Wir kennen viele Chancen, die in unserem Lande genutzt wurden. Wir müssen aber dazusagen: Es gibt Digitalisierungsgewinner und Digitalisierungsverlierer. Deshalb müssen wir diesen Zusammenhang herstellen zwischen der analogen Welt der Wirtschaft, zwischen dem Kampf um jeden Arbeitsplatz, um alles, was wir da tun müssen, und das verbinden mit den Gedanken, die zurzeit bei der Digitalisierung entstehen. Das haben Sie mit Ihrer Regierungserklärung in dem Maße nicht geleistet.
Ausgerechnet bei den Lehrern, die unsere Schüler für die digitale Zukunft fitmachen können, nämlich die, die beispielsweise in Mathematik oder in den MINT-Fächern unterrichten, erleben wir in den nächsten Jahren eine dramatische Unterversorgung. Die Lücke bei den MINT-Fächern, insbesondere bei den Technik- und Informatiklehrern, die durch Pensionierung bis zum Jahr 2025 entstehen wird, kann nach jetzigem Stand nicht einmal ansatzweise durch die Zahl von Hochschulabgängern kompensiert werden. So steht bei einzelnen Schulen ausgerechnet der Wegfall jener Fächer, die Sie als Zukunftsfächer bezeichnet haben, im Moment ganz oben auf der Tagesordnung. Diesen Punkt haben Sie in Ihrer Regierungserklärung überhaupt nicht angesprochen. Auch hier werden Grundlagen für die Zukunft gelegt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Menschen und die Unternehmen in Nordrhein-Westfalen haben alle Potenziale, um zu den Gewinnern der Digitalisierung zu gehören. Die „Industrie 4.0“ ist die Zukunft des Industrielands Nordrhein-Westfalen. Die Digitalisierung kann einen Schub dafür geben, dass unser Land zum Ort des Aufstiegs für viele wird.
Aber, um es sinngemäß mit den Worten der „Rheinischen Post“ vom vergangenen Wochenende zu sagen: Nordrhein-Westfalen kann mehr, als Ihre Politik erlaubt.
Deshalb brauchen wir eine andere Politik, die hier die Freiräume wieder möglich macht, die entbürokratisiert, die denen, die digital wirtschaften wollen, Freiräume gibt, aus denen die Kraft dieses Landes entsteht. Wenn uns das gelingt, wird die Digitalisierung eine Erfolgsgeschichte unseres Landes. Dazu brauchen wir mehr als eine Addition von Einzelmaßnahmen, wie Sie uns das heute berichtet haben.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ministerpräsidentin hat in ihrer beeindruckenden Regierungserklärung dargelegt
ich komme gleich zu Ihnen, freuen Sie sich mal! –, wie die Digitalisierung das Leben, das Arbeiten und das Wirtschaften in unserem Land schon verändert hat und weiter verändern wird.
Sie hat gezeigt, welch großartige Chancen und Perspektiven die Digitalisierung für Nordrhein-Westfalen bietet und dass unsere Koalition fest entschlossen ist, keine dieser Chancen ungenutzt zu lassen.
Die Vielzahl von Maßnahmen, Projekten und Förderprogrammen spricht für sich. Vor allem, Herr Kollege Laschet, hat Hannelore Kraft aber überzeugend dargelegt, dass wir die Digitalisierung als gesamtgesellschaftliche Herausforderung begreifen müssen, die alle Politikbereiche in Anspruch nimmt.
Und was zeigt uns die Opposition? – Wir führen hier eine Debatte über die ökonomischen und gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung. Die CDU – Herr Kollege Laschet, hat uns gerade empfohlen, wir sollten Anträge lesen – legt uns einen Antrag vor, der die Kostensenkungsrichtlinie 2014/61 der EU begrüßt, der die Nutzung von Straßenlaternen als Sendemasten in Erwägung zieht und der Trinkwasser als unser kostbarstes Lebensmittel preist. Dazu kann ich nur sagen, Herr Kollege Laschet: In Ihrer Rede habe ich nichts anderes gehört. Wenn Sie hier ein Kontrastprogramm präsentieren wollen, dann ist Ihnen das mit diesem Antrag toll gelungen, allerdings fällt es mir schwer, Herr Kollege Laschet, dabei ernst zu bleiben.
Ich kann verstehen, dass Ihnen heute Morgen bei der Durchsicht der Presseschau die Petersilie verhagelt ist; denn Ihre gesamte Kritik zielt ins Leere. Computerland NRW, auf Kohle und Stahl folgt „Industrie 4.0“, Nordrhein-Westfalen setzt Maßstäbe beim digitalen Wandel – das steht heute Morgen in einer nicht unwichtigen Zeitung geschrieben. Ja, völlig richtig, Herr Kollege Laschet! Aber von Ihnen haben wir keinen einzigen Vorschlag gehört, was Sie denn hier im Land ändern wollen.
Sie reden über eine andere Politik, aber Sie sagen nichts über sie. Das sind Phrasen, das ist Polemik. Sie packen Ihre ideologischen Glaubensbekenntnisse unter dieses Stichwort „Digitalisierung“. Mehr habe ich von Ihnen, Herr Kollege Laschet, nicht gehört. Das entlarvt Sie!
Manches von dem, was Sie sagen, ist ja nicht falsch. Aber Binsenweisheiten und Schlagworte sind doch – das haben wir gerade erfahren – noch lange kein politisches Konzept. Ich habe – im Sinne Ihrer Fraktion – schlimme Befürchtungen. Ihrer Fraktion stand teilweise auch das Entsetzen ins Gesicht geschrieben, als sie Ihnen zugehört hat.
Ich habe den Eindruck, dass für Sie die Digitalisierung eine thematische Welle ist, auf der man surfen kann, bis eine andere auftaucht. Sie führen das Wort „Digitalisierung“, Herr Kollege Laschet, so oft im Mund, weil es ja offensichtlich so modern klingt. Aber die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Digitalisierung – das hat Ihre Rede zumindest deutlich gemacht – haben Sie anscheinend noch gar nicht erfasst, Herr Kollege Laschet.
Der Eindruck wird auch nicht besser, wenn man sich den jüngsten Entwurf des Grundsatzprogramms der NRW-CDU ansieht: Dem Thema „Digitale Ökonomie“ widmet sich die CDU in diesem Entwurf, wenn man großzügig die einzelnen Zeilen addiert, auf sage und schreibe knapp zwei Seiten, meine Damen und Herren. Wahrlich ein beeindruckender Nachweis von Wirtschaftskompetenz und ein nicht minder beeindruckender Ausweis Ihres Spürsinns für Zukunftsthemen, Herr Kollege Laschet!
Also: Was bleibt übrig, wenn man diese üppige Rhetoriksahne mal abstreift? Dass die NRW-CDU den digitalen Handel und die „Industrie 4.0“ irgendwie wichtig findet, beides irgendwie fördern möchte, zumindest aber das Breitbandnetz ausbauen will! Klar, Breitbandausbau ist wichtig, keine Frage. Das hat die Ministerpräsidentin deutlich gemacht. Der läuft ja längst. Und diese Regierung wird dafür sorgen, dass das schnelle Internet bald landesweit zur Verfügung steht, weil der schnelle Internetzugang genauso selbstverständlich sein muss wie die Wasserversorgung und wie der Stromanschluss.
Doch genauso wenig, meine Damen und Herren, wie ein funktionales Schulgebäude einen guten Schulunterricht gewährleistet, besteht die Herausforderung der Digitalisierung allein in der Verlegung von Leitungen.
Die Digitalisierung ist die vierte industrielle Revolution. Im Übrigen – ein kurzer Blick zurück –: Die erste begann mit der Erfindung der Dampfmaschine im 18. Jahrhundert. Sie hat die Arbeitskraft von Menschen und Tieren durch die Kraft der Maschinen ersetzt.
Ja, wir sollten uns daran erinnern, welche rasanten Veränderungsprozesse in der Wirtschaft stattgefunden haben und noch stattfinden werden, wo vor allem Politik Verantwortung dafür hatte, dass die entsprechenden Rahmenbedingungen so gesetzt worden sind, dass alle daran teilhaben konnten, dass es den Fortschritt gab.
Denn die explosionsartige Produktivitätssteigerung durch die standardisierte Fließband- und Massenproduktion markierte zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Beginn der zweiten Phase. In den 1970erJahren wurde diese zweite Phase durch die dritte, die computergestützte Automatisierung, abgelöst.
Zu Beginn dieses 21. Jahrhunderts treten wir mit der Digitalisierung in die vierte Phase der Industrialisierung. Diese neue Qualität besteht in einer vierfachen intelligenten Vernetzung:
zweitens in der Vernetzung der Maschinen mit ihrer Umwelt durch Sensoren, Antriebselemente, also durch sogenannte Aktoren;
dann anschließend in der intelligenten Vernetzung von Maschinen mit ihren in Gebrauch befindlichen Produkten.
Egal, wie wir diese neuen Produktionssysteme nennen wollen – „Industrie 4.0“, Internet der Dinge oder wie die Amerikaner sagen „Industrial Internet“ –: Ihre weitreichenden Folgen lassen sich schon allein daran ablesen, dass stets nur von Maschinen, nicht von Menschen die Rede ist. Muss uns das Sorgen machen? Ist das eine Bedrohung, Herr Kollege Laschet, auch und gerade für Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen, dem Industrieland Nummer eins in Deutschland und Europa?
Was bleibt von unserer Privatsphäre, wenn Alltagsgegenstände unseren Lebenswandel auswerten oder unsere zwischenmenschlichen Kontakte aufzeichnen? Was wird aus unserer Selbstbestimmung? Was bleibt von unserer Kreativität, sollten Maschinen das Handeln von Arbeitnehmern und Konsumenten kontrollieren und dirigieren? Die Digitalisierung ist also nicht nur eine Frage der Technologie und der Technologiepolitik. Sie ist auch eine Herausforderung der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, nicht zuletzt eine der Bildung und der Bürgerrechte.
Um es gleich zu sagen: Ja, ich bin davon überzeugt, wir sind davon überzeugt, dass die Chancen weit größer sind als die Risiken und dass die Vorteile der digitalen Ökonomie ihre Nachteile weit übertreffen – vorausgesetzt, meine Damen und Herren, wir sind willens und fähig, die digitale Ökonomie politisch zu gestalten und für den gesellschaftlichen Fortschritt zu nutzen.
Denn die Geschichte der Industrialisierung – deshalb habe ich das vorhin so benannt – zeigt doch, dass das möglich ist. Die Antworten auf die politischen und sozialen Fragen ihrer ersten Phasen in Deutschland waren die Demokratie und der Sozialstaat, die betriebliche Mitstimmung und das progressive Steuersystem. Erst durch diese politische
Innovation wurden die brutalen Auswüchse des Industriekapitalismus zurückgeschnitten, wurden seine immensen Produktionsgewinne in Wohlstandsgewinne für alle transformiert und schließlich der Nutzen technologischer Innovationen für alle Bürgerinnen und Bürger zugänglich und erschwinglich.
Und die Ministerpräsidentin hat vorhin deutlich gemacht – da hätten Sie zuhören sollen –, dass das genau der Antrieb für uns ist, dies auch in der Zukunft so zu gestalten, meine Damen und Herren.
Denn im Grunde sind das doch immer noch die wesentlichen Merkmale, an denen wir gesellschaftlichen Fortschritt auch durch Digitalisierung festmachen können. Er verhilft allen Menschen zu mehr und besseren materiellen wie immateriellen Gütern, die es ihm dann ermöglichen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Und dazu zählen Einkommen und soziale Sicherheit, Wissen und Bildung, Gesundheit und Mobilität und schließlich auch – ja, gerade wir in Nordrhein-Westfalen wissen, wie wichtig das ist – politische Mündigkeit und demokratische Mitbestimmung.
Der gesellschaftliche Fortschritt ist doch nichts Selbstverständliches, schon gar nicht kommt er von selbst. Demokratie und Sozialstaat gab es nicht umsonst. Auch das muss in diesem Hohen Hause offen ausgesprochen werden. Sie mussten erst von der Arbeiterbewegung, von den Gewerkschaften erkämpft werden.