Protocol of the Session on January 30, 2015

Dass der sonst eher zurückhaltende Richterbund derart eindeutig Stellung zu einer Frage der inneren Sicherheit bezieht, ist außergewöhnlich und macht vor allem eines deutlich: Die Behauptung, Vorratsdatenspeicherung sei ein verbotener Grundrechtseingriff, ist schlichtweg Unsinn. Sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch der Europäische Gerichtshof haben unmissverständlich klargestellt, dass die Vorratsdatenspeicherung ein legitimes Mittel ist, um schwere Kriminalität zu bekämpfen. Da beide Gerichte in ihren Urteilen zudem beschrieben haben, unter welchen Bedingungen Vorratsdatenspeicherung betrieben werden darf, liegt die Blaupause für eine verfassungskonforme Neuregelung bereits auf dem Tisch.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Ich bin mir sicher, dass das Bundesjustizministerium in der Lage ist, einen Gesetzentwurf zu erarbeiten, der diesen Vorgaben genügt – auch unter Heiko Maas.

Wie fatal sich die fehlende Möglichkeit zur Vorratsdatenspeicherung bei uns in Nordrhein-Westfalen mittlerweile auswirkt, hat die Gewerkschaft der Polizei bereits vor einem Jahr mit erschreckenden Zahlen belegt.

Laut Pressemitteilung der GdP vom 9. Januar 2014 konnten in den Jahren 2011 bis 2013 bei insgesamt 348 Strafverfahren, die im Bereich der Internetkriminalität eingeleitet wurden, die Täter mangels Vorratsdatenspeicherung nicht ermittelt werden. Noch schlimmer: Im Bereich der Kinderpornografie ist von rund 1.000 Verfahren etwa jedes vierte erfolglos geblieben, weil die Ermittler nicht auf Verbindungsdaten der Verdächtigen zugreifen durften.

Meine Damen und Herren, das ist besonders schlimm und schändlich, ein unerträglicher Zustand, der das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unseren Rechtsstaat schwer beschädigt.

Wie der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, am 14. Januar 2015 im ZDF erklärte, stellt die Vorratsdatenspeicherung auch im Anti-TerrorKampf einen wichtigen Baustein dar. Weil Terroranschläge häufig nicht isoliert kämen, sondern als Serie, könnten die Behörden durch eine entsprechende Möglichkeit des Zugriffs auf Kommunikationsdaten sehr schnell mögliche Mittäter ausfindig machen und dadurch weitere Anschläge verhindern.

Bei aller berechtigten Sorge um Aspekte des Datenschutzes sage ich deshalb: Wir dürfen das legitime Ziel der wirksamen Aufklärung und Verhinderung von Straftaten nicht aus den Augen verlieren. Wer will, dass sich der Staat hier ausklinkt, der verabschiedet sich auch von seiner Verantwortung für die Sicherheit der Menschen in unserem Land.

(Beifall von der CDU – Zuruf von den PIRATEN)

Ich freue mich deshalb, dass die Forderung von CDU und CSU nach einer Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung inzwischen nicht nur von den SPD-Innenministern der Länder, sondern auch vom SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel geteilt wird.

Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger ist ja bekanntlich ohnehin ein großer Befürworter dieses Instruments und hat in der Vergangenheit schon die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger für ihr Nein zur Vorratsdatenspeicherung mehrfach scharf kritisiert. Ich darf dazu Herrn Innenminister Jäger aus der „Bild“Zeitung vom 26. März 2012 zitieren,

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Aus der „Bild“- Zeitung, großartig!)

gegenüber der er sagte, Frau LeutheusserSchnarrenbergers Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung sei – Zitat – „mit gesundem Menschenverstand nicht mehr zu erklären“. Sie bewege sich damit – Zitat – „nahe an Strafvereitelung“, so Minister Jäger am 18. Mai 2013 auf „focus.de“ –, und agiere – weiteres Zitat von Minister Jäger, und zwar aus der „Westdeutschen Zeitung“ vom 26. Juni 2012 – „aus parteipolitischem Kalkül, anstatt sich für die In

teressen der Opfer von Kinderpornografie und sexuellem Missbrauch einzusetzen.“

Lieber Herr Minister Jäger, wenn Sie heute hier wären – der Platz ist leer, wie ich sehe; das Thema scheint ja nicht so wichtig zu sein, oder es ist gerade unangenehm, weil Sie von Ihrer eigenen Fraktion überstimmt werden –, dann könnten Sie dazu Stellung nehmen.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Er kann ruhig wegbleiben! Ich kann es gut verstehen!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPDFraktion, ich will sehr hoffen, dass diese Sätze nach der heutigen Debatte nicht mehr über Herrn Jäger aussagen als über Frau Leutheusser-Schnarrenberger. Deshalb gehe ich davon aus, dass Sie Ihren Innenminister in seinem Anliegen unterstützen und dem vorliegenden CDU-Antrag für eine verfassungskonforme Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung zustimmen werden – im Interesse der Sicherheit und der Menschen in Nordrhein

Westfalen. – Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU – Zuruf: Herr Kollege Orth, können Sie nicht tauschen: Sie bleiben hier und die anderen gehen? Entschuldi- gung! – Heiterkeit)

Vielen Dank, Herr Kollege Golland. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Wolf.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Orth, lieber Robert, ich möchte mich an der Stelle noch mal ganz herzlich für die sehr angemessenen Worte von dir bedanken und auch dafür, dass du dazu beigetragen hast, dass das hier beinahe eine sachliche Debatte geworden wäre. Vielleicht wird sie das ja auch noch.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD, den GRÜNEN, der FDP und den PIRATEN)

Lieber Kollege Golland, wenn wir hier über Vorratsdatenspeicherung diskutieren, dann müssen wir das – das haben Sie ein bisschen versucht – vor dem Hintergrund der zwei entscheidenden Urteile aus Luxemburg und aus Karlsruhe tun. Wir müssen uns jedes Mal, wenn wir als Politik in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eingreifen, drei relativ einfache Fragen stellen: Ist das Gesetz geeignet? Ist es erforderlich? Ist es angemessen? Nur unter dieser Voraussetzung – das haben die beiden Urteile sehr deutlich gesagt – ist es verfassungskonform, ein solches Gesetz auf den Weg zu bringen.

Sie haben gesagt: Grundsätzlich stellen die Gerichte in Luxemburg und Karlsruhe die Speicherung von Daten als ein geeignetes Mittel dar. – Aber man muss dann sehr differenziert über Maß und Umfang

der Speicherung, über den Anlass, die Dauer und über den Zugang zu diesen Daten sehr differenziert diskutieren. Das habe ich in Ihrem Redebeitrag vollkommen vermisst.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Warum diskutieren wir das so ausführlich? Weil wir alle das Recht haben, dass wir nicht ständig mit einem Gefühl der Überwachung leben müssen, genauso wie wir aber auch alle gemeinsam das Recht haben, dass uns der Staat vor Anschlägen von Terroristen und Kriminellen schützt. Beides gehört zusammen.

Sie merken, es ist eine hoch sensible Debatte, die wir hier führen: zwischen politischen Forderungen und verfassungsrechtlichen Schranken. Da gibt es nun mal kein Schwarz oder Weiß. Die Anträge, die die CDU und auch die FDP hier vorgelegt haben, beleuchten aber immer nur eine der beiden Seiten. Ich will das mal so sagen: Sie haben, glaube ich, Glück, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP und der CDU, dass der Wähler Ihnen nur noch sehr selten eine Zusammenarbeit in einer Koalition aufbürdet.

(Heiterkeit von der SPD – Unruhe von der CDU und der FDP)

Ich glaube, die Position, die die SPD hier vertritt, ist deutlich differenzierter.

(Zuruf von der FDP: Welche ist das denn?)

Der Bundesjustizminister hat auch nach den Anschlägen in Paris sehr deutlich gesagt, dass wir zu einer sachlichen Debatte zurückkehren müssen. Er hat auch gesagt, dass er derzeit eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung ablehnt. Das ist überhaupt kein Widerspruch zu dem, was der SPDBundesvorsitzende gesagt hat. Auch er hat in dieser aufgeheizten Debatte zur Besonnenheit gemahnt und insbesondere daran erinnert, dass es die SPD auf Bundesebene war, die davor gewarnt hat, dass das, was man auf Bundesebene beschlossen hat, vor dem Bundesverfassungsgericht nicht halten wird. Er hat auch noch mal sehr deutlich gesagt: Wenn wir in dieser Frage eine Lösung suchen, dann kann es nur eine gemeinsame europäische Lösung geben.

Wenn wir alle gemeinsam – das entnehme ich der Debatte, die wir gerade im Rahmen der Aktuellen Stunde hier geführt haben – der Auffassung sind, dass sich die Sicherheitslage durch das, was in Paris passiert ist, verändert hat, dann müssen wir darauf gegebenenfalls reagieren.

(Christian Lindner [FDP]: Aber die Verfas- sungslage hat sich nicht geändert!)

Wie darauf zu reagieren ist, Herr Kollege Lindner, das hat der Innenminister ja gerade sehr deutlich gesagt. Er hat das Projekt „Wegweiser“ erwähnt. Er hat die zusätzlichen Stellen für Polizeibeamte er

wähnt. Er hat die zusätzlichen Ressourcen für den Verfassungsschutz erwähnt.

Auch auf Bundesebene wird aktuell über Lösungen diskutiert. Da gibt es eine Diskussion über den Entzug von Personalausweisen, über weitere Straftatbestände, zum Beispiel was die Finanzierung von Terroristen betrifft.

Es geht um deutlich mehr als um die Vorratsdatenspeicherung. Die gab es in Frankreich, und dieses Instrument hat da ja scheinbar nicht funktioniert.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Mi- chele Marsching [PIRATEN]: So sieht es lei- der aus!)

Deswegen bedarf es auch vor dem Hintergrund der tragischen Ereignisse in Paris dieser Anträge nicht. Wir werden sie daher ablehnen.

Wir als SPD brauchen keinen Nachhilfeunterricht, was Bürgerrechte angeht. Wir haben – um bei den Worten des Herrn Kollegen Orth zu bleiben – unseren eigenen Kompass. Den haben wir seit mehr als 150 Jahren. Unsere Grundwerte sind Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität, und zwar im Einklang und nicht isoliert. Es geht, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht um Freiheit oder Sicherheit, sondern es geht um Freiheit und Sicherheit. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Wolf. – Für die Fraktion der Grünen spricht Frau Kollegin Hanses.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für uns Grüne ist überhaupt nicht nachvollziehbar, dass nach den schrecklichen Attentaten in Paris jetzt hier in Deutschland ernsthaft die Vorratsdatenspeicherung diskutiert wird. Dieser Reflex, nach Angriffen auf die Freiheit mit weniger Freiheit zu reagieren, bleibt grundfalsch.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir dürfen Terroristen nicht unsere Grundrechte opfern. Es ist maßlos, es ist unverhältnismäßig, die Grundrechte von 82 Millionen Menschen der Überwachung von einigen wenigen Kriminellen zu opfern. Die Vorratsdatenspeicherung greift in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein, egal, wie lange sie dauert.

Wir Grüne lehnen schon immer anlasslose Totalüberwachung von Bürgerinnen und Bürgern ab. Für uns stellt die Vorratsdatenspeicherung einen massiven Eingriff dar, der mit unseren Vorstellungen von einer freien Gesellschaft nicht vereinbar ist. Die gesamte Bevölkerung unter Generalverdacht zu stellen ist schlicht inakzeptabel.

Die Speicherung aller Verbindungsdaten würde Bürgerinnen und Bürger in fast allen Lebensbereichen durchsichtig machen. Soziale Kontakte würden dokumentiert, Bewegungen wären genau nachweisbar, persönliche Problemsituationen erkennbar, geschäftliche und private Kommunikation wäre nicht länger vertraulich.

Wenn wir das einmal für Berufsgruppen durchdenken: Bei Seelsorgerinnen und Seelsorgern, Ärztinnen und Ärzten, Abgeordneten, Journalistinnen und Journalisten oder auch bei der Anwaltschaft würde das einen unnötigen Vertrauensverlust für Patientinnen, für Bürgerinnen, für Mandantinnen und für Informantinnen und Informanten bedeuten. Das können wir nicht zulassen.

Frau Kollegin, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Golland zulassen, der auf dem Platz von Herrn Lienenkämper sitzt?

Sehr gerne.