Protocol of the Session on June 26, 2015

Die spezifischen Angebote, die ich erwähnt habe, waren ja nicht nur Suchtpräventionsarbeiten. Ich kann drei Beispiele nennen.

Erstens: „Starke Kinder brauchen starke Eltern – Familienbezogene Suchtprävention“. Die Mütter, die schwanger sind, und die Väter müssen ihre Verantwortung übernehmen. In dieser Broschüre thematisiert die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung genau diese familienspezifische Suchprävention.

Zweitens: „Alkoholspiegel“. In der Ausgabe vom Oktober 2010 ging es genau um das Thema „Alkohol und Schwangerschaft“. Diese Broschüre ist immer noch im Umlauf.

Drittens: „Kinder stark machen – Gemeinsam gegen Sucht“.

Insofern werden von diesen Fachgesellschaften sowohl allgemein über die Suchtprävention als auch speziell zur Alkoholproblematik in der Schwangerschaft gezielte und zielgruppenspezifische Angebote gemacht. – Mehr kann ich nicht sagen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Herr Ünal. – Damit rufe ich für die FDP-Fraktion Frau Kollegin Schneider ans Rednerpult.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Alkoholkonsum in der Schwangerschaft: Es ist eigentlich traurig, dass es überhaupt notwendig ist, dass wir über dieses Thema reden müssen. Es wurde auch schon viel dazu gesagt, wie gefährlich Alkohol in der Schwangerschaft ist und in welcher Weise sich das auf das ungeborene Baby auswirkt.

Die beste Prävention wäre sicher eine vollständige Abstinenz während der Schwangerschaft; denn auch bei gelegentlichem und geringem Alkoholkonsum lassen sich schädigende Konsequenzen nicht ausschließen.

(Ministerin Barbara Steffens: Genau!)

Dennoch müssen wir die Lebensrealität zur Kenntnis nehmen. Viele Menschen sind nicht in der Lage, ihr Konsumverhalten völlig umzustellen. Daher kommt es darauf an, auch bei diesen Müttern das Risiko von möglichen Schädigungen zu verringern. Wer nur auf totale Abstinenz setzt, wird womöglich einen Teil der Betroffenen mit Prävention gar nicht mehr erreichen.

Deshalb sollten wir nicht wie die CDU sagen: „Jeder Schluck kann zu viel sein“, sondern wir sollten sagen: Jeder Schluck weniger kann helfen, das Risiko zu verringern.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Nein, sollten wir nicht! Das Risiko ist immer 100 %!)

Die CDU fordert in dem von ihr vorgelegten Antrag verstärkte Aufklärung und wissenschaftliche Studien zu den Auswirkungen von Alkohol in der Schwangerschaft sowie zum Werdegang geschädigter Neugeborener bis hin ins Erwachsenenalter. Das ist alles durchaus sinnvoll. Darüber können wir im Ausschuss gern vertieft diskutieren.

Auffällig ist aber, dass die Antragsteller auf mögliche kontroverse Forderungen verzichtet haben. So wird zum Beispiel auf die Debatte um Warnhinweise für schwangere Frauen und deren umstrittene Wirksamkeit gar nicht eingegangen.

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Marsching?

Das ist nett von Ihnen. – Bitte schön, Herr Marsching.

Vielen Dank. – Frau Kollegin, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie haben gerade gesagt, man solle statt „Jeder Schluck kann zu viel sein“ sagen: Jeder Schluck weniger verringert das Risiko. – Sind Sie bereit, anzuerkennen, dass das Risiko, das bei einmaligem Alkoholkonsum bei vielleicht 80 % liegt, sich nicht mit jedem neuen Schluck Alkohol vervielfacht, sondern dass das Risiko immer gleich bleibt und dass damit die Aussage, die Sie gerade getroffen haben, im Grunde genommen schon rein mathematisch nicht zutreffend ist?

Herr Kollege, ich verstehe, worauf Sie hinauswollen. Gerade Sie als Piratenfraktion müssten aber doch wissen, dass wir mit totalen Verboten und totalen Reglementierungen oft das genaue Gegenteil erreichen. Natürlich stimme ich Ihnen zu. Alkohol ist schädlich. Aber ich bin einfach ein Fan davon, dass Ganze vorsichtiger anzugehen, auf die Menschen zuzugehen und zu sagen: Macht weniger!

(Beifall von der FDP – Michele Marsching [PIRATEN]: Das macht keinen Sinn!)

Zudem erkennt die FDP in der politischen Landschaft über den Aspekt der Prävention von Alkoholkonsum in der Schwangerschaft hinaus Bestrebungen von Schwarz, Rot oder Grün, im Umgang mit

Alkohol zunehmend in Richtung Prohibition zu gehen. Die grün-rote Landesregierung in BadenWürttemberg hat diese Woche beschlossen, das nächtliche Alkoholverkaufsverbot in Supermärkten, Tankstellen und Kiosken auch auf Bringdienste und Getränkeautomaten auszuweiten. Damit Sie mich richtig verstehen, heißt das also: Wenn Sie bei Ihrem Pizzaservice anrufen und sich eine Flasche Rotwein zur Pizza bestellen, müssen Sie darauf achten, dass er kurz vor 22 Uhr da ist. Ab 22 Uhr nimmt er den Chianti wieder mit.

In Berlin wurde aus Reihen der Union ebenfalls ein nächtliches Verkaufsverbot gefordert. EU und OECD treten für eine massive Erhöhung der Besteuerung und Mindestpreise ein. Ich war unlängst in Norwegen und habe dort erfahren, dass diese horrenden Alkoholpreise überhaupt keinen Einfluss auf das Konsumverhalten der Bürger in diesem Land haben, sondern lediglich die Staatskasse füllen, sehr geehrte Damen und Herren. Das alles ist aber der Weg zu einer weitgehenden Einmischung in das Privatleben erwachsener Menschen.

(Beifall von der FDP)

Es ist der Weg zu mehr Bevormundung, zu einem Nanny-Staat. Sie wollen die Menschen in Richtung eines moralisch gewünschten Verhaltens treiben. Wir Liberale setzen aber auf Aufklärung und Eigenverantwortung.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Ja, ganz ge- nau! Dazu müssen die Leute das aber wis- sen!)

Eine Diskussion im Ausschuss über bessere Aufklärung hinsichtlich Alkoholkonsums in der Schwangerschaft unterstützen wir gerne, um die ungeborenen Kinder besser zu schützen. Wir werden aber nicht zulassen, dass aus dieser Diskussion heraus eine generelle Bevormundung erwachsener Menschen begründet wird. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP – Ministerin Barbara Steffens: Das will doch auch keiner!)

Vielen Dank, Frau Schneider. – Für die Piratenfraktion spricht nun Herr Marsching.

Vielen Dank, Herr Präsident! Zunächst möchte ich sagen, dass Sie uns Piraten natürlich alles nehmen können, nur Gott sei Dank nicht das Rederecht. Wenn wir schon im Präsidium keine Stimme haben, können wir wenigstens hier nicht ausgeschlossen werden.

(Britta Altenkamp [SPD]: Meine Güte!)

Aber das haben Sie heute ja schon einmal gehört.

Ich möchte mit einem Hinweis auf unsere GraspirinKampagne beginnen, in der wir fordern, endlich eine

moderne Drogenpolitik in Deutschland umzusetzen, namentlich Cannabis zu legalisieren.

(Unruhe – Daniel Düngel [PIRATEN]: Jetzt kannst du weitermachen! Wir sind ruhig!)

Okay. Dass mit diesen Zwiegesprächen scheint bei meinen Reden irgendwie immer beliebter zu werden. Aber okay.

Noch einmal: Graspirin-Kampagne, moderne Drogenpolitik in Deutschland, namentlich die Cannabislegalisierung: Die CDU im Bund argumentiert dagegen, namentlich die Drogenbeauftragte, dass Alkohol anders zu werten sei als Cannabis; denn Alkohol sei schließlich ein Kulturgut.

Wer Alkohol als Kulturgut darstellt, der braucht sich nicht zu wundern, dass die Gefährlichkeit des Alkohols auch und gerade in der Schwangerschaft unterschätzt wird. Ich möchte das noch einmal betonen: Ein Glas zur falschen Zeit kann fatal sein. Ein Tropfen Medikament mit Alkohol zur falschen Zeit kann fatal sein. – Es hilft nicht zu sagen: Nehmt weniger, dann wird das Risiko verringert. – Denn das ist faktisch, das ist mathematisch einfach nicht korrekt.

(Beifall von den PIRATEN)

Liebe Kollegin Schneider, Sie haben gerade gesagt, die Piraten müssten sich damit auskennen, keine Verbote auszusprechen. Sie würden auf Eigenverantwortung setzen. Das tun wir auch. Aber es geht darum, dass wir Wissen transportieren müssen.

So kann ich jetzt zum Antrag der CDU-Fraktion kommen.

Herr Kollege,

gestatten Sie noch eine Zwischenfrage vorweg?

Aber sicher.

Das ist nett von Ihnen. Herr Ellerbrock hat eine Frage.

Herr Kollege Marsching, ich unterstelle, Ihre Darstellung ist richtig, dass es nicht auf die Menge ankommt, sondern ein Tropfen zur falschen Zeit schon fatale Folgen haben kann. Es ist aber psychologisch ein wesentlicher

Unterschied, ob man sagt „Du darfst überhaupt nicht trinken“ – das geht eine gewisse Zeit gut, und dann befolgt man überhaupt nichts mehr –, oder ob man sagt: „Du musst weniger trinken“.

Ich weiß, wovon ich rede. Ich bin Diabetiker. Eis und Kuchen haben einen gewissen Stellenwert für mich. Wenn man mir sagt, ich darf so etwas überhaupt nicht essen, bekomme ich das ein paar Wochen hin. Danach ist es ganz fürchterlich. „Weniger“ ist in

dem Fall mehr. Das ist das, worauf die Kollegin hinwies. Der Weg ist das Ziel. Das ist besser als zu sagen: gar nicht. Das ist erfolgreicher. Das meinte die Kollegin.

Stimmen Sie dem so zu, Herr Marsching?