Auch der ökologische Umbau der Industriegesellschaft, ebenfalls ein Ausweis des Fortschritts, wurde erst durch die neuen sozialen Bewegungen der 1970er-Jahre zu einem Meta- und Megathema von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Also, technische Innovationen waren in der Vergangenheit oft Initialzündungen für gesellschaftliche Innovation.
Und doch sind technologischer Fortschritt und gesellschaftlicher Fortschritt, Herr Kollege Laschet, nicht dasselbe. Den technologischen Wandel aufzuhalten, ist noch nie gelungen, wird auch nicht gelingen. Die Digitalisierung unserer Wirtschaft, unserer Arbeitswelt und unseres Zusammenlebens – das ist vorhin beispielhaft deutlich geworden – ist längst eingetreten. Die Frage des Ja oder Nein stellt sich also gar nicht, die Frage nach dem Wie aber sehr wohl.
Wir müssen, meine Damen und Herren, die Digitalisierung nicht über uns ergehen lassen. Wir können sie gestalten, wir wollen sie gestalten. Die Digitalisierung unserer Ökonomie führt zu immensen Produktivitätssteigerungen. Manche Schätzungen ge
Und diese Produktivitätssteigerungen beruhen vor allem auf der Vernetzung sogenannter intelligenter Maschinen. Die Maschine bestellt sich selbst den gerade geforderten Typ eines Rohlings und tauscht sich selbstständig mit anderen Maschinen oder Lagersystemen über verfügbare Kapazitäten aus. Der Rohling wiederum sagt der Maschine, wie er bearbeitet werden will. Das Endprodukt sendet kontinuierlich Daten über seine Verwendung an seinen Hersteller zurück, damit dieser das Produkt kontinuierlich anpassen und verbessern kann.
Die intelligente Fabrik verbindet schließlich die Effizienz der Massenproduktion mit der Qualität einer individuellen Maßanfertigung. Das ist revolutionär. Dabei ist nicht einmal sicher, ob eine Fabrik in jedem Fall noch gebraucht wird. Denn der 3D-Druck macht oft eine physische Lieferung überflüssig. Es reicht, eine über das Netz bereitgestellte Druckanleitung samt Betriebs- und Wartungssoftware bzw. softwaregesteuerte Betriebs- und Wartungsdienstleistungen zu verwenden.
Handwerker, meine Damen und Herren, müssen Ersatzteile nicht mehr bestellen, sondern können Produktionsanleitungen aus dem Internet bestellen und durch ihren 3D-Drucker selbst herstellen. Auf ihren Datenbrillen erhalten Sie zudem die visualisierten Einbauanleitungen. Auf Internetplattformen vernetzen sich verschiedene Software- und Hardwareanbieter, Produktions- und Dienstleistungsanbieter
um Wissen und Kapazitäten zu bündeln und um ihren Kunden maßgeschneiderte Produkte anbieten zu können.
Gerade kleine und mittlere Unternehmen können so ihren Vertrieb auf die ganze Welt ausweiten. Produkte werden aber immer seltener gekauft. Ihre Nutzung wird über Internetplattformen als Dienstleistung nachgefragt und bezahlt.
Kurzum: Das Internet der Dinge und der 3D-Druck bringen neue Geschäftsmodelle hervor; neue Zulieferer- und Dienstleistungssektoren entstehen. Die Grenzen zwischen der virtuellen und der realen Welt verschwimmen genauso wie die Grenzen zwischen dem Industriesektor und dem Dienstleistungssektor. Es ist noch nicht alles Realität, aber es ist auch keine Utopie mehr.
Allerdings verraten uns doch diese Beispiele noch überhaupt nichts über ihre Folgen und Nebenwirkungen für den Arbeitsmarkt, für die Sozialpolitik, für
die Bürgerrechte. Eigentlich hätten, meine Damen und Herren, die Hunderte von Weltmarktführern im produzierenden Gewerbe aus Nordrhein-Westfalen eine ausgezeichnete Ausgangsposition, um die Ära der digitalen Ökonomie zu ihrer eigenen Ära zu machen. Doch ausgerechnet die deutschen Unternehmen zögern, wenn es um die Erschließung der neuen Technologien, der „Industrie 4.0“ geht.
Zum einen – darauf hat die Ministerpräsidentin hingewiesen, und wir werden mit den Programmen, von denen sie gesprochen hat, die Antworten darauf geben – fehlt kleinen und mittleren Unternehmen noch zu oft das Wissen um die Potenziale des Internets der Dinge. Selbst wenn es vorhanden ist, fehlt oft der Zugang zu diesen Technologien. Hier schlummert das Potenzial. Die aktuelle PrognosStudie, die ansonsten eindrucksvoll die Stärken und Chancen unseres Landes belegt, weist doch nach: Bei 70 % der kleinen und mittleren Unternehmen spielt die Digitalisierung derzeit nur eine geringe Rolle. – Das muss sich ändern.
Zum anderen mangelt es an Datensicherheit. Auch darauf hat die Ministerpräsidentin hingewiesen. Aber Daten, ihr Austausch, ihre Erhebung und Verarbeitung, entscheiden heute mehr denn je über wirtschaftlichen Erfolg. Sie sollten das nicht kleinreden, was hier Nordrhein-Westfalen entstanden ist – in Aachen, in Bochum – und was wir weiterentwickeln werden.
Das sind unsere Vorsprünge, von denen auch heute in den Zeitungen berichtet wird. Also, Big Data, die Verwertung großer Datenmengen, ist das Rückgrat aller neuen Geschäftsmodelle und treibt die Entwicklung jener Technologien und Produkte voran, die unser Leben verbessern und gesellschaftlichen Fortschritt versprechen können. Aber dieses Versprechen wird nur dann eingelöst werden können, wenn Daten nicht nur erhoben und ausgewertet, sondern auch geschützt werden.
Die Aufgabe einer modernen Wirtschafts- und Technologiepolitik hat die Ministerpräsidentin auf den Punkt gebracht: Sie besteht erstens darin, unseren kleinen und mittleren Unternehmen Zugang zu den neuen Technologien zu verschaffen, zweitens, ihre Innovationsfähigkeiten zu stärken, und drittens, die Entwicklung einer effektiven Datensicherheitstechnologie zu fördern, die alle Unternehmen nutzen und anbieten können, nicht nur die Big Player in dieser Szene.
Aus diesem Grund bringt unsere Koalition eine neue Mittelstandsinitiative zur Forschungsförderung auf den Weg, die Wirtschaft und Wissenschaft noch besser miteinander vernetzen wird. Vor allem werden wir die Lücken im Förderangebot von Bund und EU durch gezielte Maßnahmen der Landesförderung schließen. Diese Lücke besteht doch in der
Übertragung von Erkenntnissen aus der Grundlagenforschung auf die konkrete Produktentwicklung, also der Förderung einer anwendungsorientierten Forschung. Wir wollen, dass die Hochschulen und das Land stärker von Patenten und Patentfamilien profitieren. Das ist Zukunftsmusik, meine Damen und Herren.
Vor allem wollen wir aber, dass diese Patente in Kooperation mit der nordrhein-westfälischen Wirtschaft genutzt werden, dass hier entwickelt und produziert wird, dass die Wertschöpfung bei uns im Land bleibt und nicht außerhalb von Deutschland, von Europa genutzt werden kann.
Also, der Gegenstand der staatlichen Forschungsförderung werden in Zukunft noch mehr als bisher die Datensicherheit und der Datenschutz sein. Wenn unsere Unternehmen ihre Innovationen im Internet der Dinge nicht schützen können, werden sie nicht investieren und ihre Wachstumschancen nicht nutzen können; denn die Zwillingsschwester der Datensicherheit ist doch der Datenschutz.
Viele Investitionen der digitalen Ökonomie beruhen auf der mehr oder minder freiwilligen Zuarbeit der Konsumenten, also auf der Auswertung des Nutzungsverhaltens von intelligent vernetzten Maschinen und Produkten. Aber die digitale Welt wird nicht intelligent, wenn sich die Menschen der Auswertung ihrer Daten verweigern, vielleicht sogar aus guten Gründen verweigern.
Wenn zum Beispiel der anfallende Müll digital erfasst und ausgewertet wird, dann kann das die Effizienz der Müllentsorgung steigern und dem Umweltschutz dienen. Wenn aber der anfallende Müll einem Menschen individuell zugeordnet werden kann, wie hoch ist dann das Risiko, meine Damen und Herren, dass eine Kranken- oder Lebensversicherung von zu vielen Cola-Dosen oder Schokoladenverpackungen erfährt, die für sie Grund genug sein könnten, die Beiträge zu erhöhen?
Was wir also für das Zeitalter der digitalen Ökonomie und des Internets der Dinge brauchen, sind Technologien, die wie Sicherheitsscanner am Flughafen funktionieren: Sie erfassen Daten von Menschen und ihrem Verhalten, aber sie entblößen die Menschen nicht.
Um den Zukunftsmarkt Datenschutz und Datensicherheit zu erschließen, haben wir also in Nordrhein-Westfalen eine hervorragende Ausgangsposition; das wird heute überall beschrieben. Die Ministerpräsidentin hat darauf hingewiesen. Diesen Vorsprung, meine Damen und Herren, wollen wir nutzen und noch weiter ausbauen. Das ist der Grund, warum auch diese Regierungserklärung eine so beeindruckende gewesen ist.
Ja, die Digitalisierung der Gesellschaft verlangt mehr als neue Technologien. Sie verlangt Datenmündigkeit, auch Risikomündigkeit eines jeden Menschen. Unsere Schulen müssen Kindern und Jugendlichen nicht beibringen, wie man eine App bedient. Das finden sie selbst heraus. Aber die Kinder und Jugendlichen müssen wissen, wie eine App funktioniert, was mit ihren Daten passieren kann und wie sie verantwortungsvoll mit ihren Daten umgehen können. Je mehr wir in die Daten- und Risikomündigkeit investieren, desto besser werden wir als Bürgerinnen und Bürger die Vor- und Nachteile von Geschäftsmodellen für uns und andere bewerten können. Das sind gut angelegte Investitionen in die Zukunft, meine Damen und Herren, und davon brauchen wir mehr und nicht weniger.
Ich bin davon überzeugt – Herr Kollege Laschet hat auf das Wegbrechen von vielen Berufen hingewiesen –, dass die intelligente Fabrik, das Internet der Dinge keine menschenleere Fabrik sein wird. Zudem entstehen ja mit neuen Geschäftsmodellen, Dienstleistungs- und Zulieferersektoren auch neue Arbeitsplätze.
Aber natürlich wird die Digitalisierung die Arbeitswelt und den Arbeitsmarkt verändern. Einfache standardisierte Tätigkeiten, auch solche der Kontrolle und Logistik, wird es immer weniger geben. Das ist aber keine neue Entwicklung.
Das Neue wird sein – darauf sind viele noch nicht eingestellt –, dass auch Planungs- und Managementbereiche durch die Einführung von „Industrie4.0“-Systemen genauso betroffen sein werden wie operative Tätigkeiten in der Produktion.
Aber die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden in der digitalen Fabrik nicht verschwinden. Sie werden für neue Tätigkeiten gebraucht. Arbeitsorganisation wird dezentraler. Die Aufgaben der Beschäftigten werden komplexer, auch anspruchsvoller. Das stellt ganz neue, ganz andere Anforderungen an ihre Qualifikationen.
Die Ersten im Übrigen, die das gesehen und erkannt haben, waren die Gewerkschaften, die IG Metall vorne weg.
Wenn Sie dann an unserer Seite sind, würde ich mich freuen, dass wir das dann gemeinsam machen können.
Das ist neu, dass Sie nichts gesagt haben. – Denn die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden, meine Damen und Herren, als Entscheider und Problemlöser gefragt sein, weil die digitale Produktion alles andere als störungsresistent ist.
Auch soziale Kompetenzen erlangen im Übrigen einen höheren Stellenwert. Reden Sie mal mit der IG Metall. Dann werden Sie erleben, was die Ihnen schon alles mit auf den Weg geben können. Denn mit der Verzahnung einstmals getrennter Abteilungen und Aufgaben wird der Bedarf an zwischenmenschlicher Kommunikation zunehmen. Ja, entgegen vieler Befürchtungen wird klar: Mehr zwischenmenschliche Kommunikation ist in der digitalen Fabrik gefragt, nicht weniger. Technik und Arbeitsgestaltung müssen zusammen gedacht und zusammengebracht werden. Der IG Metall-Vorsitzende Detlef Wetzel hat doch recht mit seiner Forderung: Die Menschen müssen die Systeme steuern und nicht umgekehrt.
Deshalb ist es gut und richtig, dass die Landesregierung eine große Betriebsrätekonferenz durchführen wird. Ja, die Betriebsräte sind für eine erfolgreiche Gestaltung der digitalen Arbeitswelt von entscheidender Bedeutung. All denjenigen, die ihnen skeptisch gegenüberstehen, sage ich: Habt keine Angst vor starken Betriebsräten! Starke Betriebsräte sind ein starkes Stück Deutschland! Die brauchen wir für die Gestaltung der Zukunft, meine Damen und Herren!