Protocol of the Session on May 20, 2015

Mein Eindruck, Herr Präsident, lieber Herr Optendrenk, ist, dass Sie die Raupe verhungern lassen wollen, bevor daraus ein Schmetterling werden kann.

Ich glaube, das Kernproblem ist ein anderes. Zunächst finde ich verwunderlich, dass Sie sich jetzt mit dieser Position hierhin trauen und damit auftauchen. Augenscheinlich brauchen Sie für eine eigenständige Positionierung der NRW-CDU immer die Vorgaben oder die Erlaubnis von Frau Merkel und Herrn Schäuble und können Ihre Position nicht eigenständig ohne diese Erlaubnis formulieren. Ansonsten hätten Sie auch zum Antrag der Kollegen der FDP, den wir erst am 15. März 2015 behandelt haben und zu dem Sie sich nicht positioniert, sondern enthalten haben, zu einer entsprechenden Be

schlussfassung kommen können. Nein, Sie mussten warten, bis Herr Schäuble und Frau Merkel Ihnen die Erlaubnis geben. Dann kommen Sie hier in den Landtag und bringen diese Positionierung.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das ist nicht wie bei Ihnen!)

Das ist – sagen wir einmal – für einen solch großen Landesverband wie die CDU meiner Meinung nach auf Bundesebene ein Armutszeugnis.

Ganz vertrauen tun Sie Herrn Schäuble und Frau Merkel in dieser Frage aber nicht, denn dann könnten Sie warten, bis die Vorschläge vom Bund auf dem Tisch liegen. Sie wollen aber eine Bundesratsinitiative starten. Augenscheinlich glauben Sie nicht das, was Ihre Parteiführung in Berlin erzählt, sondern meinen, Sie müsste von hier aus noch einmal geschubst werden.

Lassen Sie uns ein paar Fakten betrachten. Eine Mär, die Sie erzählt haben, ist die von den immer höheren Steuerbelastungen für die Bürgerinnen und Bürger. Das ist schlicht und einfach nicht richtig.

(Ralf Witzel [FDP]: Was ist mit der kalten Progression?)

Nehmen wir zum Beispiel den Eingangssteuersatz. Der Eingangssteuersatz – das ist der richtige Ansatz für die Politik – ist von 25,9 % auf 14 % gesenkt worden – ein vernünftiger Beitrag, um gerade untere Lohngruppen zu entlasten. Sie erklären mit Ihrem Vorschlag, dass die Leistungsträger nur diejenigen sind, die von der kalten Progression betroffen sind, und erklären alle diejenigen, die unterhalb dieses Eingangssteuersatzes liegen und da das Geld verdienen, zu Nichtleistungsträgern. Nein, auch das sind Leistungsträger, die nur viel zu schlecht bezahlt werden.

Die CDU ruft in diesem Zusammenhang auch den Kampf für soziale Gerechtigkeit aus. Der hört aber interessanterweise dann bei Alleinerziehenden auf. Hier machen Sie das Große von den sprudelnden Steuerquellen abhängig, durch die man jetzt den Steuerzahlern Geld zurückgeben kann. Als vorgeschlagen worden ist, die Belastung gerade für Alleinerziehende – eine Gruppe in dieser Gesellschaft, die es besonders schwer hat – zu senken, ist das auf massiven Widerstand der CDU getroffen. Die CDU hat durchgesetzt, dass die Steuersenkung für Alleinerziehende teilweise auf Kosten des Haushalts für Kinder und Familien finanziert werden muss. Um soziale Gerechtigkeit scheint es Ihnen bei dieser Frage nicht zu gehen.

Worum es Ihnen klar geht, das ist Wahlkampftaktik. Deswegen steigen Sie hier jetzt wieder in einen Steuersenkungswettbewerb mit der FDP ein, die in ihrem Entschließungsantrag noch weitergeht. Jetzt, Herr Lindner, hat die FDP sogar wieder zurückgerudert und gesagt, das wäre eine langfristige Idee, hat aber andererseits wieder die Idee ausgepackt,

dass der Manager der Deutschen Bank den gleichen Steuersatz bezahlen soll wie eine Krankenschwester. In diesen Steuersenkungswettbewerb steigt die CDU jetzt ein. Das ist der Abschied von sozialer Gerechtigkeit.

Doch das Allerschlimmste ist – das ist der Grund, warum wir diesen Antrag ablehnen –: Sie reden nicht über Gegenfinanzierung, die insbesondere die Kommunen in Nordrhein-Westfalen trifft. Wenn Sie, Herr Optendrenk, sich hierhin stellen und von den staatlichen Ebenen sprechen, die im Geld schwimmen, dann ist das angesichts der Situation zahlreicher Kommunen in Nordrhein-Westfalen zynisch, weil Sie genau wissen, in welcher Finanzlage diese stecken.

(Beifall von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

Die müssten diese Steuersenkungen, die Sie vorschlagen, mitfinanzieren, und Sie machen keinerlei Vorschlag und geben keinerlei Hinweis, wie das verhindert werden kann.

Herr Kollege, entschuldigen Sie bitte. Würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Optendrenk zulassen?

Aber klar doch.

Bitte schön.

Herr Zimkeit, Sie haben gerade wieder das typische Phänomen des Abgeordneten aufgezeigt, der verallgemeinert. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich gesagt habe, dass über alle staatlichen Ebenen betrachtet die öffentliche Hand im Geld schwimmt, und ich nicht gesagt habe, dass es unter den staatlichen Ebenen fair verteilt ist?

Nach meiner Erinnerung haben Sie gesagt, der Staat würde im Geld schwimmen, und Sie haben nicht nach staatlichen Ebenen differenziert.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Das sieht man, wie schlecht Sie zuhören!)

Selbst wenn Sie das tun, ändert das nichts an dem Phänomen, dass Sie Steuersenkungen fordern, die die nordrhein-westfälischen Kommunen, die es sich nicht leisten können, mitfinanzieren sollen und die Bürgerinnen und Bürger diese Steuersenkungen durch schlechtere Leistungen ihrer Kommunen finanzieren sollen. Weniger Schwimmbäder, weniger Schulsanierung in den Kommunen – das ist doch das Ergebnis der Steuersenkung, die Sie ohne Gegenfinanzierung für die Kommunen vorschlagen. Das ist mit uns nicht zu machen.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Herr Linder, wir sollten vielleicht noch einmal schauen, wem die Steuersenkungen, die Sie noch weitergehender als die CDU vorschlagen, nützen.

Herr Kollege, ich muss Sie noch einmal unterbrechen. Es gibt vonseiten des Herrn Kollegen Schulz von der Piratenfraktion den Wunsch, Ihnen eine Zwischenfrage stellen zu dürfen. – Bitte, Herr Kollege.

Vielen Dank, Herr Kollege Zimkeit, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich möchte mich gern dem anschließen, was die vorangegangene Frage und den Begriff „Allgemeinplätze“ angeht. Wir sprechen heute über die kalte Progression und den Abbau. Dazu hat Ihr Parteivorsitzender Sigmar Gabriel jüngst ausgeführt, dass er sich inzwischen mit Finanzminister

Schäuble darauf verständigen konnte, die kalte Progression schnell abzuschaffen.

Ich möchte dem Ende Ihrer Rede nicht vorgreifen. Aber wäre es möglich, Herr Kollege Zimkeit, dass Sie die Position der SPD Nordrhein-Westfalens hier auch referieren?

Welche Position, Herr Schulz, soll ich hier sonst referieren? Ich spreche nicht für die Bundespolitik, sondern ich spreche für die nordrhein-westfälische SPD. Die nordrheinwestfälische SPD sagt eindeutig: Wenn es Eingriffe ins Steuersystem gibt, die der Bund vornehmen soll, muss es eine Gegenfinanzierung von Kommunen und Ländern geben, damit es nicht einseitig nur die Bürgerinnen und Bürger der benachteiligten Kommunen in Nordrhein-Westfalen trifft.

Das ist die Positionierung der nordrhein

westfälischen SPD, und dazu stehen wir auch gerne.

(Beifall von der SPD)

Dann möchte ich noch einmal fragen: Wem nützt das eigentlich, was Sie in Ihrem Steuersenkungswettbewerb vortragen? – Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt:

„Wer dieses Jahr 30.000 € nach Hause bringt, der wird, gemessen am Vorjahr,“

durch die kalte Progression, darum geht es –

„mit exakt zwei Euro belastet – also mit 17 Cent im Monat.“

Das ist die Dimension, über die wir reden.

(Zuruf von der FDP)

Ja, ich weiß, dass Sie die „Süddeutsche Zeitung“ nicht lesen. Das mag ja sein. Ich würde es Ihnen aber empfehlen.

Aber wer profitiert denn viel stärker als diejenigen, die 30.000 € nach Hause bringen? – Das sind wir als MdL. Aber sozial gerecht wird es dadurch noch nicht.

Wir sagen deshalb Nein zu diesem Antrag, insbesondere vor dem Hintergrund, dass Sie keine Gegenfinanzierung vorschlagen. Das ist etwas, was auch Herr Gabriel in die Diskussion in Berlin einbringt: nicht um jeden Preis, sondern nur, wenn die Kommunen und auch die Länder nicht belastet werden. – Danke schön.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Zimkeit. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Abel.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Manche Texte sind so schön und treffend formuliert, dass man gar nicht mehr versuchen mag, selbst an die Textarbeit zu gehen.

Claus Hulverscheidt hat, ebenfalls in der „Süddeutschen Zeitung“, einen solchen Text geschrieben. Ich finde, er hat eine perfekte Beschreibung der Debatte über die kalte Progression geliefert. Das ist in der Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ vom 8. Mai erschienen. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten:

„Wenn das Getöse, das jemand veranstaltet, tatsächlich Ausdruck realer Größe wäre, dann wäre manch nachtaktive Mücke wahrlich ein Elefant und Lothar Matthäus längst Bundestrainer. Ein bisschen so ist es auch mit der kalten Progression, jenem unseligen Zusammenwirken von geltendem Einkommensteuertarif und Inflation, die sich in den letzten Wochen unter tätiger Mithilfe von Politikern aller Gewichtsklassen zum

scheinbar bedeutendsten Problem der Menschheit aufgepumpt hat.“

Ja, meine Damen und Herren, Claus Hulverscheidt hat so etwas von recht, und trotzdem müsste man dieses Bild noch zuspitzen, um das Schauspiel, das die Opposition in diesem Hohen Hause allein an diesem Plenartag aufführt, wiederzugeben.

Wir haben heute Morgen über die Unterbringung von Flüchtlingen debattiert. Davor haben wir über die Infrastruktur debattiert, über Brücken und Straßen. Ich habe Sie bei allem so verstanden, dass Sie der Landesregierung vorwerfen, dass alle Maßnahmen, die dafür hinterlegt sind, nicht auskömmlich sind. Sie kritisieren, dass wir mehr Geld ausgeben und dass wir die Steuereinnahmen nicht eins

zu eins investieren, um die Nettoneuverschuldung zu senken.

Jetzt reden wir über die Steuereinnahmen, die uns helfen, die steigenden inhaltlichen Anforderungen – Tarifsteigerungen etc. – über die Jahre nachhaltig zu finanzieren, bei gleichzeitiger Senkung der Nettoneuverschuldung. Jetzt wollen Sie auch an diese Basis heran.