Protocol of the Session on December 2, 2015

„Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung …“

Das ist ein ungewöhnlicher Satz, denn die Europäische Union ist kein Verteidigungsbündnis. Trotzdem weiß jeder der 28 Mitgliedstaaten: Er kann sich dann, wenn er in Not ist, auf die anderen verlassen. Deshalb ist dieser Antiterrorkampf auch eine Bewährungsprobe und zugleich eine Chance für das vereinte Europa.

Deutschland steht fest an der Seite unserer französischen Freunde. Noch in dieser Woche wird der Deutsche Bundestag den Einsatz der Bundeswehr in Syrien beschließen. Der IS ist derzeit innenpolitisch und außenpolitisch in unseren Städten und Dörfern, in den Großstädten und Metropolen ebenso wie im internationalen Kontext die größte Gefahr für den Weltfrieden. Alle anderen Gegensätze müssen dann zurückstehen. Deshalb ist es gut, dass Amerikaner und Russen, Deutsche und Franzosen sowie die Europäische Union jetzt gemeinsam tätig werden.

Aber wir müssen uns auch daran erinnern: Die ersten Opfer des IS waren die Menschen in Syrien, die Menschen im Irak; das waren diejenigen, die jetzt zu uns als Flüchtlinge kommen; das waren die Jesiden, die fast vernichtet werden sollten. Wir haben dabei zugeschaut, und erst jetzt, nachdem der Terror auch uns erreicht hat, sind wir zu diesem großen Akt der Solidarität bereit.

Zweitens. Wir brauchen auch mehr Europa in unserer Innenpolitik. Die Antwort auf diese Krise darf eben nicht sein: zurück zum Nationalstaat, zurück zu nationalen Lösungsansätzen. Die 28 EU-Mitgliedsstaaten haben eine Sicherheitsstruktur mit eigenen Apparaten, mit eigenen Diensten, die den anderen nicht viel von sich mitteilen.

Wenn ein Anschlag in Syrien geplant und in Paris vollendet wird, wenn die Täter in Molenbeek in

Brüssel, Belgien, wohnen und möglicherweise Drähte in die islamistische Szene auch bei uns haben, dann kann die Antwort darauf doch nicht sein, dass 28 polizeistaatliche Dienste alles, was sie wissen, nur für sich behalten und dass sie die Gefährdernamen nicht austauschen. Vielmehr brauchen wir in diesem Moment eine Stärkung.

Nur fünf Mitgliedstaaten liefern Daten an Europol. Wir brauchen einen Informationsaustausch zwischen den Behörden und Geheimdiensten. Wir brauchen eine europäische Strafprozessordnung. Wir brauchen eine europäische Staatsanwaltschaft. Diese Krise muss einen neuen Schub in der europäischen Integration auslösen. Denn die Täter arbeiten längst transnational, und wir agieren noch zu sehr in unserer Kleinstaatlichkeit.

Vom NSU-Prozess und von den entsprechenden Untersuchungsausschüssen wissen wir, dass sogar die 16 Ämter in Deutschland die Informationen, die ihnen vorliegen, nicht an die anderen Ämter weitergeben. Dieser große europäische Schub ist jetzt nötig –

(Beifall von der CDU)

notfalls Deutschland und Frankreich zusammen, notfalls alleine, notfalls ein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Das nationalstaatliche Klein-Klein kann jedenfalls nicht die Antwort auf diese Krise sein.

Drittens. Wir, die wir hier im Landtag sitzen, verfolgen die Bilder am Bildschirm. Wir sind nicht unmittelbar mit den Tätern konfrontiert. Wir haben am Rande des Fußballspiels zwischen Deutschland und Frankreich gesehen, wie die Polizeibeamten im Club Bataclan versuchten, die Täter zu stellen.

Auch in Nordrhein-Westfalen gibt es Menschen, die in einem solchen Fall im Zweifel ihr Leben riskieren. Das sind die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, die in dem Moment, wo wir im Fernsehen einen Anschlag sehen, persönlich dort hineilen müssen. Deshalb ist es unsere gemeinsame große Aufgabe als Landtag, als Landespolitiker sowie die Aufgabe des Innenministers als Dienstherr, diese Polizeibeamten so auszustatten, dass sie den Kampf gegen diese Mörder führen können. Das ist eine wichtige Voraussetzung, zu der wir uns alle hier bekennen sollten.

(Beifall von der CDU)

Diese Kultur der Anerkennung für den gefährlichen Dienst, den die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte leisten, sollten wir garantieren; denn in den Moment, wo bei uns so etwas passiert, werden wir uns alle darauf verlassen müssen, dass die Polizeibeamten ihren Dienst tun.

(Beifall von der CDU)

Solidarität mit Frankreich jetzt, Europäisierung unserer Sicherheitsarchitektur, Anerkennung für die

Arbeit unserer Polizeibeamten – das ist der Dreiklang und das starke Signal, das wir heute mit der Resolution dieses Landtags – wie schon nach dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“ – senden.

Wir rufen den Terroristen daher zu: Ihr werdet es nicht schaffen, unsere offene Gesellschaft zu erschüttern. – Den Bürgerinnen und Bürgern rufen wir zu: Wir, die wir politisch Verantwortung tragen, werden alles in unserer Macht Stehende tun, um Ihre Sicherheit zu garantieren. – Und unseren französischen Partnern rufen wir zu: Ihr seid nicht allein! Wir alle sind Frankreich! Nous sommes Paris. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU, der SPD, den GRÜNEN und der FDP – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Laschet. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Mostofizadeh.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich den anderen Fraktionen von SPD, CDU und FDP ausdrücklich für die Zusammenarbeit bei dieser Resolution danken. Ich danke Ihnen, dass in dem Text der Resolution zum Ausdruck kommt, für was wir stehen: für eine weltoffene Demokratie, für ein klares Zeichen der Solidarität mit unseren Freundinnen und Freunden in Frankreich. – Herzlichen Dank dafür, dass das gelungen ist!

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich lese diese Resolution so, dass die Werte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit diese vier Fraktionen im Landtag einen, und dass dieser Landtag keinen Zweifel daran lässt, dass diese Werte Ausgangspunkt der Resolution und der Solidarität mit Frankreich sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch ich möchte aufrichtig meine Trauer darüber zum Ausdruck bringen, dass diese Taten in Paris geschehen konnten.

Wir möchten den Hinterbliebenen unser aufrichtiges Mitleid ausdrücken. Wir hoffen auf baldige Genesung derjenigen, die verletzt wurden – und zwar nicht nur am Leib, sondern auch an der Seele. Welche tiefen Spuren diese Taten hinterlassen können – insbesondere an der Seele –, ist uns allen sicherlich bekannt. Das wird auch oft in den Flüchtlingsheimen, wie in denen hier in Deutschland, aufgearbeitet werden müssen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist wirklich unfassbar, mit welcher Gleichgültigkeit in Paris in den Cafés geschossen wurde. Diese Menschen sind keine glorreichen Krieger, wie die IS-Propaganda

uns weismachen will. Sie sind keine Helden. Das alles sind heimtückische Mörder – sonst nichts.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es ging ihnen darum, uns mit ihren Taten eine gewisse Konfliktlogik aufzudrücken. Sie wollten unsere Art der der Freiheit, unsere Art zu leben sozusagen abbauen. Sie wollen, dass wir nicht mehr zum Fußball gehen, dass wir keine Feste mehr feiern. Aber diese Logik werden sie uns nicht aufdrücken können. Wir sollten alle daran mitarbeiten, und zwar indem wir rausgehen, indem wir uns dieser Kriegsrhetorik ganz klar entgegenstellen.

Es gibt dafür ein sehr gutes Beispiel in Europa: die fassungslos machenden Morde in Norwegen, die Anders Breivik angerichtet hat. Diese haben in Norwegen gerade nicht dazu geführt, dass der Rechtsstaat abgebaut wurde. Sie haben nicht dazu geführt, dass die Menschen zu Hause geblieben sind. Vielmehr standen sie solidarisch zusammen. Das wünsche ich mir für das weitere Zusammenleben nicht nur in Frankreich, sondern auch in ganz Europa.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Nicht die Religion des Islams zwingt die Menschen zu diesen Verbrechen. Die übergroße Mehrheit der Muslime empfindet doch Abscheu für diese Taten. Sie stehen genauso gegen diesen Terror, wie wir uns hoffentlich gegen Rassismus und rechtsextremen Terror in Deutschland stellen.

Wir sagen diesen Menschen wie Breivik und den NSU-Mitgliedern, aber auch den Rechtspopulisten, die keine Gewalttaten begehen: Ihr seid der Nährboden für Rechtsextremisten und Islamisten. Ihr Rechtsextremisten und Islamisten seid keine Werkzeuge Gottes. Ihr seid auch keine Patrioten. Ihr seid bloß verblendete Idioten. Ihr steht weder für das Morgenland noch für das Abendland. Bei euch ist nämlich überhaupt gar kein Licht. Ihr seid der Albtraum in der Nacht. Und ihr seid die Feinde der Freiheit und Toleranz.

Eines – das hat Kollege Römer eben schon angesprochen – hat mich fast schon fassungslos gemacht: Wer jetzt das Flüchtlingsthema mit dem Thema „Terror“ verbindet, wie das im Süden dieser Republik geschehen ist, macht doch Opfer, die beispielsweise aus Syrien geflohen sind, zum zweiten Mal zu Opfern, indem sie ihnen mit Ressentiments begegnen und unter Generalverdacht stellen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, lehnen wir alle in diesem Landtag, glaube ich, entschieden ab.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der CDU)

Ich will an dieser Stelle deutlich machen: Aus meiner Sicht ist am wichtigsten, jetzt in Präventionsarbeit zu investieren. Präventionsarbeit findet oft in der Schule und vor allem in der Schule statt. Deswegen ist es wichtig, dass wir einen weltoffenen is

lamischen Religionsunterricht einbürgern und nicht die Tür vor den Moslems zumachen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Freiheit ist natürlich verwundbar. Deswegen werden wir uns wehren. Wir werden uns auch mit aller Macht des Rechtsstaates gegen diese Verwundbarkeit wehren.

Kollege Römer hat es angedeutet: Die Analyse von Paris zeigt zwei Dinge. Erstens: Die Islamisten und Salafisten rüsten auf. Zweitens zeigt die Bedrohungsanalyse genauso auf, dass die Rechtsextremisten – quasi die geistigen siamesischen Zwillinge dieser Logik – ebenso aufrüsten und sich durch die Taten von Paris zu Gegenschlägen provoziert fühlen.

Deswegen sind wir der Auffassung, dass wir den Verfassungsschutz logistisch in eine bessere Lage versetzen sollten. Wir sollten weitere 25 Stellen – das ist zumindest unser Vorschlag – einrichten, um gegen islamistischen, salafistischen Terror vorzugehen, aber auch gegen jene Rechtsextremisten, die eben Islamfeindlichkeit und Rassismus befördern und zu Terrorakten nutzen wollen. Deswegen werden wir, die Koalitionsfraktionen, in der nächsten Woche vorschlagen, diese weiteren Stellen bereitzustellen.

Weil es eben in der Debatte angesprochen worden ist: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen uneingeschränkt an der Seite von Frankreich. Aber meine Fraktion und auch ich sind der Auffassung: Wir müssen uns jetzt schon sehr genau überlegen, mit welchen Mitteln wir gegen die terroristischen Akte des IS vorgehen.

Uns und dem Bundestag liegt bisher keine – weder eine juristische noch eine politisch nachvollzierbare – Argumentation dafür vor, in Syrien einzugreifen. Einer der ersten sinnvollen Schritte wäre gewesen, beispielsweise das Land, was die Basis für den Terrorismus des IS darstellt, nämlich Saudi-Arabien, von Waffenlieferungen abzuschneiden.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ein zweiter Schritt wäre eine sinnvolle politische Strategie, was nach militärischen Eingriffen im Nahen Osten passieren soll und für den Frieden im Nahen Osten bereitgestellt werden soll. Wir möchten der Bundesregierung zurufen: „Ja, dem IS ist nicht mit gutem Zureden beizukommen.“ Das ist uns allen bewusst. Aber wir brauchen eine klare politische Strategie, was passieren soll, wenn militärisch eingegriffen wird. Die vermissen wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, bis zum heutigen Tage.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich bin – das möchte in an dieser Stelle noch sagen – etwas verwundert gewesen, wie breit die Resolution nach dem Beitrag des Kollegen Laschet interpretierfähig war. Ich möchte, dass von diesem Landtag am heutigen Tag das Signal ausgeht: Wir sind für eine weltoffene, tolerante, aber auch wach

same Demokratie. Wir stützen die Werte der französischen Revolution. Dafür stehen wir. Das sollte als Signal von diesem Landtag ausgehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, deswegen sollten alle Fraktion dieser Resolution zustimmen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Mostofizadeh. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Lindner das Wort.