Protocol of the Session on September 2, 2015

Das meiste von dem, was Sie in ihrem achtseitigen Entschließungsantrag fordern und was Frau Ministerpräsidentin Kraft hier vorgetragen hat, ist gut und richtig. Aber das hätten Sie schon vor zwei Jahren niederschreiben und umsetzen müssen.

(Beifall von den PIRATEN)

Seit 2012 haben wir all das niedergeschrieben – aber unsere Anträge haben Sie alle abgelehnt. Ob Erleichterung bei der Arbeitsaufnahme, Suche nach Unterbringung, Neukonzeption der Landesaufnahme oder die Krankenkarte für Flüchtlinge – alles abgelehnt. Sie kommen erst in Bewegung, wenn es gar nicht anders geht, und das zum Schaden der Menschen, die hier Schutz und Hilfe suchen.

Die Menschen ersticken in Lkws, ertrinken im Mittelmeer oder werden auf der Flucht erschossen. Auf Kos, auf Lesbos und auf anderen Inseln warten sie auch heute noch auf Fähren, die nicht kommen. In Bahnhöfen warten sie auf Züge, die nicht fahren. Und sie warten und verhungern an den Zäunen der Festung Europa.

Ich schäme mich als Europäer, auch weil das Ganze schon so lange geht. Seit Jahren werden die Grenzen verstärkt und nicht geöffnet. Das ist die falsche Politik.

(Beifall von den PIRATEN)

Wenn die Menschen es dann auf nicht legalen Wegen – denn legale Wege gibt es ja nicht – nach Deutschland und nach Nordrhein-Westfalen geschafft haben, dann leben sie in Zelten, in verschimmelten Massenunterkünften, in Turnhallen und in Containern. Sie dürfen nicht arbeiten, sie dürfen sich ihren Wohnsitz nicht aussuchen, sie werden sozial, medizinisch und psychologisch unterversorgt. Sie werden vom deutschen Gesetzgeber behandelt wie Menschen zweiter Klasse.

Seit Jahrzehnten leben Geflüchtete so in Massenunterkünften in Deutschland. Integration war und ist nicht gewollt. Das muss sich endlich ändern.

(Beifall von den PIRATEN)

In diesem Plenarsaal wurde am 30. April dieses Jahres nach einer Bootskatastrophe mit 700 getöteten Menschen beschlossen, dass es kein „Weiter so!“ in der Flüchtlingspolitik geben darf, dass endlich Konsequenzen aus den Fluchttragödien und der großen Anzahl der Toten gezogen werden.

Aber seither ist alles leider noch schlimmer geworden, auch hier im Land. In Nordrhein-Westfalen haben wir jetzt Zeltstädte. Vor einem Jahr war die geplante Zeltstadt in Duisburg-Walsum noch ein bundesweiter Skandal.

Vor genau einem Jahr, nämlich Anfang September 2014, wurde hier im Plenum über unsere Forderung im Antrag „Keine Zeltstädte in Nordrhein

Westfalen – Unterbringung von Flüchtlingen in Zelten, Schulen und Turnhallen verhindern“ diskutiert. Uns wurde vorgeworfen, dass wir schwarzmalen würden. Damals hieß es, dass unsere Vorschläge doch schon längst umgesetzt würden, dass es eine Bestandsaufnahme zur Unterbringungsmöglichkeit gebe und dass Zeltstädte natürlich keine menschenwürdige Unterbringung bieten würden.

Meine Damen und Herren, Herr Yetim, Frau Düker, Herr Minister Jäger, wo stehen wir heute? Heute ist in die Unterbringung in Zelten eine „unorthodoxe Lösung“. Die Landesregierung betreibt nicht nur eine Zeltstadt. Nein, in den kommenden Wochen werden es sechs Zeltstädte mit jeweils bis zu 1.000 Menschen sein.

Die erste Zeltstadt wurde dieses Wochenende in Köln eröffnet. Sie soll bis Januar stehen bleiben. Das heißt, im kalten Winter sollen sich dort 900 Männer, Frauen und Kinder in Unisex-Containern duschen und in flattrigen Zelten ihre Tage verbringen.

(Minister Ralf Jäger: Flattrige Zelte?)

Ich kann nur hoffen, dass wir in NordrheinWestfalen keine Bilder wie aus Dresden, Hamburg oder Wetzlar produzieren. Dort haben Menschen mit Hungerstreik gegen ihre Unterbringung protestiert. Die Presse schreibt dort, dass in diesen Zeltstädten eine humanitäre Katastrophe stattfindet – und das mitten in Deutschland.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Traurig!)

Nach der ersten Ankündigung der Landesregierung, dass sie Zelte baue, haben direkt diverse Kommunen nachgezogen. Ich habe es genau hier schon einmal gesagt: Wenn das Land kein Vorbild ist, machen es die Kommunen garantiert nicht besser. – Und genau so ist es passiert. So sind nun Zeltstädte für die Unterbringung von Flüchtlingen fast zu einem Standard geworden. Was für eine Schande!

(Beifall von den PIRATEN)

Ich war schon in sehr, sehr vielen schlechten Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen. Liebe Landesregierung, eine Zeltstadt mag in den Ländern rund um Syrien das einzige Mittel sein, aber eine Zeltstadt für ein reiches Aufnahmeland wie Deutschland ist wirklich beschämend.

Sie, die Landesregierung, Herr Minister Jäger, tragen für diese Zustände die Verantwortung. Es ist Ihr fundamentales Organisationsversagen, Ihre mangelnde Vorbereitung. Sie haben auf diesem unsäglichen Verantwortungsverschiebebahnhof zwischen Kommunen, Land, Bund und Europa immer ganz vorne mitgespielt. Sie wurden seit 2012 diverse Male vorgewarnt, aber Sie und Ihr Ministerium blieben bis zur Schande von Burbach untätig, und diese weltweit bemerkte Schande hat immer noch nichts wirklich nachhaltig verändert.

„Keine Provisorien mehr, feste Bauten ab Oktober.“ Das hat Ministerpräsident Reiner Haseloff gestern mitgeteilt. Solche klaren Worte hätte ich von Ihnen erwartet. Aber da kommt gar nichts, und das ist traurig.

Dass sich nun auch die „Elefanten“ im Bund – Sigmar Gabriel und inzwischen auch die Kanzlerin – anscheinend endlich der gesellschaftlichen und menschlichen Herausforderung stellen wollen, war überfällig. Taten sehe ich allerdings nicht, und wenn doch, kommt das jetzt viel zu spät. Es ist für mich absolut unverständlich, warum die Verantwortlichen erst reagieren, wenn es schon zur humanitären Katastrophe gekommen ist, wenn die Problemlösung zigmal mehr kostet, wenn der Aufwand tausendmal mehr Kraft fordert.

Der einzige Hoffnungsschimmer ist die enorme Hilfsbereitschaft der Bevölkerung, der Menschen hier im Land. Und diese setzen Sie mit Ihrer Untätigkeit und Unfähigkeit aufs Spiel.

Mit unserem heutigen Antrag, der ein für alle Mal klarstellen will, dass Deutschland ein Aufnahmeland ist, fordern wir, dass in Nordrhein-Westfalen endlich Konzepte für Bürgerengagement eingeführt werden. Die Hilfsbereitschaft muss koordiniert werden. Das passiert für die Landesaufnahmen aber fast gar nicht. Es braucht mehr Struktur und mehr Koordination. Einzelinitiativen wie die der Bezirksregierung Köln müssen gestärkt werden. Hier wird zurzeit die Hilfsbereitschaft der Menschen für die Zeltstadt Köln via Twitter koordiniert, und das funktioniert sehr gut; das ist ein hervorragendes Beispiel.

Eine weitere Forderung bzw. ein Vorschlag aus unserem Antrag ist die Schaffung eines Ministeriums für Integration, Flucht und Einwanderung. Wir haben das schon mehrfach gefordert und fänden die Probleme dort auf jeden Fall besser angesiedelt als beim Innenministerium. Denn wir müssen uns den Menschen zuwenden und sie nicht abwehren.

(Minister Ralf Jäger: Ich finde das schon in Ordnung!)

Zukünftig müssen Europa, Deutschland, das Land Nordrhein-Westfalen und die Kommunen Geld und Ressourcen in die Integration und in Strukturmaßnahmen wie den Wohnungsbau stecken, statt Energie in Abwehrmaßnahmen zu verschwenden.

Wie der Migrationsforscher François Gemenne in einem Interview im „stern“ sagte, haben Abwehrmaßnahmen überhaupt keinen Einfluss auf Migrationsströme. Das Einzige, was sie beeinflussen, sind das Geschäft und die Gewinnmargen der Schlepper. Je restriktiver die Abwehrmaßnahmen sind, desto höher sind die Gewinne der Schlepper. Das ist die Realität, und deshalb brauchen wir die legale Zuwanderung.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir brauchen ein Miteinander und kein Gegeneinander. Denn nur ein Miteinander macht uns, die Gesellschaft, stark. Wir Piraten werden unsere ganze Kraft für eine Gesellschaft von gegenseitiger Hilfe und Respekt einsetzen.

Refugees Welcome!

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann. – Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Wir kommen somit, nachdem ich die Aussprache geschlossen habe, zur Abstimmung. Wir stimmen über insgesamt sechs Vorlagen ab und beginnen mit der Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/9652 zur Unterrichtung durch die Landesregierung. Wer möchte diesem Entschließungsantrag zustimmen? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Damit stelle ich fest, dass der Entschließungsantrag Drucksache 16/9652 mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU, FDP und Piratenfraktion angenommen ist.

Ich lasse zweitens abstimmen über den Antrag der FDP-Fraktion Drucksache 16/9512. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung dieses Antrags Drucksache 16/9512 an den Innenausschuss – federführend –, an den Integrationsausschuss, an den Ausschuss für Kommunalpolitik sowie an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales; die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer möchte dieser Überweisungsempfehlung zustimmen? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist jeweils nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich lasse drittens abstimmen über den Antrag der CDU-Fraktion Drucksache 16/9514. Die antragstellende CDU-Fraktion hat direkte Abstimmung beantragt. Wer möchte diesem Antrag der CDU-Fraktion zustimmen? Den darf ich um das Handzeichen bitten. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Damit stelle ich fest, dass der Antrag der CDU-Fraktion Drucksache 16/9514 mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der Piratenfraktion gegen die Stimmen von CDU und FDP abgelehnt worden ist.

Ich lasse viertens über den Entschließungsantrag der Piratenfraktion Drucksache 16/9653 abstimmen. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Damit stelle ich fest, dass der Entschließungsantrag der Piratenfraktion Drucksache 16/9653 mit den Stimmen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmen der Piratenfraktion abgelehnt worden ist.

Wir stimmen fünftens über den Antrag der CDUFraktion Drucksache 16/9583 ab. Auch hier hat die antragstellende CDU-Fraktion direkte Abstimmung beantragt. Zu der kommen wir dann auch. Wer stimmt dem Antrag der CDU-Fraktion zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Damit stelle ich fest, dass der Antrag der CDUFraktion Drucksache 16/9583 mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der Piratenfraktion gegen die Stimmen der CDU-Fraktion bei Enthaltung der FDP-Fraktion abgelehnt worden ist.

Ich lasse sechstens und letztens abstimmen über den zweiten Antrag der Piratenfraktion Drucksache 16/9588 – Neudruck. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags an den Innenausschuss – federführend –, an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie an den Integrationsausschuss. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer stimmt der Überweisungsempfehlung zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist jeweils nicht der Fall. Damit ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Damit sind wir mit der umfangreichen Beratung und den Abstimmungen zu diesem Tagesordnungspunkt durch, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich beende den Tagesordnungspunkt.

Ich rufe auf:

2 Bildungsqualität fördern

Teil 2: Schulen in ihrer Ausrichtung auf berufliche Ausbildung stärken – die duale Ausbildung fördern – Fachkräftemangel vor allem im technischen Bereich beheben

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/9580

Für die antragstellende CDU-Fraktion erteile ich als erstem Redner Herrn Abgeordnetem Kaiser das Wort.

Das verbinde ich mit der herzlichen Bitte, dass alle Abgeordnetenkollegen, die meinen, den Saal jetzt verlassen zu müssen, das geräuschlos tun. Diese herzliche Bitte gilt auch für Mitglieder der Landesregierung und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Mitgliedern der Landesregierung. Herr Justizminister, wenn Sie so nett wären, vielleicht auch Ihre Besprechung außerhalb des Plenarsaals fortzusetzen! Dann können wir in der Debatte fortfahren. – Herzlichen Dank.

Herr Kollege Kaiser, Sie haben das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Tim Mälzer hat eine Lehre gemacht. Karl Lagerfeld hat eine praktische Ausbildung. Heiner Lauterbach ist gelernter Installateur. Jan Josef Liefers ist gelernter Tischler. Stefan Raab hat eine Metzgerlehre absolviert. Nena hat, wie wir alle wissen, eine Goldschmiedelehre gemacht. Die Reihe ließe sich leicht verlängern und belegt eines: Karriere ist auch ohne akademische Bildung möglich. Die weniger prominenten Beispiele zeigen: Eine duale Ausbildung ist eine gute Gelegenheit, einen gut bezahlten Beruf zu erwerben, und eine duale Ausbildung ist auch das beste Beispiel für einen Aufstieg durch Bildung.

(Beifall von der CDU)