Protocol of the Session on June 27, 2019

Genauso bekommen wir auch Hilfestellung aus dem Wohnungsbauministerium.

An dieser Stelle möchte ich auch sagen – hier geht ein ganz herzliches Dankeschön an Peter Preuß vom Stiftungsrat und den Vorstand der Stiftung Wohlfahrtspflege –, wie sehr ich mich darüber freue, dass auch die Stiftung Wohlfahrtspflege sich vorstellen kann, in diesem Bereich demnächst Förderungen vorzunehmen, um Wohnungslosigkeit zu verhindern, und vielleicht auch zu überlegen, ob Strukturen für Wohnungslose – denken Sie einmal an die Hygienecenter – über die Parlamentsstiftung unterstützt werden können. Dafür bin ich sehr dankbar.

Dann gibt es natürlich einen Bereich, der immer unmittelbar dazugehört. Das ist der Bereich des SGB II, der Jobcenter. Es ist ja so, dass jedem Menschen in Deutschland die Erstattung der Kosten für eine Wohnung zusteht. Für einen angemessenen beheizten Wohnraum steht jedem Menschen in Deutschland einheitlich die Erstattung der Kosten zu – plus 416 Euro für den Haushalt.

Ich will natürlich schon, dass die Jobcenter auch im Auge haben, Wohnungslosigkeit ihrer Klientel zu verhindern. Da gibt es auch Möglichkeiten, die sie mit Zustimmung des betreffenden Menschen nutzen können und ja auch nutzen – zum Beispiel die Möglichkeit, dass die Miete direkt vom Jobcenter an den Vermieter überwiesen wird. Das ist aus meiner Sicht ein ganz sicherer Weg, Mietschulden zu verhindern.

Wenn Mietschulden aufgelaufen sind, muss auch zusammen mit dem Jobcenter überlegt werden, wie man diese Menschen in ihrer Wohnung belassen kann und über die Mietschulden hinwegkommt. Das gehört auch zur Aufgabe der Jobcenter.

Deswegen bin ich der Meinung, dass wir die Jobcenter, egal, ob in kommunaler Trägerschaft oder in Trägerschaft der Regionalagenturen, sehr für dieses Thema sensibilisieren müssen. An vielen Stellen ist das heute bereits so. Aber ich finde schon, dass dies bei Treffen der Jobcenter ein großes Thema sein muss. Sie müssen alle dafür sensibilisiert sein, sich auch um diese Fragen zu kümmern, weil jemand, der eine Wohnung sucht und von Obdachlosigkeit bedroht sein könnte, in der Regel auch Kunde des Jobcenters ist.

Als Drittes gehört das Themenfeld Sucht dazu. Deswegen werden wir ein mit rund 2 Millionen Euro hinterlegtes Förderprogramm auflegen, um uns vor allen Dingen um die Suchtbekämpfung und Suchtberatung bei der Klientel der Menschen, die wohnungslos sind oder werden könnten, zu kümmern. Dieses Programm soll Anfang 2020 starten.

Natürlich werden wir uns immer die Wirksamkeit angucken müssen. Aber Wohnungslosigkeit hat – das ist die Wahrheit – oft mit großen Suchtproblemen der Menschen zu tun. Deswegen kann man als dritten

Baustein die Bekämpfung dieses Problems nicht außen vor lassen.

Ich will zum Schluss noch etwas zum Thema „Statistik der Wohnungslosigkeit“ sagen. Wenn wir über die 44.000 Menschen in Deutschland reden, die in der Statistik als wohnungslos aufgeführt sind, müssen wir immer wissen, dass das nicht heißt, dass diese Menschen alle kein Dach über dem Kopf haben. Vielmehr sind das auch Menschen, die in Wohnungen leben, für die sie keinen eigenen Mietvertrag haben. Das heißt: Das sind diejenigen, die in Notunterkünften sind. Das sind aber auch diejenigen, die in von den Kommunen angemieteten Wohnungen leben, aber eben keinen eigenen Mietvertrag haben.

Wahr ist ebenfalls – das sagen uns auch die Kommunen –, dass die Zunahme, die wir bei der Wohnungslosigkeit haben, auch damit zusammenhängt, dass Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind, aus dem Asylbewerberstatus herauskommen, wenn sie anerkannt sind, man dann aber für diese Menschen keine Wohnung findet, sodass sie schlicht und ergreifend in kommunalen Wohnungen bleiben.

Das können für Familien auch Wohnsituationen in Übergangsheimen sein, die nicht gut sind. Aber es gibt viele Gemeinden, die während der Flüchtlingskrise Wohnungen angemietet oder gekauft haben, in denen diese Menschen sehr würdig untergebracht sind. Beispielsweise war es in meiner Region so, dass viele Gemeinden damals mit dem Bundesgeld ältere Einfamilienhäuser gekauft haben, in denen heute Flüchtlingsfamilien untergebracht sind. Da zurzeit nicht mehr so viele Flüchtlinge ankommen, hat die Gemeinde auch ein Interesse daran, dass in diesen Häusern jemand wohnt.

Mit der Aussage, dass alle diese 44.000 Menschen in ganz prekären Situationen leben, würde man das Thema aus meiner Sicht überzeichnen. Ich will es jedoch auch nicht verharmlosen. Aber für die Statistik ist jeder, der keinen eigenen Mietvertrag hat, also nicht selbst das Hausrecht in einer Wohnung hat, wohnungslos.

Deshalb muss man diese Statistik ein wenig erklären und unterscheiden zwischen denjenigen, die wirklich auf der Straße leben – wenn Sie zum Landtag gehen, können Sie unter der Rheinkniebrücke sehen, dass es so etwas gibt –, denjenigen, die in Übergangsheimen wohnen, und denjenigen, die in kommunalen Wohnungen untergebracht sind.

Ich werde mich auch bemühen – und meine Fachabteilung denkt darüber nach –, dass wir in diesem Bereich zu einer differenzierteren Wohnungsstatistik kommen, damit die Zahlen uns einen stärkeren Handlungsspielraum geben.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Außerdem müssen wir einen weiteren Aspekt bedenken. Wir haben auch eine Zunahme der Zahl der minderjährigen Wohnungslosen. Die Zunahme liegt bei rund 30 %. Das ist schon eine erschreckende Zahl. Aber das hängt natürlich auch mit Familien zusammen, die wir zum Beispiel in kommunalen Wohnungen untergebracht haben.

Es gibt aber auch eine Tendenz, die man nicht verleugnen kann. Wir haben heute Jugendliche, die völlig, wie man es in der Fachwelt nennt, entkoppelt sind und mit 17 oder 18 Jahren auf der Straße leben – weit weg von jeder Schulausbildung, weit weg von jeder Idee, überhaupt berufstätig zu werden.

Es ist sehr wichtig, dass wir uns mit den Förderungsmöglichkeiten des SGB II um diese Menschen kümmern. Deshalb haben wir im SGB II den § 16h geschaffen, der insbesondere Maßnahmen für diese entkoppelten Jugendlichen sicherstellen soll. Ich habe bei den letzten Koalitionsverhandlungen erreicht, dass dieser § 16h mit einer festen Summe hinterlegt ist und die Jobcenter nicht sagen können: Wir haben für §-16h-Maßnahmen kein Geld.

In der Bundesrepublik Deutschland stehen in jedem Jahr rund 50 Millionen Euro zur Verfügung, um Maßnahmen gemäß § 16h durchzuführen. Sie finden auch an der einen oder anderen Stelle in NordrheinWestfalen statt. Dieser Bereich der entkoppelten Jugendlichen gehört mit dazu.

Wenn man sich wirklich Mühe gibt, diesen Menschen ein Zuhause zu geben und sie zu schulen – das sind aber Prozesse, die drei oder vier Jahre dauern –, bekommt man auch einen Teil davon wieder, weil eine Ausbildungsfähigkeit eintritt. Dann ist das Problem gelöst, weil sie in diesem Fall langfristig eine gute Chance haben, in Gesellschaft und Arbeit integriert zu werden.

Klar ist – das weiß wahrscheinlich jeder von Ihnen –, dass das Problem der Wohnungslosigkeit in den Städten stärker als in ländlichen Gebieten auftritt. Aber es ist in den Städten nicht nur deshalb ein großes Problem, weil dort die Wohnungen knapper sind als auf dem Land, wie häufig gesagt wird. Die Wahrheit ist auch, dass große Städte andere Hilfesysteme für Obdachlose haben als ländliche Gemeinden und deshalb Obdachlose anziehen. Deshalb ist es in erster Linie ein Problem unserer großen Städte.

Im Durchschnitt haben wir auf 10.000 Einwohner in den Städten 31 Wohnungslose und in den Landkreisen 21 Wohnungslose. Aber auch dort ist es wieder sehr unterschiedlich. In den kreisfreien Städten und den Kreisen reicht die Spanne von 4 Wohnungslosen auf 100.000 Einwohner in Mülheim bis zu 78 Wohnungslosen auf 100.000 Einwohner in der Landeshauptstadt Düsseldorf. Auch an diesen Zahlen sehen Sie, dass die Probleme regional sehr unterschiedlich sind.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss etwas sagen, was mir an dieser Stelle sehr wichtig ist. Nachdem ich wieder einige Wochen im Amt war, habe ich in unserem Haus an einer Fachtagung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter teilgenommen, die sich um die Wohnungslosen kümmern. Dabei habe ich sehr genau gesehen, dass es hier wirklich ein dickes Problem gibt und das Land sich in dieser Frage mehr als in der Vergangenheit engagieren muss.

Sie sehen an dem Haushaltstitel, der 20 Jahre lang nie verändert worden ist, dass dies bislang kein Thema des Sozialministeriums war.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Ohne Geld?)

Sie hätten dafür sorgen können, dass Geld da ist, Herr Schmeltzer. Das musste ich auch.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie haben Geld ohne Ende!)

Ich kann Ihnen nur sagen: Für mich ist dieser Bereich, sich um die Wohnungslosen zu kümmern, ein Schwerpunktthema der Sozialabteilung meines Hauses. Das müssen wir zusammen mit den Kommunen tun. Denn ich bin davon überzeugt, dass Wohnungslosigkeit nach Hunger das schlimmste Zeichen von Armut ist. Ich glaube, dass sich das Sozialministerium um eine solche Frage kümmern muss und sie nicht in seiner Arbeit ausblenden darf, weil es vielleicht ein unangenehmes Thema ist, auch über diese Seite der Gesellschaft zu sprechen.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Deswegen werden wir das sehr konsequent zusammen mit vielen Partnern tun.

Ich freue mich auch über die Unterstützung, die wir aus diesem Haus erfahren haben. Das muss man ganz klar sagen. Hätte man dieses zusätzliche Geld in den Haushaltsplänen nicht zur Verfügung gestellt, hätten wir auch diesen Aufschlag nicht machen können.

Wir haben jetzt die Möglichkeit, auch in der Verzahnung mit vielen anderen Institutionen, hier einen politischen Schwerpunkt der Sozialabteilung des Ministeriums zu setzen. Das halte ich angesichts der Lage auch aus humanitären Gründen für eine wichtige Entscheidung. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister Laumann. – Ich eröffne nun die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Fraktion der SPD dem Abgeordneten Neumann das Wort.

Ich darf Sie noch darauf hinweisen, dass die Landesregierung die Redezeit um 6:52 Minuten überzogen hat. Sollte es also entsprechenden Bedarf geben, würden wir jetzt im Rahmen der Aussprache den Fraktionen diese Zeit zusätzlich zur Verfügung stellen.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wohnen hat aktuell für die Menschen in unserem Land mindestens den gleichen Stellenwert wie Klima oder die Frage der Zukunft der Arbeit – und das unabhängig von der Frage, wie dramatisch die Zahl der Obdachlosen gestiegen ist. Das Thema „Wohnen“ wird eine der größten Herausforderungen sein, wenn wir die weitere Spaltung in dieser Gesellschaft nicht hinnehmen wollen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Herr Minister Laumann, erlauben Sie mir eingangs einen Hinweis: Die bisherigen Maßnahmen, die wir zum Thema „Wohnen“ in Nordrhein-Westfalen erlebt haben – insbesondere die neue Landesbauordnung –, waren vor allem von einem Slogan geprägt: Machen wir Entfesselung, schaffen wir den Wohnraum!

Ich sehe durchaus – das will ich herausstellen –, dass dies in Ihrem Handlungsansatz, den Sie hier als Bausteine darlegen, anders dargestellt wird und Sie dieses Prinzip beim Kampf gegen Obdachlosigkeit durchaus anders angehen; das will ich zu Anfang positiv herausstellen.

Zu 10.000 Menschen mehr in der Obdachlosigkeit: Erlauben Sie mir auch da einen Hinweis zu dem, was Sie eben zur Statistik gesagt haben. Ein wenig hat mich Ihr Hinweis an die Schadstoffdebatte im Autoverkehr erinnert nach der Methode: Wenn bloß die Messgeräte woanders stehen, wird die Schadstoffmessung ein bisschen besser.

Ja, die 10.000 Menschen mehr, die in der Obdachlosigkeit sind, sind aus sehr unterschiedlichen Gruppen. Wir sollten sie aber nicht gegeneinander ausspielen, um damit das Thema niedriger zu hängen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Obdachlosigkeit ist letztlich die Speerspitze eines generellen Problems der derzeit grassierenden und noch zunehmenden Wohnungsnot. Es werden Mieten verlangt, die sich kein Normalverdiener leisten kann. Wohnungsnot oder gar Obdachlosigkeit sind nichts anderes als ein Anschlag auf die Menschenwürde.

(Beifall von der SPD)

Der letzte Woche in Dortmund tagende 37. Evangelische Kirchentag hat sich neben anderen gesellschaftlichen Themen auch mit der Wohnungsnot beschäftigt und stellt fest – ich zitiere –:

„Wohnen ist ein existenzielles Grundbedürfnis des Menschen und Voraussetzung, um ein gelingendes Leben führen zu können.“

Der Kirchentag hat eine Resolution verfasst, in der er anmahnt, dass mit öffentlicher Förderung jährlich 400.000 Wohnungen neu gebaut werden müssen. Davon sind wir bislang noch sehr weit entfernt – ganz zu schweigen von unserem Umgang mit dem Problem der Obdachlosigkeit, von dem immer mehr Menschen betroffen sind.

Herr Laumann, Obdachlosigkeit bedeutet nicht nur die Frage, ob die Menschen, die dann in einer Siedlung wohnen, eventuell den Müll nicht wegbringen. – Unter uns gesagt: Das tun viele andere auch nicht.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ja, wir unterstützen natürlich im Grundsatz, dass die Landesregierung nun eine Initiative auf den Weg bringt, um Obdachlosigkeit präventiv entgegenzuwirken und Menschen, die bereits obdachlos geworden sind, möglichst schnell wieder ein Zuhause bieten zu können.