Protocol of the Session on December 2, 2015

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich heiße Sie alle ganz herzlich willkommen zu unserer heutigen, 97. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich 13 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, auch 19 Tage nach dem furchtbaren Terroranschlag islamistischer Gewaltverbrecher in Paris mit mehreren Hundert Toten und Verletzten sind wir alle voller Trauer. In die Trauer mischt sich aber auch eine besondere Form der Betroffenheit, die man vielleicht auch als Wut bezeichnen kann. Denn die Anschläge waren gegen uns alle gerichtet. Deshalb werden auch zu Punkt 1 der Tagesordnung zwei Resolutionen gegen die Terroranschläge und für die Bewahrung unserer Freiheit erörtert.

Sehr verehrter Herr Generalkonsul Muller, ich danke Ihnen ausdrücklich, dass Sie angesichts der Welle der Gewalt, die Ihr Land und seine Menschen erleiden mussten, heute zu uns in den Landtag Nordrhein-Westfalen gekommen sind. Ich spreche Ihnen und Ihren Landsleuten im Namen des gesamten Landtags Nordrhein-Westfalen unser Mitgefühl und unsere tiefempfundene Anteilnahme aus. In diesen schweren Tagen und Wochen stehen wir in Nordrhein-Westfalen fest an der Seite Ihres Volkes. Wir sind fest mit Frankreich verbunden.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie bitten, sich zum Gedenken an die Opfer von Ihren Plätzen zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.)

Sie haben sich im Gedenken und in Freundschaft zu Frankreich erhoben. Ich danke Ihnen ganz herzlich. – Wir fahren mit der Sitzung fort.

Bevor wir in die eigentliche Tagesordnung eintreten, kommen wir zur Verpflichtung eines Abgeordneten gemäß § 2 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung.

Die Landeswahlleiterin hat mir mit Schreiben vom 6. November dieses Jahres mitgeteilt, dass mit Wirkung vom 8. November 2015 Herr Andreas Terhaag für den ausgeschiedenen Abgeordneten Kai Abruszat, FDP, Mitglied des Landtags geworden ist.

Ich darf Herrn Terhaag zu mir bitten, damit ich die nach § 2 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung vorgesehene Verpflichtung vornehmen kann. – Lieber Herr Kollege Terhaag, ich bitte, die folgenden Worte

der Verpflichtungserklärung anzuhören und anschließend durch Handschlag zu bekräftigen:

„Die Mitglieder des Landtags von NordrheinWestfalen bezeugen vor dem Lande, dass sie ihre ganze Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, die übernommene Pflicht und Verantwortung nach bestem Wissen und Können erfüllen und in der Gerechtigkeit gegenüber jedem Menschen dem Frieden dienen werden.“

Mit Handschlag besiegeln wir das. Kollege Terhaag, herzlich willkommen! Das Hohe Haus freut sich, dass wir wieder komplett sind, und wünscht Ihnen einen guten Einstieg. Alles Gute und auf gute Zusammenarbeit!

(Beifall von allen Fraktionen)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Ihnen noch eine Mitteilung machen. Die fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich darauf verständigt, den heutigen Tagesordnungspunkt 16 – dabei handelt es sich um den Antrag der Piratenfraktion Drucksache 16/10297, „Abschiebung in Verfolgung, Hunger, Kälte und Not stoppen – NRW muss die Abschiebung von Flüchtlingen in den Westbalkan über den Winter aussetzen“ – in einer der nächsten Plenarsitzungen, also am 16. oder 17. Dezember dieses Jahres, zu behandeln. Dadurch verschieben sich die Tagesordnungspunkte am heutigen Tag entsprechend. – Da ich keinen Widerspruch sehe, werden wir auch so verfahren.

Mit diesen Vorbemerkungen treten wir nunmehr in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein, und ich rufe auf:

1 Entschlossen und besonnen für die Freiheit

und gegen den Terror

Resolution der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Fraktion der FDP Drucksache 16/10307 – Neudruck

In Verbindung mit:

Resolution der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/10369

Ich eröffne die Aussprache, und als erster Redner hat für die antragstellenden Fraktionen der ersten Resolution Herr Kollege Römer das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits zum zweiten Mal in die

sem Jahr trauern wir mit den Bürgerinnen und Bürgern Frankreichs um die Opfer eines grausamen Terroranschlags. Nach der Attacke auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ gab es nun auch Anschläge auf Konzertbesucherinnen und -besucher, Fußballfans, Passanten und Menschen in Restaurants und Cafés von Paris.

Unser Mitgefühl und unsere Solidarität gelten den Familien, Angehörigen sowie den Freundinnen und Freunden der Opfer. Wir teilen ihren Schmerz und wünschen allen Verletzten Genesung an Leib und Seele. Wir teilen das Entsetzen über die Brutalität der Mörder. Sie töten um des Tötens willen – ganz gleich, ob sie Männer, Frauen oder Kinder treffen.

Wir suchen jetzt nach Erklärungen für die Tat, aber eines werden wir nicht finden: eine Entschuldigung. Für die Morde von Paris gibt es keine Entschuldigung – keine soziale, keine politische und schon gar keine religiöse. Darum verbietet sich auch jeder Versuch einer Relativierung.

Die Mörder des sogenannten Islamischen Staates in Europa mögen sich selbst für Soldaten halten, doch das sind sie nicht. Sie sind Verbrecher, und wir werden sie wie Verbrecher bekämpfen. Wir werden mit Entschlossenheit und Besonnenheit alle Mittel wehrhafter Demokratien nutzen, um Terroristen aufzuspüren, zu bestrafen und ihre Mordpläne zu vereiteln.

Die Grausamkeit, mit der wahllos 130 Menschen ermordet wurden, entsetzt und schockiert. Die Attentate haben uns getroffen, aber wir fallen nicht. Wir stehen. Wir stehen auf dem Fundament der Freiheit und der Demokratie. Es sind unsere Werte, die uns Kraft und Solidarität verleihen. Es sind die freiheitlichen Grund- und Bürgerrechte, die uns stärker machen, als es die Apologeten des Hasses und die Organisatoren des Terrors je sein könnten. Die Terroristen hoffen, dass wir aus Angst um unsere Sicherheit unsere Freiheit beschneiden. Dann bliebe am Ende nichts – weder Freiheit noch Sicherheit, und deshalb müssen, deshalb werden wir dem widerstehen.

Meine Damen und Herren, die Terroristen wollen nicht nur unsere Freiheit zerstören, sie wollen uns auch zu Feinden der Muslima und Muslime machen. Auch das werden wir nicht zulassen. In Nordrhein-Westfalen leben eine Million Menschen muslimischen Glaubens. Sie sind unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger. Alle Menschen in unserem Land – ganz gleich, ob sie glauben, was sie glauben oder ob sie nicht glauben –, alle sind den Grundwerten unserer Verfassung verpflichtet. Solange die Menschen- und Bürgerrechte uns einen, wird das, was uns unterscheidet, uns nicht trennen; dessen bin ich mir ganz sicher.

Es ist kein Zufall, dass die Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat mit einer der größten Flüchtlingsbewegungen seit dem Zweiten Welt

krieg zusammenfällt. Der Terror zwingt Menschen zur Flucht. Leider haben einige in unserem Land der Versuchung nicht widerstehen können, Ursache und Wirkung zu verdrehen und die Attentate von Paris auch für innenpolitische Auseinandersetzungen zu instrumentalisieren.

Für mich ist klar: Extremismus und Salafismus sind der Nährboden für Fremdenfeindlichkeit, für Gewalt und Terror, und deshalb sind Frauen, Männer und Kinder, die durch den Terror zu Flüchtlingen wurden, in Gefahr. Aber für uns sind sie keine Bedrohung.

Und nicht diejenigen, die Menschen in Not eine Zuflucht bieten, gefährden die innere Sicherheit. Das Gegenteil ist wahr: Wer Flüchtlingen hilft, schadet den Terroristen. Es gibt für den sogenannten Islamischen Staat keine größere Demütigung als die Hunderttausende Muslima und Muslime, die vor ihm fliehen, die bei uns Schutz suchen und ihn auch erhalten.

Unser Schutz und unsere Willkommenskultur für die vielen Tausend Menschen, die an Allah und seinen Propheten glauben, sind für eine Terrororganisation, die sich „islamisch“ nennt, nicht nur eine Schmach – sie sind die erste große Niederlage, die wir den Terroristen im Kampf um die Freiheit beibringen.

Die Attentate von Paris waren ein Anschlag auf das Leben in Freiheit aller Europäerinnen und Europäer. In dieser schweren Stunde stehen wir an der Seite unserer europäischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Frankreich. Das ist ein Versprechen, zu dem wir stehen. Das ist ein Versprechen, das angesichts unserer Vergangenheit auch ein Engagement und einen Einsatz erfordert, der in Deutschland durchaus kontrovers diskutiert wird – in unserer Gesellschaft, über Parteigrenzen hinweg, zwischen den Parteien und in den Parteien, auch in meiner Partei.

Meine Damen und Herren, am 13. November erreichten uns die Nachrichten und Bilder des Terrors aus Paris. Sie hätten aber auch aus Berlin, Hamburg, Köln oder Dortmund kommen können. Wir wissen, dass es auch in Deutschland – auch bei uns in Nordrhein-Westfalen – konkrete Terrorpläne gegeben hat. Sehr viele Menschen wären den Mördern zum Opfer gefallen, hätten nicht unsere Sicherheitsbehörden die Terrorgruppen aufgespürt und zerschlagen.

Deshalb danken wir unserer Polizei und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verfassungsschutzes für den Schutz unseres Lebens und unserer Freiheit ganz ausdrücklich. Wir vertrauen auf ihren Sachverstand, auf ihre Entschlossenheit, auch auf ihre Schlagkraft. Und wir werden das Notwendige tun, um ihre Arbeit weiter zu unterstützen.

Mit unserem Koalitionspartner bin ich einig. Daher werden mein Kollege Mehrdad Mostofizadeh und ich unseren Fraktionen vorschlagen, dass wir die operativen und präventiven Fähigkeiten des Verfas

sungsschutzes gegen Salafismus und gegen

Rechtsextremismus weiter stärken und dafür im Haushalt 2016 zusätzlich 25 Stellen zur Verfügung stellen. Für uns hat die Sicherheit der Menschen eine hohe Priorität.

Wir danken den Hilfsorganisationen in Europa und in Nordrhein-Westfalen, die ihren Dienst zur Unterstützung unserer Gesellschaft mit Ruhe und großem Pflichtgefühl verlässlich ausüben. Wir danken auch für das zivilgesellschaftliche Engagement und für die gelebte Mitmenschlichkeit, mit der die Stärke unserer freiheitlichen Gesellschaft tagtäglich bewiesen wird.

Meine Damen und Herren, wir werden die Gefahr des Terrors nicht verharmlosen, aber wir dürfen auch nicht zulassen, dass die Terroristen unser Leben durch Angst vergiften. Die Menschen in Nordrhein-Westfalen können den Terror besiegen, indem sie das bleiben, was sie in ihrer weit überwiegenden Mehrheit schon immer gewesen sind: Helden des Alltags, heldenhaft gelassen, offen für Neues, tolerant gegenüber ihren Mitmenschen.

In diesem Sinne treten wir entschlossen und besonnen für die Freiheit und gegen den Terror ein. – Vielen Dank fürs Zuhören.

(Anhaltender Beifall von allen Fraktionen)

Vielen Dank, Herr Kollege Römer. – Für die CDU-Fraktion hat jetzt Herr Kollege Laschet das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von diesem Landtag aus liegt das Stade de France in Paris näher als das Berliner Olympiastadion, die Straßencafés oder Restaurants in der Nähe des Place de la République näher als der Potsdamer Platz, die Konzerthalle Bataclan näher als das Berliner Tempodrom. Aber nicht nur räumlich ist der Terror näher gerückt. Das, was in Paris geschah, war kein Anschlag auf Paris, sondern es war ein Anschlag auf unsere Lebensform, auf unsere Werte, auf uns selbst.

Und so empfinden die Menschen in NordrheinWestfalen mit den Französinnen und Franzosen, mit den Familien der 130 Toten und den vielen Verletzten. Man konnte das in den Tagen nach dem Anschlag sehen: Die Sparrenburg in Bielefeld war ebenso wie das Dortmunder U in Blau-Weiß-Rot erleuchtet. Das Düsseldorfer Riesenrad hier am Rhein leuchtete in den Nationalfarben Frankreichs ebenso wie das Teo-Otto-Theater in Remscheid oder der Glaselefant im Maximilianpark in Hamm. Auch waren viele Unternehmen, wie beispielsweise die Firma Mennekes in Kirchhundem, von Weitem in den Farben Blau, Weiß und Rot erkennbar.

Robert Schuman, der frühere französische Außenminister, hat in seiner berühmten Rede am 9. Mai 1950 gesagt:

„Europa lässt sich nicht mit einem Schlage herstellen und auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung. Es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaffen.“

Diese europäische Solidarität der Tat ist das Gebot der Stunde, und Frankreich hat genau diese Solidarität seiner europäischen Partner nach den Anschlägen von Paris ausdrücklich eingefordert. Frankreich beruft sich auf die Beistandsklausel des EU-Vertrags – das ist etwas ganz Interessantes –, und nicht auf den NATO-Vertrag. Diese Klausel war bisher den Wenigsten bekannt. In Artikel 42 des Vertrags von Lissabon steht:

„Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung …“