Protocol of the Session on October 8, 2020

Das ist – das ist mir wichtig; deshalb habe ich es am Anfang gesagt – die Folie, vor der man Ihren Antrag, Ihr Verhalten in dieser ganzen Coronapandemie betrachten muss.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Zur Sache selbst: Die Coronapandemie stellt den Staat und seine zuständigen Organe vor zweifellos schwierige Aufgaben, einen angemessenen Ausgleich zwischen Freiheit und Sicherheit herzustellen. Wir hatten und haben die Pflicht, das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu schützen.

Dabei sind wir jederzeit unserem Verfassungsauftrag nachgekommen, die Verhältnismäßigkeit der Grundrechtseingriffe zu prüfen: Je größer die Gefahr für Leben und Gesundheit, desto umfassender und massiver dürfen Freiheitsbeschränkungen sein.

Auch den häufig kritisierten Umkehrschluss haben Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen beherzigt: Nicht die Lockerungen der Coronabeschränkungen bedürfen einer Rechtfertigung, sondern ihre Aufrechterhaltung oder Wiedereinführung.

Nordrhein-Westfalen hat als einziges Bundesland unter Hinzuziehung externen Sachverstands stets geprüft, welche Gefahrenabwehr und Vorsorgemaßnahmen im Verhältnis zur aktuellen Gefahrenlage angemessen sind.

Verfassungsrechtler fordern heute, die Fragen der rechtlichen Abwägung zwingend interdisziplinär zu beantworten und eben nicht nur Virologen, Medizinern und Epidemiologen zu überlassen. NordrheinWestfalen hat mit dem Coronaexpertenrat dieser Forderung nicht nur entsprochen, sondern nimmt dabei eine Vorreiterrolle ein.

Die Coronamaßnahmen in Gänze haben dazu geführt, dass es in Deutschland keine Bilder wie in Norditalien oder anderen Teilen der Welt geben musste, wo Krankenhäuser überfüllt waren oder nicht mehr jeder so behandelt werden konnte, wie es notwendig gewesen wäre.

Deutschland ist im internationalen Vergleich bisher gut durch diese Krise gekommen. In den USA sind bezogen auf 100.000 Einwohner fünfmal so viel Tote zu beklagen, in Spanien sechsmal so viele. Die Maßnahmen haben gewirkt. Sie haben in Gänze Schlimmeres verhindert.

Vor dem Hintergrund, dass sich in diesem Jahr keine 1.000 km von uns entfernt in Norditalien dramatische Situationen abgespielt haben, sind ein solcher Antrag, eine solche Besserwisserei auch ein Schlag ins Gesicht all derer, die erkrankt waren bzw. zu Tode gekommen sind. Ich finde, das gehört sich einfach nicht.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der AfD)

Man muss einmal die Frage stellen: In welchem Land würden Sie in dieser Situation eigentlich lieber leben als hier?

(Zurufe von der AfD)

Über die Frage, ob das Schließen von Friseurgeschäften tatsächlich dazu beigetragen hat, die Coronapandemie einzudämmen, kann man diskutieren. Ich empfehle uns allen, bei der Bewertung der Maßnahmen und der Diskussion über einzelne Maßnahmen immer aus der Sichtweise des Zeitpunktes zu bewerten, zu dem die Entscheidung getroffen

worden ist, und nicht mit einem Abstand von einem halben Jahr.

Wer jetzt Regierungshandeln nach dem Prinzip „zu wenig, zu viel, zu langsam, zu schnell“ kritisiert, blendet doch total aus, dass es keine Blaupause für diese Krise gab und gibt.

Es bestreitet niemand, dass Entscheidungen in dieser Zeit auch zu Schäden geführt haben: zu wirtschaftlichen Schäden, zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen, zu psychischen Belastungen, aber auch zu Defiziten bei Kindern und Jugendlichen, wenn Kindergärten und Schulen nicht geöffnet waren. Das ist alles wahr, aber kein Untersuchungsausschuss der Welt kann daran etwas ändern.

Die politische Diskussion über die Angemessenheit und die Frage, wie wir uns künftig besser vorbereiten, sind absolut berechtigt und werden auch richtigerweise geführt.

Sie gehören im Übrigen in die Mitte dieses Parlaments; das ist der Ort dafür. Das ist keine Frage der Delegation an einen Untersuchungsausschuss. Was Sie uns hier vorlegen, ist Besserwisserei, die in Wahrheit keinem nutzt.

Eine Bemerkung noch am Rande: Ihr Antrag ist in der Tat ein fleißig zusammengetragenes Bündel an Fragen und von 244 Quellenangaben von „Bangkok Post“ bis WDR und „FAZ“.

Das Schöne daran ist: Das sind alles Quellen, die Sie sonst wahlweise gern als Staatsfunk oder Lügenpresse bezeichnen. Man muss erst einmal darauf kommen, diese Quellen hier anzuführen.

Wir weisen Ihre Unterstellungen zurück. Es gibt keinen Grund für einen Untersuchungsausschuss. Wir lehnen den Antrag ab. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU, der SPD und der FDP)

Danke schön, Herr Kerkhoff. – Sie haben schon gesehen, dass die AfD eine Kurzintervention angemeldete hat. Das Wort hat Herr Dr. Vincentz. Bitte schön.

Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kerkhoff, ich danke Ihnen erst einmal dafür, dass Sie sich so ausgewogen mit unserem Antrag auseinandergesetzt haben und dabei auf ehemalige AfDler und deren Zitate zurück-gegriffen haben, die ja nicht ohne Grund nicht mehr in unserer Partei sind.

Weil Sie doch einiges zu unserer Motivation gemutmaßt haben, möchte ich Ihnen gerne etwas dazu sagen. Wir haben während der Krise zum Beispiel in Anträgen mehrfach darauf hingewiesen, wir hätten gern noch mehr Daten, wir hätten gern mehr Menschen obduziert, wir würden gerne Studien haben.

Hinterher heißt es in einem kleinen Auftritt im Fernsehen lapidar: Hätten wir diese Informationen gehabt, hätten wir den Lockdown nicht durchgeführt.

Das lässt sich für mich in etwa so übersetzen: Ups, jetzt ist die Wirtschaft auf einmal kaputt. Das hätte unter Umständen gar nicht sein müssen.

(Beifall von der AfD)

Wenn wir dann die Frage stellen – das ist keine Besserwisserei –, wie man das besser hätte machen können, ohne mit dem Finger auf jemanden zu zeigen – ich glaube, in meiner Rede habe ich explizit nicht mit dem Finger auf irgendwen gezeigt –, wenn wir also die Frage stellen, ob das alles tatsächlich so gut gelaufen ist, gucken wir dabei nicht darauf, welche Wählerstimmen wir bekommen können, sondern explizit darauf, wie wir eine andere Pandemiesituation, die jederzeit kommen kann, besser meistern können.

Fest steht: Wir können an dieser Stelle wirklich Besseres leisten und besser liegen, denn wäre es, wie wir es angenommen hatten, eine Krankheit mit einer sehr hohen Sterblichkeit gewesen, hätte auch Nordrhein-Westfalen, hätte auch Deutschland sehr schlecht dagestanden.

(Beifall von der AfD)

Herr Kollege Kerkhoff, Sie haben 1 Minute und 30 Sekunden für die Reaktion. Bitte schön.

Dieses Land ist bisher gut durch diese Zeit gekommen.

(Zuruf von der AfD)

In der nächsten Pandemie machen wir einiges anders und einiges besser; das gilt wohl für jeden. Es gibt keinen Grund für einen Untersuchungsausschuss. Wir sind durch umsichtiges Regierungshandeln gut durch diese Zeit gekommen und setzen diesen Weg gemeinsam und geschlossen fort.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Danke schön, Herr Kerkhoff. – Jetzt spricht für die SPD-Fraktion Frau Philipp.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Corona und alles das, was sich in den letzten Monaten im Zusammenhang mit dieser Pandemie ereignet hat, hat unser Leben stark verändert. Es gibt viele Antworten, die die Bevölkerung haben möchte und nach denen wir hier im Parlament auch suchen.

Ich bin dem Kollegen Kerkhoff sehr dankbar dafür, dass er zu Beginn der Debatte einige Punkte zum Motiv dieses Antrags gesagt und den Wunsch der AfD nach einem Untersuchungsausschuss sehr passend eingeordnet hat.

Es muss doch klar sein: Die Coronapandemie eignet sich nicht dazu, weitere Ängste in der Bevölkerung zu schüren.

(Sven Werner Tritschler [AfD]: Sie schüren doch Ängste!)

Das darf nicht passieren, und das werden wir auch nicht zulassen.

(Beifall von der SPD – Zuruf von der AfD)

Was die AfD mit ihrem Antrag bezweckt, ist offensichtlich und sehr durchschaubar: Sie suchen ein neues Thema. Sie haben die letzten Monate nicht stattgefunden. Sie haben beim ganzen Thema „Pandemiebekämpfung“ nicht stattgefunden. Das hat gezeigt: Wir brauchen Sie für dieses Thema nicht.

Damit können wir uns unter Demokraten auseinandersetzen, um in Ruhe zu sehr guten Lösungen zu kommen. Sie haben nichts dazu beizutragen; das ist eine Erkenntnis

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

aus den vergangenen Monaten.

(Beifall von der SPD, der CDU und der FDP)

Sie wollen hier ein sehr wichtiges parlamentarisches Instrument,

(Christian Loose [AfD]: Haben Sie unseren Antrag überhaupt gelesen? Ich glaube, nicht!)