Protocol of the Session on June 27, 2019

Ja, wir unterstützen natürlich im Grundsatz, dass die Landesregierung nun eine Initiative auf den Weg bringt, um Obdachlosigkeit präventiv entgegenzuwirken und Menschen, die bereits obdachlos geworden sind, möglichst schnell wieder ein Zuhause bieten zu können.

Ja, wir begrüßen auch, dass Sie auch Instrumente der allgemeinen Sozialarbeit, die sich woanders bewährt haben, in Ihr Programm aufnehmen. Ich nenne hier die aufsuchende Sozialarbeit oder die gesundheitliche Versorgung, die für diese Menschen vor Ort anders geregelt werden muss.

Das Ziel ist unterstützenswert. Nur stellt sich dann die Frage: Wie sehen die Instrumente dafür aus? – Schaut man sich Ihr Handlungskonzept an, muss man sagen: Da ist alter Wein in vielen neuen Schläuchen, und vieles von dem, was Sie hier beschreiben, existiert schon seit Jahren und wird seit Jahren von anderen umgesetzt – in der Regel unabhängig davon, ob einer vorher den Auftrag gegeben hat oder nicht. Das tun die, weil sie ein Menschenbild haben, das sie dazu auffordert, diesen Menschen vor Ort zu helfen.

(Beifall von der SPD)

Beschrieben wird auch ein Sammelsurium von Maßnahmen und Absichtserklärungen. Die klingen so – und ziehen sich letztlich durch diese Broschüre hindurch –: Es sollen, wir beabsichtigen, wir streben an, wir planen.

Wenn Sie von der Kooperationsvereinbarung mit der Wohnungswirtschaft sprechen, muss man sich die Frage stellen: Glauben wir wirklich, dass Vonovia SE und Vivawest Wohnen GmbH die Problemlöser der Wohnungsnot in Nordrhein-Westfalen sind?

(Beifall von der SPD – Zuruf von Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales)

Sind das die Ansprechpartner – wir erleben sie jetzt im Markt –, die sich so verhalten, wie wir es von einem Unternehmer erwarten würden, der den Menschen entgegenkommt?

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Folgende Frage haben Sie nicht erwähnt: Welche Rolle spielen dabei in unserem Land beispielsweise die Wohnungsbaugenossenschaften? Welche Rolle spielen hier die kommunalen Wohnungsgesellschaften, die wir zuhauf haben?

Ich finde, da gibt es eine Tradition, die schon jetzt seit Jahren und immer wieder in diesen Bereichen gegen Wohnungslosigkeit kämpft und mit guten Konzepten gearbeitet hat. Auch hier gilt es, insbesondere Wohnungsbaugenossenschaften und kommunale Wohnungsgesellschaften in den Mittelpunkt dieses Programms zu stellen.

(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Ge- sundheit und Soziales: Tun wir ja!)

In der Sache, dass obdachlosen Menschen geholfen werden muss, sind wir uns einig; das habe ich mehrfach ausgeführt.

Sie haben völlig zu Recht gesagt: Die Summe, die im Haushalt dafür vorhanden ist, ist zu gering. – Nun muss man in Erinnerung rufen, dass auch zu Ihrer Zeit als Sozialminister in einer der vorherigen Regierungen die Summe auch nur 1 Million Euro betragen hat. Das sollte man nicht gegeneinander ausspielen.

Sie erhöhen jetzt den Haushaltsansatz tatsächlich um 2 Millionen Euro und beabsichtigen eine Erhöhung auf 6,85 Millionen Euro. Erlauben Sie mir folgenden Hinweis: Wenn ich diese Summe durch die 44.000 Wohnungslosen, die Sie benannt haben, teile, entspricht das einem Aufwand von 43 Cent pro Kopf und Mensch pro Tag.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Alle Ach- tung!)

Es mag sein, dass Sie das für ausreichend halten. Ich denke, dass das alleine nicht ausreicht, weil die Frage von Sozialarbeit, die Frage von dem, was vor Ort passiert, einer völlig anderen Unterstützung bedarf.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Erlauben Sie mir noch einen weiteren Hinweis: Es war die schwarz-gelbe Landesregierung, die den sozialpolitischen Ansatz von Rot-Grün, nämlich die Quartiersfrage, zurückgeschraubt hat. Sie haben den Ansatz der Quartiersarbeit gekappt.

(Beifall von der SPD)

Nun zeigt sich auch in Ihren Bausteinen, dass Sie erstaunlicherweise genau zu diesen Punkten zurückkehren. Sie stellen fest: In den Quartieren, da, wo die

Menschen leben, muss genau die aufsuchende Sozialarbeit stattfinden.

(Jochen Ott [SPD]: Wohnen ist mehr als Be- ton!)

Das ist der Grund, warum wir dieses Programm eingeführt haben,

(Beifall von der SPD)

und zwar nicht nur im Kampf gegen die Wohnungslosigkeit, sondern auch, um den Problemen des Alters, des demografischen Wandels, des miteinander Lebens zu begegnen, weil genau in diesen Siedlungen, in denen die Menschen leben, der Ansatz stattfinden muss, den Schwarz-Gelb an ganz vielen Stellen ramponiert hat.

(Beifall von der SPD und Mehrdad Mostofiza- deh [GRÜNE])

Hätten Sie in dieser Frage in den letzten zwei Jahren beispielsweise auf die Wohlfahrtsverbände, auf die Kommunen gehört, die bei diesem Quartiersansatz seit Jahren proaktiv mitwirken und ihn unterstützen, hätten wir vielleicht heute auch eine ganz andere Ausgangssituation in Ihrem Handlungskonzept.

(Beifall von der SPD – Jochen Ott [SPD]: Rich- tig!)

Herr Minister, Sie haben eben gesagt, dass Obdachlosigkeit eines der zentralen Themen sei, das Sie in Ihrem Hause angehen wollen. Wenn man sich als Insider in Ihrem Haus auskennt, wünsche ich mir nicht nur, dass sich das Haus damit auseinandersetzt; ich wünsche mir, damit das funktioniert, dass der Minister das zur Chefsache erklärt, weil es dann wahrscheinlich auch funktionieren wird.

(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Ge- sundheit und Soziales: Das wird auch funktio- nieren! Warten Sie mal ab!)

Lassen Sie mich zum Schluss sagen – und davon bin ich überzeugt –, dass wir an ganz vielen Stellen, auch im Ausschuss, beim Kampf gegen die Obdachlosigkeit viele Gemeinsamkeiten finden werden.

Obdachlosigkeit und die Angst der Menschen, die noch nicht obdachlos sind, die Angst der Menschen, die ihre Wohnungen nicht mehr finanzieren können, werden wir nur dadurch bekämpfen, dass wir in den förderfähigen Wohnungsmarkt für diese Gruppen der Gesellschaft investieren, die sich noch Wohnraum leisten können.

Hier gilt es, nachzulegen, hier gilt es, mehr zu machen, um denen zu helfen, die schon in der Not sind, aber vor allem all den Zehntausenden in diesem Land die Angst zu nehmen, die vor dem Problem stehen, dass sie irgendwann selber ihren Wohnraum nicht mehr finanzieren können. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Neumann. – Für die CDU-Fraktion spricht nun der Abgeordnete Preuß.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zunächst einmal bei Herrn Minister Laumann für die Unterrichtung über die Landesinitiative zur Bekämpfung der Wohnungslosigkeit bedanken.

Dass uns nun ein angekündigtes umfassendes Handlungskonzept gegen Wohnungslosigkeit vorliegt, ist ein weiterer sozialpolitischer Baustein, den die Landesregierung und die Koalitionsfraktionen aus CDU und FDP gemeinsam setzen und somit ihrer sozialpolitischen Verantwortung nachkommen.

Herr Minister Laumann hat erklärt, dass es ein Schwerpunktthema ist. Ich bin mir ganz sicher, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums daran mitwirken werden, dieses Problem in den Griff zu bekommen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Nach Ihrem Vortrag, Herr Kollege Neumann, habe ich allerdings den Eindruck, dass Sie sich aus dieser Gemeinsamkeit zur Bekämpfung der Wohnungslosigkeit verabschieden.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Ganz im Gegenteil!)

Ich habe kein Verständnis dafür, und wir haben im Ausschuss für Gesundheit und Soziales schon öfters diskutiert, dass das Thema „Wohnungslosigkeit“ in Zusammenhang gebracht wird mit dem großen Thema „Wohnungsbau“, was eigentlich ganz andere Inhalte hat. Es geht hier ganz konkret darum, individuelle Hilfe für die betroffenen Menschen zu organisieren.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Ich weiß nicht, wie man einem Menschen, der von Wohnungslosigkeit betroffen ist, der beispielsweise in einer Bestandswohnung einer Wohnungsgenossenschaft mit einer Durchschnittsmiete – so ist das in Düsseldorf – von 5,61 Euro/m² wohnt und Mietschulden aufgrund ganz anderer Umstände und Ursachen hat, hilft, indem man ihm eine andere Wohnung zuweist, für die er dann 8,50 Euro/m² bezahlen muss. Es geht bei diesem Handlungskonzept ganz klar darum, individuelle Hilfe für die Betroffenen zu organisieren.

(Beifall von der CDU)

Die Zahl der als wohnungslos gemeldeten Menschen hat in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Jahren zugenommen; wir haben das gehört. In den Jahren 2015 und 2016 betrug der Anstieg 15 %, von 2016 auf 2017 waren es fast 29 %. Ein Viertel davon

sind Frauen, und auch der Anteil der jungen Menschen unter 18 Jahren ist gestiegen. Besondere Bedeutung kommt auch dem Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund zu.

Obdach- oder Wohnungslosigkeit ist kein Verwaltungsvorgang; es sind Einzelschicksale, die dazu führen, dass jemand kein Zuhause, kein Dach über dem Kopf und seine vertraute Umgebung verloren hat. Bestenfalls lebt sie oder er in einer Notunterkunft oder schlimmer noch auf der Straße.

Einer unserer Schwerpunkte in dieser Legislaturperiode ist aufgrund der alarmierenden Sozialberichterstattung der Kampf gegen Armut. Wohnungslosigkeit ist auch eine Folge von Armut – oder sagen wir: finanzieller Überforderung.

Aus diesem Grund wurden bereits die Mittel für sozialpolitische Maßnahmen und den Kampf gegen Armut für das laufende Haushaltsjahr deutlich erhöht: um 3 Millionen Euro auf 8,12 Millionen Euro.