Protocol of the Session on December 5, 2014

Herr Mostofizadeh, die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage Ihrer Kollegin Lisa Paus hat nämlich hervorgebracht hat, dass es zu einer Belastung insbesondere von Familien mit Kindern im breiten Bevölkerungsmittel kommen würde. Bei Familien mit zwei Kindern wären es monatliche Mehrbelastungen von etwa 526 €, bei Familien mit einem Kind etwa 203 €, wenn der Solidaritätszuschlag eins zu eins in die Einkommensteuer überführt würde.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Fakt ist auch, dass breite Bevölkerungsschichten betroffen wären. Deutlich mehr als 25 Millionen Steuerzahler wären davon erfasst. Daher sollten wir die Frage in den Raum stellen, ob nicht – das hat Herr Kollege Witzel hier schon angesprochen – ein massiver Glaubwürdigkeitsverlust der Politik in Rede steht.

(Beifall von der FDP – Ralf Witzel [FDP]: So ist es!)

Richtig ist auch, dass diese Diskussion in der Breite der Gesellschaft und nicht ausschließlich von der finanzpolitischen Seite zu führen ist.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Sie müs- sen sich schon für eine Richtung entschei- den!)

Die Landesregierung sorgt mit ihrer Forderung letztendlich dafür, dass – egal, wie man das Kind nun nennt – mit dieser Zusatzbelastung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler über 2019 hinaus ein weiteres unrühmliches Beispiel für fehlende Verlässlichkeit im Verhältnis zwischen Politik und Bürgern, für die diese Politik schließlich gemacht werden soll, kreiert wird. Das können wir als Piratenfraktion so nicht ohne Weiteres unterstreichen.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Wir sind eher dafür, der Auffassung von Herrn Kollegen Optendrenk zu folgen, der sagt, alles hänge mit allem zusammen. Das ist erst einmal richtig. Darüber hinaus bedürfe es der breiten Diskussion in sämtlichen steuerlichen Angelegenheiten, mit denen die Bürgerinnen und Bürger unseres Staates – und damit meine ich nicht nur die Bürgerinnen und Bürger Nordrhein-Westfalens – das Gemeinwohl des Staates finanzieren.

Dann bedarf es einer Klärung in Sachen Vermögensteuer. Dann bedarf es einer Klärung in Sachen Abhängigkeit zwischen Vermögen- und Erbschaftsteuer. Dann bedarf es einer Klärung in Sachen Besteuerung von Konzernen und Unternehmen. Dann bedarf es einer Klärung in Sachen Stopfen von Steuerschlupflöchern. Schließlich haben SPD und Grüne gemäß ihrem Entschließungsantrag von Anfang dieses Jahres – ich glaube, er stammt aus dem April – festgestellt, dass der Bund 160 Milliarden € Mehreinnahmen generieren würde, wenn diese Steuerschlupflöcher geschlossen würden; das wiederum würde in Nordrhein-Westfalen auf Landesebene zu Mehreinnahmen von round about 30 Milliarden € führen.

Dann brauchen wir nicht mehr irgendwelchen Versuchen hinterherzurennen, um über den BundLänder-Finanzausgleich oder die Einbeziehung des Solidaritätszuschlags in die Einkommensteuer oder über eine Grunderwerbsteuererhöhung im Land Nordrhein-Westfalen Brosamen zu verteilen. Dann geht es wirklich an die dicken Bretter – das wissen Sie, Herr Finanzminister, und alle hier im Hohen Hause –, und dann muss man auch die Boxhandschuhe auspacken. Dann muss man im Sinne der Bürgerinnen und Bürger des Landes nicht gegen die Unternehmen, sondern mit den Unternehmen versuchen, einen Konsens herbeizuführen, um eine Entlastung der Bürgerinnen und Bürger zu erreichen.

Dann brauchen wir auch nicht die Diskussion, die wir hier leider Gottes nicht in der Breite führen können, Herr Kollege Witzel. Denn – jetzt gehe ich kurz auf den Antrag ein – ich hätte es für besser gehalten, wenn man diesen Antrag in die Ausschüsse gespielt hätte und hier keine direkte Abstimmung

durchführen würde. Schließlich steht die Diskussion noch am Anfang.

Ich sehe allerdings die aktuellen Umfragen aus Oktober des Jahres von YouGov, in denen 82 % der Befragten eine Überführung des Solidaritätszuschlags in die Einkommensteuer schlichtweg ablehnen.

(Jochen Ott [SPD]: YouGov! Das ist ein ganz seriöses Unternehmen!)

Das ist eine Steigerung gegenüber Juli um mehr als 30 %. Wir sehen daran, dass die Diskussion in Fahrt kommt. Lassen Sie uns diese Diskussion möglicherwiese auch hier im Hause und in den Ausschüssen weiter führen.

Was den Antrag angeht, so werden wir uns an dieser Stelle aufgrund dieses Umstands und auch wegen Ziffer 2, die wir so nicht ganz mittragen können, enthalten.

Im Übrigen hoffe ich, Frau Ministerpräsidentin, dass wir hier eine breite Debatte führen können und auch zukünftig führen sollten, wie denn mit den Geldern der Bürgerinnen und Bürgern des Landes Nordrhein-Westfalen demnächst umzugehen sein wird. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Schulz. Bleiben Sie bitte am Pult. Es gibt eine Kurzintervention, angemeldet von Herrn Mostofizadeh. Die lassen wir natürlich, wie es sich gehört, zu. – Bitte schön, Herr Kollege Mostofizadeh.

Herr Präsident, vielen Dank. Ich möchte zwei Punkte richtigstellen. Frau Kollegin Paus hat eine Anfrage gestellt, auf die Sie Bezug genommen haben. Diese Anfrage sollte eine schlichte Integration in den Tarif darstellen. Die Folgen sind geschildert worden.

Der Schluss, den Sie daraus ziehen, ist schlicht falsch. Sie wollte nur deutlich machen, dass man eine qualitätsvolle Debatte führt. Sie sagen, das führt dazu, dass, wenn der Kurs eins zu eins so integriert würde, so und so viele Leute belastet würden. Man muss das ja nicht so umsetzen. Das ist der Vorschlag, den Herr Schäuble als Bundesfinanzminister in einem Papier unterbreitet hat. Und die Opposition im Bundestag hat nun dafür gesorgt, dass das, was ein Bundesfinanzminister vorschlägt, auch transparent wird. Das ist auch ihre wesentliche Aufgabe.

Wenn Sie Herrn Zimkeit zugehört hätten, hätten Sie auch gemerkt, dass Sie auf der einen Seite nicht die Soli-Integration bemängeln können, um dann zu sagen, den Soli wollen wir abschaffen. Denn wenn Sie ihn abschaffen wollen, gibt es zwei Effekte: Erstens haben wir die Kohle nicht mehr, sodass wir uns

hier im Landtag darüber nicht mehr zu unterhalten brauchen, und zweitens gibt es diese Wirkung nicht.

Nach vorne gerichtet möchte ich sagen: Ich fand es in der Debatte im Bundestag bemerkenswert, dass einige CDU-Abgeordnete – auch der CSU-Abgeordnete Michelbach –, unter anderem Herr Gutting, im Bundestag gesagt haben, die Bundesländer wären 16 Geier, und sie würden vor dem Bundestag auf das Geld der Bürgerinnen und Bürger warten. Das finde ich, gelinde gesagt, abscheulich und möchte mich ausdrücklich dagegen verwahren. Ich bitte Sie, hierzu Stellung zu nehmen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Herr Schulz, bis zu 90 Sekunden für Sie.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Lieber Kollege Mostofizadeh, also was Ihre Abschlussbemerkung angeht, dafür stehe ich hier nicht. Ich kann nichts dafür, wenn die CDU im Bundestag irgendetwas erzählt.

Zweiter Punkt. Ich habe überhaupt nichts anderes ausgeführt als das, was Sie gesagt haben, was die Anfrage Ihrer Kollegin Lisa Paus angeht. Natürlich hat sie, bezogen auf die Eins-zu-eins-Übertragungssituation, angefragt und hat als Ergebnis genau das bekommen, was ich hier referiert habe, nämlich dass die Gruppe kinderreicher Familien mit mittlerem und niedrigem Einkommen durch eine solche Regelung besonders belastet würde. Die Antwort der Bundesregierung hat eben auch die Zahlen von 526 bzw. 200 € Einbußen dieser Familiengruppen erbracht.

Darüber hinaus hat Ihre Kollegin Paus – das möchte ich hier zum Besten geben – Folgendes bilanziert. Ich zitiere:

„Würde der Plan so umgesetzt, käme es zu massiven Belastungen breiter Bevölkerungsschichten.“

Nichts anderes habe ich gesagt. Also bitte ich doch abschließend zu bemerken, dass genau das, was Ihre grüne Kollegin im Bund gefragt hat, Gegenstand meiner Ausführungen war. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Danke schön, Herr Schulz. – Damit sind wir beim nächsten Redner, und das ist unser Finanzminister, Herr Dr. WalterBorjans.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Witzel,

diese ständigen Auftritte zum Thema „Witzels wundersame Welt“

(Heiterkeit und Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

oder „Wie baue ich mir den Popanz, gegen den ich dann anschließend selber zu Felde ziehe?“ sind schon zum Schmunzeln. Das ist heute ja auch schon häufiger gesagt worden.

Ich nehme den zweiten Punkt Ihres Antrags:

„Die Landesregierung wird aufgefordert, statt permanenter Steuererhöhungen endlich ein Moratorium für eine ständig fortschreitende Ausweitung der Staatstätigkeit einzuführen.“

Sie gucken doch so gerne in Statistiken; die zitieren Sie ja immer. Dann könnten Sie ja auch einmal in die Statistik schauen, wie sich die Steuerquote verändert hat. Die Steuerquote in Deutschland betrug 1965 23,1 % und liegt heute bei 23,2 % des Bruttoinlandsprodukts, immer schwankend zwischen 21 und 23 %, also so gut wie stabil. Damit ist natürlich ein größer werdendes Bruttoinlandsprodukt verbunden, auch höher werdende Steuereinnahmen. Aber ich kenne keinen Bürger, der heute nicht enorm höhere Erwartungen an das hat, was der Staat zu leisten hat, als damals.

Bauen Sie doch einmal eine Straße, wie Sie 1965 gebaut worden ist, und hören Sie sich an, was die Autofahrer Ihnen heute sagen würden. Diese Darstellung, hier gäbe es eine ständig steigende Staatstätigkeit, ist ein Witz, Herr Witzel.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Der zweite Punkt. Diese Steuerquote in Deutschland von 23,2 % sieht in anderen Ländern folgendermaßen aus: Dänemark 47,1 %, Schweden 34 %, Großbritannien 28,4 %, Frankreich 28,3 %, Italien 30,9 %, Griechenland hat mit 23,1 % 0,1 % weniger Steuerquote und die Schweiz 21,1 %.

Eine andere Statistik, die ich Ihnen gerne vortragen möchte, beschäftigt sich mit der angeblich ständig steigenden Mehrbelastung der Bürger: 1995, also vor 20 Jahren, hatte jemand, der in gleichen realen Preisen wie heute 60.000 € verdient hat, wenn er verheiratet war und zwei Kinder hatte, 15,0 % Einkommensteuer zu bezahlen. Heute bezahlt die gleiche Familie 7,2 %. So viel zur ständig steigenden Steuerbelastung der Bürgerinnen und Bürger.

Dann zu Ihrem Punkt, was die Landesregierung alles will. Die Landesregierung will keinen Soli-West. Davon war nie die Rede. Die Kanzlerin hat zu Zeiten, als Sie noch mitregiert haben, nämlich im Juli 2013, gesagt:

Wenn ich auf die nächsten Jahre blicke, sehe ich großen Investitionsbedarf, und zwar in ganz Deutschland, etwa in Schiene und Straße. Ich sehe nicht, wie wir einen Betrag in dieser Höhe an anderer Stelle einsparen könnten. Deshalb hat die Union

jedenfalls keine Pläne zur Abschaffung des Solidarzuschlags.

Sie von der FDP hatten die, und Sie gibt es nicht mehr im Bundestag. Das ist auch eine Folge, wenn sich jemand der Realität verweigert, was in diesem Land zu tun ist, und alles nur darauf herunterschraubt, wie viel denn eingenommen werden darf und was nicht eingenommen werden darf.

(Beifall von der SPD)

Diese Landesregierung hat nie von sich aus den Einbau des Solis in die Einkommensteuer gefordert. Das war auch nicht Rot-Grün. Auch waren es nicht die rot-grünen Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten in Düsseldorf vor anderthalb Wochen, sondern der Vorschlag kam unter anderem vom Bundesfinanzminister, wurde aber erst einmal wieder eingesammelt.