierung in einen Dialog über die Umsiedlung treten.
Herr Ministerpräsident, Sie waren im November 2018 in den Dörfern. Das war gut. Sie haben mit den Menschen gesprochen. Ich habe auch mit den Menschen gesprochen. Die haben Ihnen sicher von dem Gefühl, an RWE ausgeliefert zu sein, erzählt. Sie haben von Entschädigungsregelungen erzählt, die nicht als sozialverträglich empfunden werden.
Sie haben von der Zerrissenheit in den Dörfern erzählt. Die einen wollen gehen, die anderen wollen bleiben. Das geht durch ganze Familien. Das zerreißt Familien. Das sind psychische Belastungen, die wir uns alle miteinander gar nicht vorstellen können. Die Menschen leben zwischen Resignation und Kampf um die Heimat.
Dann haben Sie den Menschen vor gut einem Jahr versprochen, dass Sie diese Gespräche fortsetzen werden, und gesagt: Wir bleiben im Dialog. – Herr Ministerpräsident, damit haben Sie bei den Menschen hohe Erwartungshaltungen erweckt. Die Menschen haben Ihnen vertraut, und dieses Vertrauen, das die Menschen in Sie gesetzt haben, haben Sie bitter enttäuscht, denn Sie haben sich noch nicht einmal bemüht, dieses Versprechen einzuhalten.
Sie haben sich noch nicht einmal bemüht, dieses Dialogversprechen einzuhalten, und Sie haben sich noch nicht einmal bemüht, bei den Dörfern zu schauen, wie und wo etwas verändert oder gerettet werden kann.
Wie wollen Sie denn den Menschen erklären, dass der Tagebau Inden – auch das war eine Kommissionsempfehlung, die nicht eingehalten wird – mit dem dazugehörigen Kraftwerk Weisweiler einfach so fünf Jahre früher, als von der Kommission empfohlen, beendet wird? Wie wollen Sie den Menschen in Keyenberg, in Kuckum, in Beverath, in Oberwestrich, in Unterwestrich, auf dem Eggerather Hof oder auf dem Holzerhof denn erklären, dass früher Schluss sein wird, sie aber trotzdem den Baggern weichen müssen?
Von dem Kollegen Löttgen kommt bestimmt gleich wieder der Verweis auf 2016. Seit 2016 sind drei Jahre vergangen.
In diesen drei Jahren gab es das Pariser Klimaschutzabkommen, es gab einen Klimaschutzplan der Großen Koalition, und es gibt einen Kommissionsbericht.
Sie haben eine entsprechende Rückendeckung. Letztes Jahr im September waren über 1 Million Menschen für einen konsequenten Klimaschutz auf der Straße.
Ihnen standen viele Brücken zur Verfügung, über die Sie hätten gehen können, um dieses Versprechen eines konsequenten Ausstiegs auch einzulösen.
Das muss sich doch auch in einer Verkleinerung des Abbaugebiets Garzweiler niederschlagen. Aber Sie haben heute nicht erklärt, warum Sie das nicht tun können.
(Beifall von den GRÜNEN – Lachen von Diet- mar Brockes [FDP] – Josef Hovenjürgen [CDU]: Doch! Aber Sie haben nicht zugehört!)
Wir haben von Ihnen zu Garzweiler heute nur gehört, dass Ihnen offenbar, genauso wie Herrn Hartmann, die Fantasie fehlt, wie das in Garzweiler gehen könnte.
Wir erwarten aber keine Fantasie, sondern wir erwarten Fakten, und die haben Sie heute nicht geliefert.
Ich finde es unsäglich, Herr Ministerpräsident, dass Sie sich aus der eigenen Verantwortung stehlen und einen einzigen Tagebau – das gibt es in ganz Deutschland sonst nicht – mit einem Bundesgesetz und nicht mittels einer Leitentscheidung des Landes regeln wollen, wie es üblich wäre.
Damit haben Sie ja auch überhaupt nichts zu tun; das hat es Ihnen ja alles die Bundesregierung diktiert. – Nein, Sie wollen sich hier bewusst aus der Verantwortung stehlen: Lasst das mal den Bund machen; dann muss ich nicht die Entscheidungen erklären und belegen, warum das notwendig ist.