Protocol of the Session on March 19, 2015

Milliardensumme beziffert. Das ist die Liga, in der die Kommunen inzwischen spielen müssen, weil nicht zuletzt die Steuerpolitik des Bundes sie genau dorthin getrieben hat.

Vor knapp einem Jahr konstatiert die Kreditanstalt für Wiederaufbau – KfW –: Nach Schätzungen der Kommunen beträgt der Investitionsrückstau inzwischen 128 Milliarden €. Das sind etwa 20 Milliarden mehr als im Vorjahr.

Der Sanierungsstau baut sich also auch noch auf, und jeden Tag gehen gesellschaftliche Werte in Millionenhöhe verloren. Verfallene Infrastrukturen, kaputte Straßen, marode Brücken, bröckelnde Schulen, nicht gewartete Züge und Gleise, baufällige Hochschulen, ungepflegte Grünanlagen usw. kann man überall im Land besichtigen. Von diesem Erbe, dieser Schuld, die wir an unsere Kinder weitergeben, wird nicht erzählt, wenn wir über Schuldenbremsen reden. Das wäre aber Gegenstand einer systemischen ganzheitlichen Betrachtung des Wirkzusammenhangs.

Leidtragende der öffentlichen Sparmaßnahmen ist die Mehrheit der Bevölkerung, also die ganz normalen Menschen, die auf die Leistungen des Staates eher angewiesen sind als Vermögende, die am wenigsten auf staatliche Angebote angewiesen sind und sich über den Markt versorgen können. Die Steuerreformen der letzten beiden Jahrzehnte haben an dieser Misere einen wesentlichen Anteil. Vor allem Vermögende und gutverdienende Unternehmen profitierten und konnten sich so aus der solidarischen Finanzierung eines modernen Staatswesens, eines Gemeinwesens mit angemessener Infrastruktur zurückziehen, und zwar auf Kosten aller anderen.

Allein die Steuerreformen seit 1998 haben bis heute hochgerechnet zu einem Verlust von 470 Milliarden € geführt. Fast die Hälfte davon entfiel auf die Länder und ein Zehntel auf die Gemeinden. Das Land Nordrhein-Westfalen und seine Kommunen mussten also rechnerisch mit Steuermindereinnahmen in Höhe von über 60 Milliarden € leben.

Darüber hinaus entzieht der Bund den Landes- und Kommunalhaushalten fortwährend Geld, indem er Zuweisungen nicht ausreichend dynamisiert, sie also unter Einrechnung der Geldentwertung reduziert. Dass gleichzeitig die von Land und Kommunen zu tragenden Aufwände keineswegs auf einem gegebenen Niveau verharren, sondern im Gegenteil dazu tendieren, überdurchschnittlich stark zu steigen, das ficht in Berlin offensichtlich niemanden an.

Die gesamte Republik hat nicht zuletzt aufgrund der Aussagen im Koalitionsvertrag mit einer Erhöhung, einer stärkeren Dynamisierung und einer langfristigen Sicherung der Entflechtungsmittel gerechnet. Fehlanzeige! Gerade die großen Städte in Nordrhein-Westfalen übernehmen notgedrungen immer häufiger Aufgaben des Bundes.

Seit den Föderalismusreformen sind wichtige Aufgaben neu organisiert. Aufgaben, für die früher der Bund zuständig war, wurden in die Zuständigkeit von Ländern und Kommunen überführt. Häufig machte das inhaltlich wirklich Sinn. Aber die Kosten, die damit ebenfalls überführt wurden, werden nicht oder nur teilweise vom Bund an die Aufgabenträger überwiesen. Wenn es dann doch mal geschieht – ich möchte der Landesregierung wirklich ihr Bemühen nicht in Abrede stellen; es geht hier um Bundespolitik –, dann nur auf Druck und unter Vorbehalt und auch gleich mit großer Geste, sodass die Landesparlamente sich genötigt sehen, ein Kerzchen anzuzünden.

So funktioniert Demokratie aber nicht. In Berlin feiert man sich für die schwarze Null, und im Land verrotten die Städte. Die kommunale Planungshoheit gerät so zu einer demokratischen Hülse ohne Inhalt.

Die Armutsquoten gerade in den großen Städten Nordrhein-Westfalens steigen seit Jahren so stark, dass sie für sich genommen schon nicht hinnehmbar sind. Aber vor dem Hintergrund der heutigen Feierstunde ist dieser Umstand vor allem deshalb zu betonen, weil mit urbaner Armut in besonderer Weise kommunale Kosten einhergehen, die von den Städten gestemmt werden müssen, ohne dass sie in wesentlicher Weise Einfluss auf Ausgaben und Einnahmen haben.

Die meisten kommunal anfallenden Kosten werden durch Vorgaben des Landes und des Bundes veranlasst. Den Kommunen bleibt häufig nur noch die letzte Möglichkeit, an den sogenannten freiwilligen Ausgaben zu sparen, also zum Beispiel am ÖPNV, sodass das Leben in den Städten unattraktiver wird.

Es gibt nur sehr wenige Steuern, die von den Kommunen selbst bestimmt werden können. Eine wichtige Steuer – das wissen wir alle, ich erzähle keine Weisheiten – ist die sogenannte Grundsteuer B, vor der sich kein Bewohner und keine Bewohnerin der Stadt drücken kann, weil alle Menschen in irgendeiner Weise wohnen müssen. Egal ob sie Eigentümer oder Mieter ihrer Häuser oder ihrer Wohnungen sind – immer fällt diese Steuer an.

Natürlich haben die Kommunen in ihrer Not diesen Hebel längst für sich entdeckt. Es sind nicht zuletzt die Haushaltssicherungskommunen, die von ihren Sparkommissaren oder den Regierungspräsidenten gesagt bekommen, dass sie an den freiwilligen Leistungen sparen und die Einnahmen erhöhen sollen, und die in den letzten Jahren eifrig an dieser Steuerschraube gedreht haben.

In einigen Kommunen werden bereits an die 900 Punkte verlangt. Betrug der durchschnittliche Hebesatz im Jahr 2010 noch 444 %, liegt er inzwischen bei 493 %, ein Plus von 11 %. Ein Ende der Steuerspirale ist nicht absehbar.

Der Bund der Steuerzahler in Nordrhein-Westfalen schreibt dazu: So sind es vor allem die sogenannten

Stärkungspaktkommunen, die in diesem Jahr die höchsten Hebesätze haben werden.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: So ist das!)

Von allen Flächenländern hat Nordrhein-Westfalen die höchste Grundsteuer-pro-Kopf-Belastung.

Schon im Jahr 2013 betrug sie über 174 € nach knapp 149 € im Jahre 2010; das ist ein Plus von 17,2 % in nur drei Jahren.

Nach den jüngsten massiven Erhöhungen des Hebesatzes in Verbindung mit galoppierenden Immobilienpreisen dürfte die 200-€-Marke überschritten sei. Ich bin gespannt, was passiert, wenn die Mieterinnen und Mieter ihre Nebenkostenabrechnungen bekommen.

Aufgrund der historischen Entwicklung mit den Mindereinnahmen von Bund und Land – daraus folgen dann notwendige Haushaltsbelastungen – kann gesagt werden: Die Steuervermeidungspolitik des Bundes ist die Grundsteuerhöhung vor Ort. Was der Bund an notwendigen Ausgaben verweigert, um den selbstgestellten Zwängen der Schuldenbremse gerecht zu werden, schlägt vor Ort als zusätzliche Belastung der Menschen in den Städten auf.

Deshalb: Nein, wir applaudieren dem Bund nicht. Wir sind auch nicht dankbar für gönnerhafte Almosen. Für dieses Investitionsplacebo fallen wir nicht vor Ehrfurcht auf die Knie. Und wir sagen nicht Danke für Geld, das uns erst geklaut und dann auf höchstem Druck hin nur teilweise zurückgegeben wird.

(Beifall von den PIRATEN)

Früher konnten die Kommunen ihre Planungshoheit mit der Gestaltung der städtischen Lebenswelten verbinden. Heute müssen sie das Geld für dringendste Instandsetzungen verwenden, damit das gemeinsame Haus nicht einstürzt. Das ist nicht demokratisch. Das ist nicht fair. Das ist nicht zukunftsweisend. Und dafür sagen wir nicht Danke.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Optendrenk.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Körfges, Sie haben eben eigentlich die Begründung dafür genannt, warum es für die Landesregierung richtig gewesen wäre, heute keine Regierungserklärung abzugeben.

(Beifall von der CDU – Hans-Willi Körfges [SPD]: Das war eine Unterrichtung und keine Regierungserklärung!)

Sie haben eben gesagt: Ich warne davor, dass wir uns jetzt zu früh freuen. – Es gibt bisher nur einen

Kabinettentwurf der Bundesregierung, und Sie haben selbst die momentanen Widerstände beschrieben.

Wenn man als Regierung weiß – der Minister hat die Widerstände selbst vorgetragen –, dass es noch ein weiter Weg ist, den wir hier zu gehen haben, damit es zu einem Erfolg kommt, dass wir also eine Abweichung vom Königsteiner Schlüssel bekommen und unsere Kommunen zusätzliche Hilfe erhalten, die sie brauchen, dann ist es bei einer Unterrichtung der Landesregierung fast fahrlässig,

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Haben Sie nicht letzte Woche eine Presseerklärung der CDU gegeben?)

jetzt so damit umzugehen.

(Beifall von der CDU)

Eine Unterrichtung der Landesregierung hätte ich dann erwartet, wenn das Ergebnis klar ist und die Regierung begründen will, wie sie die Maßstäbe in Nordrhein-Westfalen anlegt. Dann wäre deutlich geworden, welche Kommunen in Nordrhein-Westfalen nach welchen Kriterien anschließend die Empfänger sind.

Aber alles, was man jetzt rechnet, Herr Innenminister, alles, was man sich an Kriterien überlegt, alles, was man an Zahlen verkündet, alles, was man heruntergebrochen herausgibt, hat möglicherweise gar keinen Bestand, wenn man sich den Widerstand der anderen Länder oder anderer Gruppen durch eine solche öffentliche Debatte jetzt auch noch ins Haus holt. Insofern empfinde ich das als ausgesprochen fahrlässig. Da ich selbst auch noch Ratsmitglied in einer Stadt bin, sage ich ganz ehrlich: Ich würde mir wünschen, dass Sie nicht schon auf dem falschen Bein hier Hurra geschrieben hätten.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Der Kollege Mostofizadeh hat eben die Frage diskutiert, ob wir uns möglicherweise zu sehr auf die Südländer ausrichten. – Herr Kollege, wenn man darauf hinweist, wie Interessen in anderen Ländern wahrgenommen werden und dass jemand aus einer bayrischen Metropole das sehr laut und deutlich ausspricht, und man das in einen Vergleich setzt zu dem, was hier in Nordrhein-Westfalen an Interessenwahrnehmung geschieht, dann haben Sie aber – das sage ich Ihnen ganz ehrlich – verkannt, dass der Auslöser der Debatte über die Frage, was hier mit Digitalisierung passiert, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg mit einer Regierungserklärung im September des vergangenen Jahres war.

Herr Kretschmann hat dargestellt, wie BadenWürttemberg sich Digitalisierung, Industrie und Staat 4.0 im 21. Jahrhundert vorstellt. Unser Fraktionsvorsitzender hat Ihnen dann bei der Debatte um die dritte Lesung des Haushaltes 2015 vorgehalten,

dass Sie dafür auch im Haushalt 2015 kein Konzept haben. Dann hat die Ministerpräsidentin sich hier hingestellt, eine Regierungserklärung abgegeben und gesagt: Über Weihnachten habe ich mich mal mit Digitalisierung beschäftigt. Das ist ja ganz spannend.

Ich sage Ihnen ganz ehrlich, so erscheint mir auch manches, was ich heute Morgen gehört habe: Das ist ja ganz spannend.

(Beifall von der CDU)

Bei dem, was der Innenminister heute Morgen vorgetragen hat und was von Herrn Körfges und Herrn Mostofizadeh mit jeder Menge Einschränkungen versehen wurde, ist deutlich geworden, dass die Landesregierung alles tut, um Plenardebatten anzuzetteln, die von dem ablenken, was sie selbst nicht leistet.

(Beifall von der CDU)

Sie beantwortet die Frage nicht, wie wir die Finanzprobleme des Landes Nordrhein-Westfalen strukturell lösen.

Das Thema der heutigen Unterrichtung betrifft die Kommunen in Nordrhein-Westfalen, wenn es denn so kommt. Es wäre gut, wenn das, was die Bundesregierung auf den Weg bringt, so kommt. Dann bekommen die Kommunen Hilfen für die Probleme, die bei den sozialen Grundlasten, bei den Investitionen und bei den Sanierungsstaus jetzt zu lösen sind. Das ist völlig richtig. Das enthebt Sie aber nicht der Antwort auf die Frage, wie Sie endlich aus konsumtiven in investive Zukunftsinvestitionen in Nordrhein-Westfalen umsteuern. Da hat Herr Kollege Kuper völlig recht. Diese Antwort geben Sie nicht; die verweigern Sie durch Schweigen.

(Beifall von der CDU)

Deshalb ist das Fazit: Sie haben hier ein bisschen Staub aufgewirbelt. Sie haben vorzeitig auf dem falschen Bein Hurra geschrien. Das hat Ihnen Kollege Körfges auch noch attestiert. Es wäre besser, wenn wir uns anhand von Regierungskonzepten mit der Zukunft dieses Landes beschäftigen würden. Diese Konzepte verweigern Sie aber gezielt, weil Sie sie nicht haben. Deshalb ist es richtig, dass wir uns als Opposition weiter darauf konzentrieren, diese Zukunftskonzepte zu erarbeiten; denn 2017 ist Ihr Weg zu Ende. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Optendrenk. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Hübner.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Optendrenk, ich möchte mit Letzterem beginnen. Wer kommunalpolitisch seine Zukunft hinter sich gelassen hat, sollte in der