Protocol of the Session on July 13, 2017

Nach meiner Kenntnis ist es völlig ungewöhnlich, dass ein Bundesland sozusagen rein vorsorglich Bundesratsinitiativen mit der Zielsetzung einbringt, dass bestimmte Regelungen im Bundesrecht nicht verändert werden sollen. Genauso gut könnten Sie fordern, dass die Landesregierung sich im Bundesrat dafür einsetzt, dass das Güterkraftverkehrsgesetz, die Gewerbeordnung oder das Gesetz zur Übertragung von Verwaltungsaufgaben auf dem Gebiet der Raumfahrt nicht geändert werden sollen.

Sie haben ja recht: Es gab den Vorschlag von zwei Ministern des Landes Baden-Württemberg in der Presse, den Ermittlungsbehörden Zugriff auf die Daten der Autobahnmaut für Lkw zu gestatten. So pauschal, wie es in Ihrem Antrag steht, ist es allerdings nicht. Richtig ist, dass der baden-württembergische Justizminister Guido Wolf gesagt hat – ich zitiere aus „ZEIT ONLINE“ vom 21. Juni –:

„Bei genau bezeichneten Kapitalverbrechen erscheine es durchaus erwägenswert, den Ermittlungsbehörden den eng begrenzten Zugriff auf Mautdaten zu gestatten.“

Das ist nun wirklich etwas völlig anderes als eine pauschale Kriminalisierung aller Verkehrsteilnehmer. Sie haben es gerade auch etwas konzilianter dargestellt, als im Antrag geschrieben ist. Trotzdem: Wenn Sie mit Ihren Anträgen ernst genommen werden wollen, sollten Sie etwas sorgfältiger formulieren und keine Überwachungsszenarien an die Wand malen, die in der Form tatsächlich niemand will.

(Beifall von der CDU)

Die inhaltliche Frage, ob es sachgerecht ist, dass wir in Deutschland Mautdaten zur Abrechnung von Euro und Cent speichern und nutzen, diese Daten also nicht einmal unter Richtervorbehalt zur Aufklärung schwerster Verbrechen nutzen dürfen …

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kutschaty?

Danke, Herr Kollege Kamieth. – Kann ich Ihren Worten entnehmen, dass sich die CDU-Fraktion hier eindeutig gegen eine Ausweitung der Nutzung der Mautdaten ausspricht?

Ich komme jetzt dazu. Ich führe einfach weiter aus; das ist dann zugleich die Antwort.

Darüber, dass man diese Daten also nicht einmal unter Richtervorbehalt zur Aufklärung schwerster Verbrechen nutzen darf, wird man zumindest einmal nachdenken können. Insofern bin ich den Kollegen aus Baden-Württemberg durchaus dankbar. Und dass man gerade aus Baden-Württemberg mit solchen Überlegungen kommt, kann ich persönlich sehr, sehr gut verstehen. Ich halte es sogar für legitim.

In diesem Zusammenhang sei an den Fall der im letzten Jahr in Freiburg ermordeten Joggerin erinnert. – Herr Kutschaty, jetzt bin ich gerade an dem Punkt.

(Thomas Kutschaty [SPD]: Ja, ja, ich habe zu- gehört: „Baden-Württemberg“, „ermorden“. Ich habe alles gehört!)

Da sind nämlich die Ermittler erst durch DNAAnalysen und – man höre und staune – Lkw-Mautdaten auf die Spur eines Verdächtigen gestoßen. Diese Mautdaten kamen aus Österreich, wo der Mann bereits eine französische Studentin getötet haben soll.

Dass sich der Innen- und der Justizminister BadenWürttembergs vor diesem Hintergrund Gedanken darüber machen, wie man die Strafverfolgung auch in Deutschland effektiver gestalten kann, ist nach meiner Überzeugung durchaus nachvollziehbar. Und weder der Landtag von Nordrhein-Westfalen noch die Landesregierung im Bundesrat sollte das platt kritisieren. Aus diesem Grunde freue ich mich auf die Diskussion im Ausschuss. Wir werden den Antrag der SPD allerdings ablehnen.

(Beifall von der CDU und der AfD)

Vielen Dank, Herr Kamieth. – Ich darf für die FDP Herrn Dr. Pfeil das Wort erteilen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Vor einer Befassung mit dem SPD-Antrag sollten wir einmal die geltende Rechtslage in den Blick nehmen. In § 7 Abs. 2 Satz 2 Bundesfernstraßenmautgesetz heißt es wortwörtlich – ich zitiere –:

„Diese Daten dürfen ausschließlich zum Zweck der Überwachung der Einhaltung der Vorschriften dieses Gesetzes verarbeitet und genutzt werden. Eine Übermittlung, Nutzung oder Beschlagnahme dieser Daten nach anderen Rechtsvorschriften ist unzulässig.“

Mit anderen Worten: Gegenwärtig sind Verwendung, Übermittlung, Nutzung oder Beschlagnahme der mit der Maut erhobenen Daten zu sämtlichen nichtmautbezogenen Zwecken nicht zugelassen.

Sowohl das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, das das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung entwickelt hat, als auch die im Bundesfernstraßenmautgesetz vorgesehene Zweckbindung verbieten also schon heute das, was die SPD in ihrem Antrag als mögliche zukünftige Gefahr darstellt. Dabei erweist sich der SPD-Antrag überdies auch noch als unpräzise, da er nur die Kommunikationsgrundrechte, nicht aber den Datenschutz und die Freizügigkeit als Maßstab heranzieht und auch die Rechtsprechung des EuGH außer Acht lässt.

Letztlich geht es doch um Folgendes: Würde der Vorschlag aus Baden-Württemberg umgesetzt, käme das einer neuen und speziellen Art der Vorratsdatenspeicherung gleich.

Millionen Datensätze würden anlasslos für eine nur hypothetische zukünftige Verwendung zur Strafverfolgung gespeichert. Dies geht aber schon heute nicht. Die Vorratsdatenspeicherung ist nämlich EUrechtlich unzulässig. Ich gehe auch davon aus, dass die in Deutschland geltende Variante auch im Hauptsacheverfahren beim Bundesverfassungsgericht

scheitern wird – und dies aus den folgenden vier Gründen:

Erstens. Der EuGH hat die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung in Großbritannien und Schweden für europarechtswidrig befunden, nachdem er bereits 2014 die damalige EU-Richtlinie gekippt hat.

Zweitens. Im Dezember 2016 hat der EuGH hierzu das grundlegende Urteil gesprochen, mit dem er anlasslose Vorratsdatenspeicherung als einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte angesehen hat. Er hat ausdrücklich klargestellt, dass jeder Grundrechtseingriff, der mit einer nationalen Regelung einhergehe, die die Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten vorsehe, als besonders schwerwiegend anzusehen sei.

Die EU-Staaten müssen daher schon heute Überwachungen auf Personenkreise begrenzen, deren Daten geeignet sind, einen zumindest mittelbaren Zusammenhang mit schweren Straftaten sichtbar zu machen. Die Richter erklärten: Selbst aus Verbindungsdaten ließen sich sehr genaue Rückschlüsse auf das Privatleben der Personen ziehen, was ebenfalls unzulässig sei.

Drittens. Der Juristische Dienst des Rates der Europäischen Union hat dann im Februar 2017 eine Einschätzung geliefert, welchen Einfluss das EuGH-Urteil aus Dezember 2016 auf die nationalen Gesetzgebungen zur anlasslosen Speicherung sämtlicher Kommunikationsverbindungen hat und in welcher Form Verkehrsdaten in Zukunft für Strafverfolgungszwecke genutzt werden können.

Der Juristische Dienst stellte folglich im Februar 2017 fest, dass Mitgliedstaaten nach Art. 15 der derzeitigen Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation immer noch Verkehrsdaten speichern können, etwa zum Schutz der nationalen Sicherheit oder zur Verfolgung von Straftaten, aber eine allgemeine und unterschiedslose Speicherverpflichtung zur Kriminalitätsprävention und zu anderen sicherheitsrelevanten Zwecken auf nationaler Ebene nicht mehr möglich ist.

Viertens. Im Übrigen hat der im Antrag in Bezug genommene Vorschlag aus Baden-Württemberg auf der Frühjahrskonferenz der Justizministerinnen und Justizminister im Juni 2017 auch keine Zustimmung gefunden. Die Konferenz hat insoweit keinen Beschluss gefasst. Anhaltspunkte für eine baldige Änderung des § 7 Abs. 2 Satz 2 Bundesfernstraßenmautgesetz bestehen deshalb nicht. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

Wir als FDP-Fraktion sehen in dem EuGH-Urteil eine hinreichende Grundlage für den Schutz der Bürgerinnen und Bürger in NRW vor staatlicher Überwachung. Wir sind selbstverständlich gerne bereit, diese Fragen im Ausschuss zu erörtern. Vielleicht liegt ja bis dahin auch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vor, und eine endgültige Entscheidung im Ausschuss erübrigt sich. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Herzlichen Dank, Herr Kollege Pfeil. – Für die AfD-Fraktion erteile ich Herrn Beckamp das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der SPD fordert im Antrag reichlich diffus, dass Mautdaten einer engen Zweckbestimmung folgen und kurzfristig gelöscht werden müssen. Das hört sich erst einmal in Ordnung an, aber es bleibt diffus. Was heißt denn das konkret, Herr Kutschaty? Welche Zweckbestimmung denn? Welche schwere Straftaten denn? Das Anliegen ist richtig, bleibt aber handwerklich ungenügend. Insofern ist dieser Antrag schlichtweg nicht zu gebrauchen.

Besser wird es auch nicht, wenn dann blumige und weniger blumige Worthülsen im Antrag folgen, wenn es etwa heißt, man solle zukünftig darauf verzichten, Verkehrsteilnehmer pauschal zu diskriminieren, zu kriminalisieren, was keiner tut.

Der Staat müsse die richtige Balance zwischen Freiheit und Sicherheit gewährleisten, mit Augenmaß, zweckmäßiger Strafverfolgung usw. Das ist ja alles richtig, aber es sagt nichts aus. Was heißt denn das? – Gar nichts.

Wir teilen zwar Ihre Sorge vor dem gläsernen Bürger. Die Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit muss getroffen werden.

Aber die Frage ist doch: Was wollen Sie konkret mit dem Antrag erreichen? Und die Frage muss sich ja auch stellen: Was ist vorrangig, wenn man überhaupt diese Abwägung vornimmt – das haben Sie ja gar nicht gemacht –, dass man sagt: Der Staat ist für die Sicherheit vorrangig zuständig – äußere, innere und Rechtssicherheit. Und dann ergibt sich zunächst, dass er auch auf solche Daten zugreifen können muss.

Dann ergibt sich die nächste Frage: Welchen Inhalt und welche Schranken hat dieses Zugriffsrecht? Und genau darüber müsste man sich konkret unterhalten. Und das tun wir gerne, wenn es denn irgendwann mit einer Bundesratsinitiative soweit ist.

Was mich noch mehr verwundert als der etwas unzulängliche Antrag, ist, dass gerade Sie diesen stellen. Sie wollen Demokratie, Meinungsfreiheit, Kommunikationsfreiheit erhalten, Freiräume schaffen, und Sie waren doch diejenigen mit Ihrem SPDMinister, die gerade ein Netzwerkdurchsetzungsgesetz auf den Weg gebracht haben, übrigens zusammen mit den Stimmen der CDU.

Also, darüber sollten Sie sich Sorgen machen. Das ist ein akutes, konkretes Problem. Da werden Freiräume eingeschränkt. Und das Thema „Mautdaten“ erübrigt sich. Zudem ist es wenig glaubwürdig, wenn das von Ihnen angesprochen wird. Wir werden es ablehnen. – Danke.

(Beifall von der AfD)

Danke, Herr Beckamp. – Für Bündnis 90/Die Grünen hat Herr Bolte-Richter das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Um es gleich vorweg zu sagen: Wir sehen den Antrag der SPD sehr positiv. Er wird ja jetzt überwiesen, sonst hätten wir heute schon zugestimmt. Aber er hätte noch ein bisschen grundsätzlicher sein können. Im Beschlussteil hätte man einen deutlichen Ausschluss formulieren können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle stehen in der Verantwortung, für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu sorgen. Alle rechtlichen Befugnisse für Sicherheitsbehörden – das haben wir an unterschiedlichen Stellen schon gestern diskutiert – müssen sich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen lassen. Und diese Verhältnismäßigkeit wäre, wenn es tatsächlich eine solche Ausweitung der Zugriffsbefugnisse auf die Mautdaten gäbe, offensichtlich nicht gegeben. Das hat der Kollege Kutschaty eben schon ausgeführt.

Bei über 45 Millionen Kraftfahrzeugen in Deutschland ginge es hier um eine lückenlose Erfassung des Privatlebens der Bevölkerung. Und diese Bewegungsprofile, die sich daraus ergeben würden, wären ein tiefgreifender Eingriff in die Grundrechte.

Der baden-württembergische Datenschutzbeauftrage hat das ja den beiden CDU-Minister in BadenWürttemberg nach ihrem Vorstoß ganz deutlich gesagt und ihnen einen deutlichen Rüffel erteilt, ich finde, zu Recht, denn die Nutzung der Mautdaten für Zwecke der Strafverfolgung stellt einen sehr weitgehenden Eingriff in das Recht der informationellen Selbstbestimmung dar.

Man muss doch klar sagen: Datenschutz ist kein politisches Schönwetterphänomen, sondern eine notwendige Bedingung für das Gelingen einer freiheitlich-demokratischen Ordnung im 21. Jahrhundert.

(Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das vorliegende Beispiel zeigt aber auch, dass es eben bei der CDU ausufernde Überwachungs- und Kontrollfantasien gibt. Ich frage mich manchmal – und ich frage Sie das auch –: Wissen Sie eigentlich noch, wo Sie überall Strafrechtsverschärfungen, neue Sicherheitsgesetze und neue Datenerfassungen fordern? – Ich habe da meine Zweifel.

In jedem Fall zeigt schon die schiere Menge an Forderungen, die immer wieder erhoben wird, dass die CDU nicht bereit ist, wie es im Rechtsstaat eben notwendig wäre, die Chancen und Risiken neuer Instrumente in der notwendigen Differenziertheit gegeneinander abzuwägen. Manchmal mögen solche Forderungen vielleicht am Wahlstand helfen. Vielleicht hilft es sogar Herrn Bosbach in den Talkshows.