Protocol of the Session on September 29, 2018

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Drittens müssen wir uns fragen: Welche Konsequenzen ziehen wir jetzt?

Wir als Opposition haben angefangen, uns intensiv an der Aufklärung – also am ersten Punkt; in dieser Phase sind wir gerade noch – zu beteiligen. Als die SPD-Fraktion und wir am Montag letzter Woche eine Sondersitzung des Innen- und Rechtsausschusses beantragt haben, war ich mir so sicher wie noch nie, dass das der absolut richtige und notwendige Schritt ist, um anzufangen, offene Fragen, die im Raum stehen, zu beantworten.

Wir haben zu der Sondersitzung einen Fragenkatalog von 161 Fragen vorgelegt. Wir haben ihn daraufhin gekürzt und noch einmal 83 Fragen an die Landesregierung gestellt. Wir versuchen, aufzuklären: Was ist da genau passiert?

Gestern haben wir im Vorfeld der Fragestunde noch einen nachträglichen öffentlichen Bericht der Landesregierung zum Tod eines Häftlings der JVA Kleve bekommen. Ich gebe Ihnen einmal ein Beispiel, was da geantwortet wurde.

Auf Seite 6 wird auf unsere Frage 37 eingegangen. Wir von Bündnis 90/Die Grünen haben gefragt: Wo wurde ein Erstscreening durchgeführt, und von wem wurde es durchgeführt?

Es kostet mich leider ein bisschen Redezeit; aber ich lese Ihnen jetzt einmal die Antwort der Landesregierung auf diese Frage vor. Sie lautet – Zitat –:

Gemäß § 8 Strafvollzugsgesetz NRW ist mit allen neu aufgenommenen Gefangenen unabhängig von der Haftart, der Vollstreckungsbehörde sowie der Nationalität möglichst am Tag der Aufnahme ein Zugangsgespräch zu führen, in dem sie über ihre Rechte und Pflichten unterrichtet werden und ihre aktuelle Lebenssituation erörtert wird. Das Zugangsverfahren dient dazu, Inhaftierten durch eine möglichst schnelle Unterrichtung über grundlegende Rechte und Pflichten eine Orientierung zu ermöglichen und Ängste, insbesondere bei Erstverbüßern, abzubauen. Es hat auch den Zweck, zügig Erkenntnisse über den Gesundheitszustand, suizidale Tendenzen, Suchtmittelabhängigkeit oder aber auch akute Notlagen von Angehörigen zu gewinnen.

Ende der Antwort. Diese Frage ist nicht beantwortet.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zu- ruf von der SPD: Vollumfänglich!)

Hier wird dem rechtspolitischen Sprecher schlichtweg erklärt, was ein Erstscreening ist. Das hat nichts mit Transparenz zu tun. Das hat nichts mit vollumfänglicher Aufklärung zu tun.

Wissen Sie, warum wir diese Frage gestellt haben? Nicht, weil wir kleinkariert sind, sondern, weil dahinter die ganze Fragestellung steht, die immer mehr in den Fokus rückt: Wie hafttauglich war Amed A. eigentlich? Das ist der Hintergrund der Frage.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Der Anwalt erhebt schwere Vorwürfe. Ich zitiere einmal aus der „WELT“ vom 5. Oktober 2018. – Ich finde die Stelle gerade nicht. Daher nehme ich einmal eine andere Fundstelle und zitiere aus der „Rheinischen Post“ von heute:

„Amed A. litt an einer hochgradigen posttraumatischen Belastungsstörung. Das war ihm anzumerken“, sagte der Büroleiter einer Siegener Anwaltskanzlei. Der 26-Jährige hätte nie eingesperrt werden dürfen, sagte Herr Stanek, weil er suizidgefährdet gewesen sei. Der Syrer hätte sich selbst beigefügte Verletzungen an beiden Armen gehabt.

Noch einmal unsere Frage: Wo wurde das Erstscreening durchgeführt? Von wem wurde es durchgeführt? Sie antworten ja noch nicht einmal „in der JVA Geldern“ oder „in der JVA Kleve“. Sie beantworten gar nichts. Sie erklären nur das Verfahren. Und bei allem Respekt, Herr Minister Biesenbach: Das ist eine Unverschämtheit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Es gibt mehrere offene Fragen und Widersprüche. Ich gehe einmal auf die Widersprüche ein.

Erster Punkt: Amed A. soll in der gesamten Zeit von der Verhaftung am 6. Juli 2018 bis zum Haftraumbrand über mehrere Monate nur ein einziges Mal, nämlich am 3. September 2018, gegenüber der Psychologin geäußert haben: „Ich war es gar nicht; ich kenne Braunschweig nicht; ich kenne Hamburg nicht; ich bin nicht der Gesuchte“ – und danach, vom 3. September 2018 bis zum Haftraumbrand am 17. Oktober 2018, nie wieder.

Ich frage Sie, liebe Abgeordnetenkollegen: Würde das irgendjemand von uns in diesem Saal machen – unschuldig verhaftet werden, über Monate im Knast einsitzen und in der ganzen Zeit nur ein einziges Mal äußern: „Ich war es nicht“? Ich halte das für lebensfremd. Ich würde das nicht machen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Zweiter Punkt: Er soll während der ganzen Zeit nicht ein einziges Mal seinen Rechtsanwalt kontaktiert haben. Der Rechtsanwalt wundert sich: Ich verstehe überhaupt nicht, warum er sich nicht gemeldet hat. –

Die Landesregierung sagt uns: Es gab keinen Kontakt zum Rechtsanwalt.

Der Rechtsanwalt hat ihn – Kollege Wolf hat es ausgeführt – noch vor einem Jahr über eine Petition im Deutschen Bundestag aus Ungarn nach Deutschland zurückgeführt. Das ist ein erfolgreicher Einspruch gewesen. Er kannte ihn. Der Anwalt sagt aus: Noch bis Juli 2018 hatten wir Kontakt.

Wie wahrscheinlich ist es, dass Amed A. unschuldig inhaftiert ist, von seiner Verwechslung wusste und nicht einen einzigen Versuch unternommen hat, seinen Anwalt zu kontaktieren: „Hol mich hier raus!“? Das ist lebensfremd.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das lässt für mich nur eine einzige Conclusio zu – an diesen beiden Beispielen festgemacht, obwohl es mehrere Stellen gibt –:

(Bodo Löttgen [CDU]: Mutmaßungen sind das!)

Hier stimmt irgendetwas nicht. Hier stimmt irgendetwas gewaltig nicht. Das stinkt für mich. Ich kann nicht glauben, dass das so ist. Das kann ich nicht glauben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Zur Frage der Verantwortung: Ich bin dem Innenminister sehr dankbar, der in der Sondersitzung des Innen- und Rechtsausschusses letzten Freitag klar gesagt hat, dass es gravierende Fehler der Polizei gegeben hat. Sie haben sich öffentlich dafür entschuldigt, Herr Reul.

Beim Justizminister sieht es anders aus.

Die Redezeit.

Ja, letzter Punkt. – Diese Klarheit, die ich respektiere und gut finde, haben Sie, Herr Biesenbach, bis jetzt vermissen lassen. Sie zeigen auf die Polizei; die habe da Mist gebaut. Sie zeigen auf die Psychologin; die habe es nicht richtig gemacht. Sie zeigen auf die Staatsanwaltschaft und die Behörden in Hamburg; die hätten Briefe verschlampt.

Sie übernehmen nicht die politische Verantwortung. Amed A. war die meiste Zeit in Ihrer Verantwortung. Er ist in Ihrer Obhut verstorben.

Ich fordere Sie auf, genauso, wie es der Kabinettskollege Reul getan hat, hier und heute ganz klar die politische Verantwortung dafür zu übernehmen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Herr Engstfeld. – Für die FDP hat unser Abgeordnetenkollege Lürbke das Wort.

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Vorfall macht auch mich wie die gesamte FDPFraktion tief betroffen. In der Obhut des Staates ist ein Mensch gestorben, der dort gar nicht hätte sein dürfen. Das ist ein tragischer Vorgang, dessen Dramatik erschüttert.

Umso mehr ist es Verpflichtung für uns, daraus nun die richtigen Schlüsse zu ziehen und alles mit aller Sorgfalt zu analysieren, damit sich ein solcher Vorgang nicht wiederholen kann.

Deswegen bin ich beiden Ministern, Minister Reul und Minister Biesenbach, außerordentlich dankbar für die größtmögliche Transparenz und Information des Parlaments und die sofort eingeleiteten konsequenten Schritte. Denn wir müssen ohne Wenn und Aber sicherstellen, dass Versäumnisse bei der Identitätsprüfung – trotz klarer Erlasslagen, trotz Vorschriften – sowohl seitens der Polizei bei der Festnahme als auch seitens der Vollstreckungsbehörde bestmöglich ausgeschlossen werden können.

Klar ist aber auch: Es ist nie zu 100 % garantiert, dass in einem so großen Apparat wie der Polizei oder der Justiz trotz größtmöglicher Professionalität, die wir hier in Nordrhein-Westfalen haben, nicht doch individuelle Fehler geschehen.

Entscheidend ist dann aber der Umgang damit. Entscheidend ist, dass man Fehler erkennt, diese offen benennt und dann konsequent handelt. Und das hat die Landesregierung getan.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das kann man ja einmal festhalten. Denn ich nehme hier immer wieder Äußerungen wahr, die einfach so in den Raum gestellt werden, an dieser Stelle werde etwas verschwiegen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Gegenteil ist doch der Fall. Alles ist von Beginn an direkt offen kommuniziert worden.

Es gab keine Salamitaktik, Herr Wolf. Es gibt keine scheibchenweisen Informationen. Alles wird benannt. Es gab umfassende detaillierte Sprechzettel in den Sitzungen bis hin zum Schriftverkehr der Staatsanwaltschaft Hamburg. Alles wurde zur Verfügung gestellt.

(Zuruf von der SPD)

Meine Damen und Herren, beide Minister haben stets zugesagt, alle Fragen des Parlaments offen zu beantworten. Sie tun das auch. Ich finde, der gesamte Fragenkatalog des Parlaments – sowohl von der Opposition als auch von uns – wurde in einem bemerkenswerten Tempo vollumfänglich beantwortet.

So viel muss man doch einmal konstatieren. Da können Sie doch nicht sagen, es werde etwas verschwiegen.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von der SPD: Immer neue Fragen!)

Ich halte diese Transparenz für wichtig und richtig. Ich finde sie aber auch vorbildlich.