Deshalb werden wir hier nicht zustimmen. Wir bieten mit unserem Entschließungsantrag eine Alternative. – Danke schön.
Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann. – Für die Landesregierung hat jetzt Herr Minister Jäger das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde, dass die Überschrift in dem Antrag der regierungstragenden Fraktion sehr präzise, sehr prägnant, sehr zutreffend formuliert ist. Salafismusprävention ist eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft.
Herr Kruse, es tut mir leid. Neben der Frage, wie Sie vorhin den Islam definiert haben, ist Ihre Definition dessen, was staatliche Aufgabe und was gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist – wenn ich es diplomatisch formulieren will –, lückenhaft.
Man kann doch einen solchen Antrag nicht ablehnen, weil dort steht, wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Prävention.
Repression ist das Instrument des Rechtsstaats, und nur des Rechtsstaats. Dazu braucht man kein gesamtgesellschaftliches Konzept. Aber Extremismusprävention, Herr Kruse, ist nicht die alleinige Aufgabe von Sicherheitsbehörden. Das muss eine gemeinsame Aufgabe in der Gesellschaft sein,
von Zivilgesellschaft, von Politik, von Parteien und von Regierung. Dass sozusagen wegzuwischen nach dem Motto, man könne nicht zustimmen, weil uns die Repression als gesamtgesellschaftliches Modell fehlt, Herr Kruse, da waren wir in der sicherheitspolitischen Debatte in diesem Land schon einmal ein bisschen weiter.
Meine Damen und Herren, wir wollen ein ganzheitliches Konzept. Wir dürfen uns nicht auf das Vorgehen von Sicherheitsbehörden, also von Polizei und Verfassungsschutz, beschränken.
Das tun wir in Nordrhein-Westfalen auch nicht. Wir haben unterschiedliche Projekte, die gut funktionieren. Die ersten Projekte zeigen Wirkung, Projekte, die teilweise in anderen Ressorts der Landesregierung etatisiert sind, die von dort ausgehen oder von ihnen gefördert werden – in der Mitte unserer Gesellschaft.
Herr Minister Jäger, Entschuldigung. Herr Kollege Kruse würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Vielen Dank für die Möglichkeit der Zwischenfrage, Herr Minister. – Selbst wenn Ihre Definition exakt zutrifft: Wie bewerten Sie denn die Tatsache, dass in nordrhein-westfälischen Gefängnissen die muslimische Betreuung nahezu ausschließlich nicht in deutscher Sprache erfolgt?
Herr Kruse, Entschuldigung, aber das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Ihr Argument, warum Sie diesen Antrag ablehnen, war, dass da steht: Salafismusprävention. Sie sagten, Ihnen würde ein Gesamtkonzept der Repression fehlen. – So habe zumindest ich Ihren Wortbeitrag hier verstanden. Darauf habe ich abgehoben: dass Repression niemals eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, sondern das Instrumentarium eines
Rechtsstaates ist und nur dem Staat vorbehalten bleibt, dagegen aber eine wirkungsvolle Extremismusprävention nicht funktionieren kann, wenn nur der Staat sich darum kümmert oder – noch eingeengter – nur die Sicherheitsbehörden.
Das muss gemeinsam in der Mitte der Gesellschaft geleistet werden. – Ich bin jetzt intellektuell überfordert, Ihre Zwischenfrage zu diesem Beitrag einzuordnen. Tut mir leid!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben auch schon wichtige Beiträge aus der Zivilgesellschaft. Wir haben Beiträge von muslimischen Verbänden, von Moscheevereinen und von anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen. Darauf will ich gleich noch näher eingehen. Bevor ich das tue, will ich aber versuchen, aus meiner Sicht kurz die Problemlage zu beschreiben.
Wir haben es beim Salafismus mit der am schnellsten wachsenden und dynamischsten extremistischen Bewegung in Deutschland zu tun. Um es präzise auszudrücken: nicht nur in Deutschland, sondern in Europa. Diese Bewegung hat insbesondere über den Zulauf von jungen Menschen, jungen Erwachsenen einen fast jugendkulturähnlichen Charakter. Diese Bewegung wächst sehr dynamisch. Sie stellt eine Bedrohung dar, weil viele des dschihadistischen und politischen Salafismus Gewalt zur Durchsetzung der eigenen Ziele akzeptieren oder sogar bereit sind, sie selbst anzuwenden.
Wir haben darauf reagiert. Das ist hier auch angesprochen worden: gestern Morgen in der ersten Lesung dieses Nachtragshaushalts, gestern Abend in der gemeinsamen Ausschusssitzung von Haushalts- und Finanzausschuss und Innenausschuss – morgen, hoffe ich, bei der zweiten und dritten Lesung zu diesem Nachtragshaushalt. Ich danke den Fraktionen ausdrücklich, dass wir im Rahmen der Repression, Herr Kruse, so schnelle, so kurze und so einmütige Verfahren gemeinsam hier im Parlament entwickelt haben.
Meine Damen und Herren, der starke Zulauf und die zunehmende Radikalisierung der salafistischen Szene werden begünstigt durch den Bürgerkrieg, den angeblichen Dschihad, in Syrien und im Nordirak. Das macht diese Szene noch attraktiver, für die unmittelbare Teilnahme an diesen kriegerischen Auseinandersetzungen zu werben, sich sozusagen aktiv daran beteiligen zu können.
Dadurch, dass sich die Salafisten auf den Islam berufen, erzeugen sie den falschen Eindruck, der Islam sei eine Rechtfertigung für Hass, Gewalt und Tod.
Herr Kruse, dieser Irrglaube spielt wiederum denjenigen in die Hände, die eine scheinbare Islamisierung des Abendlandes propagieren. Das spielt ihnen in die Hände.
Es ist wichtig, dass wir an dieser Stelle den politischen und dschihadistischen Salafismus klar und deutlich vom Islam abgrenzen.
Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun. In Deutschland leben vermutlich 7.000 Salafisten – bei 4 Millionen Muslimen, die alle friedlich mit uns zusammenleben wollen.
Was mir auch wichtig ist: Nach den Anschlägen gerade in Paris und Kopenhagen ist es ein wichtiges Zeichen in die salafistische Szene hinein, dass muslimische Persönlichkeiten, dass muslimische Verbände selbst deutlichst klargestellt haben: Solche Taten, die da geschehen sind, sind kein Akt des Glaubens. Sie können mit keiner Religion dieser Welt gerechtfertigt werden. Das Ermorden von Menschen – in wessen Namen auch immer – ist nichts anderes als ein Ausdruck absoluter Selbstgerechtigkeit und Grausamkeit und hat nicht das Geringste mit Menschlichkeit zu tun.
Wegen der Attraktivität dieser Szene, wegen der rückwärtsgewandten Islaminterpretation, wegen der Gefährlichkeit, der Brutalität und der Gewaltorientierung dieser Szene müssen wir deutlich mehr bei den präventiven Maßnahmen ansetzen, weil Repression alleine nichts nützt. Strafverfolgung muss konsequent stattfinden, Strafverfolgung im weitesten Sinne. Aber wir müssen versuchen, dieser Szene den Zulauf abzugraben. Das geht nur dann, wenn es uns gelingt, junge Menschen, die in diese Szene abzurutschen drohen, aufzufangen und aufzurichten – im wahrsten Sinne des Wortes.
Deshalb müssen wir das, was wir an präventiven Maßnahmen haben, ausbauen, verbessern, modifizieren da, wo es erforderlich ist, aber vor allem vernetzen und koordinieren. Vieles davon findet in der Zivilgesellschaft in Nordrhein-Westfalen, in Deutschland statt. Vieles davon macht der Staat, macht die nordrhein-westfälische Landesregierung, machen viele Kommunen. Das gilt es zu bündeln, möglicherweise noch besser zu machen.
Mein Haus hat bereits Anfang Dezember in einem Expertenkreis die Frage diskutiert: Wie kann eine sinnvolle, eine noch bessere Prävention zum Salafismus stattfinden?
Herr Stamp, Sie werden es nicht glauben, Sie wollen es wahrscheinlich nicht wirklich hören, aber dieser Expertenkreis hat Nordrhein-Westfalen gelobt, dass wir ein Stück weiter sind als alle anderen – aber längst noch nicht da sind, wo wir hinkommen müssen. Dieser Teilnehmerkreis, der aus Wissenschaftlern bestand, aus Menschen, die in der Praxis tätig sind, aus Vertretern der Fachressorts der Landesregierung, hat bestätigt: Wir müssen dort, wo wir in Nordrhein-Westfalen jetzt stehen, das Ganze weiter ausbauen, noch besser werden, noch mehr vernetzen.
Ich will nur einige wenige Beispiele dessen nennen, was wir vonseiten der Landesregierung bereits tun.
Da gibt es die Landeszentrale für politische Bildung, die unter anderen im Rahmen einer Fortbildungsreihe Imame zu Demokratiebotschaftern ausbildet.
Da gibt es das MAIS, das das Dialogforum Islam organisiert als Basis gegenseitigen Austauschs zwischen Landesregierung, muslimischen Verbänden und Vertretern.
Aber es ist ganz eindeutig sinnvoll, diese und alle weiteren Maßnahmen, die man sich dabei denken kann, auch zu vernetzen und zu einem abgestimmten Gesamtkonzept zu bringen. Das ist der Inhalt des Antrags von SPD und Grünen, den die Landesregierung und ich persönlich sehr begrüßen, meine Damen und Herren.
Es soll darum gehen, alles, was wir bisher tun, nicht nur bloß zusammenzufassen, sondern die Fragen in den Vordergrund zu stellen: Wie funktioniert das, was wir haben? Was ist dort gut? Was muss modifiziert werden? Was müssen wir weiter ausbauen?
Ich denke an einige Beispiele, die hier schon genannt worden sind. Aber klar ist: Der Bildungsbereich hat dabei eine Schlüsselrolle. Wir wissen bisher, dass Jugendliche und junge Erwachsene für die Ideologie der Salafisten besonders empfänglich sind, wenn sie selbst Versagenserfahrungen gemacht haben, wenn sie nach Orientierung und Werten suchen, diese in ihrem sozialen Umfeld nicht finden und dann auf eine Ideologie treffen, die sagt: Tauch ganz ein, nimm sie ganz an, und alle komplizierten Fragen des Lebens werden dir beantwortet.
Diese salafistische Szene wirbt auch damit: Bei uns bist du wer. Wir erkennen dich so an, wie du bist. – Das macht die Attraktivität aus. Das macht auch die Gefährlichkeit aus.
Dieses Wissen müssen wir zu den Multiplikatoren in unserer Gesellschaft bringen, zu Lehrerinnen und Lehrern, die analysieren können, warum sich ein junger Mann verändert – manchmal auch eine junge Frau. Was ist der Hintergrund seiner Ideologie? Wie
kann man dem begegnen? Wie erkenne ich die Gefahren, die daraus hervorgehen? Wie kann ich in der Bildung demokratische Werte vermitteln?
Wichtige Erfahrungen hat auch unsere Netzwerkarbeit eingebracht, insbesondere das Projekt „Wegweiser“. Wir haben eine hohe Nachfrage an allen Pilotstandorten. Dieses Projekt wird in hohem Maße angenommen. Das Konzept von „Wegweiser“ ist ganz klar. Weil die Gründe für das Abtauchen in eine solche salafistische Szene immer individuell sind, müssen auch die Hilfen, die wir zur Verfügung stellen, entsprechend individuell sein.