Protocol of the Session on May 21, 2015

Das werden wir, glaube ich, auch in den Ausschussberatungen sehr gut herausstreichen können.

Zum Zweiten sind die Menschen, die hierhin geflüchtet sind, sehr viel flexibler und ortsunabhängiger als viele Menschen, die wir als Teil einer verfestigten Arbeitslosigkeit kennen. Das heißt, diesen Menschen helfen wir nicht nur, indem wir ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt gewähren, sondern wir helfen auch unserem Land. Darin sind wir uns wahrscheinlich auch relativ schnell einig.

Nächster Punkt: Sprachkurse. Da spielen wir jetzt das Schwarzer-Peter-Spiel. Muss der Bund bezahlen? Muss das Land bezahlen? Wir haben es zuerst gesagt. Ihr habt es zuerst gesagt. Mal gucken. – Davon halte ich nichts.

Vielleicht fangen wir mit einem kleinen Schritt an. Es gibt Heime für Geflüchtete, in denen 150 Leute untergebracht sind. Das ist jetzt kein fiktives, sondern ein reales Beispiel. Für eine solche Unterbringungsmöglichkeit gibt es 600 Menschen, die dort ehrenamtlich helfen wollen, die an sechs Tagen in der Woche ehrenamtlich Deutschkurse geben können. Das sind nicht irgendwelche Menschen, die noch nie selbst Deutsch gesprochen haben, sondern es sind Studenten von Fach- und technischen Hochschulen, die auf Deutsch studieren. Die können durchaus Deutsch beibringen. Vielleicht hilft es unseren Kommunen, wenn wir dort koordinierend

eingreifen und auch Mittel für die Koordination bereitstellen.

Lassen Sie uns die große Diskussion darüber, wer denn letztendlich die komplett verpflichtenden Deutschkurse – Frau Kollegin Düker sagte gerade richtigerweise, das gelte nicht nur vor dem Arbeitsmarkteintritt, sondern auch später – und die fachbezogenen Deutschkurse bezahlt, im Ausschuss führen. Lassen Sie uns diese Diskussion dort konstruktiv und zielorientiert führen. Aber lassen Sie uns vorab das ehrenamtliche Engagement konstruktiv nutzen, das uns inzwischen von ganz vielen Menschen hier im Land entgegenschlägt! Zurzeit liegt es nämlich ungenutzt bracht. Ganz im Gegenteil: Diesen Menschen schlägt sogar ein gewisses Maß an Ignoranz entgegen, weil es nicht genutzt werden kann, und das darf nicht sein.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir haben in diesem Land den Wechsel hin zu einer Willkommenskultur geschafft. Das trifft, einzelne Gruppen außen vor gelassen, auf die gesamte Gesellschaft zu. Der ganz große Teil unserer Bevölkerung lebt inzwischen eine Willkommenskultur, wie man sie sich besser kaum vorstellen kann. Das muss man auch anerkennen, und das müssen wir stützen und befördern.

Lassen Sie uns nicht darüber streiten – Schwarz, Rot, Grün, Gelb, Orange, was auch immer –, sondern lassen Sie uns ein Zeichen setzen, dass wir das fördern und gutheißen. Das ist mir ganz besonders wichtig.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich habe noch einen Hinweis an den Kollegen Kerkhoff, was die Aufnahmefähigkeit betrifft. Ich habe es schon beim Tagesordnungspunkt 2 gesagt und sage es jetzt noch einmal: demografischer Wandel. Aktuell gibt es bundesweit 43 Millionen Arbeitsverhältnisse. Im Jahr 2050 wird es gemäß aktueller demografischer Entwicklung noch 25 Millionen Menschen geben, die diese Arbeitsplätze wahrnehmen können, und das bei einem Bevölkerungssaldo bzw. einem Zuwachs von 100.000 Menschen. Das sind nicht meine Zahlen. Das können Sie selbst im Internet finden.

Lassen Sie uns das also als Chance begreifen, nicht nur für die geflüchteten Menschen, sondern auch für unser Land. Lassen Sie diese Diskussion doch nicht von der Angst vor dem Unbekannten beherrscht sein. Das ist doch eine Chance für uns alle.

An dieser Stelle möchte ich etwas Staatstragendes hinzufügen: Ich empfinde die Menschen, die hierher kommen, und uns und unsere Familien, die wir hier schon länger leben, durchaus als Schicksalsgemeinschaft. Lassen Sie uns das bitte leben, lassen Sie uns das Beste für uns alle daraus machen! – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Sommer. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/8656 einschließlich des Entschließungsantrags Drucksache 16/8743 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales – federführend –, an den Ausschuss für Frauen, Gleichstellung und Emanzipation, an den Innenausschuss sowie an den Integrationsausschuss. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer stimmt für diese Überweisungsempfehlung? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist jeweils nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen. Herzlichen Dank.

Ich rufe auf:

4 Einrichtung eines Hilfsfonds für Opfer von

Unrecht und Misshandlungen in Einrichtungen der Behindertenhilfe und Psychiatrie in den Jahren 1949 – 1990

Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der Fraktion der FDP und der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/8636 – Neudruck

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die SPD-Fraktion Herrn Abgeordneten Garbrecht das Wort. Bitte, Herr Kollege.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie brauchten Obhut, ein sorgendes Heim, Hilfe und Zuwendung, fanden in vielen Fällen aber Demütigung, Gewalt, Erniedrigung und Missbrauch.

Der Runde Tisch Heimerziehung fasste dies so zusammen:

Häufig waren Heime keine Schutzräume, sondern Orte, in denen körperliche und psychische Misshandlungen und in manchen Fällen offenbar auch sexuelle Gewalt möglich waren und nicht oder nur unzureichend unterbunden oder geahndet wurden. Es war möglich, dass sich in Heimen eine repressive und rigide Erziehung etablierte, die in geschlossenen Systemen jedes Maß verlor. Staatliche Aufsichts- und Kontrollinstanzen, sowohl intern als auch extern, waren offenbar nicht in der Lage oder gewillt, diese Missstände, selbst wenn sie bekannt waren, abzustellen.

Diese Feststellung des Runden Tisches trifft auch auf Einrichtungen der Behindertenhilfe sowie der

Kinder- und Jugendpsychiatrie in ganz Deutschland und in NRW zu.

Wer sich heute mit den Umständen der Versorgung behinderter Kinder nach 1945 beschäftigt, wird nicht um die Feststellung herumkommen, dass das Gedankengut des Nationalsozialismus in vielen Institutionen des Staates, der Erziehungshilfe, der Psychiatrie und in der Bevölkerung weiterlebte.

Die Begrifflichkeit des „unwerten Lebens“ wich einer offenen Ablehnung, einer Intoleranz gegenüber dem Anderssein. Geistig Behinderten schlug offene Ablehnung entgegen. Die Versagung der Schulpflicht für geistig Behinderte aus der Nazizeit war bis in die 1960er-Jahre gültig.

Wenn wir heute über die Gestaltung der Inklusion reden, ist es unabdingbar, sich auch mit der Vergangenheit der Behindertenhilfe auseinanderzusetzen. Hier ist die Aussage des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zutreffend: Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. – Und in der Vergangenheit haben viele ihre Augen verschlossen.

Seit über zehn Jahren gibt es nun einen wichtigen selbstkritischen Prozess, in dem sich die Einrichtungen der Behindertenhilfe dieser Vergangenheit stellen. Ich will an dieser Stelle beispielhaft das Franz-Sales-Haus, die Diakonische Stiftung Wittekindshof und die Diakonische Stiftung Volmarstein – um Einrichtungen aus NRW zu nennen – hervorheben. Diese Einrichtungen haben in Form von runden Tischen und Publikationen die Verfehlungen aus Gewalt, medikamentöser Ruhigstellung und Erniedrigung benannt und sind dabei, diese aufzuarbeiten. „Als wären wir zur Strafe hier“ – so der Buchtitel einer Aufarbeitung des Wittekindshofs.

Ja, es handelt sich um schreiendes Unrecht, wenn Menschen aus Heimen der Behindertenhilfe vom Genuss der Mittel des Fonds ausgeschlossen bleiben – so die Aussage von Prof. Dierk Starnitzke, dem Leiter des Wittekindhofs, der ich völlig zustimme.

Nein, objektive Gründe gab und gibt es nicht. Der Einsetzungsbeschluss des Deutschen Bundestages seinerzeit hat sich auf die Heimerziehung im Rahmen der Jugendhilfe begrenzt – wohl wissend, dass der Heimkosmos größer war und dass die Grenzen zwischen den Systemen der Psychiatrie, der Behindertenhilfe und der Jugendhilfe in den Jahren mehr fließend als klar voneinander getrennt waren.

Der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat sich in insgesamt fünf Sitzungen – auch unter Hinzuziehung von Vertretern der Kirchen, der Diakonie und der Einrichtungen – mit der Thematik beschäftigt, und zwar immer in großer Einigkeit und Ernsthaftigkeit. Ich will an dieser Stelle allen Fraktionen und auch den Mitgliedern des Ausschusses hierfür ganz herzlichen Dank sagen.

Wir haben gemeinsam die Sozialausschüsse der Länder sowie den Sozialausschuss des Bundes angeschrieben und für den Hilfsfonds geworben. Resultat ist der nun vorliegende Antrag aller Fraktionen des Landtages, über den wir heute hier abstimmen.

Wer in Gesprächen mit Betroffenen oder in den verfügbaren Dokumenten die Lebens- und Leidensgeschichten nachspürt, wird tief erschüttert sein. Sie sind vielfach geprägt von traumatisierten Lebens- und Erziehungsverhältnissen. Es blieb nicht bei schwarzer Pädagogik, die auf Gewalt und Einschüchterung als Mittel setzte. Sexuelle Erniedrigung und Missbrauch kamen in vielen Fällen hinzu. Das ist also nicht abzutun mit dem Hinweis: „Das war der damalige Geist von Erziehung“. Strafbar waren alle Fälle von sexuellem Missbrauch schon damals. Auch der § 223b des Strafgesetzbuches wäre für eine Vielzahl der geschilderten Fälle eine Handlungsgrundlage gewesen.

Wir müssen heute, mit dem Wissen von 2015, unmissverständlich feststellen: Es gab ein umfangreiches Versagen staatlichen Aufsichtshandelns. Wir haben es zu tun mit einer Ignoranz seitens der Einrichtungen und den darin handelnden Personen gegenüber dem Recht der körperlichen Unversehrtheit, einer Missachtung der Würde des Menschen.

Der Heimaufenthalt vieler ehemaliger Heimkinder, der von diesen Erfahrungen geprägt war, hat oftmals zu bleibenden Beeinträchtigungen und Schäden geführt. Deshalb fordern wir heute – berechtigt und gemeinsam – einen Hilfsfonds für Opfer von Unrecht und Misshandlung in Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Psychiatrie. Die Wunden sind verheilt, aber die Narben bleiben zurück.

Was durch die damalige Heimerziehung genommen wurde, kann auch kein Geld der Welt wieder gutmachen, aber ein Stück Anerkennung, ein Stück mehr Realität, ein Stück mehr Lebensqualität, ein Stück mehr später Würde geben.

Die Leidensgeschichten zeigen, wie individuell das erfahrene Leid ist und wie grausam die bisherige Realität des Ignorierens ist. Lassen Sie uns gemeinsam diese Gerechtigkeitslücke schließen. Es ist an der Zeit, weil den Betroffenen die Lebenszeit davonläuft. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Garbrecht. – Für die CDU-Fraktion spricht als nächster Redner Herr Kollege Burkert.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Garbrecht, ich kann Ihnen in Ihren Ausführungen nur beipflichten. Das war immer unsere Meinung. Wir haben am 6. Juni 2014 einen Bericht zu diesem Thema eingefordert.

Heute, fast ein Jahr danach, kommen wir zu einem gemeinsamen Antrag, in dem wir die Landesregierung dazu auffordern, dass sie sich erstens für eine Entschädigung des betroffenen Personenkreises durch die Einrichtung eines Hilfsfonds einsetzt, zweitens ihre Absicht bekräftigt, die betroffenen Menschen zu unterstützen, indem sie ihren Länderanteil für einen Hilfsfonds zur Verfügung stellt, und drittens zeitnah auf die anderen Bundesländer einwirkt – forciert und zusammen mit Bayern –, die bereits ihre Zustimmung erklärt haben, und in einer Vorreiterrolle für die Zustimmung zu einem Hilfsfonds verhandelt.

Es ist bedauerlich, dass wir so viel Zeit benötigt haben, um zu einer für die Betroffenen so wichtigen Entscheidung zu kommen.

Ich zitiere Herrn Prof. Dr. Dierk Starnitzke von der Diakonischen Stiftung Wittekindshof aus der Sitzung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales am 3. September 2014. Danach hat sein Spitzenverband, die Diakonie Deutschland, enge Gespräche mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales geführt – mit der Idee, den bereits vorhandenen und bestehenden Fonds aufzustocken und für Menschen mit Behinderungen zu öffnen. Dieser Versuch sei gescheitert am Widerstand der Länder, darunter auch das Land Nordrhein-Westfalen.

Ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten Herrn Prof. Dr. Starnitzke aus der gleichen Sitzung:

„Wenn ich das Protokoll über Ihre letzte Sitzung richtig verstanden habe, geht das Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter in seinem Bericht davon aus, dass sich das Land entschieden hat, dass es sich nicht beteiligen möchte“.

Die Landesregierung wusste noch nicht einmal, wer für diesen Fonds zuständig ist.

Ich zitiere Frau Ministerin Steffens aus der Sitzung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 25. Juni 2014:

„… es tue ihr leid, aber sie könne nicht mehr dazu sagen als das, was in ihrem Bericht gestanden habe. Dieser Bericht sei aus Berichten der ASMK zusammengetragen und habe insofern nicht unter der Federführung des MGEPA gestanden. Man verstehe sich eher als Redaktionsteam, das die Daten aufbereite, die zur Verfügung stünden.“

Wie sich hinterher herausstellte – er sagte es auch –, war Minister Schneider mit seinem Ministerium hier verantwortlich. Herr Minister Schneider hat immer wieder betont, wie wichtig ihm das Thema „Hilfsfonds“ ist. Sein Handeln entsprach aber nie seinem Reden. Siehe dazu den Bericht über die Arbeits- und Sozialministerkonferenz 2014: