Protocol of the Session on June 26, 2015

Stimmen Sie dem so zu, Herr Marsching?

Vielen Dank für die Formulierung als Frage. – Sehr geehrter Herr Kollege Ellerbrock, es mag sein, dass ein Totalverbot bei Ihnen psychologisch etwas anderes auslöst, als wenn man Ihnen sagt, Sie sollen weniger davon essen. Aber bei Ihnen schadet ein Stück Kuchen nicht lebenslang einem ungeborenen Kind. Das ist der kleine Unterschied dabei.

(Beifall von den PIRATEN)

Man muss den Menschen einfach sagen: Jeder Tropfen kann das Leben des Kindes ein Leben lang negativ beeinflussen. – Da geht es um Wissen und Aufklärung. Es geht darum zu sagen: Der falsche Tropfen zur falschen Zeit kann auslösend sein. – Es hilft nicht zu sagen: Trink die Hälfte, dann reduzierst du das Risiko. – Denn das ist faktisch einfach falsch.

Jetzt komme ich aber zum Antrag. Liebe Kollegin Birkhahn, vielen Dank für den Antrag. – Ich sehe sie jetzt gerade nicht mehr. Das ist schade. – Wir finden, es ist ein gutes und wichtiges Thema; denn nach unserem Dafürhalten steckt Rot-Grün beim Thema den Kopf zu sehr in den Sand. Deswegen sollten wir hier im Landtag darüber reden. Deswegen sollten wir über Kampagnen reden.

(Ministerin Barbara Steffens: Wir machen doch Kampagnen!)

Sehr geehrte Frau Ministerin, dann frage ich Sie: Wo sind denn die Kampagnen und wer weiß davon? – Wir reden mit Ärzten. Wir reden mit den Zentren. Wir reden mit den Experten, mit den Koryphäen auf dem Gebiet. Diese sagen: Ja, es gibt ein paar Kampagnen. Aber das sind immer nur Strohfeuer. Das ist mal hier ein Flyer und da eine Broschüre, und dort wird mal eine U-Bahnstation plakatiert. Aber etwas wirklich Nachhaltiges kommt dabei nicht heraus.

Richtig wäre eine langfristige Aufklärungsarbeit, die nachhaltig ist und in die Köpfe geht.

Die einzigen langfristigen Kampagnen machen diese Experten und Zentren selber, und zwar – man höre und staune – in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband der Deutschen Spirituosen

Industrie. Es gibt Zentren, die sich beim CDUgeführten Bundesgesundheitsministerium Unterstützung holen wollen.

Das Gesundheitsministerium sagt: Alles klar, machen wir. Natürlich unterstützen wir dies sofort. Das ist ein wichtiges Thema. – Dann heißt es: Wir haben eine Kampagne vorbereitet, die kostet anderthalb Millionen €. Dazu entgegnet das Bundesgesundheitsministerium: Moment, wir unterstützen euch – damit ist natürlich „moralisch“ gemeint. Geld gibt es da auf gar keinen Fall. – Und wieder werden in Zusammenarbeit mit dem Spirituosenverband solche Broschüren über Ärzte an Schwangere verteilt.

Auch das NRW-Gesundheitsministerium hat solche Kampagnen durchgeführt, und zwar im Jahr 2006 unter Karl-Josef Laumann, jedoch zeitlich befristet. Das sind immer kleine Kampagnen, die zeitlich befristet sind. Wir müssen mit diesem Thema in die Köpfe einer ganzen Generation hinein – am besten sogar zwei Generationen, damit sie das Thema weitergeben. Diese Gefährlichkeit von Alkohol in der Schwangerschaft muss in die Köpfe der Menschen.

Eine x-te Kampagne, bei der wir wieder irgendwelche U-Bahn-Stationen zupflastern, hilft nicht. Vor allen Dingen – und das ist für uns ein wichtiger Punkt, der im CDU-Antrag völlig ausgeblendet wird – darf es bei diesem Thema nicht nur um Prävention gehen, sondern es muss auch um den Prozess der Aufklärung jetziger Mütter und Väter von kleinen Kindern, die Entwicklungsstörungen beobachten, gehen.

Diese Eltern müssen auch wissen, dass das, was ihre Kinder an Symptomen haben, durch ein FASD verursacht worden sein kann. Denn nur dann kann wirksam den Kindern geholfen werden. Wichtig ist nicht nur die Vorsorge, nicht nur die Prävention, sondern auch die Nachsorge.

Nachsorge, liebe Kolleginnen und Kollegen, könnte dieser Antrag auch gebrauchen. Deswegen stimmen wir der Überweisung in den Ausschuss zu. Herr Kollege Düngel freut sich auf die Beratungen im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Marsching. – Nun spricht für die Landesregierung Frau Ministerin Steffens.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit,

Emanzipation, Pflege und Alter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, fachlich hat die Diskussion bisher schon gezeigt, dass es zwischen denjenigen, die hier gesprochen haben, und damit wahrscheinlich zwischen allen Fraktionen erst einmal grundsätzlich keine unterschiedliche fachliche Auffassung gibt.

Es besteht kein Zweifel daran, dass, wenn eine schwangere Frau Alkohol trinkt, das ungeborene Kind diesen Alkohol mit konsumiert. Es ist auch klar, dass es nicht darum geht, wie viel Alkohol sie trinkt,

sondern alleine darum, dass das Kind bei gleicher Blutalkoholkonzentration mit einem anderen Stoffwechsel diese Substanzen sehr viel länger im Körper hat und dass das Ausmaß der Folgeschäden für das Kind inakzeptabel ist. Das hat nichts damit zu tun, wie groß die Menge letztendlich ist, sondern es hat etwas mit dem Zeitpunkt des Konsums zu tun.

Frau Birkhahn, das sind auch keine neuen Erkenntnisse. Ich weiß, dass im Jahr 1994, als ich mit meinem ersten Sohn schwanger war, ein großer Beitrag dazu in der „Zeit“ erschienen ist, in dem es genau darum ging, dass jeder einzelne Tropfen Alkohol in der Schwangerschaft zum falschen Zeitpunkt massive Schäden bewirken kann. Da niemand weiß, wann dieser falsche Zeitpunkt ist, ist es klar, dass jeder Schwangeren zu raten ist, dass kein Tropfen Alkohol in der Schwangerschaft das einzig Richtige ist.

(Beifall von Andrea Asch [GRÜNE])

Es geht meines Erachtens nicht nur darum, sondern an einem Punkt bleibt der CDU-Antrag auch hinter dem, was notwendig ist, zurück. Es geht nicht nur um die Schwangerschaft, sondern genauso um die Stillzeit. Denn jeder Alkohol, der mit der Muttermilch an das Kind weitergegen wird, kann das Kind in dieser frühen Lebensphase massiv schädigen. Deswegen reicht das nicht.

Das Bagatellisieren in der Gesellschaft mit „ein Gläschen“ oder „das bisschen Alkohol“ ist ein Bagatellisieren, was Frauen in einer Sicherheit wiegt, die völlig falsch ist. Deswegen darf diese Empfehlung und dieses Bagatellisieren an keiner Stelle passieren.

Ich war jedoch gerade in der Debatte erstaunt, dass das Thema Sucht und Suchtprävention quasi ausgeklammert werden sollte. Ich denke, wir müssen genau beides tun. Wir müssen auch die Frauen erreichen, die alkoholabhängig und süchtig sind.

Und, Herr Ellerbrock, da funktioniert Ihre Formulierung. Wenn jemand alkoholabhängig ist, kann man nicht unbedingt hingehen und sagen: Du darfst jetzt gar nichts mehr trinken. – Denn dann brauche ich eine Suchtbegleitung für diejenige Person. Dann muss die Frau kompetent beraten werden, damit zumindest das Minimieren stattfindet, natürlich immer mit dem Ziel, auf 0 % zu kommen.

Aber der Antrag der CDU geht ja nicht in die Richtung der Abhängigen, sondern er geht in die Richtung der Frauen, die eigentlich kein Suchtproblem haben und nach wie vor in dem Irrglauben sind, dass das Gläschen Sekt morgens beim Empfang oder das Gläschen Bier abends beim Fernsehen doch kein Problem sei. Doch genau dieser Alkoholkonsum ist eines. Es muss den Frauen vermittelt und deutlich gemacht werden, dass nur null Prozent wirklicher Schutz ist. Deswegen sollte dieser Widerspruch hier gar nicht im Raum stehen.

Ich habe mich noch mehr über Sie von den Piraten gewundert, wo Sie doch so internetaffin sind und einfach mit einer kurzen Recherche hätten herausfinden können, was wir alles in Nordrhein-Westfalen machen, und dann hier beantragen, dass wir etwas tun sollen, obwohl wir bereits etwas tun. Sie haben die Kampagne „Mutter und Kind“ eben angesprochen, die seit 2006 am Start ist. Nein, diese Kampagne war nicht kurzfristig. Nein, diese Kampagne hat kein Ende. Ja, das Land ist weiterhin aktiv.

(Zuruf von Michele Marsching [PIRATEN])

Wie bitte?

(Michele Marsching [PIRATEN]: Sie ist wie- der aufgelegt worden! Das ist ein Unter- schied!)

Nein, sie ist nicht wieder aufgelegt worden, sondern wir haben sie seit 2010 fortgesetzt und haben die Materialien weiterentwickelt.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Aber befris- tet!)

Wir haben die Materialien mittlerweile in Russisch, in Türkisch. Es gibt inzwischen DVDs dazu, und wir haben die Informationsmaterialien auch für andere Zielgruppen erweitert. Wir haben den Flyer und die Informationsmaterialien, die dem Mutterpass beigelegt werden, weil es ganz wichtig ist, dass wir jede Frau – und ich meine, dass wir darüber einen Konsens haben –, die schwanger ist, immer wieder aufs Neue erreichen müssen. Es reicht nicht, wenn wir einer Müttergeneration diese Informationen gegeben haben. Die zukünftige Müttergeneration muss diese Information immer wieder haben.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Das ist kor- rekt!)

All diese Maßnahmen und die Weiterentwicklung, die Verbreitung der Informationsmaterialien finden grundsätzlich gemeinsam mit den Akteuren statt, weil wir die damalige Kampagne „Mutter und Kind“ gemeinsam mit der Landesgesundheitskonferenz auf den Weg gebracht haben, zu der es eine große Entschließung gab. Der eine oder andere hier im Parlament war damals genau wie ich Abgeordneter oder Abgeordnete und hat diese Diskussion mit vorangetrieben.

Wir haben viele Materialien, aber wir müssen auch die Jugendlichen weit vor einer potenziellen oder möglichen Schwangerschaft erreichen, also auch da mit den Angeboten frühzeitig am Start sein.

Letzter Punkt, den ich kurz ansprechen will: Wir machen dazu gerade noch eine Weiterentwicklung, um auch die jungen potenziellen Väter einzubeziehen. Wir entwickeln eine App, über die wir auch diese erreichen wollen, damit sie ihre Partnerinnen mit den notwendigen Maßnahmen unterstützen können.

In diesem Sinne fände ich es nicht nur gut, wenn wir im Ausschuss über den Antrag beraten – ich glau

be, dass die Maßnahmen, die darin gefordert sind, nicht notwendig sind, weil wir es tun –, sondern ich fände es auch gut, wenn sich der Landtagsausschuss auch mit der Kampagne und all dem, was wir an Präventionsmaßnahmen machen, auseinandersetzt. Sie werden sehen: Wir machen viel. Wir erreichen viel. Aber die gesellschaftliche Haltung insgesamt muss sich noch ein Stück weit ändern, denn das Bagatellisieren kostet den Kindern wirklich Lebensqualität. Und das ist eigentlich nicht nötig.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Ministerin Steffens. –

Wir sind am Ende der Beratung und kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/8980 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer stimmt dem so zu? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Beides ist nicht der Fall. Das ist einstimmig so überwiesen.

Wir kommen zu:

5 Post-2015-Agenda für nachhaltige Entwick

lung – Nordrhein-Westfalen als Vorreiter bei der Umsetzung der internationalen Nachhaltigkeitsziele

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/8988

Entschließungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/9105

Ich eröffne die Aussprache und erteile der SPDFraktion, namentlich Frau Kollegin Hendricks, das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die UN-Konferenz für nachhaltige Entwicklung hatte sich im Rio+20Prozess verabredet, dass sie die acht Millenniumsziele, die Entwicklungsziele fortschreiben will. Seit Januar 2015 verhandeln 70 Mitgliedsstaaten der UN die Post-Agenda-2015. Diese soll aus vier Teilen bestehen. Die Ziele sollen im September auf der UN-Konferenz verabschiedet werden und die nachhaltige Entwicklung bis 2030 festlegen.